Ein Anwalt macht seiner Mandantin über WhatsApp anzügliche Komplimente. Die 35-jährige Mandantin empfindet die Nachrichten als unangemessen und kündigt daraufhin dem 57-jährigen Juristen das Mandat fristlos. Der Anwalt – der sie eigentlich in einer Verkehrsunfallsache vertreten sollte – pocht jedoch auf sein Honorar von gut 1.000 € und verklagt seine ehemalige Mandantin auf Zahlung. Das Amtsgericht Hannover hatte nun zu klären, ob die Mandatskündigung wegen sexueller Belästigung zulässig war und ob die Mandantin trotzdem das Anwaltshonorar zahlen muss.
Sachverhalt: WhatsApp-Nachrichten und fristlose Mandatskündigung
Im konkreten Fall kommentierte der Anwalt ein privates Foto seiner Mandantin mit den Worten „heißes Bild“ und „Dein Freund hat so ein Glück“. Anschließend fragte er sie: „Hi, du hast bestimmt noch mehr heiße Fotos?!“. Die Mandantin zeigte sich schockiert und empfand dieses Verhalten als sehr unprofessionell. Sie brach das Vertrauensverhältnis umgehend ab und kündigte das Mandat fristlos. Ihren Anwalt informierte sie, dass sie die Zusammenarbeit beende – und sie weigerte sich, seine Rechnung über 1.052,18 € zu bezahlen.
Der Anwalt hingegen bestritt einen sexuellen Kontext der Nachrichten. Seiner Ansicht nach seien die WhatsApp-Kommentare „eindeutig freundschaftlicher Natur“ gewesen und stünden „mit der anwaltlichen Tätigkeit nicht im Zusammenhang“. Einen sexuellen Inhalt will er darin nicht erkennen. Außerdem habe er alle anwaltlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt und den Fall (den Verkehrsunfall) bereits anstandslos bearbeitet. Daher, so der Anwalt, gebe es keinen Grund, ihm das vereinbarte Honorar vorzuenthalten. Er reichte Klage auf Zahlung ein, um sein Honorar einzufordern.
Rechtliche Würdigung: Pflichtverletzung durch anzügliche Nachrichten
Die zivilrechtliche Bewertung dieses Falls erfordert zweierlei: Zum einen ist zu prüfen, ob die Nachrichten des Anwalts eine so schwere Pflichtverletzung darstellen, dass die Mandantin das Mandat aus wichtigem Grund sofort beenden durfte. Zum anderen stellt sich die Frage, wie sich eine gerechtfertigte Kündigung auf den Honoraranspruch des Anwalts auswirkt.
Unprofessionelles Verhalten – Sexualisierte Nachricht als wichtiger Grund?
Im Mandatsverhältnis gilt ein besonderes Vertrauensverhältnis. Mandantinnen und Mandanten müssen darauf vertrauen können, dass ihr Anwalt professionelle Distanz wahrt und ihre persönliche Sphäre respektiert. Nachrichten mit unterschwellig sexuellem Inhalt oder private Anspielungen haben in der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandantin nichts verloren. Das Amtsgericht Hannover stellte unmissverständlich klar, dass Äußerungen wie die des Anwalts in seinen WhatsApp-Nachrichten im Anwaltsverhältnis nichts zu suchen haben – „aber auch gar nichts“.
Die Richterin wertete die Kommentare („heißes Bild“, etc.) als völlig unangemessen im beruflichen Kontext. Selbst wenn der Anwalt subjektiv nur ein „freundschaftliches Kompliment“ machen wollte, überschritt er eine klare Grenze der beruflichen Pflichten. In der juristischen Bewertung kann ein solches Verhalten als sexuelle Belästigung verstanden werden – zumindest im umgangssprachlichen Sinn, auch wenn es sich hier nicht um die arbeitsrechtliche oder strafrechtliche Definition handelt. Entscheidend ist, dass die Mandantin die Äußerungen als aufdringlich und verletzend empfand und das Vertrauensverhältnis dadurch zerstört wurde. Aus Sicht des Gerichts lag somit ein wichtiger Grund vor, der die fristlose Kündigung des Anwaltsvertrags rechtfertigte.
