Immer häufiger kleben sich Klimaaktivist*innen – in Medien oft polemisch als „Klimakleber“ bezeichnet – mit Sekundenkleber auf Straßen fest, um durch Blockaden auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Diese Form des zivilen Ungehorsams wirft komplexe strafrechtliche und verfassungsrechtliche Fragen auf. Insbesondere steht zur Debatte, ob das Festkleben an der Fahrbahn Gewalt im Sinne des Strafgesetzbuchs darstellt. Das Kammergericht (KG) Berlin hat hierzu mit Urteil vom 02.06.2025 (Az. 3 ORs 22/25) eine vielbeachtete Entscheidung getroffen. Darin stellte es klar, dass das Auftragen von Klebstoff auf die Straße und das feste Andrücken der Hand durch die Aktivisten „Gewalt“ im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) ist. Diese Wertung markiert einen Wendepunkt: Erstmals hat ein Obergericht unmissverständlich festgestellt, dass das selbst passive Verharren mittels Klebstoff als aktiver Gewaltakt gegen Polizeibeamte zu qualifizieren sein kann. Im Folgenden werden die Kernaussagen des Urteils dargestellt, die Abgrenzung zur bisherigen Rechtsprechung – insbesondere zum gegenteiligen Urteil des OLG Dresden – erläutert sowie die rechtlichen Begründungen und deren Folgen für zukünftige Protestfälle analysiert. Auch verfassungsrechtliche Aspekte wie die Versammlungsfreiheit und die Verhältnismäßigkeit staatlicher Sanktionen sowie mögliche Kritik an der Entscheidung bleiben nicht unbeleuchtet.
Sachverhalt und bisherige Rechtsprechung
Dem Berliner Urteil lag ein typischer Fall zugrunde: Eine Klimaaktivistin hatte sich im Rahmen einer unangemeldeten Protestaktion der Gruppierung „Letzte Generation“ auf einer vielbefahrenen Straße in Berlin (B 111) im Berufsverkehr auf die Fahrbahn gesetzt. Als die Polizei eintraf und die Auflösung der Blockade verfügte, trug die Aktivistin Sekundenkleber auf ihre Hand auf und drückte sie auf den Asphalt, um sich dort festzukleben. Dies diente dem Zweck, die Räumung der Straße durch die Polizei so weit wie möglich zu verzögern und die Blockade in die Länge zu ziehen. Tatsächlich konnte sie nicht einfach weggetragen werden; erst unter Anwendung eines Lösungsmittels gelang es den Beamten, die Hand nach rund 26 Minuten von der Fahrbahn zu lösen.
Während bislang in solchen Fällen vor allem über eine Strafbarkeit wegen Nötigung (§ 240 StGB) gegenüber den blockierten Verkehrsteilnehmern diskutiert wurde, stand nun auch der Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) im Raum. Traditionell war die Rechtsprechung hier eher zurückhaltend: Bloß passives Sitzen auf der Straße ohne weitere Vorkehrungen galt nicht als „Gewalt“ im Sinne des § 113 StGB. Auch das Gewicht des eigenen Körpers oder sich schlaff hängen lassen beim Wegtragen wird in der Regel nicht als aktiver körperlicher Widerstand gewertet, da es an einer gegen den Beamten gerichteten Kraftanwendung fehlt.
Entsprechend uneinheitlich waren bislang die Entscheidungen in vergleichbaren Fällen. So hatte etwa das Oberlandesgericht Dresden in einem Urteil vom 29.01.2025 (Az. 6 ORs 21 Ss 132/24) keine Gewalt im Festkleben gesehen. In jenem Fall hatten sich Demonstranten ebenfalls auf der Straße festgeklebt, doch die Polizeikräfte lösten den Kleber vor Ort geschickt mit Öl und Zitronensaft und trugen die Aktivisten rasch weg. Das OLG Dresden verneinte deshalb eine „nicht ganz unerhebliche Kraftentfaltung“ und somit das Merkmal der Gewalt – offenbar mit der Begründung, der physische Aufwand der Beamten beim Lösen der Hände sei nur gering gewesen. Auch ein Beschluss des Landgerichts Berlin vom April 2023 soll die Qualifikation als Gewalt abgelehnt haben. Vor diesem Hintergrund brachte das Kammergericht Berlin mit seinem aktuellen Urteil nun Klarheit – wenn auch in Abweichung von der Dresdner Linie.
Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom 02.06.2025
Das Kammergericht Berlin hat in seinem Urteil vom 02.06.2025 unmissverständlich festgestellt, dass das Festkleben auf der Fahrbahn einen gewaltsamen Widerstand gem. § 113 Abs. 1 StGB darstellen kann. Nach Auffassung des 3. Strafsenats ist der Einsatz von Sekundenkleber als „materielles Zwangsmittel“ zu werten, der darauf abzielt, polizeiliche Vollstreckungshandlungen – hier die Räumung der Straße – zu erschweren. Wörtlich heißt es, das Auftragen des Klebers auf die Hand und das feste Andrücken auf die Straße sei Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB, „weil diese Tathandlung geeignet ist, das Wegtragen des Beschuldigten als Störer zu erschweren.“ Die Aktivistin habe durch das Kleben ausdrücklich verhindern wollen, dass die Polizei sie einfach von der Straße trägt. Ein einfaches Hochheben war denn auch faktisch nicht möglich; vielmehr hätte ein Polizeibeamter sie – ohne Lösemittel – nur mit erheblichem Kraftaufwand „von der Fahrbahn abreißen“ können. Die vom Klebstoff erzeugten Adhäsionskräfte wirkten dem Wegtragen unmittelbar entgegen und zwangen die Beamten, für die Entfernung einen spürbaren Kraftaufwand aufzubringen. Selbst wenn die Polizei – wie hier – ein Lösemittel verwendet und dadurch Verletzungen der Aktivistin vermeidet, ändert dies laut KG nichts an der Bewertung: Das Hindernis wurde ja nur mittels besonderer Mühe und Zeit überwunden und war gerade kein unerheblicher Widerstand.
