Kein Anspruch gegen Ärztekammer auf Behandlungsfehler-Gutachten bei Fehler durch ärztlichen Sachverständigen

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 21.12.2021 zum Aktenzeichen 7 K 651/19 in einem von Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. der Kölner Rechtsanwaltskanzlei JURA.CC vertretenen Fall entschieden, dass ein von einem ärztlichen Gutachter untersuchter Patient keinen Anspruch gegen die Ärztekammer hat, dass ein möglicherweise dabei erfolgter ärztlicher Fehler nicht beurteilt wird.

Der Kläger begehrt eine gutachtliche Überprüfung eines Arztes durch die Beklagte.

Der Kläger führte einen Rechtsstreit. Der dortige Kammervorsitzende traf eine Beweisanordnung, wonach ein Arzt zum Sachverständigen ernannt wurde.

Dieser untersuchte den Kläger im Zuge der Gutachtenerstellung und entnahm ihm Blut, das labortechnisch untersucht wurde. Dabei wurde ein schwerer gesundheitlicher Befund gestellt, den der Gutachter in seinem Gutachten nicht erwähnte und den Kläger auf diesen auch nicht aufmerksam machte. Der Kläger beantragte bei der Ärztekammer eine Überprüfung des Verhaltens des durch die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler. Die Gutachterkommission erklärte sich hierfür nicht zuständig, da zwischen dem Kläger und dem Arzt weder ein Behandlungsvertrag bestanden habe noch eine Behandlung erfolgt sei.

Der Kläger hat die vorliegende Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstellung des begehrten Gutachtens im hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

Als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt allenfalls § 6 Abs. 1 Nr. 9 Heilberufsgesetz NRW (nachfolgend: HeilBerG) i.V.m. Vorschriften des Statuts der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer.

Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 9 HeilberG gehört zu den Aufgaben unter anderem der beklagten Ärztekammer die Errichtung von Stellen zur Begutachtung von Behandlungsfehlern, soweit nicht im Einzelfall mit Zustimmung der Aufsichtsbehörden davon abgesehen werden kann. Ausweislich von § 1 Abs. 1 des Statuts wird die Beklagte eine Kommission zur Begutachtung von Vorwürfen ärztlicher Behandlungsfehler errichten, welche die Bezeichnung „Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer “ führt (was vor Jahrzehnten geschehen ist). Das Ziel dieser Gutachterkommission ist es, durch objektive Begutachtung ärztlichen Handelns dem durch einen Behandlungsfehler in seiner Gesundheit Geschädigten die Durchsetzung begründeter Ansprüche und dem Arzt die Zurückweisung unbegründeter Vorwürfe zu erleichtern. Bestehen Streit oder Meinungsverschiedenheiten darüber, ob ein der Kammer als Mitglied angehörender Arzt die in Diagnostik und Therapie erforderliche Sorgfalt gewahrt hat, so stellt die Kommission auf Antrag eines Beteiligten fest, ob dem Arzt ein Behandlungsfehler vorzuwerfen ist, durch den der Patient einen Gesundheitsschaden erlitten hat oder voraussichtlich erleiden wird (§ 2 Abs. 1 des Statuts). Beteiligte des Verfahrens sind der Patient, der das Vorliegen eines Behandlungsfehlers behauptet, und der des Behandlungsfehlers Beschuldigte oder durch den Vorwurf belastete Arzt (§ 2 Abs. 2 des Statuts). Das Verfahren vor der Gutachterkommission ist für die Beteiligten gebührenfrei (§ 12 Abs. 2 des Statuts). Hieraus lässt sich der geltend gemachte Begutachtungsanspruch nicht herleiten.

Die Beklagte hat zu Recht ausgeführt, dass dem das fehlende Arzt-Patienten-Verhältnis bzw. das fehlende Behandlungsverhältnis zwischen dem Arzt und dem Kläger entgegensteht. Das ergibt sich aus Folgendem: Bereits der den Ärztekammern in § 6 Abs. 1 Nr. 9 HeilberG erteilte gesetzliche Auftrag, Stellen zur Begutachtung von Behandlungsfehlern (Unterstreichung durch das Gericht) einzurichten, beschränkt die Begutachtung insoweit eindeutig auf Vorgänge im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung und lässt für Interpretationen keinen Raum. Er wird zudem gestützt durch die Gesetzesmaterialien. So heißt es in der amtlichen Begründung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Heilberufsgesetzes vom 22. Februar 1994, unter anderem, die Einrichtung von Stellen zur Begutachtung von Behandlungsfehlern bei den Ärztekammern habe sich in den vergangenen Jahren sehr gut bewährt. Für die Transparenz und Glaubwürdigkeit des Verfahrens auch den Patienten gegenüber sei eine gesetzliche Regelung notwendig. Als neue Kammeraufgabe werde die Einrichtung von Stellen zur Begutachtung von Behandlungsfehlern in das Heilberufsgesetz eingeführt.

