Im vorliegenden Fall hatte eine Arbeitgeberin – ein Verpackungsunternehmen mit rund 230 Beschäftigten – im Zuge des neuen Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) eine interne Meldestelle für Hinweisgeber eingerichtet. Anstatt die Meldestelle intern zu betreiben, beauftragte sie eine externe Rechtsanwalts- und Steuerberatungskanzlei mit dieser Aufgabe. Die Beschäftigten wurden per Aushang darüber informiert, dass sie etwaige Missstände (z.B. Straftaten) vertraulich und sicher per E-Mail an diese externe Kanzlei melden könnten. Problematisch war jedoch, dass der Betriebsrat bei der Ausgestaltung und Einführung dieser internen Meldestelle nicht beteiligt wurde.
Der Betriebsrat sah hierin eine Verletzung seines Mitbestimmungsrechts und forderte eine Beteiligung. Nachdem zunächst eine Einigungsstelle zwar eingesetzt, aber nicht tätig wurde, ging der Betriebsrat vor Gericht. Er beantragte beim Arbeitsgericht Elmshorn, der Arbeitgeberin den weiteren Betrieb der Meldestelle ohne seine Zustimmung untersagen zu lassen. Das Arbeitsgericht gab dem Antrag im Wege der einstweiligen Verfügung statt. Die Arbeitgeberin musste den Betrieb der Meldestelle vorläufig einstellen. Gegen diese Entscheidung legte die Arbeitgeberin Beschwerde ein – ohne Erfolg: Das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein bestätigte mit Beschluss vom 08.07.2025 (Az. 2 TaBV 16/24) die erstinstanzliche Entscheidung zugunsten des Betriebsrats.
Entscheidung des Gerichts und Begründung
Das LAG Schleswig-Holstein stellte klar, dass die Auslagerung einer internen Meldestelle nach dem HinSchG an eine externe Kanzlei mitbestimmungspflichtig ist. Konkret liege hierin ein Verstoß der Arbeitgeberin gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, da die Einführung und Ausgestaltung der Hinweisgeber-Meldestelle Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer betreffe. Dieses Mitbestimmungsrecht gilt unabhängig davon, ob die Meldestelle im eigenen Betrieb oder bei einem externen Dritten eingerichtet wird. Andernfalls könnte der Arbeitgeber durch Outsourcing faktisch die Mitbestimmung umgehen – ein Ergebnis, das mit dem Schutzzweck des BetrVG nicht vereinbar wäre.
Das Gericht hat dabei zwischen dem „Ob“ und dem „Wie“ der Meldestelle unterschieden. Zwar ist das Ob, d.h. die grundsätzliche Einrichtung einer internen Meldestelle, gesetzlich vorgeschrieben (§ 12 HinSchG) und somit mitbestimmungsfrei. Arbeitgeber ab einer gewissen Betriebsgröße sind durch das HinSchG verpflichtet, eine solche Meldestelle einzurichten. Allerdings ist das Wie – also die konkrete Ausgestaltung der Meldestelle – gesetzlich nicht im Detail vorgegeben und folglich mitbestimmungspflichtig. Zum Wie zählen laut LAG insbesondere die Wahl der Meldewege (z.B. Telefon-Hotline, E-Mail, Online-Portal), Fragen der Anonymität der Meldungen, die Reaktionszeiten auf eingehende Hinweise sowie die vertragliche Ausgestaltung bei einer Auslagerung an Dritte. Über all diese Aspekte darf der Arbeitgeber also nicht einseitig entscheiden, sondern muss sie mit dem Betriebsrat vereinbaren.
Das LAG ließ auch den Einwand der Arbeitgeberin nicht gelten, bei der Meldestelle handele es sich lediglich um ein “unverbindliches Angebot” an die Belegschaft, das keiner Mitbestimmung bedürfe. Entscheidend ist nämlich, dass die Einführung der Meldestelle geeignet ist, das Verhalten der Arbeitnehmer zu beeinflussen und die betriebliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können selbst freiwillige Angebote oder Programme des Arbeitgebers mitbestimmungspflichtig sein, wenn sie darauf abzielen oder geeignet sind, das betriebliche Ordnungsverhalten zu steuern. Durch die Einrichtung eines Hinweisgebersystems – ob freiwillig oder verpflichtend – werden typischerweise Verhaltensleitlinien für die Beschäftigten geschaffen (z.B. Aufforderung, Missstände über einen bestimmten Kanal zu melden). Dies reicht aus, um das Mitbestimmungsrecht auszulösen.
