Kündigung ohne Abmahnung – immer unwirksam?

26. Oktober 2025 -

Die pauschale Annahme, dass eine Kündigung durch den Arbeitgeber ohne vorherige Abmahnung automatisch unwirksam sei, stimmt so nicht. Es kommt entscheidend darauf an, aus welchem Grund der Arbeitgeber kündigt und wie schwer das Fehlverhalten wiegt. Während bei einer verhaltensbedingten Kündigung in der Regel eine Abmahnung vorausgehen muss, spielt eine Abmahnung bei personenbedingten oder betriebsbedingten Kündigungen keine Rolle. Im Folgenden beleuchten wir, wann eine Abmahnung erforderlich ist, wann ausnahmsweise darauf verzichtet werden kann und was die Rechtsprechung – insbesondere das Bundesarbeitsgericht (BAG) – dazu sagt.

Abmahnung als Voraussetzung bei verhaltensbedingter Kündigung

Verhaltensbedingte Kündigungen sind Kündigungen, die auf ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers gestützt werden – also Verstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichten oder unerwünschtes Verhalten. Typische Gründe sind etwa wiederholte Unpünktlichkeit, Arbeitsverweigerung, Verstöße gegen betriebliche Anweisungen oder beleidigendes Verhalten am Arbeitsplatz. In solchen Fällen verlangt die ständige Rechtsprechung des BAG grundsätzlich den vorherigen Ausspruch einer Abmahnung.

Warum ist das so? Eine Abmahnung erfüllt im Arbeitsrecht eine Warn- und Hinweisfunktion. Der Arbeitnehmer soll auf sein Fehlverhalten aufmerksam gemacht werden und die Gelegenheit erhalten, sein Verhalten zukünftig zu bessern, um eine Kündigung abzuwenden. Eine verhaltensbedingte Kündigung dient nämlich nicht der Bestrafung vergangener Pflichtverstöße, sondern der Vermeidung des Risikos weiterer Vertragsstörungen in der Zukunft – das nennt das BAG das Prognoseprinzip. Die vergangene Pflichtverletzung muss also eine negative Prognose rechtfertigen, dass es ohne Kündigung zu weiteren Störungen kommen würde. Nur wenn der Arbeitnehmer nach Abmahnung erneut seine Pflichten verletzt, lässt dies darauf schließen, dass auch künftig Vertragsverstöße zu erwarten sind. Eine Kündigung ist daher stets das letzte Mittel (ultima ratio). Sie ist rechtlich nicht gerechtfertigt, solange ein milderes Mittel – insbesondere eine Abmahnung – ausreicht, um das Arbeitsverhältnis wieder auf eine vertragsgerechte Bahn zu bringen. Dementsprechend hat das BAG entschieden, dass eine verhaltensbedingte Kündigung in der Regel eine vorherige (erfolglose) Abmahnung voraussetzt.

Wichtig ist, dass die Abmahnung korrekt erfolgt: Sie muss das konkrete Fehlverhalten benennen und unmissverständlich androhen, dass im Wiederholungsfall die Kündigung droht. Fehlt eine solche ordnungsgemäße Abmahnung, ist eine spätere verhaltensbedingte Kündigung häufig unwirksam – es sei denn, es liegt ein Ausnahmefall vor (dazu gleich mehr).

Ausnahmefälle: Kündigung ohne Abmahnung bei gravierenden Pflichtverletzungen

Auch im Bereich der verhaltensbedingten Kündigungen gilt das Abmahnungserfordernis nicht ausnahmslos. Die Rechtsprechung hat Fallgruppen entwickelt, in denen eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung ausnahmsweise zulässig ist. Voraussetzung ist entweder, dass das Fehlverhalten so schwerwiegend war, oder dass eine Abmahnung offensichtlich keinen Erfolg verspricht:

  • Gravierendes Fehlverhalten: Die Pflichtverletzung ist derart gravierend, dass eine sofortige Kündigung gerechtfertigt ist und der Arbeitnehmer auch ohne Abmahnung wissen musste, dass sein Verhalten den Bestand des Arbeitsverhältnisses akut gefährdet. Mit anderen Worten: Die Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber wäre offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen.
  • Keine Aussicht auf Besserung: Eine Abmahnung würde ihre Warnfunktion erkennbar verfehlen, weil nicht zu erwarten steht, dass der Arbeitnehmer sein Verhalten ändern wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der Arbeitnehmer bereits ausdrücklich angekündigt hat, ein pflichtwidriges Verhalten in Zukunft fortzusetzen.

