Ist es eine Straftat eine Transsexuelle beim Deadname zu nennen?

Maike Pfuderer ist stellvertretende Sprecherin der grünen Bundesarbeitsgemeinschaft Lesbenpolitik.

Der grüne Oberbürgermeister Boris Palmer von Tübingen hat seine lesbische Parteifreundin Maike Pfuderer auf Facebook als trans geoutet und misgenderte sie und verwendete ihren Deadname.

Der Begriff „Deadnaming“ bezeichnet es, wenn Menschen mit Transgeschichte bei ihrem früheren Namen und Geschlecht genannt werden.

Palmer hatte in seinem Facebook-Profil einen von ihm verfassten umstrittenen FAZ-Gastbeitrag „Entspannt euch!“ gepostet.

In dem Text aus dem Jahr 2015 hatte er LGBTI-Aktivist*innen aufgerufen, verbal abzurüsten: Man solle nicht sofort den „Vorwurf der Homophobie“ auspacken, wenn jemand am Adoptions- oder Ehe-Verbot für Schwule und Lesben festhalte.

Statt „Überreaktionen“ und „geradezu jakobinischer Verdammnis“ empfehle er den „aufgeklärten Diskurs“.

Auf eine Kritik Pfuderers an dem „alten Käse“ wurde Palmer ausfallend und persönlich.

In mehreren Antworten auf ihren Kommentar misgenderte er seine Parteifreundin, outete sie als trans und verwendete ihren Deadname, ihren abgelegten männlichen Geburtsnamen.

Pfuderer empfand als lesbisch lebende Frau die Infragestellung der Geschlechtszugehörigkeit im Jahr 2020 als üble Beleidigung.

Frau Pfuderer erstattete daraufhin bei der Staatsanwaltschaft Tübingen Strafanzeige und Strafantrag wegen Beleidigung mit der Begründung, dass Palmer mit ihrem Deadname in vermutlich herabwürdigender Absicht gegen das Offenbarungsverbot im Transsexuellengesetz verstoßen habe.

§ 5 Abs. 1 TSG führt aus:

Ist die Entscheidung, durch welche die Vornamen des Antragstellers geändert werden, rechtskräftig, so dürfen die zur Zeit der Entscheidung geführten Vornamen ohne Zustimmung des Antragstellers nicht offenbart oder ausgeforscht werden

Dieses Verbot, nach dem ehemalige Namen nicht ohne gewichtige Gründe öffentlich gemacht werden dürfen, richtet sich derzeit aber nur an Behörden und ist nicht strafbewehrt.

Für Pfuderer ist § 5 Abs. 1 TSG damit ein zahnloser Tiger, da es nichts helfe, wenn Transsexuelle zwar Rechte, aber keinen Rechtsschutz haben.

Boris Palmer sorgt seit vielen Jahren mit queerfeindlichen und rassistischen Äußerungen für Schlagzeilen, doch erst seit seiner Kritik an der deutschen Coronapolitik ist er in seiner Partei weitgehend isoliert.

In einem Interview hatte der Tübinger OB im April gesagt: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“

Der Vorstand der Südwest-Grünen forderte Palmer daraufhin auf, die Partei zu verlassen.

Zudem hatten die Grünen-Spitzen im Bund, im Land und im Kreisverband Tübingen erklärt, ihn nicht mehr politisch unterstützen zu wollen.

Die Staatsanwaltschaft Tübingen führt im Einstellungsbescheid vom 29.07.2020 zum Aktenzeichen 14 Js 16672/20 nach § 152 Abs. 2 StPO aus, dass Boris Palmer unschuldig sei.

Die Staatsanwaltschaft Tübingen stützt dies darauf, dass sich aus § 5 TSG keine Straftat oder Sanktion bei einem Verstoß gegen das Verbot ergebe und überdies seien staatliche Organe, wie Behörden und Gerichte Adressaten der Norm.

Eine Strafbarkeit wegen Beleidigung hat die Staatsanwaltschaft Tübingen damit abgelehnt.

Ob eine Äußerung ein ehrverletzender Sinn beizumessen ist, ergibt sich stets aus ihrer Auslegung.

Bei der Interpretation sind der Kontext der Äußerung, sowie die gesamten erkennbaren Begleitumstände des konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen, einschließlich des Umgangstons im Umfeld der Beteiligten.

Nach diesen Maßstäben scheiden bloße Taktlosigkeiten, Unhöflichkeiten sowie Belästigungen grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich der Beleidigung aus.

Für die Staatsanwaltschaft Tübingen ergibt sich aus dem gewechselten Nachrichtenverlauf, dass Frau Pfuderer einen Betrag des Herrn Palmer in kritischer Weise kommentiert hat.

Daraufhin fragte ein weiterer Kommentartor Frau Pfuderer, warum sie Herrn Palmer regelmäßig so feindselig sei.

Auf diesen Kommentar antwortete Herr Palmer direkt mit den Worten

Ich kenne ihn gar nicht. Nie begegnet.

An Frau Pfuderer schreibt Herr Palmer:

Wie spricht man Pfuderer korrekt an?