Besonders hervorgehoben hat das LAG, dass eine Outsourcing-Strategie nicht dazu führen darf, die Mitbestimmung zu umgehen. Die Entscheidung, eine interne Meldestelle auf eine externe Anwaltskanzlei zu übertragen, entbindet den Arbeitgeber nicht von der Beteiligung des Betriebsrats. Andernfalls hätte es der Arbeitgeber in der Hand, durch Vergabe an Externe die Mitbestimmung auszuhebeln – eine aus Sicht des Gerichts unerwünschte Schutzlücke. Folglich müsse der Arbeitgeber in solchen Fällen durch geeignete vertragliche Regelungen mit dem beauftragten Dienstleister sicherstellen, dass die Beteiligungsrechte des Betriebsrats gewahrt bleiben. Praktisch bedeutet das: Auch wenn ein externer Anbieter die Meldestelle betreibt, müssen die Modalitäten des Hinweisgebersystems in einer Betriebsvereinbarung festgehalten und der externe Dienstleister vertraglich an diese Vorgaben gebunden werden.
Einordnung in die Rechtsprechung und Bedeutung für die Praxis
Der Beschluss des LAG Schleswig-Holstein vom 08.07.2025 ist ein wichtiger Praxis-Hinweis für alle Unternehmen und Betriebsräte, die mit der Umsetzung des Hinweisgeberschutzgesetzes befasst sind. Er stellt klar, dass Betriebsratsrechte auch im Zeitalter neuer Compliance-Vorgaben uneingeschränkt gelten und nicht durch Outsourcing umgangen werden können. In der Praxis hatten einige Unternehmen gehofft, durch die Beauftragung externer Kanzleien oder Dienstleister die interne Hinweisgeberstelle unkompliziert einführen zu können – teils in der Annahme, damit auch die Beteiligung des Betriebsrats erübrige sich. Das LAG macht jedoch deutlich, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Mitbestimmungslücken dürfen nicht entstehen: Der Betriebsrat bleibt auch bei extern betriebenen Meldestellen eingebunden und muss bei der Ausgestaltung mit am Tisch sitzen.
Die Entscheidung fügt sich in die bisherige arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zur Mitbestimmung bei Compliance-Systemen ein. Bereits das Bundesarbeitsgericht hat 2009 zur Beschwerdestelle nach § 13 AGG entschieden, dass der Betriebsrat bei der Einführung und Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens mitzubestimmen hat. Zwar unterliegen organisatorische Fragen wie die Ansiedlung der Beschwerdestelle (wo und bei wem sie eingerichtet wird) nicht der Mitbestimmung, doch sobald der Arbeitgeber ein bestimmtes Verfahren oder Regeln für Beschwerden vorschreiben will, greift § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Das LAG Schleswig-Holstein überträgt diesen Grundsatz auf das Hinweisgebersystem: Die Pflicht zur Einrichtung der Meldestelle besteht gesetzlich, aber jede darüberhinausgehende Verhaltensregelung für die Arbeitnehmer (z.B. wie zu melden ist) erfordert eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat. Schon 2019 hatte das LAG Schleswig-Holstein übrigens entschieden, dass der Betriebsrat mitbestimmen muss, wie und an wen in welcher Form Arbeitnehmer interne Meldungen – damals ging es um Datenschutzvorfälle nach DSGVO – zu erstatten haben. Diese Linie wird nun konsequent für das Hinweisgeberschutzgesetz fortgeführt.
Für die betriebliche Praxis bedeutet dies: Arbeitgeber sollten von vornherein die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat suchen, wenn sie ein Hinweisgebersystem einführen. Zum einen ist der Arbeitgeber rechtlich verpflichtet, den Betriebsrat frühzeitig und umfassend zu unterrichten (§ 80 Abs. 2 BetrVG). Zum anderen lässt sich nur durch eine einvernehmliche Ausgestaltung per Betriebsvereinbarung sicherstellen, dass das Meldesystem sowohl den gesetzlichen Anforderungen des HinSchG entspricht als auch von der Belegschaft akzeptiert wird. Kommt es dagegen zum Streit und der Betriebsrat setzt – wie im entschiedenen Fall – per Gericht einen Stopp der Meldestelle durch, gerät der Arbeitgeber in eine heikle Lage: Er hat dann einerseits keine funktionsfähige interne Meldestelle, verstößt also potenziell gegen das HinSchG, und muss andererseits doch noch nachträglich eine Einigung mit dem Betriebsrat finden. Dieses Risiko sollten Arbeitgeber durch kooperative Lösungen vermeiden.
Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber
- Betriebsrat frühzeitig einbinden: Arbeitgeber sollten den Betriebsrat bereits in der Planungsphase eines Hinweisgebersystems informieren und einbeziehen. Nach § 80 Abs. 2 BetrVG besteht die Pflicht, den Betriebsrat über alle relevanten Vorhaben rechtzeitig zu unterrichten. Offene Kommunikation schafft Vertrauen und erleichtert die anschließende Einigung.
- Betriebsvereinbarung abschließen: Die Ausgestaltung der internen Meldestelle sollte in einer Betriebsvereinbarung festgehalten werden. Darin können u.a. der Meldeweg (z.B. E-Mail-Adresse, telefonische Hotline, Web-Portal), die Möglichkeit anonymer Meldungen, die Bearbeitungsfristen für eingehende Hinweise sowie Regelungen zum Datenschutz und zum Umgang mit den Meldungen vereinbart werden. Eine solche Vereinbarung stellt sicher, dass alle Beteiligten klare Richtlinien haben und rechtliche Unsicherheiten vermieden werden.