In diesen Situationen kann der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände sofort kündigen, ohne zuvor abmahnen zu müssen. Allerdings sind diese Fälle selten und stets vom Einzelfall abhängig. Die Schwelle für einen solchen Ausnahmefall liegt hoch.

Typische Beispiele für schwerwiegende Pflichtverstöße, bei denen Gerichte eine Kündigung ohne Abmahnung bereits anerkannt haben, sind etwa:

  • Diebstahl oder schwere Vertrauensbrüche zum Nachteil des Arbeitgebers (z. B. Unterschlagung von Firmeneigentum, Abrechnungsbetrug),
  • Tätliche Angriffe oder massive Bedrohungen von Vorgesetzten oder Kollegen,
  • Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz in erheblicher Form,
  • Schwerwiegende Beleidigungen oder Mobbing, je nach Intensität und Kontext,
  • Vorsätzliche gravierende Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften oder Wettbewerbsverbote.

Bei solchen Verstößen hat das BAG früher lediglich grobe Leitlinien formuliert. Entscheidend bleibt aber immer die Interessenabwägung im Einzelfall. Beispielsweise hat das BAG im vielbeachteten „Pfandbon-Fall“ (BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09) eine fristlose Kündigung wegen des unberechtigten Einlösens von Leergutbons im Wert von 1,30 € für unwirksam erklärt. Trotz des Vertrauensmissbrauchs und ohne vorherige Abmahnung war die Kündigung hier unverhältnismäßig, unter anderem weil die Mitarbeiterin über 30 Jahre beanstandungsfrei beschäftigt war. Absolute Kündigungsgründe gibt es nicht – selbst ein Vertrauensdelikt wie Diebstahl führt nicht automatisch zur Unwirksamkeit oder Wirksamkeit der Kündigung, sondern es ist immer eine sorgfältige Prüfung geboten. Gerade in Grenzfällen tendiert das BAG dazu, eher eine Abmahnung zu fordern, bevor gekündigt wird. So hat die Rechtsprechung etwa bei weniger gravierenden Beleidigungen oder einmaligem unentschuldigtem Fehlen oft noch eine Abmahnung als erforderlich angesehen, bevor eine Kündigung sozial gerechtfertigt ist.

Fazit für die verhaltensbedingte Kündigung: In der Mehrzahl der Fälle ist eine vorherige Abmahnung Pflicht. Fehlt sie, ist die Kündigung angreifbar und häufig unwirksam. Nur in eindeutigen Schwerstfällen oder hoffnungslosen Wiederholungsfällen darf der Arbeitgeber sofort kündigen – und auch dann nur nach strenger Prüfung aller Umstände.

Personenbedingte Kündigung – keine Abmahnung erforderlich

Anders liegt der Fall bei einer personenbedingten Kündigung. Diese beruht nicht auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, sondern auf Gründen, die in seiner Person liegen – typischerweise fehlende oder verlorene Eignung oder Fähigkeit, z. B. langandauernde Krankheit, Verlust der beruflichen Zulassung oder Führerscheinentzug bei Berufskraftfahrern. Hier geht es also gerade nicht um ein vorwerfbares Fehlverhalten, das der Mitarbeiter durch bessere Disziplin ändern könnte. Folglich macht eine Abmahnung in diesen Fällen keinen Sinn und ist rechtlich grundsätzlich nicht erforderlich.

