Ingewahrsamnahme zur Sicherung der Abschiebung ist verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 16. April 2021 zum Aktenzeichen 2 BvR 2470/17 entschieden, dass eine behördliche Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung verfassungswidrig war.

Der Beschwerdeführer reiste im Jahr 2012 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2013 ablehnte. In der Folgezeit wurde der Beschwerdeführer zunächst geduldet, bevor die Behörden schließlich seine Abschiebung betrieben.

Der Rechtsschutzantrag des Beschwerdeführers betrifft einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff. Ebenso wie die Abschiebungshaft selbst geht auch die ihr vorgelagerte behördliche Ingewahrsamnahme nach § 62 Abs. 5 AufenthG mit einem Freiheitsentzug im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG einher. Das Fachrecht stellt in § 428 Abs. 1 FamFG klar, dass die Behörde unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeiführen muss.

Es besteht daher grundsätzlich ein Rechtsschutzinteresse an der Klärung der Rechtmäßigkeit auch nach Erledigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme. Diesem Rechtsschutzinteresse trägt § 62 FamFG ausdrücklich Rechnung, wenn sich nach Einlegung der Beschwerde gegen eine richterliche Anordnung gemäß § 58 FamFG die Maßnahme vor der Entscheidung über diese Beschwerde erledigt hat. Um dem aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes auch in den Fällen Rechnung zu tragen, in denen sich eine Freiheitsentziehung bereits vor Einlegung einer Beschwerde erledigt hat, findet § 62 FamFG auch auf diese Fallkonstellationen Anwendung.

Der Rechtsschutz nach dem FamFG gilt nicht nur für richterliche Anordnungen einer Freiheitsentziehung, sondern auch für behördliche Maßnahmen der Freiheitsentziehung. § 428 Abs. 2 FamFG sieht insoweit vor, dass über ihre Anfechtung im gerichtlichen Verfahren nach den Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zum Verfahren in Freiheitsentziehungssachen zu entscheiden ist. Wie hierbei die Bestimmungen über die Beschwerde, § 58 FamFG, und insbesondere über ihre Statthaftigkeit nach Erledigung der Hauptsache, § 62 FamFG, anzuwenden sind, ist – soweit ersichtlich – nicht abschließend geklärt und Gegenstand der angegriffenen Entscheidung des Landgerichts.

Das Landgericht verkürzt den Rechtsschutz des Beschwerdeführers in einer Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzenden Weise, indem es den Feststellungsantrag des Beschwerdeführers in einer Weise auslegt und bewertet, die die an sich gebotene Sachprüfung ausschließt.

Das Landgericht geht davon aus, dass gegen die behördlich angeordnete Ingewahrsamnahme das Rechtsmittel der Beschwerde gemäß § 58 Abs. 1 FamFG vorgesehen sei. Da dieses spezielle Rechtsmittel bereit stehe, fehle einem isolierten Feststellungsantrag das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Weiter führt das Landgericht seine Rechtsauffassung nicht aus. Dadurch erschließt sich nicht eindeutig, wie der Verweis auf das Rechtsmittel der Beschwerde zu verstehen ist. Bei jeder in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeit ist die Entscheidung aber mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht vereinbar.

Soweit das Landgericht am Wortlaut der §§ 58, 62 FamFG orientiert der Auffassung sein sollte, die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer behördlichen Ingewahrsamnahme komme nur in Betracht, wenn noch vor der Erledigung dieser Ingewahrsamnahme Beschwerde gemäß § 58 FamFG eingelegt worden sei, läge darin ein offensichtlicher Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Da bei behördlicher Freiheitsentziehung gemäß § 428 Abs. 1 FamFG unverzüglich die Behörde selbst eine richterliche Entscheidung herbeizuführen hat, die bis zum Ablauf des folgenden Tages eine richterliche Anordnung zur Folge haben muss, käme für eine vom Betroffenen zu erhebende Beschwerde nur ein sehr kurzer Zeitraum in Betracht. Dass dies dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht genügt, ist in der Rechtsprechung anerkannt.

Sollte das Landgericht mit dem Verweis auf das Rechtsmittel der Beschwerde zum Ausdruck bringen wollen, dass die in § 428 Abs. 2 FamFG geregelte Anfechtung einer behördlichen Freiheitsentziehung zwar im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Kommentarliteratur zu § 62 FamFG auch nach Erledigung eingelegt werden kann, aber dessen ungeachtet als Beschwerde gemäß § 58 FamFG zu erfolgen habe, wäre dies zwar ungewöhnlich. Denn allgemein wird ein form- und fristloser Feststellungsantrag als statthaft angesehen. Auch in der Rechtsprechung scheitern Feststellungsanträge, die § 428 Abs. 2 FamFG unterfallen, soweit ersichtlich, nicht daran, dass auch das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft sei. Darin liegt zwar noch keine Verletzung der Garantie effektiven Rechtsschutzes. Sie ergibt sich jedoch daraus, dass bei dieser Rechtsauffassung die Entscheidung des Amtsgerichts über den Antrag des Beschwerdeführers vom 4. Mai 2017 im Rahmen der hiergegen vorgesehenen Beschwerde einer Sachprüfung durch das Landgericht nicht zugänglich ist.

