Keine Außervollzugsetzung der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung

11. Mai 2020 -

Der Bayerische Verfassungsgerichthof in München hat mit Beschluss vom 08.05.2020 zum Aktenzeichen Vf. 34-VII-20 den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit der die Vorschriften der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung sofort außer Vollzug gesetzt werden sollten.

Aus der Pressemitteilung des Bay. VerfGH vom. 08.05.2020 ergibt sich:

Der VerfGH München hat es abgelehnt, die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (3. BayIfSMV) vom 01.05.2020 (GVBl S. 255, BayMBl Nr. 239), die durch § 23 Abs. 2 und 3 der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 05.05.2020 (BayMBl Nr. 240) und durch § 1 der Verordnung vom 07.05.2020 (BayMBl Nr. 247) geändert worden ist, durch einstweilige Anordnung außer Vollzug zu setzen.

Die vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege erlassene Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung untersagt landesweit Veranstaltungen und Versammlungen (§ 1 Abs. 1); öffentliche Gottesdienste und öffentliche Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes sind nur unter engen infektionsschutzrechtlichen Voraussetzungen erlaubt (§§ 2, 3). Sämtliche Einrichtungen, die nicht notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens, sondern der Sport- und Freizeitgestaltung dienen, sind nach Maßgabe des § 4 Abs. 1 untersagt, ebenso Gastronomiebetriebe, ausgenommen die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen (§ 4 Abs. 2), sowie der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken (§ 4 Abs. 3). Ladengeschäfte, Einkaufszentren und Kaufhäuser des Einzelhandels dürfen nur unter den Einschränkungen des § 4 Abs. 4 öffnen; Dienstleistungsbetriebe müssen die Anforderungen des § 4 Abs. 5 beachten. In der aktuell (noch) geltenden Fassung der Verordnung ist nahezu ausnahmslos der Besuch von Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Altenheimen und Seniorenresidenzen untersagt (§ 5). Der Betrieb an den Hochschulen ist nach § 6 eingeschränkt. Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und im privaten Raum (§§ 7, 7 a) sind zusammen mit der Sonderregelung für Spielplätze (§ 7 b) zum 06.05.2020 an die Stelle der allgemeinen Ausgangsbeschränkungen des § 7 a.F. getreten und ab 08.05.2020 weiter gelockert worden. Personen ab dem siebten Lebensjahr sind verpflichtet u.a. im öffentlichen Personennahverkehr (§ 8) und beim Einkaufen (§ 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4) eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Verstöße können nach Maßgabe des § 9 als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Die Antragsteller sind der Auffassung, diese Regelungen griffen in unverhältnismäßiger Weise in die Freiheitsrechte der Bürger ein, die die Bayerische Verfassung garantiert. Sie haben deshalb Popularklage erhoben mit dem Ziel, dass u. a. die Dritte Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom VerfGH München für verfassungswidrig und nichtig erklärt wird. Zugleich wollen sie mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen, dass die Vorschriften sofort außer Vollzug gesetzt werden.

Der VerfGH München hat es abgelehnt, die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (3. BayIfSMV) vom 01.05.2020 (GVBl S. 255, BayMBl Nr. 239), die durch § 23 Abs. 2 und 3 der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 05.05.2020 (BayMBl Nr. 240) und durch § 1 der Verordnung vom 07.05.2020 (BayMBl Nr. 247) geändert worden ist, durch einstweilige Anordnung außer Vollzug zu setzen.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Außervollzugsetzung nur hinsichtlich der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung in ihrer aktuell geltenden Fassung, also einschließlich der am 06. und 08.05.2020 in Kraft getretenen Änderungen zu den Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und im privaten Raum. Die früher geltenden Fassungen und erst recht die mit Ablauf des 03.05.2020 außer Kraft getretene Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, gegen die sich die Antragsteller in der Hauptsache ebenfalls wenden, könnten nicht mehr vorläufig außer Vollzug gesetzt werden.

Bezogen auf die aktuell geltenden Bestimmungen könne im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens bei überschlägiger Prüfung nicht von offensichtlichen Erfolgsaussichten, aber auch nicht von einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Hauptantrags im Popularklageverfahren ausgegangen werden. Ob die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung insgesamt oder teilweise gegen die als verletzt gerügten Grundrechte oder sonstiges Verfassungsrecht verstoße, bedürfe einer eingehenden Prüfung, die im Rahmen dieses Eilverfahrens nicht möglich sei.

Die Einschätzung des Normgebers, dass eine Gefahrenlage für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen mit einer nicht auszuschließenden Überforderung der personellen und sachlichen Kapazitäten des Gesundheitssystems weiterhin vorliege, sei nachvollziehbar. Es widerspreche jedenfalls nicht offenkundig dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass sich der Verordnungsgeber für eine weitere Woche bis zum Ablauf des 10.05.2020 zu einer Fortführung der Eindämmungsmaßnahmen und der mit ihnen verbundenen Grundrechtseingriffe entschieden habe. Die darin im Vergleich zu den Vorgängerregelungen enthaltenen nur vorsichtigen, schritt- und bereichsweisen Lockerungen dienen dem Ziel, die Anzahl der Neuinfektionen weiter zu verringern.