Bemerkenswert ist, dass das KG Berlin seine Entscheidung ausdrücklich im Kontrast zur Rechtsprechung des OLG Dresden getroffen hat. Die Berliner Richter betonen, dass sie bewusst von der Dresdner Auffassung abweichen. Während Dresden – aufgrund des dort gewählten polizeilichen Vorgehens – eine erhebliche Kraftentfaltung verneinte, hält das KG gerade das Festkleben an sich für relevant und will die Strafbarkeit nicht vom Zufall der polizeilichen Vorgehensweise abhängig machen. Es erscheine „willkürlich“, so der 3. Strafsenat, zwischen Fällen zu unterscheiden, in denen die Polizei die Hände der Demonstranten mit chemischen Mitteln löst, und solchen, in denen sie die Personen „buchstäblich an den Händen reißen“ muss. Andernfalls hinge es vom Verhalten der Beamten ab, ob ein Widerstand als gewaltsam einzustufen sei – etwa ob sie Lösemittel dabeihaben oder rohe Gewalt anwenden. Ebenso wenig könne die subjektive Vorstellung der Aktivisten über mögliche Gegenmaßnahmen der Polizei (z.B. ob diese wohl mit Lösemitteln ausgerüstet ist) das Vorliegen von Vorsatz oder Gewalt bestimmen. Eine solche Betrachtung würde den Tatbestand in unzulässiger Weise subjektivieren. Das KG wirft dem OLG Dresden insoweit sogar eine „extreme Subjektivierung des Tatbestands“ vor, der es nicht folgt. Im Ergebnis stellt das Kammergericht klar, dass zumindest im Berliner Gerichtsbezirk künftig das „Klimakleben“ als Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte angesehen wird – unabhängig davon, ob die Polizei den Kleber mit Lösungsmitteln entfernt oder andere Mittel einsetzt. Die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft hatte damit Erfolg; das freisprechende Urteil des AG Tiergarten wurde aufgehoben und das Verfahren zur neuen Entscheidung zurückverwiesen.
Rechtliche Würdigung: Gewaltbegriff des § 113 StGB
Im Zentrum der Entscheidung steht die Auslegung des Gewaltbegriffs in § 113 StGB. Nach ständiger Definition ist Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte „jede aktive, gegen die Person des Vollstreckenden gerichtete Tätigkeit, die nach der Vorstellung des Täters geeignet ist, die Vollziehung der Diensthandlung zu verhindern oder zu erschweren.“ Mit Gewalt wird der Widerstand geleistet, wenn der Täter durch Einsatz körperlicher Kraft oder eines materiellen Mittels ein Tätigwerden gegen den Beamten entfaltet, das geeignet ist, die Diensthandlung zumindest zu erschweren. Wichtig ist dabei: Die Gewalt muss für den Beamten körperlich spürbar sein – sei es unmittelbar oder mittelbar durch Einwirkung auf eine Sache. Allerdings genügt nicht jede geringfügige Behinderung. Zur Vermeidung einer uferlosen Ausdehnung des Tatbestands – im Hinblick auf das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 103 GG) und das Analogieverbot – verlangt die Rechtsprechung eine gewisse Erheblichkeitsschwelle. Das bedeutet, der Vollstreckungsbeamte muss zur Überwindung des Widerstands nicht unerhebliche Kraft aufwenden müssen, damit von strafbarer Gewalt gesprochen werden kann. Triviale Behinderungen oder reine Unannehmlichkeiten reichen nicht aus, um den Gewaltbegriff zu erfüllen.
Vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, warum das bloße Sitzenbleiben (ohne Festkleben) traditionell nicht als Gewalt gewertet wurde: Ein sitzender Demonstrant kann von Polizisten in der Regel relativ leicht hochgehoben und weggetragen werden, ohne dass diese signifikante Kraftanstrengung aufwenden müssten. Es fehlt insoweit an einer aktiven Kraftentfaltung gegen den Beamten – das Verhalten erschöpft sich in passiver Untätigkeit, der die Polizei mit normalem körperlichem Aufwand begegnen kann. Ähnlich verhält es sich mit Demonstranten, die sich beim Wegtragen lediglich schlaff stellen; ihr Körpergewicht allein stellt nach überwiegender Meinung keine vom Täter aktiv geschaffene „Gewalt“ dar.
Anders liegt der Fall jedoch, wenn technische oder körperliche Barrieren geschaffen werden, die die Amtshandlung spürbar verzögern oder erschweren. Klassisches Beispiel ist das Anketten oder Festbinden an Gegenständen, um eine Räumung zu verhindern. Hier hat die Rechtsprechung bereits früher Gewalt bejaht, da eine durch tätiges Handeln (Anbringen der Fessel) bewirkte Kraftentfaltung vorliegt, die sich gegen den Amtsträger richtet. Das Kammergericht stellte nun klar, dass das Festkleben mit Klebstoff in seiner physischen Wirkung dem Selbstanketten vergleichbar ist. In beiden Fällen bringt der Täter aktiven physischen Widerstand in Form eines Hindernisses hervor: sei es ein Schloss oder Kettenglied, sei es ein starker Klebstoff – stets wird ein zusätzliches Kraftmoment eingeführt, das die Beamten überwinden müssen. Entscheidend ist dabei der Zweck des Täters, die polizeiliche Maßnahme gezielt zu blockieren oder zu erschweren, und dass diese Behinderung im Zeitpunkt der Diensthandlung fortwirkt. Genau dies traf im Berliner Fall zu: Die Aktivistin hat ihre Hand bewusst festgeklebt, „um ein einfaches Wegtragen durch die Polizeibeamten zu verhindern“ und die Räumung deutlich zu verzögern.