Für die Annahme, das Landgericht halte als Rechtsmittel zur Überprüfung der behördlichen Maßnahme anstelle eines formlosen Feststellungsantrags eine Beschwerde gemäß § 58 FamFG für statthaft, lässt sich anführen, dass § 428 Abs. 2 FamFG von einer Anfechtung spricht, dies aber in aller Regel eine nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit bedeutet. Es wird daher auch darauf verwiesen, dass der Charakter der Vorschrift mit § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO vergleichbar sei. Im Verwaltungsprozessrecht wird seit jeher die Frage diskutiert, ob bei Erledigung eines Verwaltungsakts vor Klageerhebung eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO mit ihren besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen statthaft ist, oder eine grundsätzlich fristlose Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO erhoben werden kann. Hierzu vergleichbar lässt sich der Verweis des Landgerichts auf das Rechtsmittel der Beschwerde so verstehen, dass diese Anfechtung nicht form- und fristlos möglich sein soll. Zwar geht die ganz überwiegende Meinung von einem form- und fristlosen Feststellungsantrag aus. Jedoch wird das Rechtsschutzbedürfnis für einen solchen Feststellungsantrag zumindest vereinzelt verneint, wenn er erst nach längerer Zeit gestellt wird.

Diese Rechtsauffassung zugrunde gelegt, verletzt das Landgericht das Gebot effektiven Rechtsschutzes dadurch, dass es den Feststellungsantrag vom 4. Mai 2017 nicht seiner Rechtsauffassung entsprechend als Beschwerde gegen die behördliche Ingewahrsamnahme wertet. Zwar hat das Amtsgericht – im Einklang mit der ganz überwiegenden Meinung – den Antrag nicht als Beschwerde, sondern als „isolierten“ Feststellungsantrag beschieden. Wenn das Landgericht dies aufgrund einer anderen Rechtsauffassung für fehlerhaft gehalten haben sollte, folgt daraus jedoch nicht die Unzulässigkeit des Antrags mangels Rechtsschutzinteresse.

Sollte schließlich das Landgericht mit dem Verweis auf die spezielle Rechtsschutzmöglichkeit die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts meinen, verstellt es sich ebenfalls die im Rahmen der Beschwerde an sich gebotene Sachprüfung. Die Rechtsauffassung, die Feststellung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Ingewahrsamnahme sei Gegenstand der Entscheidung des Amtsgerichts über den Antrag der Behörde gemäß § 428 Abs. 1 FamFG und damit des hiergegen statthaften Beschwerdeverfahrens, deckt sich zwar nicht mit der ganz überwiegenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung. Nach dieser gilt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der behördlichen Freiheitsentziehung als ein selbständiger Verfahrensgegenstand. Vereinzelt wird jedoch vertreten, dass im Fall einer richterlichen Anordnung gemäß § 428 Abs. 1 FamFG das Amtsgericht auf den Antrag der Behörde hin nicht nur die Freiheitsentziehung für die Zukunft anordne, sondern auch die Rechtmäßigkeit der zeitlich bereits zurückliegenden behördlichen Freiheitsentziehung prüfe. Folglich könne die behördliche Freiheitsentziehung ebenso wie die Haftanordnung des Amtsgerichts im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegen die gerichtliche Entscheidung angegriffen werden. Eine selbständige Anfechtung gemäß § 428 Abs. 2 FamFG komme nur in Betracht, wenn keine richterliche Anordnung der Freiheitsentziehung erfolgte. So gesehen wäre die behördliche Ingewahrsamnahme Gegenstand der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts, dessen Rechtswidrigkeit das Landgericht mit Beschluss festgestellt hat.

Allerdings hat der Beschwerdeführer den Feststellungsantrag zeitgleich mit der Begründung der Beschwerde gegen die gerichtliche Haftanordnung beim Amtsgericht gestellt. Das Amtsgericht hat ihn jedoch nicht im Rahmen der Beschwerde gegen die richterliche Haftanordnung behandelt, der es nicht abgeholfen hat. Vielmehr hat es darin – im Einklang mit der ganz überwiegenden Meinung – einen selbständigen Verfahrensgegenstand gesehen und hierüber mit dem angegriffenen Beschluss entschieden.

Auf der Grundlage der gegenteiligen Rechtsauffassung hätte sich das Landgericht damit auseinandersetzen müssen, dass das Amtsgericht den Feststellungsantrag des Beschwerdeführers nicht als Antrag im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegen den Beschluss behandelt hat, wie es aus Sicht des Landgerichts geboten gewesen wäre. Die Behandlung des Feststellungsantrags durch das Amtsgericht als selbständiger Verfahrensgegenstand entsprach der ganz überwiegenden Auffassung, so dass für den Beschwerdeführer keine Veranlassung zu Zweifeln bestand. Da der Beschwerdeführer den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der behördlichen Ingewahrsamnahme zeitgleich mit der Begründung seiner Beschwerde gegen die Haftanordnung des Amtsgerichts gestellt hat, ist es jedenfalls nicht nachvollziehbar, warum dies nicht der Antrag gemäß § 62 FamFG sein sollte, der nach der hier unterstellten Auffassung erforderlich wäre.