Ein Berliner Restaurantbetrieb sah sich mit mehreren schlechten Online-Bewertungen auf einer Plattform konfrontiert. Unter anderem schrieb ein Gast: „Gar nicht meins. Salz-Pfeffer-Verhältnis hat überhaupt nicht gepasst.“. Diese und ähnliche Sterne-Bewertungen wollte die Inhaberin nicht auf sich sitzen lassen und beantragte beim Landgericht Berlin im August 2025 den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Betreiberin der Bewertungsplattform. Ziel war es, der Plattform zu untersagen, solche von Dritten abgegebene Bewertungen ihres Restaurants weiterhin zu veröffentlichen. Den Streitwert bezifferte sie pauschal mit 5.000 €, wodurch sie die Zuständigkeit des Landgerichts (statt des Amtsgerichts) begründen wollte.
Entscheidung des Gerichts
Das Landgericht Berlin (Zivilkammer II) wies den Eilantrag der Gastronomin als unzulässig und unbegründet zurück. In seinem Beschluss vom 07.08.2025 (Az. 27 O 262/25 eV) stellte das Gericht zunächst klar, dass es schon sachlich nicht zuständig sei, weil der Streitwert die maßgebliche Schwelle von 5.000 € nicht erreiche. Maßgeblich für die Streitwertfestsetzung sei nicht die bloße Angabe der Antragstellerin, sondern eine nachvollziehbare Darlegung konkreter wirtschaftlicher oder immaterieller Beeinträchtigungen, die hier jedoch fehlte. Die Restaurantbetreiberin hätte konkret aufzeigen müssen, wie sie auf einen Schaden in Höhe von 5.000 € komme. Einzelne negative Bewertungen seien heute ein „Alltagsphänomen“, wesentlich beeinflusst vom subjektiven Geschmacksempfinden des Einzelnen, und im Kontext einer Vielzahl von Bewertungen von unterdurchschnittlicher Bedeutung. Mit anderen Worten: „Über Geschmack lässt sich nicht streiten“, und ein einzelner Eintrag à la „hat mir nicht geschmeckt“ wiegt nicht so schwer. Aus diesem Grund sah das Gericht den Schwellenwert von 5.000 € als nicht erreicht an – eine Streitigkeit von so geringem Wert wäre vor dem Amtsgericht zu führen, nicht dem Landgericht.
Darüber hinaus verneinte das Landgericht auch einen inhaltlichen Unterlassungsanspruch der Gastronomin gegen die Plattform. Die Plattformbetreiberin hafte nicht als Störerin für die Nutzerbewertung, da ihr keine in zumutbarer Weise erlangte Kenntnis von einer möglichen Rechtsverletzung vorlag. Hier spielte die neue EU-Verordnung Digital Services Act (DSA) eine entscheidende Rolle. Seit Geltung des DSA reicht eine formlos per E-Mail oder Brief vorgebrachte Beschwerde nämlich nicht mehr aus, um der Plattform “Kenntnis” von rechtswidrigem Inhalt zuzuschreiben. Der DSA verlangt ein vom Dienstanbieter bereitgestelltes Melde- und Abhilfeverfahren (z. B. ein Meldeformular), das der Betroffene nutzen muss. Im vorliegenden Fall hatte die Restaurantbetreiberin jedoch versäumt, das offizielle Beschwerde-Tool der Plattform zu verwenden. Die Richter betonten, dass ein Hinweis auf das Meldeformular im Impressum oder in unmittelbarer Nähe der Bewertung den Anforderungen an Benutzerfreundlichkeit und Zugänglichkeit genügt. Da die Antragstellerin keine Beschwerde über diesen vorgesehenen Weg eingereicht hatte, fehlte es an einer zurechenbaren Kenntnis der Plattform von einer möglichen Persönlichkeitsrechtsverletzung. Folglich bestand kein Unterlassungsanspruch, und der Antrag blieb auch in der Sache ohne Erfolg.
Juristische Würdigung
Der Beschluss des LG Berlin setzt ein deutliches Signal im Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz bei Online-Bewertungen. Die Entscheidung ordnet negative Bewertungen über Geschmack klar als zulässige Meinungsäußerungen ein. Solche Bewertungen – etwa Kritik am Essen – sind rein subjektiv geprägt und gelten nicht als überprüfbare Tatsachenbehauptungen. Damit unterfallen sie dem Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und sind grundsätzlich hinzunehmen, solange sie nicht die Grenze zur Schmähkritik oder falschen Tatsachenbehauptung überschreiten. Das Gericht stufte die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch eine einzelne durchschnittliche Negativbewertung hier als “unterdurchschnittlich” ein – ein Hinweis darauf, dass im digitalen Zeitalter ein vereinzelter Ausreißer in den Bewertungen das Unternehmenspersönlichkeitsrecht nicht schwerwiegend verletzt.