Das KG Berlin betonte zudem, dass es unsächlich ist, ob das Festkleben unmittelbar vor oder erst bei Beginn der Vollstreckungshandlung erfolgt. Im entschiedenen Fall wurde der Kleber zwar aufgetragen, bevor die Polizei die Versammlung formell auflöste, aber bereits in Erwartung der alsbaldigen Räumung. Maßgeblich ist, dass die Widerstandsaktion bei Vornahme der Diensthandlung noch fortwirkt. Mit anderen Worten: Wer sich vorsorglich festklebt, um der später sicher kommenden Polizeimaßnahme etwas entgegenzusetzen, leistet „bei Vornahme der Diensthandlung“ Widerstand, da diese personenseitige Barriere dann noch anhält. Voraussetzung ist freilich, dass der Vorsatz des Täters gerade darauf gerichtet ist, die polizeiliche Maßnahme zu vereiteln oder zu erschweren. Das KG verlangt zur Abgrenzung, dass der Wille des Aktivisten darauf gerichtet war, durch das Festkleben den Widerstand vorzubereiten, und es sich nicht bloß um das Ausnutzen eines ohnehin bestehenden Hindernisses handelt. Im Berliner Fall war dieser Widerstandswille offensichtlich gegeben, da die Angeklagte erklärt hatte, Aufmerksamkeit erzeugen und die Räumung in die Länge ziehen zu wollen.
Aus den Entscheidungsgründen geht hervor, dass die Berliner Richter insbesondere die physische Spürbarkeit und Erheblichkeit des Klebe-Hindernisses hervorhoben. So führte das KG aus, ein einfaches Wegtragen der Person sei aufgrund der festen Verklebung nicht möglich gewesen, und der Beamte hätte ohne Lösungsmittel die Hand nur mit „körperlich spürbarem Kraftaufwand“ von der Fahrbahn abreißen können. Um Verletzungen zu vermeiden, musste daher ein Lösungsmittel eingesetzt werden, was seinerseits Zeit und besondere Vorsicht erforderte. Die hierdurch verursachte Verzögerung von 26 Minuten – im konkreten Fall dauerte das Ablösen so lange – stelle eine deutlich spürbare Zeitdauer dar, die mit einem einfachen Hochheben und Wegtragen keinesfalls vergleichbar sei. Selbst in Fällen, in denen das Lösen (etwa durch geübte Einsatzkräfte) schneller gelingt – das KG nennt etwa rund eine Minute pro Person – sei dies „ein gewichtiges Indiz“ für gewaltsamen Widerstand. Ein solcher Zeitaufwand impliziert nämlich, dass das polizeiliche Einschreiten erheblich beeinträchtigt wurde. Damit ist die Erheblichkeitsschwelle überschritten, was die Qualifikation als Gewalt rechtfertigt.
Zusammenfassend definiert das KG Berlin den Gewaltbegriff des § 113 StGB in dem Sinne, dass auch „Selbstfixierungsmaßnahmen“ wie Festkleben unter Einsatz von körperwirkenden Mitteln Gewalt darstellen, sofern sie die Vollstreckung spürbar verzögern und aktive Überwindungsenergie der Beamten erfordern. Diese Auslegung steht im Einklang mit neueren Entscheidungen (z.B. BGH Beschl. v. 11.06.2020) und lehnt eine zu enge Betrachtung ab, die nur direkte körperliche Übergriffe erfassen würde. Entscheidend ist das Zusammenwirken von Täterhandlung und Zwangswirkung: Das vorsätzliche Herbeiführen eines physischen Hindernisses, das den Polizeieinsatz erschwert, ist als gegen den Beamten gerichtete Gewalt zu qualifizieren – und zwar auch dann, wenn die Beamten schließlich Mittel und Wege finden, dieses Hindernis zu überwinden.
Abgrenzung: OLG Dresden und andere Gerichte
Die Entscheidung aus Berlin weicht – wie erwähnt – deutlich von der Haltung des OLG Dresden ab. Das OLG Dresden hatte Anfang 2025 in einem faktisch vergleichbaren Fall das Vorliegen von Gewalt verneint, weil es an einer „nicht ganz unerheblichen Kraftentfaltung“ gefehlt habe. Dort waren die Einsatzkräfte mit der Festklebetaktik anders umgegangen: Durch den Einsatz von Öl und Zitronensaft konnten die Hände der Demonstranten relativ schonend und schnell gelöst werden, sodass kein offensichtliches Reißen oder großer Krafteinsatz nötig war. Offenbar legte das OLG Dresden den Schwerpunkt darauf, dass die Beamten objektiv keine größere körperliche Anstrengung verspüren mussten – und somit kein tatbestandliches „Kraftaufwenden“ durch den Täter vorlag. Dieses Verständnis betont den tatsächlich erlebten Aufwand aus Perspektive der Polizei im Einzelfall. Bleibt dieser Aufwand gering (weil etwa geeignete Hilfsmittel vorhanden sind oder der Kleber schlecht haftet), so wäre nach Dresdner Sicht auch keine strafbare Gewalt gegeben.
