Keine Rentenerhöhung bei vorzeitiger Rentenleistung

12. Dezember 2019 -

Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 11.12.2019 zum Aktenzeichen B 13 R 7/19 R, das ein Rentner keine erhöhte Rente bekommt, wenn er die Rentenleistung vorzeitig in Anspruch nimmt.

Aus dem Terminsbericht des Bundessozialgerichts Nr. 58/19 vom 12.12.2019 ergibt sich:

Der 1953 geborene Kläger schloss im Jahr 2006 mit seinem Arbeitgeber einen Vertrag über Altersteilzeit, deren Freistellungsphase am 30.11.2015 endete. Bei dem beklagten RV-Träger beantragte er Altersrente für langjährig Versicherte (§ 236 SGB VI) für die Zeit ab 01.12.2015, dem Monat nach Vollendung seines 62. Lebensjahrs. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sowohl die Wartezeit von 35 Jahren für die beantragte Rentenart, als auch die Wartezeit von 45 Jahren für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte (§ 236b SGB VI) erfüllt. Antragsgemäß gewährte der RV-Träger Altersrente für langjährig Versicherte ab Dezember 2015. Für die Berechnung des Monatsbetrags der Rente berücksichtigte er einen wegen 36 Kalendermonaten vorzeitiger Inanspruchnahme verminderten Zugangsfaktor (1,0 – 36 x 0,003) von 0,892.
Sowohl im Widerspruchsverfahren, als auch im Gerichtsverfahren ist der Kläger mit dem Begehren, ihm eine ungeminderte oder zumindest geringer geminderte Rente für langjährig Versicherte zu zahlen, erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht hat zur Begründung ausgeführt, der RV-Träger habe den „Rentenabschlag“ mit 36 Monaten zutreffend ermittelt. Altersrente für langjährig Versicherte könne abschlagsfrei erst ab Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen werden. Eine (abschlagsfreie) Rente für besonders langjährig Versicherte habe der Kläger bei Rentenbeginn nicht beanspruchen können, da er die hierfür maßgebliche Altersgrenze von 63 Jahren und zwei Monaten noch nicht erreicht hatte. Ein späterer Wechsel in diese Rentenart sei ausgeschlossen. Vertrauensschutzaspekte könnten – auch mit Blick auf Grundrechte – zu keinem anderen Ergebnis führen. Aus der Verfassung ließe sich zudem kein Grundsatz herleiten, wonach bereits die Erfüllung der für eine Rente maßgeblichen Wartezeit unabhängig vom Lebensalter einen abschlagsfreien Renteneintritt ermöglichen müsse. Einer Auslegung des § 77 Abs 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, der zufolge sich der Begriff „vorzeitig“ nicht auf die jeweils konkret in Anspruch genommene Rente beziehe, stehe der eindeutige Wortlaut der Norm entgegen.
Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI. Die darin angeordnete Verringerung des Zugangsfaktors sei ein Eingriff in nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrechte. Das Übermaßverbot gebiete, die Vorzeitigkeit der Inanspruchnahme nicht an der konkret in Anspruch genommenen Altersrente, sondern an der frühestmöglich abschlagsfreien Altersrente zu bemessen.

Das BSG hat die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Nach Auffassung des BSG hat der Kläger keinen Anspruch auf eine höhere Altersrente für langjährig Versicherte unter Anwendung eines günstigeren Zugangsfaktors als von dem beklagten RV-Träger i.H.v. 0,892 der Rentenberechnung zugrunde gelegt. Denn er hat diese von ihm gewählte Rentenleistung 36 Kalendermonate vorzeitig in Anspruch genommen. Eine Altersrente für langjährig Versicherte kann nach § 236 Abs. 1 Satz 1 SGB VI (i.d.F. des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.04.2007, BGBl. I 554) von Versicherten, die vor dem 01.01.1964 geboren sind, frühestens in Anspruch genommen werden, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Eine vorzeitige Inanspruchnahme ist nach § 236 Abs. 1 Satz 2 SGB VI grundsätzlich nach Vollendung des 63. Lebensjahres möglich. Zugleich regelt § 236 Abs. 2 SGB VI für Versicherte, die vor dem 01.01.1949 geboren sind eine Anhebung der Altersgrenze von 65 Jahren. Ausgenommen hiervon sind nach § 236 Abs. 3 Nr. 2 SGB VI Versicherte, die vor dem 01.01.1955 geboren sind und vor dem 01.01.2007 Altersteilzeitarbeit i.S.d. §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 AltTZG vereinbart haben. Zugleich ist für diese Versicherten die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Altersrente bereits ab dem Alter von 62 Jahren möglich, sofern sie in den Jahren 1950 bis 1963 geboren sind (§ 236 Abs. 3 SGB VI). So liegt der Fall hier. Eine derartige vorzeitige Inanspruchnahme hat nach § 77 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI zur Folge, dass der Zugangsfaktor nicht mit 1,0 in die Rentenberechnung einfließt, sondern er für jeden Kalendermonat, den die Altersrente vorzeitig in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0 ist. Anderes gilt nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nur, wenn die Rente wegen Alters mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnt.

Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Begriff „vorzeitig“ in § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI nicht durch Rückgriff auf die Wendung „eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters“ in § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI bestimmt werden. Ob und um welche Zahl von Kalendermonaten eine Rente wegen Alters i.S.d § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI „vorzeitig“ in Anspruch genommen wird, bestimmt sich allein nach der Differenz zwischen dem in den Regelungen über die konkret in Anspruch genommene Altersrentenart festgesetzten Alter, ab dem regelmäßig frühestens Anspruch auf diese Rente besteht, und dem Alter des Versicherten bei Beginn der dort so bezeichneten „vorzeitige(n) Inanspruchnahme“ mit einem niedrigeren Lebensalter. Die Altersgrenzen anderer, für einen Versicherten erst nach dem tatsächlichen Rentenbeginn in Betracht kommender Rentenarten sind ohne Belang.

Diese Auslegung wird gestützt durch den Blick auf andere Vorschriften des SGB VI, in denen der Begriff „vorzeitig“ in Zusammenhang mit Altersrenten verwendet wird. Die dort erkennbare Regelungstechnik – Festsetzung des Alters eines regelmäßigen Beginns der Rente und eines niedrigeren Alters, ab dem deren vorzeitige Inanspruchnahme möglich ist – folgen auch die aus Anlass der Anhebung verschiedener Altersgrenzen geschaffenen Sonderregelungen zu den unterschiedlichen Altersrenten – wie vorliegend mit § 236 SGB VI. § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI setzt dieses Begriffsverständnis voraus. Diese Unterscheidung liegt – wie mit dem RV-Nachhaltigkeitsgesetz unterstrichen wurde (vgl. Gesetzentwurf zum RV-Nachhaltigkeitsgesetz, BT-Drs. 15/2149 – PDF, 653 KB, S. 21 zu Art. 1 Nr. 5 <§ 34>) – auch § 34 Abs. 4 SGB VI zugrunde, demzufolge nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters der Wechsel ua in eine andere Rente wegen Alters ausgeschlossen ist. Eine Bestätigung findet diese Auslegung bei dem Blick auf den historischen Regelungskontext und auf den sich hieraus erschließenden Regelungszweck.

Die Vorschriften über die Minderung des Zugangsfaktors bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Altersrente für langjährig Versicherte (§ 236 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a, Satz 3 SGB VI i.V.m. § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI) verstoßen auch nicht gegen das GG. Sie stellen eine zulässige gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.d. Art. 14 Abs. 1 GG dar und verletzen nicht den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.