Hinweis: Nach § 627 BGB kann ein Dienstverhältnis besonderer Art (wie ein Anwaltsmandat, das auf persönlichem Vertrauen beruht) jederzeit von beiden Seiten ohne Frist beendet werden. Bei einer Kündigung aus wichtigem Grund – etwa wegen gravierenden Fehlverhaltens – ist die sofortige Beendigung gerechtfertigt. Die Mandantin durfte hier also ohne Einhaltung einer Frist das Mandat beenden, da dem Anwalt eine erhebliche Vertragsverletzung zur Last fiel.
Konsequenzen der Kündigung für den Honoraranspruch
Strittig war im Prozess vor allem, welche finanziellen Folgen die berechtigte Kündigung hat. Der Anwalt hatte bereits Leistungen erbracht und stellte dafür Honorar in Rechnung. Grundsätzlich gilt im Anwaltsrecht: Wird ein Auftrag beendet, kann der Anwalt Vergütung für bereits erbrachte Tätigkeiten verlangen (vgl. § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB). Eine Ausnahme greift jedoch, wenn der Anwalt durch sein eigenes Fehlverhalten die Kündigung verschuldet hat. In diesem Fall bestimmt § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB, dass der Anwalt keinen Anspruch auf Vergütung für seine bisherigen Leistungen hat, soweit diese Leistungen infolge der Kündigung für die Mandantin ohne Interesse sind. Vereinfacht gesagt: Hat der Anwalt durch Vertragsbruch das Mandat verloren, darf er für nutzlose Arbeit nicht noch belohnt werden.
Ob frühere Leistungen „ohne Interesse“ für den Mandanten sind, hängt insbesondere davon ab, ob ein neuer Anwalt dieselben Tätigkeiten nochmals vornehmen muss (sogenannter Interessenfortfall). Muss der Mandant nach der Kündigung einen zweiten Anwalt beauftragen, der die Angelegenheit erneut von vorne bearbeiten und dafür erneut Gebühren auslösen muss, dann haben die Dienste des ersten Anwalts wirtschaftlich keinen bleibenden Wert mehr. In so einer Konstellation verliert der erste Anwalt seinen Honoraranspruch für diese Tätigkeiten vollständig. Bereits gezahltes Honorar wäre zurückzuerstatten.
Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht Hannover genau diese Prüfung vorgenommen. Die Mandantin hatte den Anwalt ursprünglich in zwei Angelegenheiten mandatiert: (1) zur Verteidigung in einem verkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren und (2) zur Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Verkehrsunfall (zivilrechtlicher Schadensersatz). Für das Bußgeldverfahren stand fest, dass die Mandantin nach der Kündigung einen neuen Anwalt beauftragt hatte. Damit waren die Leistungen des ersten Anwalts in diesem Teil des Falls für sie hinfällig – die Gebührenforderung des klagenden Anwalts war insoweit gegenstandslos. Anders verhielt es sich jedoch im zivilrechtlichen Unfallverfahren: Hier war unklar, ob die Mandantin einen zweiten Anwalt beauftragte oder ob sie die Sache eventuell selbst ruhen ließ. Da ein erneuter Anwaltswechsel nicht erwiesen war, konnte nicht festgestellt werden, dass die bisherigen Leistungen des ersten Anwalts wertlos geworden seien. Folglich verfiel der Gebührenanspruch des Anwalts in diesem Teil nicht. Mit anderen Worten: Die Mandantin musste das Honorar für die bisherige Tätigkeit in der Unfallsache bezahlen, obwohl sie den Anwalt wegen seines Verhaltens entlassen durfte.
Entscheidung des Gerichts und rechtliche Einordnung
Das Amtsgericht Hannover gab dem Anwalt dem Grunde nach Recht: Die 35-Jährige wurde verurteilt, 1.052,18 € an ihren ehemaligen Anwalt zu zahlen. Diese Summe entspricht offenbar dem Vergütungsanspruch in der Verkehrsunfallsache (abzüglich des Teils, der durch den neuen Anwalt im Bußgeldfall obsolet wurde). Gleichzeitig stellte das Gericht ausdrücklich fest, dass die fristlose Kündigung des Mandats gerechtfertigt war – der Anwalt hatte durch seine Nachrichten das Vertrauensverhältnis so schwer gestört, dass der sofortige Abbruch der Zusammenarbeit legitim war.