Dem hat die Beklagte entsprochen und eine Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler eingerichtet, deren Tätigkeitsfeld auf die Begutachtung von Vorwürfen wegen ärztlicher Behandlungsfehler beschränkt ist. Dies ergibt sich aus zahlreichen Stellen aus dem Statut der Gutachterkommission. Entsprechende Passagen enthalten § 1 Abs. 1 S. 1 („Es wird eine Kommission zur Begutachtung von Vorwürfen wegen ärztlicher Behandlungsfehler errichtet.“), § 1 Abs. 1 S. 3 („… dem durch einen Behandlungsfehler in seiner Gesundheit Geschädigten …“), § 2 Abs. 1 („Bestehen Streit oder Meinungsverschiedenheiten darüber, ob ein der Kammer als Mitglied angehörende Arzt die in Diagnostik und Therapie erforderliche Sorgfalt gewahrt hat, so stellt die Kommission auf Antrag eines Beteiligten fest, ob dem Arzt ein Behandlungsfehler vorzuwerfen ist, durch den der Patient einen Gesundheitsschaden erlitten hat oder voraussichtlich erleiden wird.“), § 2 Abs. 2 S. 1 („Beteiligte des Verfahrens sind der Patient, der das Vorliegen eines Behandlungsfehlers behauptet, und der des Behandlungsfehlers Beschuldigte oder durch den Vorwurf belastete Arzt.“) sowie § 11 Abs. 1 S. 1 und 2 („… ein abschließendes Gutachten. Es enthält eine sachverständige Äußerung zu der Frage, ob ein dem Arzt vorwerfbarer Behandlungsfehler festgestellt werden kann, …“).

Bei dem Verhalten des Arztes handelt es sich jedoch gerade nicht um eine Behandlung des Klägers im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses. Nach der Legaldefinition des § 28 Abs. 1 S. 1 SGB V umfasst die ärztliche Behandlung die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Damit zielt sie auf die Erzielung eines Erfolges am Patienten.

Einen solchen Behandlungserfolg wollte der Arzt am Kläger nicht erzielen. Er hat ihn im Rahmen eines sozialgerichtlichen Prozesses im Auftrag des Sozialgerichtes als Sachverständiger untersucht, um in einem Gutachten vom Gericht als entscheidungserheblich eingestufte Fragen zu beantworten. Auf eine solche Beweisaufnahme finden gemäß § 118 SGG die Vorschriften der Zivilprozessordnung Anwendung, insbesondere die für die Vernehmung von Sachverständigen geltenden Vorschriften der §§ 402-414 ZPO. Der Sachverständige erfüllte seinerzeit wie ein Zeuge mit der Erstellung des Gutachtens über den Gesundheitszustand des Klägers eine Pflicht gegenüber dem Staat. Wenn er dabei Pflichten verletzt haben sollte, handelte es sich um solche, die ihm gegenüber jedermann obliegen. Ziel der Begutachtung war somit keine wie auch immer geartete Verbesserung der gesundheitlichen Situation des Klägers, also kein Behandlungserfolg, sondern allein die Erfüllung einer Pflicht gegenüber dem Staat.

Einen Anspruch auf Begutachtung hat der Kläger mangels Behandlung durch den Arzt nach alledem nicht.

Dass ärztliche Fehler auch bei Tätigkeiten außerhalb einer Behandlung geschehen können, ist unstreitig. Dennoch ist die von der Beklagten vorgenommene Differenzierung, nur in Fällen ärztlicher Behandlung im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses kostenfrei (vgl. § 12 Abs. 2 des Statuts der Gutachterkommission) gutachtlich tätig zu werden, in keiner Weise zu beanstanden und entspricht dem gesetzlichen Auftrag. Soweit der Kläger beabsichtigen sollte, den zum Sachverständigen eines sozialgerichtlichen Prozesses bestellten Arzt zivilrechtlich auf deliktischen Schadensersatz in Anspruch zu nehmen und zur Vorbereitung darauf eine gutachtliche Stellungnahme benötigt, ist er gehalten, sich diese auf eigene Kosten zu verschaffen.