Muss ein Arbeitnehmer Mitglied der Kirche bleiben, um bei einem kirchlichen Arbeitgeber arbeiten zu dürfen?

26. August 2025 -

Kirchliche Arbeitgeber und Loyalitätsanforderungen

Kirchliche Arbeitgeber – insbesondere die großen christlichen Kirchen in Deutschland (katholisch und evangelisch) – haben traditionell eigene Regeln für ihre Beschäftigten. Diese sogenannten Loyalitätsobliegenheiten verlangen von Mitarbeitern ein Verhalten im Einklang mit den Glaubensgrundsätzen der Kirche. Dazu zählten in der Vergangenheit oft auch Anforderungen an die Religionszugehörigkeit: Arbeitnehmer sollten einer bestimmten Konfession angehören und die Kirche nicht öffentlich kritisieren. Insbesondere in der katholischen Kirche galt der Austritt aus der Kirche als schwerwiegender Verstoß gegen die Loyalitätspflichten und damit als Kündigungsgrund. Einfach gesagt: Wer als Katholik in einer katholischen Einrichtung arbeitet, durfte nach kirchlichem Arbeitsrecht nicht aus der Kirche austreten, ohne den Verlust des Arbeitsplatzes zu riskieren.

Auch die evangelische Kirche verlangte für viele Stellen die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche (z.B. Mitgliedschaft in der EKD oder einer Kirche der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen). Das heißt, bei Einstellungen wurden oft nur Bewerber berücksichtigt, die einer christlichen Kirche angehörten. Insgesamt genossen die Kirchen lange Zeit eine Sonderstellung als Arbeitgeber, basierend auf dem staatlich anerkannten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Diese Sonderrolle wurde von der Rechtsprechung früher sehr weit ausgelegt – die Arbeitsgerichte haben kirchliche Anforderungen an Mitarbeiter meist akzeptiert, solange sie aus dem Selbstverständnis der Kirche heraus plausibel erschienen.

Gesetzlicher Rahmen: AGG und kirchliches Selbstbestimmungsrecht

Grundsätzlich schützt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Arbeitnehmer vor Diskriminierung, unter anderem wegen der Religion. Niemand darf wegen seiner Religionszugehörigkeit benachteiligt oder bevorzugt werden. Allerdings enthält § 9 AGG eine Ausnahme für Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen. Danach ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion zulässig, wenn die Religion nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt und der Arbeitgeber eine Religionsgemeinschaft ist. Diese nationale Regelung setzt Vorgaben des EU-Rechts um – insbesondere Art. 4 Abs. 2 der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG, die es Kirchen erlaubt, unter bestimmten Bedingungen die Religionszugehörigkeit als berufliche Anforderung festzulegen.

Wichtig ist: Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (verankert im Grundgesetz über Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV) gestattet Kirchen, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, aber dieses Recht findet seine Grenzen an den geltenden Gesetzen und inzwischen auch am EU-Antidiskriminierungsrecht. Nach heutigem Verständnis darf eine Kirche als Arbeitgeber also nur dann eine bestimmte Konfession verlangen oder Maßnahmen bei einem Kirchenaustritt ergreifen, wenn dies für die Tätigkeit objektiv erforderlich und gerechtfertigt ist. Pauschale Anforderungen ohne konkreten Bezug zur Aufgabe des Mitarbeiters sind nicht mehr zulässig.

Neuere Urteile von EuGH und BAG zur Religionszugehörigkeit

In den letzten Jahren haben der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Spielregeln für kirchliche Arbeitgeber deutlich verschärft. Ein Schlüsselfall war die Sache Egenberger im Jahr 2018. Hier hatte sich eine konfessionslose Bewerberin bei einer evangelischen Diakonie-Einrichtung beworben und wurde abgelehnt, weil sie nicht evangelisch (bzw. kein Mitglied einer christlichen Kirche) war. Der EuGH stellte klar, dass kirchliche Arbeitgeber nicht frei nach Belieben eine bestimmte Konfession als Einstellungsvoraussetzung verlangen dürfen – die Anforderung muss im Lichte der Tätigkeit wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt sein. Das BAG setzte diese Vorgaben anschließend um: Eine Kirche kann eine Religionszugehörigkeit nur dann zur Bedingung machen, wenn dies für die konkrete Stelle unerlässlich ist. Andernfalls liegt eine unzulässige Diskriminierung vor und abgelehnte Bewerber haben Anspruch auf Entschädigung nach dem AGG.

