Kostenfestsetzung: Aktenversendungspauschale und Dokumentenpauschale

06. September 2025 -

In einem aktuellen Beschluss vom 14.08.2025 – 312 OWi 100/25) hat das Amtsgericht Tiergarten zwei wichtige Aspekte des Kostenrechts in Bußgeldverfahren klargestellt. Zum einen ging es um die Erstattung der Aktenversendungspauschale bei einem auswärtigen Verteidiger, zum anderen um die Erstattungsfähigkeit von Kopierkosten (Dokumentenpauschale) für Aktenbestandteile. Hier die Leitsätze der Entscheidung:

  • Aktenversendungspauschale bei auswärtigem Verteidiger: Ein auswärtiger Verteidiger kann im Kostenfestsetzungsverfahren nicht darauf verwiesen werden, dass der Betroffene seinen Wohnsitz am Gerichtsort hat und es ihm deshalb zuzumuten gewesen wäre, einen örtlichen Verteidiger zu mandatieren, der die Akte vor Ort in der Geschäftsstelle hätte einsehen können. Der Betroffene hat nach § 46 Abs. 1 OWiG, § 137 Abs. 1 S. 1 StPO, Art. 6 Abs. 3 lit. c Var. 2 EMRK das Recht auf freie Verteidigerwahl. Wird ein nicht am Gerichtsstand ansässiger Verteidiger gewählt, stellt sich die Frage der Notwendigkeit einer Aktenversendung nicht, da der Anwalt bei persönlicher Abholung der Akte Anspruch auf Vergütung der Reisekosten hätte – welche in der Regel höher ausfallen als die Pauschale für die Versendung der Akte.
  • Dokumentenpauschale und Kopierkosten: Ablichtungen aus Gerichtsakten sind nach § 46 Abs. 1 RVG i.V.m. Nr. 7000 Abs. 1 lit. a VV-RVG nur erstattungsfähig, wenn ihre Herstellung zur sachgemäßen Beurteilung des Sachverhalts und der Rechtssache geboten ist. Eigene Schriftsätze und Empfangsbekenntnisse des Verteidigers sind grundsätzlich nicht erstattungsfähig, da der Verteidiger diese bereits besitzt. Das ungezielte Kopieren solcher Unterlagen stellt keine ordnungsgemäße Ausübung des dem Verteidiger eingeräumten Ermessens dar. Im entschiedenen Fall hätte daher die Dokumentenpauschale konsequenterweise insgesamt versagt werden können. Mangels Anschlusserinnerung der Gegenseite galt jedoch das Verbot der reformatio in peius, sodass es bei dem bereits zugesprochenen Betrag verblieb.

Aktenversendungspauschale bei auswärtigem Verteidiger

Der Beschluss des AG Tiergarten vom 14.08.2025 (312 OWi 100/25) betont das Recht des Betroffenen auf freie Wahl seines Verteidigers, selbst wenn dieser nicht am Gerichtsort ansässig ist. Im zugrundeliegenden Fall lebte die Mandantin in Berlin (am Gerichtsort), hatte aber eine Verteidigerkanzlei in Leipzig beauftragt. Die Kostenstelle des Gerichts verweigerte zunächst die Erstattung einer zweiten Aktenversendungspauschale (12 € zzgl. USt) mit der Begründung, die Aktenversendung sei nicht notwendig gewesen – die Mandantin hätte ja stattdessen einen Berliner Anwalt mit der Akteneinsicht beauftragen können. Das Gericht korrigierte diese Sichtweise und stellte klar, dass eine solche Einschränkung der Kostenerstattung mit dem Recht auf freien Verteidigerwahl unvereinbar ist.

Nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 137 Abs. 1 StPO und Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK darf der Betroffene selbst entscheiden, welchen (Wahl-)Verteidiger er mandatieren möchte – auch einen auswärtigen. Entscheidet er sich für einen nicht ortsansässigen Verteidiger, erübrigt sich die Frage der Erforderlichkeit der Aktentransportkosten, da diesem Anwalt die Akteneinsicht vernünftigerweise nur durch Übersendung der Akte ermöglicht werden kann. Alternativ hätte der Verteidiger zur Akteneinsicht persönlich anreisen müssen, was für die Staatskasse noch höhere Reisekosten zur Folge gehabt hätte. Somit ist die Aktenversendungspauschale (Nr. 9003 Kostenverzeichnis GKG) in solchen Konstellationen als notwendige Auslage anzusehen und vom Staat zu erstatten, sobald die Betroffene obsiegt oder die Kostenlast dem Staat auferlegt wird. Dies entspricht auch der früheren Rechtsprechung anderer Gerichte: So hat etwa das AG Köln bereits 2013 entschieden, dass selbst bei am Gerichtsort wohnendem Mandanten die Versendung der Akte an einen auswärtigen Verteidiger notwendig und erstattungsfähig ist. Wichtig ist, dass das Recht auf Akteneinsicht vernünftigerweise und sachdienlich nur durch Übersendung der Akte ausgeübt werden kann, wenn der Wahlverteidiger nicht vor Ort sitzt.

Praxis-Tipp: Aus Sicht des Verteidigers sollte im Kostenfestsetzungsantrag stets auf das Recht der freien Verteidigerwahl hingewiesen werden, falls die Erstattung der Aktenversendungspauschale strittig ist. Die Gerichte dürfen den Betroffenen nicht auf einen lokalen Anwalt verweisen, um Kosten zu sparen – ein solcher Verweis würde den Verteidigerwechsel erzwingen und ist mit Art. 6 Abs. 3 EMRK nicht vereinbar. Im Zweifel ist es sinnvoll zu argumentieren, dass die Aktenübersendung kostengünstiger war als eine persönliche Abholung, um die Notwendigkeit der Pauschale zu untermauern.

Dokumentenpauschale: Unnötige Kopien sind nicht erstattungsfähig

Der zweite Schwerpunkt des Beschlusses betrifft die Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV-RVG, also die Kosten für Kopien/Ausdrucke aus Gerichtsakten. Nach § 46 Abs. 1 RVG i.V.m. Nr. 7000 VV-RVG dürfen solche Kopierkosten nur insoweit erstattet werden, wie die Anfertigung der Kopien zur sachgerechten Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit gilt ein objektiver Maßstab, wenngleich dem Verteidiger ein gewisser Ermessensspielraum zugestanden wird. Dieses Ermessen muss jedoch pflichtgemäß und kostenschonend ausgeübt werden – ein vollständiges und ungeprüftes Kopieren der gesamten Akte erfüllt die gesetzlichen Anforderungen in der Regel nicht. Insbesondere hat die obergerichtliche Rechtsprechung bereits klargestellt, dass eigene Schriftsätze des Verteidigers oder Empfangsbekenntnisse in der Akte nicht auf Kosten der Staatskasse kopiert werden sollten. Solche Dokumente sind dem Verteidiger bekannt und bereits in dessen Unterlagen vorhanden. Ihre erneute Ablichtung aus der Gerichtsakte dient daher kaum der sachgerechten Fallbearbeitung, sondern allenfalls der Vollständigkeit der Handakte – was für sich genommen nicht genügt, um die Kosten dem Staat aufzuerlegen.

Im vorliegenden Fall hatte der Verteidiger insgesamt 20 Seiten aus der Bußgeldakte kopiert und die entsprechende Pauschale geltend gemacht. Die Kostenbeamten erkannten davon lediglich 6,50 € (entsprechend einer Teilmenge der Kopien) an, da sie offenkundig einige Seiten für nicht notwendig hielten. Dagegen legte der Verteidiger Erinnerung ein, wollte also auch die restlichen Kopiekosten erstattet bekommen. Das Amtsgericht überprüfte die Auswahl der kopierten Seiten stichprobenartig und bestätigte die Kürzung: Der Anwalt hatte unter den kopierten Seiten unter anderem ein von ihm selbst unterzeichnetes Empfangsbekenntnis sowie einen eigenen Schriftsatz an die Bußgeldstelle, also Schriftstücke, die er bereits in seinen Akten hatte. Diese unnötigen Kopien erfüllten offensichtlich nicht die Voraussetzung der Gebotenheit. Das Gericht monierte, dass der Verteidiger sein Ermessen bei der Aktenreproduktion nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe, indem er ohne inhaltliche Auswahl praktisch die gesamte Akte (inklusive irrelevanter Eigenstücke) kopierte.

