Schokoladen-Weihnachtsmänner bleiben nach den Feiertagen oft als unverkäufliche Ladenhüter zurück – doch darf der Verzehr durch Mitarbeiter zur Kündigung führen?
Kann der Verzehr eines einzigen Schoko-Weihnachtsmanns nach Weihnachten den Job kosten? Mit dieser Frage musste sich das Arbeitsgericht Berlin im Jahr 2007 befassen (Urteil vom 09.03.2007, Az. 28 Ca 1174/07). Ein langjähriger Mitarbeiter hatte eine übrig gebliebene Schokoladenfigur aus dem Weihnachtsgeschäft gegessen, die im Nebenraum der Filiale lagerte und nicht mehr zum Verkauf bestimmt war. Der Arbeitgeber wertete dies als Diebstahl und kündigte dem Mitarbeiter – eine Reaktion, die das Gericht später als unverhältnismäßig und damit unwirksam einstufte. Im Folgenden erläutern wir den Fall, das Gerichtsurteil und welche Lehren sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber daraus ziehen können.
Der Fall: Naschen mit Folgen
Der Kläger war seit 22 Jahren als Verkäufer im Einzelhandel beschäftigt. Nach dem Weihnachtsgeschäft 2006 fand er im Lager einen Schoko-Weihnachtsmann, der nicht verkauft worden war und mit anderem Aussonderungs-Warensortiment in einem Karton abgestellt war. Der Mitarbeiter aß Teile dieser Schokoladenfigur – ob es der komplette Weihnachtsmann oder nur einige Bruchstücke waren, blieb zwischen den Parteien umstritten. Der Arbeitgeber bewertete den Verzehr als verbotene Selbstbedienung an Firmeneigentum und sah darin einen Diebstahl, der eine Trennung vom Mitarbeiter unausweichlich mache.
Ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats wurde der Verkäufer zunächst aufgefordert, selbst zu kündigen. Als er dies ablehnte, sprach der Arbeitgeber eine ordentliche Kündigung aus – angeblich aus betrieblichen Gründen – und präsentierte dem Mitarbeiter zugleich eine Erklärung, mit der dieser auf eine Kündigungsschutzklage verzichten sollte. Unter dem Druck einer angedrohten fristlosen Kündigung unterschrieb der Arbeitnehmer den Klageverzicht sowie eine Ausgleichsquittung, in der alle Ansprüche als erledigt bezeichnet wurden. Anschließend wurde er des Betriebes verwiesen. Doch der Verkäufer bekam kurz darauf Zweifel und entschloss sich, die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen.
Klageverzicht unter Drohung – rechtlich wirksam?
Trotz der unterschriebenen Verzichtserklärung erhob der Mitarbeiter innerhalb der Drei-Wochen-Frist Kündigungsschutzklage. Er focht den Klageverzicht wegen widerrechtlicher Drohung an, mit der Begründung, er habe nur unter dem Eindruck der angedrohten fristlosen Kündigung unterschrieben. Das Arbeitsgericht Berlin stellte hierzu klar: Eine Drohung mit einer fristlosen Kündigung ist nur dann nicht widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber in der Situation eine fristlose Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Andernfalls ist die Drohung unverhältnismäßig und die erzwungene Erklärung unwirksam. Im vorliegenden Fall hielt das Gericht die drastische Drohung für ungerechtfertigt – der Vorfall rechtfertigte offensichtlich keine fristlose Kündigung. Folglich war der erpresste Klageverzicht nichtig und für den Mitarbeiter nicht bindend. Arbeitnehmer dürfen sich also wehren, wenn sie eine Verzichtserklärung oder einen Aufhebungsvertrag unter massivem Druck unterzeichnet haben. Entscheidend ist, ob die angedrohte Maßnahme (hier: fristlose Kündigung) rechtlich haltbar gewesen wäre – im Zweifel sollte man umgehend rechtlichen Rat suchen.
