Missverständliche Fassung der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie geht zulasten der Krankenkassen

Das Sozialgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 07.10.2020 zum Aktenzeichen S 18 KR 1246/18 entschieden, dass eine Lücke in den ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsfeststellungen für die Weitergewährung von Krankengeld unschädlich ist, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, indem er einen Arzt persönlich aufgesucht und die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit verlangt hat.

Aus der Pressemitteilung des SG Stuttgart vom 02.08.2021 ergibt sich:

Die durch die missverständliche Fassung der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie bei Ärzten hervorgerufene Fehlvorstellung, eine rückwirkende Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit sei zulässig, ist den Krankenkassen und nicht dem Versicherten zuzurechnen.

Die Klägerin begehrte die weitere Gewährung von Krankengeld über den 19.06.2017 hinaus. Die bei der Beklagten versicherte Klägerin war arbeitsunfähig erkrankt und bezog Krankengeld von der Beklagten. Die letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) war bis zum 19.06.2017 befristet. Am 19.06.2017 suchte die Klägerin die Praxis ihrer Hausärztin auf. Aus praxisinternen Gründen wurde der Klägerin ein neuer Termin erst am 22.06.2017 vergeben. Am 22.06.2017 wurde eine (rückwirkende) AUB ausgestellt. Mit Bescheid vom 11.08.2017 unterrichtete die Beklagte die Klägerin über die Beendigung der Krankengeldzahlung ab dem 20.06.2017. Die Klägerin habe sich zwar am 19.06.2017 in der Praxis vorgestellt, eine Untersuchung sei aber nicht erfolgt. Auch die eventuell falsche Rechtsauskunft des Arztes mit Verweis auf einen späteren für den Krankengeldanspruch angeblich ausreichenden Untersuchungstermin sei nicht der Krankenkasse zuzurechnen.

Das Gericht hat der Klage stattgegeben. Die Klägerin habe durch das rechtzeitige persönliche Aufsuchen der Arztpraxis alles ihr Zumutbare getan, um ihre Ansprüche zu wahren, und sei an der Wahrung der Krankengeld-Ansprüche durch eine Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert worden. Diese Fehlentscheidung sei aufgrund der missverständlichen Fassung der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie, welche eine rückwirkende AUB erlaube (§ 5 Abs. 3 AU-RL), den Krankenkassen als maßgebliche Mitakteure im Gemeinsamen Bundesausschuss zuzurechnen. Der Klägerin sei es auch nicht zumutbar gewesen, auf eine Ausstellung der AUB noch am 19.06.2017 zu bestehen oder an diesem Tag einen anderen Arzt aufzusuchen (kein sog. Arzthopping).

Das Urteil ist rechtskräftig.