Bemerkenswert ist der Streit um den immateriellen Schaden bzw. Streitwert. Während die Berliner Kammer verlangt, konkrete wirtschaftliche oder ideelle Einbußen darzulegen, gibt es abweichende Sichtweisen in der Rechtsprechung. So hat etwa das OLG Koblenz 2024 entschieden, dass bei Klagen auf Bewertungslöschung standardisierte Streitwerte heranzuziehen seien: 5.000 € pro reiner Sternebewertung ohne Kommentar und 10.000 € bei einer Bewertung mit Text. In jenem Fall hielt das OLG einen Vortrag zu Umsatzverlusten nicht für nötig – die breite Wirkung von Online-Bewertungen rechtfertige typischerweise diesen Streitwert. Das LG Berlin schlägt nun einen strengeren Kurs ein: Es pocht darauf, dass nicht jede schlechte Sternebewertung gleich einen hohen wirtschaftlichen Schaden impliziert. Diese Divergenz zeigt, dass die Bemessung immaterieller Beeinträchtigungen durch Online-Kritiken derzeit im Fluss ist. Einerseits steht die Tendenz, Bewertungsfälle wegen ihres geschäftsschädigenden Potentials als vermögensrechtlich relevant mit erheblichen Streitwerten einzustufen. Andererseits mahnt der Berliner Beschluss zur Mäßigung: Ohne plausible Nachweise für ernsthafte Umsatz- oder Reputationsschäden bleibt der Wert gering. Hier dürfte in Zukunft eine höchstrichterliche Klärung interessant sein, um für einheitliche Leitlinien zu sorgen.
Einen weiteren juristischen Akzent setzt dieser Fall durch die Anwendung des Digital Services Act. Er verdeutlicht, wie die neue Rechtslage die Verantwortung zwischen Plattform und Betroffenen neu austariert. Nach alter Rechtslage (Störerhaftung unter dem TMG) genügte oft eine formlose Abmahnung, um den Plattformbetreiber in die Pflicht zu nehmen. Nun jedoch schreibt der DSA ein formales Verfahren vor. Das LG Berlin macht klar: Wer eine Bewertung als rechtsverletzend beanstandet, muss zunächst den vorgesehenen Meldeweg der Plattform beschreiten, bevor er gerichtlich gegen den Plattformanbieter vorgehen kann. Diese Auslegung dürfte für ähnliche Fälle präzedenzbildend sein und signalisiert Unternehmen, dass Selbsthilfe über offizielle Beschwerdekanäle der erste Schritt sein muss.
Die Entscheidung reiht sich ein in die aktuelle Rechtsprechung, die differenziert mit Online-Rezensionen umgeht. Allgemein gilt: Wahre Tatsachenbehauptungen (so negativ sie sein mögen) und wertende Meinungen müssen hingenommen werden, falsche Anschuldigungen oder beleidigende Schmähkritik dagegen nicht. So hat z. B. das OLG Oldenburg 2024 im Fall einer 1-Stern-Bewertung durch einen Nicht-Kunden zwar einen Eingriff in den Gewerbebetrieb bejaht, aber dennoch die Meinungsfreiheit berücksichtigt. Der Bewerter durfte seine Kritik äußern, musste jedoch einen Hinweis ergänzen, dass er kein eigener Kunde des Unternehmens war. Auch dies zeigt: Gerichte versuchen, einen angemessenen Ausgleich zu finden – Transparenz und Wahrheit im Bewertungswesen auf der einen Seite, freie Meinungsäußerung auf der anderen. Im Ergebnis bestätigt der Berliner Beschluss vor allem eines: Subjektive Geschmackskritik ist rechtlich schwer angreifbar – de gustibus non est disputandum (über Geschmack streitet man nicht).