Das BAG betont, dass eine Abmahnung bei personenbedingten Gründen ein Widerspruch in sich wäre. Eine Abmahnung soll nämlich jemanden auf vertragliches Fehlverhalten hinweisen und die Änderung dieses Verhaltens bewirken. Bei einer personenbedingten Kündigung will der Arbeitnehmer aber im Regelfall vertragsgerecht arbeiten, kann es aber objektiv nicht (z. B. wegen Krankheit oder mangelnder körperlicher Eignung). Wer nicht anders kann, den kann auch eine Abmahnung nicht zur Besserung veranlassen.

Beispiel: Ein Berufskraftfahrer verliert aus medizinischen Gründen dauerhaft seine Fahrerlaubnis. Er verstößt damit nicht schuldhaft gegen den Arbeitsvertrag, ist aber objektiv außerstande, seine geschuldete Tätigkeit zu erbringen. Eine Abmahnung würde ihm in diesem Fall nicht helfen, da er das Problem nicht durch Verhaltensänderung lösen kann. Der Arbeitgeber muss vor einer personenbedingten Kündigung vielmehr andere Dinge prüfen – etwa, ob eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen zumutbaren Arbeitsplatz möglich ist oder ob das Arbeitsverhältnis unter Abwägung der beiderseitigen Interessen dennoch als letztes Mittel beendet werden darf. Diese strengen Voraussetzungen (z. B. negative Gesundheitsprognose, erhebliche betriebliche Beeinträchtigung, Ultima-Ratio-Prinzip) müssen erfüllt sein, damit eine personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Eine vorherige Abmahnung gehört jedoch nicht zu diesen Voraussetzungen.

Zusammengefasst: Eine personenbedingte Kündigung ist auch ohne Abmahnung möglich. Arbeitnehmer haben hier keinen Einfluss durch Verhaltensänderung. Allerdings bedeutet das nicht, dass solche Kündigungen leicht wirksam sind – die Hürden liegen hoch (insbesondere bei krankheitsbedingten Kündigungen), und viele personenbedingte Kündigungen scheitern vor Gericht an den strengen Prüfungsmaßstäben.

Betriebsbedingte Kündigung – keine Abmahnung erforderlich

Auch bei der betriebsbedingten Kündigung spielt eine vorherige Abmahnung keine Rolle. Betriebsbedingte Kündigungen beruhen darauf, dass dringende betriebliche Erfordernisse den Wegfall des Arbeitsplatzes bedingen – etwa bei Auftragsrückgang, Umstrukturierungen, Betriebsschließungen oder Stellenabbau aus wirtschaftlichen Gründen. Hier liegt der Kündigungsgrund also in der Sphäre des Arbeitgebers bzw. des Betriebs, nicht im Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers. Folglich gibt es kein pflichtwidriges Verhalten, das man durch eine Abmahnung beanstanden oder ändern könnte.

Ein Arbeitgeber kann einem Mitarbeiter zum Beispiel aus betrieblichen Gründen kündigen, weil eine Abteilung geschlossen wird oder aus Kostengründen Personal abgebaut werden muss. Eine Abmahnung vorher ist in solchen Fällen überflüssig, da die Kündigung nichts mit einem steuerbaren Fehlverhalten des Mitarbeiters zu tun hat. Entscheidend für die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung sind vielmehr andere Faktoren, etwa dass das Wegfallen des Arbeitsplatzes unumgänglich ist und keine anderweitige Weiterbeschäftigung möglich war, sowie dass eine korrekte Sozialauswahl unter vergleichbaren Mitarbeitern durchgeführt wurde. Diese Anforderungen ergeben sich aus dem Kündigungsschutzgesetz und der dazu ergangenen Rechtsprechung, nicht jedoch eine Abmahnung.

Im Klartext: Vor einer betriebsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber keine Abmahnung aussprechen. Trotzdem sind betriebsbedingte Kündigungen kein Selbstläufer – viele werden von Gerichten aufgrund Fehler bei der Sozialauswahl oder Zweifeln an der Dringlichkeit der Maßnahme kassiert. Aber das Fehlen einer Abmahnung gehört nicht zu den Angriffspunkten, da sie schlicht nicht einschlägig ist.