- Externe Dienstleister vertraglich verpflichten: Wenn die Hinweisgeberstelle – wie im besprochenen Fall – an eine externe Kanzlei oder einen Anbieter ausgelagert wird, ist es essenziell, vertragliche Vorkehrungen zu treffen. Der Dienstleister muss sich vertraglich zur Einhaltung der in der Betriebsvereinbarung festgelegten Regeln verpflichten lassen. So wird gewährleistet, dass z.B. Berichtspflichten, Vertraulichkeitsstandards, Rückmeldefristen und sonstige mitbestimmte Modalitäten auch vom externen Betreiber eingehalten werden.
- Keine Umgehung der Mitbestimmung versuchen: Es empfiehlt sich nicht, den Weg über eine „inoffizielle“ Einführung eines Meldesystems ohne Beteiligung des Betriebsrats zu gehen. Spätestens seit der LAG-Entscheidung ist klar, dass Betriebsräte hier einen Rechtsanspruch auf Beteiligung haben und diesen notfalls gerichtlich durchsetzen können. Ein eigenmächtiges Vorgehen des Arbeitgebers riskiert gerichtliche Schritte (inkl. einstweilige Verfügungen) und verzögert die Umsetzung des Hinweisgebersystems erheblich – ganz zu schweigen von möglichen Schäden für das Vertrauensverhältnis zur Belegschaft.
Handlungsempfehlungen für Betriebsräte
- Informationsrechte nutzen: Betriebsräte sollten aktiv darauf achten, über geplante Compliance-Maßnahmen informiert zu werden. Sie haben einen Anspruch darauf, vom Arbeitgeber frühzeitig über die Einführung eines Hinweisgebersystems unterrichtet zu werden. Im Zweifel sollte der Betriebsrat von sich aus das Gespräch suchen, sobald Anzeichen für die Einrichtung einer Meldestelle erkennbar sind.
- Mitbestimmungsrecht einfordern: Ist ein Hinweisgebersystem geplant, sollte der Betriebsrat ausdrücklich auf sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG Er kann vom Arbeitgeber verlangen, die Ausgestaltung der Meldestelle gemeinsam zu verhandeln. Betriebsräte haben die Möglichkeit, eigene Vorschläge einzubringen – etwa hinsichtlich der Zulässigkeit anonymer Meldungen, der Zuständigkeiten bei der Bearbeitung eingehender Hinweise oder der Kommunikation an die Belegschaft. So kann der Betriebsrat sicherstellen, dass das System fair und transparent gestaltet wird.
- Einigungsstelle anrufen, falls nötig: Führt die direkte Verhandlung zu keiner Einigung, sollte der Betriebsrat die Einrichtung einer Einigungsstelle In der Einigungsstelle kann unter neutraler Leitung ein Kompromiss erarbeitet und – falls nötig – eine verbindliche Regelung zum Hinweisgebersystem beschlossen werden. Dieses Vorgehen ist dem Gang vor Gericht meistens vorzuziehen, da es eine konstruktive Lösung ermöglicht.
- Rechte notfalls gerichtlich durchsetzen: Versucht der Arbeitgeber, ein Hinweisgebersystem ohne Zustimmung des Betriebsrats einzuführen, kann der Betriebsrat gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Wie der Fall des LAG Schleswig-Holstein zeigt, können Gerichte per einstweiliger Verfügung den Betrieb eines nicht mitbestimmten Meldesystems untersagen. Betriebsräte sollten diese Möglichkeit jedoch als letztes Mittel Zielführender ist es meist, den Dialog zu suchen und auf die Vorteile einer einvernehmlichen Regelung hinzuweisen – etwa dass ein gemeinsam getragenes Hinweisgebersystem von der Belegschaft eher angenommen wird und effektivere Ergebnisse liefern kann.
Der Beschluss des LAG Schleswig-Holstein verdeutlicht, dass beim Thema Hinweisgeberschutz Betriebsräte und Arbeitgeber an einem Strang ziehen sollten. Für Arbeitgeber heißt das, die Mitbestimmung von Anfang an einzuplanen, anstatt sie als lästige Hürde zu sehen. Für Betriebsräte bestätigt sich, dass sie eine aktive Rolle bei Compliance-Themen spielen und die Interessen der Beschäftigten einbringen können. Ein gut austariertes Hinweisgebersystem – idealerweise in Form einer gemeinsam erarbeiteten Betriebsvereinbarung – bietet beiden Seiten Vorteile: Es erfüllt die gesetzlichen Vorgaben, schützt Hinweisgeber und Unternehmen vor Schaden und wahrt zugleich die Rechte der Arbeitnehmer. Diese Win-Win-Situation lässt sich nur erreichen, wenn Betriebsrat und Arbeitgeber konstruktiv zusammenarbeiten.