Es sei auch nicht ersichtlich, dass die aktuell geltenden Eindämmungsmaßnahmen insgesamt oder teilweise ungeeignet wären, den mit der Verordnung verfolgten Zweck zu fördern. Das gelte insbesondere für die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht). Das Robert-Koch-Institut empfehle ein generelles Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in bestimmten Situationen im öffentlichen Raum als einen Baustein, um Risikogruppen zu schützen und den Infektionsdruck und damit die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Covid-19 in der Bevölkerung zu reduzieren. Diese Bewertung möge fachlich umstritten sein. Das Tragen eines Mundschutzes sei aber jedenfalls nicht offensichtlich ungeeignet, um Infektionen durch unerkannte Träger zu verringern. Es liege zudem auf der Hand, dass die bloße Empfehlung in deutlich geringerem Maß dazu führen würde, dass bei den in der Verordnung bezeichneten Aufenthalten im öffentlichen Raum eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werde. Dem Zweck, das Ansteckungsrisiko zu senken, werde daher durch eine Maskenpflicht gegenüber einer bloßen Empfehlung in deutlich höherem Maß Rechnung getragen.

Die demnach gebotene Folgenabwägung ergebe, dass der Vollzug der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung in ihrer aktuell geltenden Fassung weder ganz noch teilweise auszusetzen sei.

Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und würde sich die Popularklage im Hauptsacheverfahren als begründet erweisen, würde es zu Unrecht zu teilweise tiefgreifenden Grundrechtseingriffen kommen, die eine Vielzahl von Personen beträfen, teilweise massive unmittelbare wie mittelbare Folgen haben könnten und überwiegend irreversibel seien. Verstärkt werde die Wirkung der infektionsschutzrechtlichen Gebote, Verbote und Beschränkungen dadurch, dass Verstöße nach Maßgabe des § 9 3. BayIfSMV als Ordnungswidrigkeit geahndet werden könnten.

Erginge dagegen die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Popularklage aber später als unbegründet, würde es zu einer Vielzahl von Handlungen kommen, die durch die einzelnen Verordnungsbestimmungen unterbunden werden sollen. Damit entfiele das vom Verordnungsgeber gewählte Schutzkonzept insgesamt oder verlöre einzelne seiner aufeinander abgestimmten Bestandteile, obwohl sie geeignet, erforderlich und zumutbar wären, die Infektionsraten des Coronavirus SARS-CoV-2 durch eine Begrenzung der persönlichen Kontakte möglichst gering zu halten. Infolgedessen würde sich die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung vieler Personen, einer Überlastung des Gesundheitssystems und schlimmstenfalls des Todes von Menschen erhöhen.

Bei Beurteilung und Abwägung dieser Umstände überwögen die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe.

Nach wie vor bestehe in Bayern die – wohl abgeschwächte, in ihrem Ausmaß aber schwer einzuschätzende – Gefahr einer „zweiten Infektionswelle“, vor der zu schützen der Staat nach Art. 99 Satz 2 Halbsatz 2 Bayerische Verfassung auch verpflichtet sei. Demgegenüber müssten die mit den Verordnungsbestimmungen verbundenen Grundrechtsbeschränkungen und vielfältigen Beeinträchtigungen insbesondere persönlicher, wirtschaftlicher wie gesellschaftlicher Art derzeit zurücktreten, auch wenn sie bereits geraume Zeit andauern und inzwischen ein durchaus erhebliches Ausmaß erreicht hätten.

Bei der Folgenabwägung sei zu berücksichtigen, dass die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und die inzwischen in Kraft getretenen Änderungen für große Bereiche bereits zu spürbaren Lockerungen gegenüber der früheren Rechtslage führen. Hinzu komme, dass die angegriffene Verordnung nur für eine Woche Gültigkeit beanspruche und bereits mit Ablauf des 10.05.2020 außer Kraft trete. Die mit ihr verbundenen Grundrechtseingriffe seien mithin zeitlich eng befristet. Schon am 09.05.2020 würden zudem die strikten Besuchsverbote gelockert, die § 5 3. BayIfSMV bislang für Krankenhäuser, vollstationäre Einrichtungen der Pflege, Altenheime und weitere Einrichtungen anordne.

Der Verfassungsgerichtshof habe im Rahmen der Folgenabschätzung erwogen, den Vollzug derjenigen aktuell geltenden Bestimmungen, die für bestimmte Bereiche eine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung normieren, vorläufig insoweit auszusetzen, als sie solche Personen einbeziehe, die aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen könnten. Hiervon sei abgesehen worden, weil der bereits ab dem 11.05.2020 geltende § 1 Abs. 2 4. BayIfSMV eine sachgerechte und differenzierte Befreiung von der Maskenpflicht vorsehe und weil in den behördlichen Erläuterungen zum Umfang der aktuell geltenden Maskenpflicht darauf hingewiesen werde, dass Personen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen müssten, wenn sie etwa unter Asthma oder einer anderen Erkrankung leiden, die das Tragen einer Maske unzumutbar erschwere.