Auswirkungen für die Praxis
Für Gastronom*innen und Unternehmen: Das Urteil bedeutet, dass Betreiber von Restaurants und anderen Unternehmen negative Online-Bewertungen bis zu einem gewissen Grad als Teil des Geschäftsrisikos akzeptieren müssen. Solange eine Bewertung lediglich subjektive Kritik (z. B. zum Geschmack, Serviceempfinden etc.) enthält, besteht kaum Aussicht, sie gerichtlich entfernen zu lassen. Versuche, jeden unliebsamen Kommentar mit rechtlichen Schritten zu begegnen, können sogar kontraproduktiv sein – sie verursachen Kosten und machen die Kritik womöglich erst recht publik. Stattdessen sollten Unternehmer überlegen, konstruktiv auf Bewertungen zu reagieren (etwa mit einer höflichen Antwort oder indem sie Missstände abstellen). Nur bei klar rechtswidrigen Bewertungen – etwa nachweislich falschen Tatsachenbehauptungen („Essen war verdorben, wurde aber nie gemeldet“) oder gezielten Beleidigungen – lohnt sich der Gang zum Anwalt. Dann ist aber zunächst der richtige Beschwerdeweg auf der Plattform zu nutzen. Insgesamt unterstreicht der Beschluss, dass ein einzelner „Ausreißer“ unter vielen Rezensionen noch keinen großen Rufschaden bedeutet. Gastronomen sollten daher vor allem auf ihr Gesamtrating und zufriedene Kunden setzen, statt auf hohe Streitwerte zu spekulieren.
Für Betreiber von Bewertungsplattformen: Die Entscheidung bietet Plattformen eine gewisse Rückendeckung, sofern sie ihren Pflichten nach dem DSA nachkommen. Wichtig ist, ein leicht auffindbares und nutzerfreundliches Melde- und Abhilfeverfahren bereitzustellen. Wird dieses eingehalten, müssen Plattformen für negative Bewertungen ihrer Nutzer in der Regel nicht haften, solange keine formgerechte Beschwerde vorliegt. Der Fall LG Berlin zeigt, dass Gerichte eine formlose Meldung (etwa per E-Mail) nun als unzureichend erachten. Plattformbetreiber können sich also darauf berufen, dass Beschwerdeführer zunächst den vorgeschriebenen Weg nutzen müssen. Gleichzeitig bleibt ihre Prüfpflicht bestehen, sobald eine Meldung eingeht: Enthält eine Bewertung tatsächlich Rechtsverstöße (z. B. Beleidigungen, Verleumdungen), muss zügig geprüft und ggf. gelöscht werden. Insgesamt stärkt der Beschluss die Position der Plattformen: Solange sie die DSA-Vorgaben erfüllen, sind sie vor vorschneller Inanspruchnahme geschützt – “notice and action” wird zum verbindlichen Standard.
Für Verbraucher*innen: Für Nutzer von Bewertungsportalen bestätigt sich, dass ehrliche Meinungsäußerungen grundsätzlich zulässig sind. Wer als Gast seine subjektive Erfahrung schildert („hat mir nicht geschmeckt“ oder „Service war langsam“), muss in aller Regel keine juristischen Konsequenzen fürchten – solche Werturteile sind von der Meinungsfreiheit gedeckt. Der Spruch „Über Geschmack lässt sich nicht streiten“ gilt hier im wahrsten Sinne: Unterschiedliche Geschmäcker und Ansichten sind normal und rechtlich respektiert. Allerdings sollten Verbraucher darauf achten, bei der Wahrheit zu bleiben. Unwahre Behauptungen („Im Essen waren Scherben“, obwohl das nicht stimmt) oder Schmähungen („Der Koch ist unfähig“) können sehr wohl zu Löschungen oder sogar Unterlassungsansprüchen führen. Zudem empfiehlt es sich, nur dann Bewertungen abzugeben, wenn man tatsächlich eine eigene Erfahrung mit dem Unternehmen gemacht hat. Wer aus Hörensagen oder Frust ohne echten Kontakt negative Bewertungen verteilt, bewegt sich in einer Grauzone – im Zweifelsfall können solche Bewertungen angefochten werden, wie ein Fall vor dem OLG Oldenburg zeigte. Kurz gesagt: Echte Kundenmeinungen, sachlich und subjektiv ehrlich formuliert, sind erlaubt – unwahre oder böswillige Inhalte nicht.
Handlungsempfehlung für Betroffene
Wer sich durch Online-Bewertungen in seinem geschäftlichen Ruf beeinträchtigt fühlt, sollte besonnen und planvoll vorgehen:
- Natur der Kritik prüfen: Analysieren Sie zunächst die fragliche Bewertung. Handelt es sich um eine Meinungsäußerung (z. B. Geschmackssache, allgemeine Unzufriedenheit) oder um eine Tatsachenbehauptung? Subjektive Meinungen (so hart sie klingen mögen) sind rechtlich zulässig, solange sie nicht beleidigend sind. Unwahre Tatsachenbehauptungen hingegen – etwa erfundene Vorfälle oder falsche Anschuldigungen – können angegriffen werden. Entsprechend unterschiedlich sind die Handlungsoptionen.