Frau Pfuderer erwiderte darauf:

Ich glaube das wird jetzt spannend, denn das ist klassische Hassrede und zeigt einmal wie sehr der Anstand auf der Strecke blieb!

An Frau Pfuderer antwortete Herr Palmer sodann:

Schon klar. So weit ich weiß, war Reinhard Pfuderer ein Mann, als ich in Stuttgart OB-Kandidat war. Und da weiß ich von keiner Begegnung. Seither gab es keinen Anlass, von dem ich wüsste

Die Staatsanwaltschaft Tübingen findet es höchst fraglich, ob in der bloßen Erwähnung des früheren Vornamens von Frau Pfuderer und der Bezugnahme „ihn“ bereits eine Missachtung, Nichtachtung oder Geringschätzung der Betroffenen zum Ausdruck kommt.

Für die Staatsanwaltschaft Tübingen sind die Kommentare taktlos und unhöflich, erreichen aber nicht die Grenze einer strafbaren Beleidigung.

Außerdem meint die Staatsanwaltschaft Tübingen, dass die Äußerungen des Herrn Palmer jedenfalls im geschilderten Kontext eines politischen Meinungskampfes noch als Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB iVm Art. 5 GG gerechtfertigt seien, selbst wenn man eine ehrverletzende Äußerung im Sinne des § 185 StGB bejahen wollte.

Die Staatsanwaltschaft Tübingen sieht in der Äußerung keine Schmähkritik, so dass sich Herr Palmer durch die angezeigten Äußerungen unter keinem denkbaren Blickwinkel strafbar gemacht habe.

Frau Pfuderer dürfte grundsätzlich die Möglichkeit der Beschwerde nach § 172 Abs. 1 StPO zur Generalstaatsanwaltschaft offenstehen und sodann ein Klageerzwingungsverfahren nach § 172 Abs. 2 StPO vor dem Oberlandesgericht führen oder jedenfalls eine Privatklage nach § 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO oder aber eine zivilrechtliche Unterlassungsklage nach § 1004 BGB und ggf. Schmerzensgeldklage (§ 253 BGB) führen – sie hat sich aber dagegen entschieden, den rechtlichen Weg fortzuführen.

Auch Pfuderer will nun auf politischer Ebene weiter aktiv werden.

Mit der Arbeitsgemeinschaft „QueerGrün“ will Pfuderer auf Bundesebene nun erreichen, dass Deadnaming künftig unter Strafe gestellt wird.

Gemeinsam wollen sie dafür kämpfen, dass die Forderung ins Wahlprogramm der Grünen zur Bundestagswahl 2021 einfließt.

Dennoch hat der Fall Pfuderer ./. Palmer eine juristische und auch politische Debatte anstoßen angestoßen, ob Deadnaming als Beleidigung eingestuft werden sollte.

Allein jemanden als transsexuell zu bezeichnen ist nur dann beleidigend, wenn Transsexualität als anrüchig verstanden wird, dies ist aber nicht allgemein der Fall.

Auch die Bezeichnung als ‚schwul‘ bewerten die Gerichte heute überwiegend nicht mehr als Beleidigung, obwohl das Wort oft noch als Beleidigung und Schimpfwort verwendet wird.

Die Bezeichnungen als transsexuell, schwul oder lesbisch sind unabhängig vom Wahrheitsgehalt nach vielen Gerichten keine Herabsetzung seien, da Transsexualität oder Homosexualität nichts Minderwertiges an sich habe.

Die Gerichte erkennen zwar, dass dies in manchen Fällen zwar eine inkorrekte Bezeichnung sei, aber keine Beleidigung.

Anders verhält es sich mit dem Schimpfwort „Schwuchtel“, da dieses einen klar herabsetzenden Charakter habe.

Das Herr Boris Palmer die Frau Maike Pfuderer mit ihrem ehemaligen männlichen „Reinhard“ Vornamen und grammatikalisch mit „ihn“ im männlichen Geschlecht angesprochen hat, ist für die Staatsanwaltschaft Tübingen nicht korrekt, aber jemanden mit dem falschen Namen anzusprechen, ist jedoch keine Straftat.

Das mag zwar so richtig sein, aber es handelt sich bei der männlichen Ansprache um kein Versehen, sondern offenbar um eine bewusste Ansprache im falschen Geschlecht und mit dem nicht mehr zutreffenden Vornamen.

Für eine Beleidigung muss die falsche Ansprache mit eindeutigem Hohn oder Spott verbunden sein – und dies dürfte vielmehr bei der bewussten – also vorsätzlichen mithin sogar absichtlichen – falschen Ansprache gegeben sein.

Deadnaming kann jedenfalls nach der Subsumtion der Strafnorm eine Beleidigung sein, wenn ein transsexueller Mensch bewusst mit dem ehemals geführten Namen des vorherigen Geschlechts angesprochen wird, da dies sodann eine zielgerichtete Missachtung und Herabwürdigung darstellt.

Der Nachweis der Intention ist für Strafverfolgungsbehörden wahrlich nicht einfach, aber Deadnaming muss dann eine Form der Beleidigung sein, wenn daraus deutlich wird, dass der Sprecher oder die Sprecherin den betroffenen transsexuellen Menschen prinzipiell nicht als Gegenüber mit gleichen Rechten respektiert.