Ein weiteres Beispiel betraf einen Chefarzt in einem katholischen Krankenhaus (Fall „JQ“). Dieser wurde entlassen, weil er nach einer Scheidung erneut geheiratet hatte – aus Sicht der katholischen Kirche ein Verstoß gegen deren Eheverständnis. Auch hier schaltete sich der EuGH ein (Urteil vom 11.09.2018) und betonte, dass nationale Gerichte prüfen müssen, ob die Loyalitätsanforderung (hier: keine Wiederheirat nach Scheidung) wirklich eine entscheidende berufliche Anforderung für die Stelle des Arztes darstellt. Mit anderen Worten: Nicht jede kirchliche Moralvorstellung darf automatisch zum Kündigungsgrund werden – es kommt darauf an, wie zentral die betreffende Anforderung für die Tätigkeit ist und ob der Arbeitgeber sie konsequent für alle vergleichbaren Positionen anwendet. Das BAG musste seine Rechtsprechung infolgedessen anpassen. Die Tendenz ist eindeutig: Kirchliche Arbeitgeber dürfen nicht mehr „nach Gutdünken“ die private Religions- und Lebensführung ihrer Mitarbeiter zum Kriterium machen, sondern brauchen hierfür einen sachlichen Grund, der im Arbeitsalltag relevant ist.

Aktueller Fall: Kündigung wegen Kirchenaustritts

Besonders brisant ist die Frage, ob ein bereits eingestellter Arbeitnehmer gekündigt werden kann, weil er aus der Kirche austritt. Muss man also Kirchenmitglied bleiben, um den Job zu behalten? Aktuell beschäftigt genau diese Frage die Gerichte. Ein konkreter Fall: Eine Sozialpädagogin arbeitete viele Jahre für einen katholischen Träger (einen Verband der katholischen Kirche in der Schwangerenberatung). Die Besonderheit: In ihrem Team arbeiteten auch Kolleginnen, die nicht katholisch waren (etwa evangelische Christinnen). Die Frau selbst war katholisch – bis sie 2013 während ihrer Elternzeit aus der katholischen Kirche austrat. Als sie nach der Elternzeit zurückkehren wollte, reagierte der Arbeitgeber drastisch: Er forderte sie zunächst vergeblich zum Wiedereintritt in die Kirche auf und kündigte dann das Arbeitsverhältnis – fristlos sowie hilfsweise ordentlich.

Die Mitarbeiterin klagte gegen die Kündigung – mit Erfolg durch alle Instanzen bisher. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hielten die Kündigung für unwirksam. Ihr Austritt aus der Kirche allein rechtfertige keine Entlassung, zumal die Arbeitgeberseite offenkundig die gleiche Tätigkeit auch von Nicht-Katholiken ausführen ließ. Der Arbeitgeber argumentierte hingegen mit dem kirchlichen Loyalitätsrecht: Für einen katholischen Mitarbeiter sei der Kirchenaustritt ein schwerer Vertrauensbruch und gemäß kirchlichem Arbeitsrecht ein Kündigungsgrund.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat den Fall zum Anlass genommen, den EuGH erneut um eine Vorabentscheidung zu bitten. Konkret will das BAG von den europäischen Richtern wissen, ob diese Ungleichbehandlung zulässig sein kann: Darf ein kirchlicher Arbeitgeber einem ehemals katholischen Arbeitnehmer kündigen, obwohl er von konfessionsfremden oder konfessionslosen Mitarbeitern in gleicher Position gar keine Kirchenmitgliedschaft verlangt? Mit anderen Worten – ist es erlaubt, jemanden schlechter zu behandeln, nur weil er früher zur Kirche gehörte und dann ausgetreten ist, verglichen mit Kollegen, die nie Kirchenmitglied waren?

Eine Entscheidung des EuGH dazu steht (Stand August 2025) noch aus. Allerdings liegen bereits Schlussanträge der Generalanwältin (vom 10.07.2025) vor, und diese deuten die Richtung an: Nach Ansicht der Generalanwältin verstößt die Kündigung wegen Kirchenaustritts in einem Fall wie diesem gegen das EU-Diskriminierungsverbot. Die Ausnahmevorschrift des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG greife hier nicht, weil die kontinuierliche Kirchenmitgliedschaft keine wesentliche und gerechtfertigte berufliche Anforderung für die Beratungs-Tätigkeit sei. Immerhin ließ der Arbeitgeber die gleiche Arbeit ja von Mitarbeitenden erledigen, die gar nicht katholisch sind – da kann man schwer argumentieren, ausgerechnet diese Mitarbeiterin müsse zwingend katholisch bleiben. Zudem betont die Generalanwältin, der bloße Akt des Kirchenaustritts belege nicht automatisch, dass die Arbeitnehmerin fortan die Grundsätze und Werte der Kirche missachten oder ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzen werde. Kurz gesagt: Das Verlassen der Kirche ist für sich genommen noch kein nachvollziehbarer Kündigungsgrund, solange der Arbeitnehmer seine Aufgaben weiterhin loyal erfüllen kann.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass der EuGH diesem Votum folgen wird. Schon jetzt lässt sich aus der bisherigen Rechtsprechung ableiten, dass eine Kündigung allein wegen Kirchenaustritts nur schwer zu rechtfertigen ist. Anders wäre es möglicherweise nur dann, wenn die Stelle selbst eine enge Verbindung zur Verkündigung des Glaubens voraussetzt – etwa ein Pfarrer, ein Religionslehrer an einer konfessionellen Schule oder eine Führungskraft, die das religiöse Profil der Einrichtung prägt. In solchen Fällen kann die Kirche argumentieren, dass die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft wesentlich für die Aufgabe ist. Im Regelfall jedoch – bei allgemeinen sozialen, pflegerischen oder verwaltenden Tätigkeiten – reicht der Kirchenaustritt als Kündigungsgrund nicht aus, ohne gegen das gesetzliche Verbot der Religionsdiskriminierung zu verstoßen.