Das Kammergericht Berlin kritisiert diese Sichtweise ausdrücklich. Es hält es für verfehlt, die Strafbarkeit vom Zufall der Einsatzmittel abhängig zu machen. Anstatt auf den konkreten polizeilichen Löseweg abzustellen, rückt das KG die vom Täter geschaffene Gefahrenlage an sich in den Fokus. So argumentiert der 3. Strafsenat, es könne nicht davon abhängen, ob die Polizei gerade chemische Mittel zur Verfügung hat oder gezwungen wäre, rohe körperliche Kraft einzusetzen. Andernfalls würde die objektive Tatbestandsverwirklichung des § 113 StGB vom taktischen Vorgehen der Beamten abhängen – ein Ergebnis, das dem Gleichheitsgrundsatz zuwiderlaufen und eine inkonsistente Handhabung bedeuten würde. Zwei identische Verhalten der Aktivisten dürften nicht unterschiedlich bewertet werden, nur weil die eine Polizeieinheit mit Lösemittel und Geschick vorgeht und die andere nicht. Ebenso wenig möchte das KG auf die Vorstellungshaltung des Täters bezüglich etwaiger Gegenmittel der Polizei abstellen. Sonst würde man in unzulässiger Weise die subjektiven Erwartungen der Protestierenden zum Maßstab machen, ob ihr Verhalten strafbar ist oder nicht. Die Berliner Richter haben daher eine objektivere Abgrenzung gewählt: Maßgeblich ist, dass das Festkleben generell geeignet ist, eine erhebliche physische Barriere zu bilden – und ob im Nachhinein die Polizei die Barriere mit Tricks oder doch mit Muskelkraft beseitigt, ist für die rechtliche Bewertung „nicht grundsätzlich erheblich“. Wichtig bleibt allerdings die Anforderung, dass überhaupt eine gewisse Erheblichkeit vorliegt; das KG schließt Fälle aus, in denen kein merklicher Widerstand spürbar wäre.
Neben Dresden gab es auch in der Instanzrechtsprechung divergierende Auffassungen. In Berlin selbst hatte das Landgericht (als Beschwerdeinstanz) wohl zunächst gezweifelt, ob Festkleben Gewalt i.S.d. § 113 StGB ist. Mit dem Kammergerichtsbeschluss vom 16.08.2023 (Az. 3 ORs 46/23) zeichnete sich jedoch bereits Berlins Linie ab, die nun im Urteil von 2025 bestätigt wurde. In jenem Beschluss hatte das KG angemerkt, eine Ablösedauer von etwa 1–1,5 Minuten pro Person sei ein starkes Indiz für gewaltsamen Widerstand. Diese Überlegung hat es nun – konfrontiert mit einem noch gravierenderen Fall (26 Minuten Verzögerung) – konsequent fortgeführt.
Die Abweichung zwischen Berlin und Dresden zeigt, dass die Rechtsprechung bisher uneinheitlich war. Es handelt sich um Rechtsfragen, die in Zukunft vermutlich durch den Bundesgerichtshof (BGH) geklärt werden müssen, sollte sich die Gelegenheit einer Revision bieten. Derzeit jedoch gilt: Zumindest in Berlin (und möglicherweise in anderen Oberlandesgerichtsbezirken, die sich anschließen) wird das Festkleben als aktiver Widerstand betrachtet. Anderswo, wie in Sachsen, könnte man sich vorerst noch auf die Dresdner Entscheidung berufen. Dies schafft eine gewisse Rechtsunsicherheit für Aktivist*innen wie auch für Strafverfolgungsbehörden, zumal Klimaproteste ein bundesweites Phänomen sind. Allerdings dürfte der Trend in der Rechtsprechung dahin gehen, das bewusste Herbeiführen körperlicher Hindernisse eher dem Gewaltbegriff zuzuordnen – insbesondere nachdem das Kammergericht seine Ansicht ausführlich begründet und die Gegenposition als rechtlich nicht überzeugend zurückgewiesen hat.
Konsequenzen für künftige Klimaproteste und Strafverfolgung
Die Entscheidung des KG Berlin hat erhebliche praktische Auswirkungen für die strafrechtliche Behandlung von Sitzblockaden und Klimaprotesten. Erstmals ist höchstrichterlich (wenn auch auf Oberlandesgerichtsebene) klargestellt, dass Teilnehmer einer Blockade, die sich an der Fahrbahn festkleben, nicht nur wegen Nötigung (§ 240 StGB) belangt werden können, sondern zusätzlich wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB). Damit erweitert sich das strafrechtliche Risiko für Klimaaktivisten beträchtlich. § 113 StGB sieht als Strafrahmen Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor; in besonders schweren Fällen (etwa wenn eine Waffe mitgeführt wird oder die Tat als gemeinschaftlich begangen einzustufen ist) drohen sogar bis zu fünf Jahre (§ 113 Abs. 2 StGB). Zwar handelt es sich bei Klebeaktionen typischerweise nicht um „besonders schwere Fälle“, doch bereits eine Verurteilung nach § 113 Abs. 1 StGB kann – insbesondere für Wiederholungstäter – spürbare Konsequenzen haben. Geldstrafen in beträchtlicher Höhe oder gar kurze Freiheitsstrafen (ggf. zur Bewährung) sind denkbar, zumal Gerichte bei Angriffen auf die Staatsgewalt oftmals strenger urteilen als bei reinem „Allgemeindelikt“ wie Nötigung.
Für die Polizei und Staatsanwaltschaften bedeutet das Berliner Urteil Rückenwind: Sie können in Fällen von Straßenblockaden mit Festkleb-Aktionen nun verstärkt den Tatvorwurf des Widerstands erheben und mit einer Verurteilung rechnen – zumindest sofern sich die Faktenlage mit dem Berliner Fall vergleichen lässt (also insbesondere eine nicht unerhebliche Erschwerung der Räumung eingetreten ist). In Berlin selbst hat das KG klar signalisiert, dass „Klimakleben“ den Widerstands-Tatbestand erfüllt. Dies dürfte Einfluss auf die Einsatzpraxis nehmen. So könnten Einsatzkräfte Beweissicherung gezielt darauf ausrichten, den erforderlichen Kraft- oder Zeitaufwand zur Entfernung festzuhalten (etwa per Video, Zeitnahme, Dokumentation der eingesetzten Mittel), um in möglichen Strafverfahren die Erheblichkeit des Widerstands belegen zu können.