Grundsätzlich – so das AG Tiergarten – ist es nicht Aufgabe des Gerichts, im Kostenfestsetzungsverfahren nachträglich für den Anwalt zu sortieren, welche Kopien wirklich erforderlich waren und welche nicht. Vielmehr obliegt es dem Verteidiger, von vornherein nur solche Dokumente zu vervielfältigen, die er für die sachgerechte Verteidigung tatsächlich benötigt. Andernfalls läuft er Gefahr, dass die Staatskasse die Dokumentenpauschale komplett streicht. Tatsächlich haben andere Gerichte in vergleichbaren Fällen bereits die vollständige Versagung der Kopierkosten bestätigt, wenn die Abrechnungsposition erkennbar auch unnötige Kopien umfasste. So entschied z.B. das LG Braunschweig 2019, dass ein pauschales Kopieren der ganzen Akte – inklusive eigener Schriftsätze und Empfangsbekenntnisse – keine ordnungsgemäße Ermessensausübung darstellt. In einem solchen Fall darf das Gericht die Erstattung der Dokumentenpauschale insgesamt verweigern, anstatt im Detail einzelne Seiten herauszurechnen.

Im Ergebnis hatte der Verteidiger im Tiergartener Fall noch Glück im Unglück: Obwohl das Gericht feststellte, dass eigentlich keine der geltend gemachten Kopierkosten erstattungsfähig waren, blieb es bei den bereits bewilligten 6,50 €. Der Grund liegt im Verbot der reformatio in peius im Kostenverfahren. Dieses besagt, dass eine Entscheidung nicht zum Nachteil des Rechtsmittelführers abgeändert werden darf, wenn nur dieser (und nicht auch die Gegenseite) ein Rechtsmittel eingelegt hat. Da hier nur der Verteidiger gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss Erinnerung eingelegt hatte und die Staatskasse keine Anschlusserinnerung erhoben hatte, durfte das Gericht den bereits zuerkannten Betrag nicht zu Ungunsten des Verteidigers wieder auf null kürzen. Ohne diesen prozessualen Schutzmechanismus wäre die Dokumentenpauschale also voraussichtlich komplett aberkannt worden.

Praxis-Tipp: Verteidiger sollten im Rahmen der Akteneinsicht selektiv und bewusst kopieren. Es empfiehlt sich, eigene Schriftsätze, Empfangsbekenntnisse, einfache Verfügungen und ähnliche für die Verteidigung irrelevante Schriftstücke nicht mit in die Kopierliste aufzunehmen. Ggf. sollte im Kostenantrag kurz dargelegt werden, warum die kopierten Seiten für die Bearbeitung des Falles wichtig sind, um von vornherein deutlich zu machen, dass keine „Bequemlichkeitskopien“ angefertigt wurden. So lässt sich vermeiden, dass die Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren die Kopierkosten reduzieren oder ganz streichen. Zudem zeigt der Beschluss, dass Gerichte bereit sind, rigoros zu kürzen, wenn der Anwalt ungeprüft die gesamte Akte kopiert – im Worst Case kann die Kopierpauschale dann vollständig verloren gehen.

Der Beschluss des AG Tiergarten vom 14.08.2025 verdeutlicht zweierlei: Zum einen wird das Recht der Betroffenen auf einen Verteidiger ihres Vertrauens gestärkt. Die Wahl eines auswärtigen Anwalts darf nicht durch Kostenbedenken unterlaufen werden – die Aktenversendungspauschale ist in solchen Fällen notwendiger Teil der Auslagen und daher erstattungsfähig. Zum anderen mahnt das Gericht zu kritischem Augenmaß bei Kopierkosten. Verteidiger müssen ihr Ermessen verantwortungsvoll ausüben und im Kostenfestsetzungsantrag plausibel machen, dass nur wirklich erforderliche Kopien gefertigt wurden. Unnötige Massenkopien können im Kostenrecht bittere Konsequenzen haben: Wer wahllos alles dupliziert, läuft Gefahr, am Ende auf den Kopierkosten sitzenzubleiben. Somit bietet der Beschluss wertvolle Hinweise für die anwaltliche Praxis im Kostenfestsetzungsverfahren und bestätigt zugleich die bestehende Rechtsprechungslinie im Kostenrecht.