Sonderfall: Kündigung ohne Abmahnung im Kleinbetrieb oder in der Probezeit

Die obigen Grundsätze gelten in erster Linie, wenn das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Anwendung findet – also in Betrieben mit mehr als 10 Arbeitnehmern und bei Arbeitsverhältnissen, die länger als sechs Monate bestehen. In Kleinbetrieben oder während der Probezeit (in den ersten 6 Monaten) greift der gesetzliche Kündigungsschutz nicht. Hier kann der Arbeitgeber ohne besonderen Kündigungsgrund kündigen, solange keine diskriminierenden oder sittenwidrigen Motive vorliegen. Dementsprechend ist er in diesen Fällen auch nicht verpflichtet, vorher eine Abmahnung auszusprechen, selbst wenn es um ein Fehlverhalten geht.

Das bedeutet: Ohne KSchG-Schutz gibt es keine formelle Abmahnungspflicht. Eine Kündigung kann dann – rein rechtlich – auch ohne vorausgehende Abmahnung wirksam sein, selbst wenn der Anlass ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers war. Arbeitnehmer in Kleinbetrieben sind also deutlich geringer geschützt. Allerdings empfiehlt es sich auch für Arbeitgeber in Kleinbetrieben aus Fairness- und Dokumentationsgründen häufig, vor einer verhaltensbedingten Kündigung mindestens einmal abzumahnen. Zu beachten ist auch, dass in Ausnahmefällen treuwidriges Verhalten des Arbeitgebers (z.B. plötzliches Kündigen entgegen vorheriger Zusicherung weiterer Beschäftigung) selbst im Kleinbetrieb rechtswidrig sein kann – solche Konstellationen sind aber selten.

Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne vorherige Abmahnung ist nicht per se unwirksam – die eingangs zitierte Aussage trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Richtig ist vielmehr: Nur bei einer verhaltensbedingten Kündigung ist eine vorausgehende Abmahnung in den meisten Fällen zwingende Voraussetzung für die Wirksamkeit. Fehlt in solchen Fällen die Abmahnung, kann der Arbeitnehmer gute Chancen haben, mit einer Kündigungsschutzklage Erfolg zu haben oder eine Abfindung zu erzielen. Bei personen- oder betriebsbedingten Kündigungen hingegen ist keine Abmahnung erforderlich – dort würde eine Abmahnung ins Leere gehen, weil der Kündigungsgrund nicht im steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers liegt.

Auch im Bereich der verhaltensbedingten Kündigung kennt das Arbeitsrecht Ausnahmen: Bei besonders schweren Verstößen oder eindeutig fehlender Aussicht auf Besserung darf der Arbeitgeber im Einzelfall ohne Abmahnung kündigen. Solche Fälle (z.B. Diebstahl, schwere Tätlichkeiten oder sexuelle Übergriffe) sind jedoch die Ausnahme und müssen vor Gericht eindeutig als so gravierend eingestuft werden, dass eine Abmahnung entbehrlich war. In Zweifelsfällen neigt das BAG eher dazu, eine Abmahnung zu verlangen, bevor eine Kündigung gerechtfertigt ist – getreu dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Kündigung als letztes Mittel.

Eine vorherige Abmahnung ist grundsätzlich nur bei verhaltensbedingten Kündigungen erforderlich – und auch dort mit Ausnahmen. Ohne Abmahnung zu kündigen ist riskant, denn in vielen Fällen ist die Kündigung dann unwirksam. Arbeitgeber sollten daher im Zweifel eher einmal mehr abmahnen, bevor sie kündigen. Arbeitnehmer wiederum, die ohne Abmahnung gekündigt werden, sollten prüfen (lassen), ob die Kündigung wirksam ist – oft bestehen gute Aussichten, sich erfolgreich zu wehren. Letztlich kommt es immer auf den Einzelfall an, doch die BAG-Rechtsprechung gibt klare Leitlinien: Eine Abmahnung ist und bleibt ein zentrales Instrument, um verhaltensbedingte Kündigungen als letztes Mittel zu legitimieren. An der pauschalen Aussage, eine Kündigung ohne Abmahnung sei immer unwirksam, hält die Rechtswirklichkeit also nicht stand.