Für Aktivistinnen und Aktivisten der Klimabewegung zeichnet sich ab, dass bestimmte Protestformen rechtlich riskanter sind als bisher angenommen. Während Sitzblockaden per se schon als Nötigung gewertet werden konnten, galt das bewusste Festkleben bislang in einigen Gerichtsbezirken als grenzwertig hinsichtlich der zusätzlichen Strafbarkeit als Widerstand. Nach der Linie des KG Berlin ist jedoch klar: Physische Ankettungs- oder Anklebemaßnahmen stellen eine zusätzliche Eskalation dar, die den Tatbestand des § 113 StGB erfüllt. Wer sich also an die Straße klebt, riskiert nicht nur wegen der Blockade an sich angeklagt zu werden, sondern auch wegen Angriffs auf die polizeiliche Durchsetzungskraft. Damit steht Klimaprotestierenden potentiell ein doppelter Schuldspruch ins Haus (in Tateinheit: Nötigung und Widerstand), was in der Summe höhere Strafen oder jedenfalls eine höhere kriminelle Gewichtung bedeutet.
Dies könnte verhaltenssteuernde Wirkung entfalten: Klimaprotest-Gruppen müssen abwägen, ob das Festkleben – als symbolträchtiger, aber strafverschärfender Akt – weiterhin strategisch eingesetzt werden soll. Möglicherweise wird mancherorts zu Protestformen gewechselt, die zwar den Verkehr behindern (und damit den Zweck der Aufmerksamkeit erfüllen), aber ohne zusätzliche Hilfsmittel auskommen, um nicht den Widerstandsparagraphen zu erfüllen. Beispielsweise könnte man stattdessen auf Sitzblockaden ohne Kleber setzen (was „nur“ Nötigung darstellen würde) – wenngleich auch dort die Schwelle zur Gewalt im Rahmen von § 240 StGB bedacht werden muss. Allerdings war gerade der Klebe-Effekt für die Aktivisten attraktiv, weil er die Räumung verzögerte; fällt dieser Trumpf weg, verlieren die Blockaden an Wirksamkeit. Es bleibt abzuwarten, ob die Aussicht auf strafrechtliche Konsequenzen die Bewegung davon abhält, weiterhin Sekundenkleber einzusetzen. Einige Aktivist*innen sehen ihre Aktionen als Akt des zivilen Ungehorsams und nehmen Sanktionen bewusst in Kauf. Für sie könnten sogar Haftstrafen in Kauf genommen werden, um auf die Dringlichkeit der Klimakrise hinzuweisen – was zu einer weiteren Verhärtung des Konflikts führen würde.
Auch andere Protestkonstellationen dürften von der Berliner Rechtsprechung erfasst sein. Die Argumentation des KG lässt sich auf alle Fälle übertragen, in denen aktive körperliche Barrieren geschaffen werden. Klassisch sind z.B. das Anketten an Geländern, das Festbinden mit Rohrkonstruktionen, Betonfässern etc., oder das Versperren von Zufahrten durch befestigte Sitzgruppen. Immer wenn Demonstrierende sich technischer Mittel bedienen, um polizeiliche Maßnahmen abzuwehren oder zu erschweren, liegt nach dieser Logik Widerstand mit Gewalt vor. Das heißt jedoch nicht, dass jede Blockade nun automatisch § 113 StGB erfüllt. Entscheidend bleibt die Konkretheit und Intensität der Behinderung. Eine spontan auf der Straße sitzende Gruppe ohne Hilfsmittel, die sich nach Aufforderung zwar passiv, aber ohne weitere Tricks wegtragen lässt, begeht nach wie vor „nur“ passiven Widerstand (der nicht unter § 113 fällt). Doch sobald aktiv Störmittel eingesetzt werden – sei es Kleber, sei es eine Sitzabfolge, bei der sich Personen unlösbar unterhaken, oder Ähnliches – steigt die Wahrscheinlichkeit, dass künftig Gerichte dies als „Gewalt“ interpretieren und entsprechend ahnden. Kurz gesagt: Die Grenzlinie verläuft künftig klarer zwischen „friedlicher Sitzblockade“ und „gewaltsamer Blockade“ – wobei Letztere nicht in einem tätlichen Angriff bestehen muss, sondern bereits durch materielle Sabotage der polizeilichen Räumungshandlung gegeben sein kann.
Für die Zukunft der Strafverfolgung bedeutet dies einerseits eine Verschärfung im Umgang mit Klimaprotesten. Die Politik und Justiz sendet das Signal, dass auch sogenannte zivile Ungehorsamsakte kein rechtsfreier Raum sind, sondern im Zweifelsfall mit dem vollen Instrumentarium des Strafrechts beantwortet werden können. Andererseits zwingt es die Gerichte aber auch zu sorgfältiger Prüfung jedes Einzelfalls. Das KG Berlin selbst hat betont, dass alle Umstände des Einzelfalls abzuwägen sind, um festzustellen, ob gewaltsamer Widerstand vorliegt. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang und Dauer der Behinderung, die eingesetzten Mittel und die konkreten Auswirkungen auf die Vollstreckungshandlung. So mag es Situationen geben, in denen etwa ein minimaler Klebepunkt, der sich in Sekunden lösen lässt, noch unterhalb der Erheblichkeitsschwelle bleibt – obwohl grundsätzlich Klebstoff verwendet wurde. Die Strafverfolgungsbehörden sind also angehalten, die Konkretheit der Gewaltanwendung im jeweiligen Fall darzulegen (etwa wie lange die Ablösung dauerte, wie viele Beamte damit beschäftigt waren, ob erhebliche Kraft eingesetzt werden musste etc.). Dies ist wichtig, um einerseits rechtsstaatlich sauber nur dort Strafen zu verhängen, wo es angemessen ist, und andererseits einer möglichen Korrektur durch höhere Gerichte (insbesondere den BGH) Stand zu halten. Sollte es in der Rechtsanwendung Unklarheiten geben oder unterschiedliche Linien in verschiedenen Bundesländern fortbestehen, könnte mittelfristig auch das Bundesverfassungsgericht mit der Materie befasst werden – etwa wenn die Frage des Gewaltbegriffs im Lichte der Grundrechte (Art. 8 GG) relevant wird.
