Nichtigkeitsfeststellungsklage des BUND-Landesverbandes Hessen e.V. abgewiesen

Das Verwaltungsgericht Kassel hat mit Urteil vom 12. März 2024 zum Aktenzeichen 2 K 2029/21.KS nach mündlicher Verhandlung eine Klage des BUND-Landesverbandes Hessen e.V. gegen den Landkreis Kassel abgewiesen. Diese Klage hatte das Ziel, die Nichtigkeit einer im Jahre 2007 von der Bauaufsichtsbehörde des Landkreises Kassel erteilten Baugenehmigung nebst Nachtragsbaugenehmigung aus dem Jahr 2008 sowie einer dazu erteilten Befreiung von den Festsetzungen des dortigen Bebauungsplans gerichtlich feststellen zu lassen. Mit diesen angegriffenen Genehmigungen war die „Errichtung eines Wochenendhauses“ auf einem Grundstück in dem am Fuße des Dörnbergs gelegenen Heilerbachtal in der Gemarkung Zierenberg bauaufsichtlich genehmigt worden.

Aus der Pressemitteilung des VG Kassel Nr. 04/2024 vom 27.03.2024 ergibt sich:

Erstmals im Februar 2020 hatte der BUND-Landesverband Hessen e. V. gegen die bauaufsichtliche Zulassung dieses Vorhabens sowie gegen aus seiner Sicht von der genehmigten Bauplanung abweichende Ausführung des Bauvorhabens Beschwerde geführt. Dies hatte er mit der Forderung verbunden, „geltendes Recht umzusetzen, um den schleichenden Prozess einer Umwandlung des betreffenden Bereichs in ein Wohngebiet zu verhindern und umzukehren“. Einen anschließend gestellten Antrag auf die Feststellung der Nichtigkeit der Baugenehmigungen hatte die Bauaufsichtsbehörde durch förmlichem Bescheid abgelehnt und den Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.

In dem hiergegen gerichteten Klageverfahren hat sich der BUND-Landesverband Hessen e. V. auf den Standpunkt gestellt, dass ihm als anerkanntem Naturschutzverband im Hinblick auf sein satzungsgemäßes Verbandsprofil das für die gerichtliche Durchsetzung der Nichtigkeitsfeststellung erforderliche Feststellungs­interesse zur Seite stehe. Die begehrte Nichtigkeitsfeststellung sei begründet, weil das errichtete Gebäude – anders als beantragt und bauaufsichtlich genehmigt – von vornherein kein Wochenendhaus dargestellt habe und in mehrfacher Hinsicht grob gegen die Festsetzungen des dort geltenden Bebauungsplans der Stadt Zierenberg aus dem Jahr 1962 verstoße. Der umbaute Raum gehe einschließlich der durch Nachtragsbaugenehmigung zugelassenen Erweiterung des Kellergeschosses weit über die übliche Größe eines Wochenendhauses hinaus. Die Bauherrschaft habe von Anfang an ein dauerndes Wohnen in dem Gebäude beabsichtigt. Dies zeige sich u.a. daran, dass die Bauherrschaft seit der Fertigstellung dauerhaft in dem Objekt gewohnt habe und dort polizeilich gemeldet gewesen sei. Auf dauerhaftes Bewohnen seien auch der umfangreiche Versiegelungsgrad und die grob überdimensionierten inneren Erschließungswege zugeschnitten, durch die die drei Gebäude mit der Straße verbunden seien. Zudem seien die auf dem Grundstück vor der Genehmigungserteilung bereits vorhandenen Gebäude rasch zu einem Gartenhaus und einer freistehenden Doppelgarage ertüchtigt worden, obwohl der Bebauungsplan auf dem Grundstück nur ein Gebäude zulasse.

Der beklagte Landkreis war dem entgegengetreten. So bezweifelte er bereits das Vorliegen der erforderlichen Klagebefugnis des BUND-Landesverbandes Hessen e.V. Von einer Nichtigkeit der angegriffenen Baugenehmigung nebst hierzu erteilter Befreiung könne ebenfalls nicht die Rede sein. Die vom Kläger angeführte „Kipplage zum Wohngebiet“ sei zumindest zum maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigungserteilung auch trotz damals bereits bekannter, vereinzelter Verstöße nicht zu erkennen gewesen. Die der Genehmigungserteilung zugrundeliegende Berechnung der Geschossflächen sei rechtlich nicht zu beanstanden. Eine Zulassung von Aufenthaltsräumen im Kellergeschoss des Gebäudes sei nicht erfolgt. Ebenso überschreite das zugelassene Gebäude die nach dem Bebauungsplan bei Hanglage zulässige maximale Höhe von 6 m. Soweit die Klägerseite das Vorhandensein weiterer Gebäude auf dem Grundstück moniere und die Dauernutzung zu Wohnzwecken rüge, sei dies nicht Gegenstand der angegriffenen Baugenehmigung und damit auch nicht Gegenstand der gerichtlichen Prüfung. Mit einem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten sei die Klägerseite nicht an die Bauaufsichtsbehörde herangetreten.

Die zum Klageverfahren beigeladenen Bauherren hatten sich dieser Argumentation angeschlossen.

In dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. März 2024 ergangenen Urteil hat das Verwaltungsgericht Kassel die Nichtigkeitsfeststellungsklage zwar für zulässig erachtet, diese jedoch als unbegründet abgewiesen.