- Direkt den Plattform-Prozess nutzen: Seit Inkrafttreten des Digital Services Act sollten Betroffene immer zuerst das offizielle Meldesystem der Plattform nutzen. Suchen Sie auf der Bewertungsseite nach Optionen wie “Bewertung melden” oder Hinweisen im Impressum. Beschreiben Sie klar, warum die Bewertung gegen Richtlinien oder Rechte verstößt (z. B. weil sie nachweislich falsch ist oder eine Beleidigung enthält). Eine formlose E-Mail an den Support genügt nicht mehr. Nur eine Meldung über das vorgesehene System begründet “Kenntnis” der Plattform und verpflichtet sie zum Tätigwerden.
- Beweise sichern: Dokumentieren Sie die beanstandete Bewertung (Screenshots, Datum, Uhrzeit) und sammeln Sie Belege, die Ihre Sicht stützen. Konnte der Rezensent z. B. gar kein Kunde gewesen sein (keine entsprechende Buchung/Rechnung vorhanden) oder ist der behauptete Vorfall widerlegbar, sollten Sie diese Informationen griffbereit haben. Im Streitfall trägt zwar grundsätzlich der Bewerter die Beweislast für seine Behauptungen, doch in der Praxis muss das Unternehmen zunächst substantiiert darlegen, warum die Behauptung unwahr ist. Fakten im Rücken stärken Ihre Position.
- Rechtliche Schritte abwägen: Führt die Plattform-Meldung nicht zum Erfolg, ziehen Sie eine juristische Beratung hinzu. Ein Anwalt kann einschätzen, ob ein Unterlassungsanspruch Erfolg verspricht und welcher Rechtsweg der richtige ist. Beachten Sie die Zuständigkeit der Gerichte: Bei kleineren Streitwerten (unter 5.000 €) ist das Amtsgericht zuständig, bei höheren das Landgericht. Überschätzen Sie den Streitwert nicht künstlich – Gerichte verlangen eine realistische Einschätzung des tatsächlichen reputationsbezogenen Schadens. Im Zweifel wird eher konservativ bewertet, wie der Berliner Fall zeigt. Statt übereilt eine einstweilige Verfügung bei einem unzuständigen Gericht zu beantragen, ist es oft sinnvoller, zunächst außergerichtlich vorzugehen (z. B. über eine anwaltliche Aufforderung an den Verfasser zur Löschung oder Richtigstellung).
- Besonnen reagieren: Auch wenn negative Bewertungen ärgerlich sind – überstürzte öffentliche Gegenwehr (“Shitstorm” gegen den Bewerter) oder vorschnelle Klagen sind selten die beste Lösung. Bedenken Sie, dass Gerichtsverfahren öffentlich werden und Medienaufmerksamkeit erzeugen können. Ein einzelner kritischer Kommentar geht in der Regel in der Masse unter, wenn Ihre Gesamtreputation stimmt. Konzentrieren Sie sich darauf, positive Bewertungen zufriedener Kunden zu fördern, um das Gesamtbild aufzubessern. Oft relativiert sich eine vereinzelte Negativstimme, wenn zahlreiche gute Rezensionen dagegenstehen. Proaktiv um Feedback zu bitten (ohne Fake-Bewertungen zu kaufen – das wäre unzulässig) kann helfen, das Rating ins rechte Licht zu rücken.
Zusammengefasst sollten betroffene Unternehmer negative Online-Bewertungen zunächst sachlich einordnen und die vorhandenen rechtlichen Instrumente – vor allem die Meldewege nach dem DSA – nutzen. Nicht jede geschäftsschädigende Äußerung ist justiziabel, vor allem dann nicht, wenn sie erkennbar von subjektivem Empfinden geprägt ist. In Fällen echter Rufschädigung durch Lügen oder Beleidigungen aber stehen weiterhin Mittel offen, um die eigene Reputation zu schützen. Wichtig ist, dabei umsichtig und strategisch vorzugehen, um sowohl die rechtlichen Chancen zu wahren als auch das öffentliche Bild des Unternehmens nicht unnötig zu belasten.