Verfassungsrechtliche Aspekte: Versammlungsfreiheit und Verhältnismäßigkeit
Die strafrechtliche Aufarbeitung von Klimablockaden berührt zwangsläufig die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG sowie Fragen der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe. Nach Art. 8 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Unbestritten handelt es sich bei den Straßenblockaden der Klimabewegung um Versammlungen im Sinne des Grundgesetzes, da hier ein kollektiver Meinungskundgabe-Zweck (Aufmerksamkeit für Klimaschutz) verfolgt wird. Die Rechtsprechung hat schon in den 1980er-Jahren anerkannt, dass selbst Blockadeaktionen grundsätzlich vom Schutz des Art. 8 GG erfasst sein können. Das Bundesverfassungsgericht differenziert allerdings zwischen „demonstrativen Blockaden“ (symbolischer Protest, der auf Kommunikation abzielt) und „Verhinderungsblockaden“ (Aktionen, die primär auf die Erzwingung eines Ziels durch tatsächliche Behinderung gerichtet sind). Friedliche demonstrative Blockaden – etwa Sitzblockaden, bei denen es den Teilnehmern vor allem um den Protest als solchen geht – genießen den Schutz der Versammlungsfreiheit, solange sie keine Gewalt anwenden. Dagegen können Blockaden, die überwiegend darauf gerichtet sind, faktisch eine Handlung (z.B. den Verkehr oder einen Parteitag) zu verhindern und Forderungen durchzusetzen, unter Umständen nicht als Versammlung im Sinne von Art. 8 GG gelten.
Klimaproteste wie das Festkleben auf der Straße bewegen sich in einem Graubereich zwischen diesen Polen. Einerseits wollen die Aktivisten natürlich eine Realwirkung erzielen – nämlich den Verkehr anhalten – und damit Druck ausüben (Element einer Verhinderungsblockade). Andererseits dient diese Störung als Symbol und Kommunikationsmittel, um Öffentlichkeit und Politik auf die Dringlichkeit ihres Anliegens aufmerksam zu machen (Element einer demonstrativen Blockade). In der Regel dürfte man also solche Aktionen zumindest anfangs als Versammlung einstufen, solange keine Gewalttätigkeiten von Seiten der Demonstranten erfolgen. Wichtig ist jedoch: Der Schutz durch Art. 8 GG bedeutet nicht, dass die Versammlung tun und lassen darf, was sie will. Friedlich oder nicht – Rechtsbrüche (wie Nötigung oder Widerstand) bleiben prinzipiell möglich und können zum Eingreifen der staatlichen Gewalt führen. Art. 8 GG schützt die Versammlung zunächst vor ungerechtfertigten Verboten oder Auflösungen. Behördliche Maßnahmen gegen eine Versammlung müssen gesetzlich vorgesehen, einem legitimen Zweck dienend und verhältnismäßig sein. Bei Straßenblockaden besteht regelmäßig der legitime Zweck, Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren – etwa wenn Rettungswege versperrt sind oder der Verkehr kollabiert. Spätestens, wenn ein erheblicher Stau entsteht (wie im Berliner Fall, ein kilometerlanger Rückstau über 60 Minuten), liegt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung/Sicherheit vor, welche das Einschreiten der Polizei rechtfertigt.
Die Polizei ist allerdings gehalten, zunächst mildere Mittel zu prüfen, bevor sie zur Auflösung schreitet. In der Praxis geschieht dies meist durch Aufforderungen an die Versammlung, den Weg freizumachen, ggf. durch Androhung von Zwang. Im Berliner Fall erging eine Auflösungsverfügung an die Blockierenden – rechtlich zwingend, da Versammlungen grundsätzlich zunächst formal aufzulösen sind, ehe Zwang angewendet wird. Diese Verfügung muss verhältnismäßig sein; in Anbetracht eines akuten morgendlichen Verkehrschaos dürfte sie jedoch kaum zu beanstanden sein. Als die Aktivistin der Aufforderung keine Folge leistete, durfte die Polizei sie wegtragen bzw. entfernen. Insofern bewegt sich die polizeiliche Maßnahme (Räumung der Fahrbahn) innerhalb der verfassungsrechtlichen Vorgaben – zumal die Versammlung durch die Blockade selbst gegen Rechtsgüter Dritter (Freie Fahrt, ggf. Gesundheit bei Notfällen) verstieß.
Interessant ist die Frage, ob die Proteste trotz des Klebens weiterhin als „friedlich“ einzustufen sind. Nach allgemeinem Verständnis endet die Friedlichkeit einer Versammlung, wenn aus ihr heraus Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen begangen werden. Die Aktivisten der „Letzten Generation“ betonen stets ihre Gewaltfreiheit – sie greifen keine Menschen an und beschädigen keine fremden Sachen im klassischen Sinne. Das Festkleben könnte man als Sachbeeinträchtigung (Straßenbelag, Hand) interpretieren, aber es fehlt eine aggressive Zerstörungsabsicht. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive dürften solche Blockaden daher noch als friedlich gelten, da keine aktiven Übergriffe stattfinden. Strafrechtlich hingegen wird das Festkleben – wie gesehen – als Gewalt gewertet, allerdings in einem technischen Sinne (physischer Zwang gegen die Polizeiarbeit). Diese begriffliche Divergenz bedeutet: Eine Versammlung kann verfassungsrechtlich friedlich sein, auch wenn einzelne Handlungen strafrechtlich als Gewalt deklariert werden. Das hat zur Folge, dass die Versammlung prinzipiell von Art. 8 GG geschützt bleibt, bis sie aufgelöst wird. Nach Auflösung müssen die Teilnehmer dann aber die Entscheidung respektieren; tun sie das nicht, können Zwang und Sanktionen folgen, ohne dass Art. 8 GG dem entgegensteht.