Konsequenzen und Tipps für Arbeitnehmer

Für Arbeitnehmer, die bei einem kirchlichen Arbeitgeber beschäftigt sind, bedeutet diese Entwicklung: Man muss nicht zwingend Kirchenmitglied (bleiben), um dort arbeiten zu dürfen. Jedenfalls dann nicht, wenn die eigene Tätigkeit nicht unmittelbar an die Vermittlung des Glaubens gebunden ist. Beide großen Kirchen stellen inzwischen auch Menschen ein, die einer anderen oder gar keiner Konfession angehören – und zwar in vielen Bereichen wie Krankenhäusern, Kindergärten, Schulen oder Beratungsstellen. Ein katholisches Krankenhaus etwa beschäftigt längst auch evangelische oder konfessionslose Pflegekräfte und Ärzte. Entscheidend ist die Bereitschaft, die dienstlichen Aufgaben loyal im Sinne des kirchlichen Auftrags auszuführen – nicht zwingend der formale Mitgliedschaftsstatus.

Wenn Sie also aus der Kirche austreten oder bereits konfessionslos sind, muss das nicht automatisch das Ende Ihres Arbeitsverhältnisses bedeuten. Ihr Arbeitgeber darf Sie nur dann wegen fehlender Kirchenmitgliedschaft benachteiligen oder kündigen, wenn er darlegen kann, dass gerade für Ihre konkrete Stelle die Zugehörigkeit zur Kirche unerlässlich ist. Nach aktueller Rechtslage und Rechtsprechung gelingt dieser Nachweis in rein fachlichen oder sozialen Tätigkeiten kaum. Die Gerichte achten streng darauf, ob die Anforderung sachlich begründet ist oder ob hier unzulässig wegen der Religion diskriminiert würde.

Dennoch ist Vorsicht geboten: Innerhalb der katholischen Kirche sieht die interne Regelung (Grundordnung des kirchlichen Dienstes, neu gefasst 2022) den Kirchenaustritt weiterhin als Regelfall für eine Kündigung an. Das heißt, kirchliche Arbeitgeber könnten sich noch immer darauf berufen und eine Kündigung aussprechen. Allerdings soll laut der neuen Grundordnung nicht mehr jeder Austritt zwangsläufig zur Kündigung führen, sondern es sind Ausnahmen vorgesehen, wenn die Umstände des Einzelfalls eine Kündigung unangemessen erscheinen lassen. Unabhängig von diesen kirchlichen Vorgaben gilt aber: Ob eine Kündigung vor staatlichen Gerichten Bestand hat, richtet sich nach staatlichem Recht. Und hier stehen die Chancen für Arbeitnehmer gut, die sich gegen eine Kündigung wegen Kirchenaustritts wehren. Die bisherigen Urteile der Arbeitsgerichte in solchen Fällen waren zugunsten der Arbeitnehmer, und die Tendenz im europäischen Recht schützt die individuelle Religionsfreiheit der Arbeitnehmer zunehmend stärker.

Unser Tipp: Lassen Sie sich nicht vorschnell einschüchtern. Wenn Ihnen gekündigt werden soll, nur weil Sie aus der Kirche ausgetreten sind oder keiner Kirche angehören, lohnt es sich, rechtlichen Rat einzuholen. In vielen Fällen verstößt eine solche Kündigung gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Die kirchlichen Arbeitgeber wissen um die aktuelle Rechtsentwicklung – nicht umsonst wurde im beschriebenen Fall vom BAG der EuGH eingeschaltet, um letzte Klarheit zu schaffen. Es spricht viel dafür, dass die Gerichte die Rechte der Arbeitnehmer hier stärken werden und starre Kirchenmitgliedschafts-Pflichten der Vergangenheit angehören.

Arbeitnehmer müssen nicht grundsätzlich Mitglied einer Kirche sein oder bleiben, um bei einem kirchlichen Arbeitgeber tätig zu sein. Entscheidend sind die Umstände der Tätigkeit. Je weltlicher die Aufgabe, desto weniger darf der Arbeitgeber auf einer bestimmten Konfession beharren. Verlangt der Job keine spezifisch religiösen Funktionen, wäre eine Kündigung allein wegen Austritts aus der Kirche rechtswidrig – sie stellt eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen der Religion dar. Betroffene Arbeitnehmer sollten ihre Rechte kennen und können sich bei Bedarf vor den Arbeitsgerichten darauf berufen. Die aktuelle Rechtsprechung sowie die zu erwartende Entscheidung des EuGH untermauern den grundsätzlichen Schutz vor Diskriminierung: Die persönliche Glaubensentscheidung – ob Eintritt, Wechsel oder Austritt – darf nicht ohne Weiteres über den Arbeitsplatz entscheiden.