Der BUND-Landesverband Hessen e. V. könne als anerkannter Naturschutzverband eine Klagebefugnis aus den Regelungen des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes im Ergebnis deshalb herleiten, weil der Bebauungsplan der Stadt Zierenberg mit seinen textlichen Festsetzungen auch in Bezug auf das Vorhaben eine umweltbezogene Rechtsvorschrift darstelle. Denn der in der amtlichen Planbegründung zum Ausdruck gebrachte Planungswille der Gemeinde sei darauf angelegt, den bereits bei der Planaufstellung im Jahr 1962 als schutzwürdig anerkannten Belangen des Natur- und Landschaftsschutzes Rechnung zu tragen und eine möglichst weitgehende Erhaltung des im Plangebiet vorhandenen Landschaftscharakters zu gewährleisten.

In der Sache hat das Gericht die Klageabweisung zunächst damit begründet, dass die vom Kläger wohl zu Recht gerügten Abweichungen des bereits vor etlichen Jahren fertiggestellten Gebäudes von der genehmigten Bauausführung, die zumindest zeitweilige Nutzung des Objekts zu Dauerwohnzwecken und die etwaige Baurechtswidrigkeit der von dem genehmigten Planungsstand nicht umfassten weiteren baulichen Anlagen auf dem Grundstück (Doppelgarage und Gartenhaus im rückwärtigen Grundstücksbereich) nicht Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung im Bauantragsverfahren gewesen seien. Diese Umstände seien deshalb für die Frage nach der Nichtigkeit der im Streit stehenden Baugenehmigung nebst Befreiung und Nachtrag nicht von rechtlicher Relevanz. Im Hinblick auf die hierin ggf. liegenden Verstöße gegen baurechtliche Vorgaben könne sich für die Bauaufsichtsbehörde zwar die Frage nach der Erforderlichkeit eines bauaufsichtlichen Einschreitens stellen. Hierüber habe das Gericht im vorliegenden Klageverfahren jedoch nicht zu befinden.

Die im Rahmen der Nichtigkeitsfeststellungsklage dann vorgenommene gerichtliche Überprüfung der Baugenehmigung nebst Befreiung und Nachtrag habe ergeben, dass diese nicht nichtig, sondern aufgrund ihrer Rechtswidrigkeit lediglich anfechtbar sei. In Abgrenzung zur bloßen Rechtswidrigkeit setze die Annahme der Nichtigkeit nach § 44 Abs. 1 HVwVfG voraus, dass der fragliche Verwaltungsakt (hier: die Baugenehmigung nebst Befreiung) an einem besonders schwerwiegenden Fehler leide und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig sei. Die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung ergebe sich aufgrund einer im Baurecht als „Etikettenschwindel“ bezeichneten inneren Widersprüchlichkeit. In diesen Fällen sei das zur Genehmigung gestellte bzw. schon genehmigte Bauvorhaben nur vorgeschoben, um der eigentlich beabsichtigten – unzulässigen – Nutzung einen genehmigungsfähigen Anschein zu verleihen. So liege es hier. Die Genehmigungslage betreffe – entsprechend dem Bauantrag – den „Neubau eines Wochenendhauses“ und damit die Zulassung einer baulichen Anlage, die dieser Nutzungsform auch tatsächlich entsprechen müsse. Die aus den genehmigten Bauplänen ablesbare Ausführung des Bauwerks stehe hierzu in Widerspruch. Hiernach erscheine das zugelassene Objekt für den angegebenen Zweck („Wochenendhaus“) mit einem Brutto-Rauminhalt von etwa 1000 m³, einer überbauten Grundfläche von (mindestens) 278 m² und angesichts eines aus den genehmigten Bauplänen ablesbaren deutlichen Missverhältnisses zwischen der Grundfläche der als Nebenräume deklarierten Räumlichkeiten und der ausgewiesenen Wohnfläche nicht nur nach dem herkömmlichen Verständnis dieses Begriffs, sondern auch in Anlegung juristischer Maßstäbe deutlich überdimensioniert. Letztlich unterscheide sich das genehmigte Gebäude nicht von einem Wohnhaus im Villenstil, das für dauerhaftes Wohnen ausgelegt sei. Dieses hätte deshalb – so das Gericht – jedenfalls in der zur Genehmigung gestellten Größe und Bauausführung nicht bauaufsichtlich zugelassen werden dürfen. Dies begründe im vorliegenden Fall allerdings nicht die Feststellung der Nichtigkeit der Genehmigung. Denn der ihr anhaftende sog. Etikettenschwindel verletze die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen nicht derart schwerwiegend, dass eine Akzeptanz der hierdurch bewirkten Rechtsfolgen von niemandem erwartet werden könne. Ein Fortbestand der Genehmigungslage, wie sie durch den nebst Befreiung erteilten Bauschein dokumentiert werde, erscheine nicht als im Sinne des § 44 Abs. 1 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes schlechterdings unerträglich.

Im Ergebnis offengelassen hat das Gericht die Frage nach der Rechtswirksamkeit des von der Bauaufsichtsbehörde im Zusammenhang mit der Prüfung des Bauantrags herangezogenen einschlägigen Bebauungsplans der Stadt Zierenberg.