Verhältnismäßigkeit spielt vor allem bei der Frage eine Rolle, wie schwerwiegend der Staat Versammlungsteilnehmer bestraft. Hier kommt die von der Rechtsprechung (insbes. BVerfG) entwickelte Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB ins Spiel: Eine Nötigung durch Sitzblockade ist nur strafbar, wenn das Verhalten „verwerflich“ war, d.h. sittlich in hohem Maße zu missbilligen. Die Gerichte müssen also im Einzelfall abwägen, ob die Ziele und Mittel der Aktion die Grenzen des Zulässigen überschreiten. Kriterien sind u.a. Dauer und Ausmaß der Blockade, vorherige Ankündigung, Dringlichkeit des Anliegens, zumutbare Alternativen, usw.. Das KG Berlin wies bereits in seinem früheren Beschluss von 2023 darauf hin, dass Tatrichter solche Umstände sorgfältig feststellen müssen (z.B. Motivlage der Angeklagten, konkrete Auswirkungen). Diese Abwägung soll sicherstellen, dass nicht vorschnell ziviler Ungehorsam kriminalisiert wird, wenn vielleicht mildere Reaktionen oder ein Verständnis für die Grundrechtsausübung geboten wären. Im Berliner Urteil von 2025 lag der Fokus zwar auf § 113 StGB (der keine Verwerflichkeitsprüfung kennt), doch der Kontext der Klimaproteste erfordert insoweit ähnliche Sensibilität.
Die Bestrafung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte berührt nicht direkt die Verwerflichkeitsklausel, da § 113 StGB ein sogenanntes „blankes“ Sonderdelikt ohne solche zusätzlichen Voraussetzungen ist. Hier ist die Verhältnismäßigkeit eher auf der Ebene der Strafzumessung zu gewährleisten. Die Gerichte werden bei der konkreten Strafe berücksichtigen müssen, dass die Täter aus Gewissensgründen und nicht aus eigensüchtigen Motiven gehandelt haben. Das kann strafmildernd wirken, darf aber die Tatbestandsverwirklichung nicht negieren. Aus verfassungsrechtlicher Warte könnte man argumentieren, dass milde Sanktionen angezeigt sind, um die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht unverhältnismäßig zu beschneiden. Die Justiz hat jedoch auch das Interesse der Allgemeinheit zu wahren, Straßenblockaden nicht zur Schule zu machen. Das Bundesverfassungsgericht hat – etwa 2011 im Zusammenhang mit Castor-Transport-Protesten – klargestellt, dass niemand ein Recht hat, gezielt durch Blockaden den Verkehr lahmzulegen, um seine Ziele durchzusetzen. Die Ordnungsgüter und die Rechtsordnung dürfen verteidigt werden. Solange die Verurteilungen gesetzlich fundiert und gerichtlich sorgfältig abgewogen sind, dürften sie vor den Grundrechten Bestand haben.
Allerdings könnte ein Punkt kritisch geprüft werden: Indem strafrechtlich der Begriff „Gewalt“ weit ausgelegt wird, umfasst er auch rein passive, indirekte Widerstandsformen. Gegner dieser Auslegung könnten geltend machen, dies komme einer Analogie zulasten des Täters nahe und stelle einen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit dar. Das KG versucht dem, wie gezeigt, durch die Erheblichkeitsschwelle entgegenzuwirken, um Bagatellen auszuschließen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht wird wesentlich sein, ob diese Grenzziehung in der Praxis strikt beachtet wird. Sollte z.B. irgendwann ein Aktivist wegen Widerstands verurteilt werden, obwohl der Kleber nur minimalen Mehraufwand verursacht hat, könnte dies als unverhältnismäßige Kriminalisierung eines Grundrechtsgebrauchs empfunden werden. Bislang aber zielte die Entscheidung des KG Berlin gerade darauf ab, nur erhebliche Fälle zu erfassen – wie eben 26-minütige Blockaden des Berufsverkehrs, was durchaus als gravierend einzustufen ist.
Kritik und Ausblick
Die Entscheidung des Kammergerichts Berlin hat erwartungsgemäß ein geteiltes Echo ausgelöst. Befürworter begrüßen sie als konsequenten Schritt zur „Verteidigung des Rechtsstaats“. Sie argumentieren, es könne nicht hingenommen werden, dass Aktivisten unter dem Banner des Klimaschutzes rechtliche Grenzen überschreiten und Einsatzkräfte binden, ohne alle zur Verfügung stehenden strafrechtlichen Konsequenzen zu ziehen. Gerade die Respektierung staatlicher Anordnungen – wie der Auflösung einer Versammlung – sei essentiell; wer sich dem bewusst widersetzt, indem er sich festklebt, nehme faktisch die Konfrontation mit der Staatsgewalt auf. Die Einordnung als Widerstandsdelikt mache klar, dass solche Aktionen kein Kavaliersdelikt sind, sondern ein Angriff auf die Vollzugsfunktion des Staates. Aus Sicht dieser Stimmen schafft das KG Berlin Rechtssicherheit und schreckt möglicherweise Nachahmer ab. Im Ergebnis könne dies dazu beitragen, dass Protest wieder stärker in legalen Bahnen verläuft (etwa durch Demonstrationen ohne Blockaden) und nicht eskaliert.