Gerichtsurteil: Unwirksame Kündigung wegen Unverhältnismäßigkeit
Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters statt. Die Kündigung wurde als unwirksam erklärt, und der Arbeitgeber musste den Verkäufer bis zum Abschluss des Verfahrens weiterbeschäftigen. Warum? – Entscheidend war der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Kündigungsrecht. Eine Kündigung ist stets letztes Mittel und nur gerechtfertigt, wenn keine milderen Mittel mehr in Betracht kommen. Im vorliegenden Fall handelte es sich um eine geringwertige Sache – laut Gericht um „trostlose Überbleibsel“ aus dem Vorjahr, die der Arbeitgeber selbst als unverkäuflich eingestuft und aus dem Verkehr gezogen hatte. Ein solcher ausrangierter Schoko-Weihnachtsmann ist keineswegs mit frischen Verkaufswaren wie dem berühmten Stück Bienenstich gleichzusetzen.
Das Gericht unterschied den Fall damit klar von der sogenannten Bienenstich-Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus 1984. In jenem Klassiker hatte das BAG die fristlose Kündigung einer Bäckerei-Verkäuferin wegen eines nicht bezahlten Stücks Kuchen als berechtigt angesehen – trotz des geringen Werts, aber weil es sich um zum Verkauf bestimmte Ware handelte und die Arbeitnehmerin die bestehenden Regeln kannte. Im Schoko-Weihnachtsmann-Fall hingegen fehlte es dem Verkäufer nach Auffassung des Gerichts an einem Unrechtsbewusstsein; er ging offenbar davon aus, dass das Naschen der entsorgten Süßware toleriert sei. Zudem war er unbescholten und über zwei Jahrzehnte beanstandungsfrei beschäftigt, was zu seinen Gunsten in die Abwägung einfloss.
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände hätte es einer derart harten Maßnahme wie der Kündigung nicht bedurft. Das mildere Mittel einer deutlichen Ermahnung oder Abmahnung wäre vollkommen ausreichend gewesen, um zukünftiges Fehlverhalten zu verhindern. Die Kündigung verstieß daher gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und hielt einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Der Arbeitgeber hatte die Pflicht zur sorgfältigen Interessenabwägung verkannt und sich „rechtsirrig auf der sicheren Seite“ gewähnt – ein Irrtum mit Konsequenzen: Die Kündigung war unwirksam, der Klage wurde vollumfänglich stattgegeben.
Tipps für Arbeitnehmer
- Nicht vorschnell unterschreiben: Lassen Sie sich nicht zu übereilten Unterschriften drängen, wenn der Arbeitgeber Ihnen ein Dokument vorlegt (z.B. Klageverzicht oder Aufhebungsvertrag) – vor allem nicht unter Androhung sofortiger Kündigung. Unterschreibt man nur aus Angst vor einer fristlosen Kündigung, ist die Vereinbarung unter Umständen anfechtbar und unwirksam. Holen Sie im Zweifel Rechtsrat ein, bevor Sie etwas unterschreiben.
- Kleine Vergehen, große Wirkung: Seien Sie sich bewusst, dass selbst geringwertige Dinge (wie übrig gebliebene Süßigkeiten) im Grundsatz nicht einfach eingesteckt oder verzehrt werden dürfen. Zwar hat das Gericht hier zugunsten des Arbeitnehmers entschieden, doch stützt es sich auf die besonderen Umstände: Die Ware war wertlos und ausrangiert, und der Mitarbeiter handelte ohne Bewusstsein eines Regelverstoßes. Nicht jeder Fall wird so glimpflich ausgehen – im Zweifel sollte man lieber vorher fragen, ob man etwas behalten oder konsumieren darf, um keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu riskieren.
- Kündigungsschutz nutzen: Wenn Ihnen gekündigt wurde – ob wegen eines vermeintlichen Diebstahls oder aus anderen Gründen – zögern Sie nicht, innerhalb von 3 Wochen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einzureichen. Diese Frist gilt selbst dann, wenn Sie zunächst einen Klageverzicht unterschrieben haben. In diesem Fall können Sie den Verzicht gesondert wegen Drohung oder Täuschung anfechten und dennoch die Kündigung gerichtlich überprüfen lassen. Das Berliner Urteil zeigt, dass Gerichte überzogene Kündigungen durchaus korrigieren und erzwungene Verzichtserklärungen kassieren.