Die für den Fall zuständige Richterin betonte in der Verhandlung sehr deutlich, dass derartige persönliche Kommentare in einer professionellen Mandatsbeziehung nichts zu suchen haben. Dieses klare Statement verdeutlicht, dass Anwältinnen und Anwälte sich ihrer beruflichen Rolle bewusst bleiben müssen. Ein Mandat ist kein privater Flirtchat – insbesondere ein erheblicher Altersunterschied und das Abhängigkeitsverhältnis (der Mandant sucht Rat, der Anwalt ist Dienstleister) machen solche Äußerungen völlig inakzeptabel. Die Mandantin war daher im Recht, sich belästigt zu fühlen und konsequent die Reißleine zu ziehen.
Aus der Entscheidung ergibt sich jedoch auch, dass ein verständlicher Abwehrreflex (nämlich: „Ich zahle ihm kein Geld mehr!“) nicht automatisch juristisch durchgreift. Das Zivilrecht behandelt die Frage der Vergütung getrennt von der Frage der Kündigungsberechtigung. Auch ein Anwalt, der sich fehlverhält, kann für bereits erbrachte anwaltliche Leistungen Anspruch auf Bezahlung haben – sofern diese Leistungen für die Mandantschaft noch von Nutzen sind. Das mag aus Sicht der Betroffenen unbefriedigend wirken, beruht aber auf dem Gedanken, dass bereits geleistete Arbeit grundsätzlich vergütet werden muss, es sei denn, sie erweist sich durch das Fehlverhalten als wertlos.
Tipps für den Umgang mit solchen Fällen
- Klarer Kündigungsgrund: Anzügliche oder sexuell konnotierte Nachrichten eines Anwalts an eine Mandantin stellen eine erhebliche Pflichtverletzung dar. Die Mandantin durfte das Mandat hier fristlos kündigen, da das Vertrauensverhältnis nachhaltig zerstört war.
- Honoraranspruch prüfen: Eine berechtigte Kündigung entbindet die Mandantschaft nicht automatisch von der Zahlungspflicht. Maßgeblich ist, ob die bisherigen Leistungen des Anwalts für den Mandanten nach der Kündigung noch verwertbar sind oder wegen eines Anwaltswechsels faktisch doppelt bezahlt würden. Nur im letzteren Fall entfällt der Honoraranspruch des Anwalts gemäß § 628 Abs. 1 S. 2 BGB vollständig.
- Neuen Anwalt einschalten: Wenn Sie aus wichtigem Grund kündigen (etwa wegen Fehlverhaltens des Anwalts), überlegen Sie, ob ein neuer Anwalt zur Weiterführung der Sache notwendig ist. Wird nämlich ein anderer Anwalt mit der gleichen Angelegenheit betraut, müssen gleichartige Gebühren nicht doppelt gezahlt werden – der erste Anwalt geht dann leer aus. In der besprochenen Entscheidung musste die Mandantin z.B. für das Bußgeldverfahren nichts an den ersten Anwalt zahlen, da sie hierfür einen neuen Rechtsvertreter beauftragt hatte.
- Beschwerde und Konsequenzen: Unabhängig von zivilrechtlichen Zahlungsfragen können Mandanten bei Fehlverhalten des Anwalts auch die Rechtsanwaltskammer informieren. Sexuell belästigendes Verhalten verstößt gegen das Ansehen des Berufsstandes und kann berufsrechtliche Konsequenzen für den Anwalt haben. Im Fokus des Gerichtsverfahrens stand hier zwar das Honorar – doch der Anwalt sieht sich durch die öffentliche Verhandlung und mögliche berufsrechtliche Schritte sicherlich ebenfalls mit den Folgen seines Verhaltens konfrontiert.