Kritiker hingegen warnen vor einer überdehnten Auslegung des Gewaltbegriffs und einer Kriminalisierung von an sich gewaltfreien Protestformen. Sie betonen, dass die Klimaaktivisten weder Polizisten angreifen noch fremdes Eigentum zerstören, sondern im Kern friedlich agieren. Die Qualifizierung des Festklebens als „Gewalt“ beruhe auf juristischen Feinheiten, die das Alltagsverständnis von Gewalt nicht teile. In der öffentlichen Wahrnehmung – und auch der der Aktivisten selbst – definieren sie sich als strikt gewaltlos. Indem die Justiz sie nun dennoch als Gewaltanwender brandmarkt, droht eine Delegitimierung zivilen Ungehorsams. Bürgerrechtsgruppen und einige Strafrechtswissenschaftler äußern die Sorge, dass hier ein präzedenzloser Präzedenzfall geschaffen wird, der auch auf andere Proteste Anwendung finden könnte. Was kommt als Nächstes – wird das bloße Ineinanderhaken von Armen oder Sitzenlassen als „Gewalt“ eingestuft? Die Schwelle könnte, so die Befürchtung, weiter sinken, sobald das Prinzip erst einmal etabliert ist.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Ungleichbehandlung je nach Polizeivorgehen. Zwar wollte das KG Berlin gerade diese vermeiden, doch in der Praxis könnte es dennoch zu bizarren Ergebnissen führen: Wenn eine Polizeieinheit sehr effizient mit Klebern umgeht (z.B. durch standardisierte Lösemittel-Einsätze), könnte ein Gericht trotzdem Gewalt annehmen, obwohl der Beamte subjektiv kaum Mühe hatte – rein weil man objektiv feststellt, Klebstoff war da. Umgekehrt könnte ein schlecht ausgerüstetes Team große Mühe haben, was Gewalt offensichtlich macht. Zwar versucht das KG mit der abstrakteren Betrachtung dem zu entgehen, aber gänzlich ausblenden lässt sich der Einzelfall nicht. Hier wird es auf die Linie des Bundesgerichtshofs ankommen, falls er sich äußert: Entweder bestätigt er den Berliner Weg oder er zieht die Grenzen enger (möglicherweise entlang der Dresdner Argumentation). Bis dahin aber besteht die Gefahr divergierender Urteile, was für die Rechtssuchenden unbefriedigend ist.
Verfassungsrechtlich ließe sich kritisieren, dass die Entscheidung potentiell die Versammlungsfreiheit schwächt. Wenn nämlich bestimmte Formen symbolischen Protests unter Gewaltverdacht gestellt werden, könnten Behörden geneigt sein, solche Versammlungen von vornherein strenger zu behandeln oder schneller aufzulösen. Die Schwelle zur Annahme einer unfriedlichen Versammlung könnte niedriger liegen, falls man – fälschlich – Gewalt im strafrechtlichen Sinne mit Gewalttätigkeit im versammlungsrechtlichen Sinne gleichsetzt. Das dürfte zwar dogmatisch auseinanderzuhalten sein, aber in der polizeilichen Praxis sind solche Unterscheidungen nicht immer präsent. Kritiker befürchten also einen chilling effect: Aktivisten könnten aus Angst vor harten Strafen auf die Ausübung ihres Versammlungsrechts verzichten oder ihre Protestformen stark entschärfen. Manche sehen darin eine Überreaktion des Staates, der auf einen Notruf der Jugend (Klimaschutz) primär mit Repression antwortet, statt politisch-dialogisch.
Gleichwohl sollte man festhalten, dass die Gerichte – einschließlich des KG Berlin – keineswegs den Protest an sich infrage stellen. In der KG-Entscheidung wurde ausführlich begründet, warum ausgerechnet diese Form (Festkleben) die Strafbarkeit begründet, während weniger einschneidende Formen es ggf. nicht tun. Das lässt erkennen, dass hier um eine differenzierte Linie gerungen wird. Es geht nicht darum, Versammlungen generell zu verbieten, sondern um die Grenze zwischen legitimer Versammlung und strafbarer Nötigung/Widerstand. Diese Grenze hat das KG Berlin nun etwas enger gezogen zugunsten des Schutzes der öffentlichen Ordnung. Ob dies im Endeffekt zu mehr oder weniger gesellschaftlichem Frieden führt, bleibt abzuwarten.
Für die Zukunft ist damit zu rechnen, dass weitere Fälle von Klimaprotesten die Gerichte beschäftigen und die hier diskutierten Rechtsfragen weiterentwickeln werden. Die strafrechtliche Aufarbeitung der Klimabewegung ist ein dynamisches Feld, in dem Strafrecht, Polizeirecht und Verfassungsrecht aufeinandertreffen. Das Kammergericht Berlin hat mit seinem Urteil vom 02.06.2025 eine klare Position bezogen: Wer sich an die Straße klebt, übt Gewalt aus und muss mit konsequenter Strafverfolgung rechnen. Diese Kernbotschaft wird sicherlich Beachtung in der ganzen Republik finden – sei es als Vorbild für andere Gerichte, sei es als Warnung für Aktivisten. Am Ende könnte sogar der Gesetzgeber gefragt sein, sollte das Bedürfnis bestehen, den Tatbestand des § 113 StGB explizit zu fassen oder Ausnahmen (etwa für sittlich motivierten Protest) zu diskutieren. Bis dahin gilt: Klimaprotest ja – aber nicht um jeden Preis. Die Rechtsordnung zieht spätestens dort die Linie, wo aus friedlichem Protest ein Akt physischer Blockade wird, der die Staatsgewalt herausfordert. Dies hat das Kammergericht Berlin nun mit deutlichen Worten unterstrichen.