Tipps für Arbeitgeber
- Verhältnismäßigkeit wahren: Bevor Sie kündigen, prüfen Sie stets, ob nicht ein milderes Mittel ausreicht (Ermahnung, Abmahnung, Versetzung etc.). Eine Kündigung sollte niemals die „erste Hilfe“ bei kleineren Verstößen sein, sondern immer letztes Mittel nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Gerade bei Bagatellfällen (geringwertigen Gegenständen) und langjährigen, loyalen Mitarbeitern ist besondere Zurückhaltung geboten. Arbeitsgerichte erwarten, dass Arbeitgeber solche Fälle sorgfältig abwägen – eine vorschnelle Kündigung wird schnell als unverhältnismäßig eingestuft.
- Einzelfallumstände berücksichtigen: Jeder Vorfall ist anders. Fragen Sie sich, wie schwer das Fehlverhalten tatsächlich wiegt. War die Ware – wie im Schoko-Weihnachtsmann-Fall – für den Betrieb eigentlich wertlos oder zum Wegwerfen bestimm? War dem Mitarbeiter klar, dass er eine Pflichtverletzung begeht, oder konnte ein Missverständnis vorliegen? Gibt es eine bisher tadellose Betriebszugehörigkeit über viele Jahre? Solche Faktoren müssen in die Interessenabwägung einfließen, bevor man zum äußersten Mittel greift.
- Richtig reagieren bei Verdacht auf Diebstahl: Natürlich dürfen und müssen Arbeitgeber Eigentumsdelikte ernst nehmen – das Vertrauen ist hier essenziell. Die Rechtsprechung lässt Kündigungen auch bei kleineren Diebstählen grundsätzlich zu. Doch Vorsicht: Nicht jeder vermeintliche Diebstahl ist schwarz-weiß. Stellen Sie klare Verhaltensregeln auf (z.B. zum Umgang mit ausgemusterter Ware oder Rabatten für Personal) und klären Sie Vorwürfe genau auf. Im Zweifel kann eine Abmahnung beim ersten Verstoß ausreichend sein, um dem Mitarbeiter das Fehlverhalten vor Augen zu führen, statt direkt eine Kündigung auszusprechen.
- Kein unfairer Druck bei Aufhebungsverträgen: Wenn Sie eine einvernehmliche Lösung anstreben (z.B. Aufhebungsvertrag mit Kündigungsverzicht), verhandeln Sie fair. Drohungen mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen (wie fristloser Kündigung, die vor Gericht kaum Bestand hätte) sind ein Spiel mit dem Feuer – solche Vereinbarungen sind angreifbar und werden später womöglich für unwirksam erklärt. Besser ist es, dem Mitarbeiter ein faires Angebot zu machen (etwa eine Abfindung oder ein wohlwollendes Zeugnis), sodass eine einvernehmliche Trennung auf freiwilliger Basis erfolgen kann. Und falls Sie doch kündigen müssen: Beteiligten Sie den Betriebsrat ordnungsgemäß nach § 102 BetrVG. Formfehler können eine Kündigung – selbst mit Grund – ebenfalls zu Fall bringen.
Der Fall des Schoko-Weihnachtsmanns verdeutlicht, dass im Arbeitsrecht Augenmaß und Fairness auf beiden Seiten gefragt sind. Arbeitnehmer sollten nicht jedes Arbeitgeberverlangen blind unterschreiben, insbesondere nicht unter unzulässigem Druck. Arbeitgeber wiederum sind gut beraten, vor Ausspruch einer Kündigung die Gesamtsituation zu bedenken und keine vorschnellen Maßnahmen zu ergreifen. Eine gut durchdachte, verhältnismäßige Reaktion – statt der sprichwörtlichen Kanone auf Spatzen – schützt nicht nur vor gerichtlicher Niederlage, sondern trägt auch zu einem gerechteren und vertrauensvolleren Arbeitsklima bei.