NSU-Verfahren: Urteil hinsichtlich drei weiterer Angeklagter rechtskräftig

19. August 2021 -

Der Bundesgericht hat am 12.08.2021 zum Aktenzeichen 3 StR 441/20 hat im Verfahren gegen Mitglieder des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) die Revisionen der Angeklagten Beate Z., Ralf W. und Holger G., mit denen sich diese gegen ihre Verurteilung durch das OLG München gewandt hatten, im Beschlusswege verworfen, das Rechtsmittel der Angeklagten Z. unter geringfügiger Änderung des Schuldspruchs.

Aus der Pressemitteilung des BGH Nr. 157/2021 vom 19.08.2021 ergibt sich:

Bisheriger Prozessverlauf:

Mit Urteil vom 11. Juli 2018 hatte das Oberlandesgericht die Angeklagte Z. wegen einer Vielzahl von Fällen des (versuchten) Mordes, des (versuchten) besonders schweren Raubes, der besonders schweren räuberischen Erpressung und der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung sowie zahlreicher weiterer – hiermit tateinheitlich verwirklichter – Delikte zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Den Angeklagten W. hatte es der Beihilfe zum vielfachen Mord schuldig gesprochen und gegen ihn auf eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren erkannt. Den Angeklagten G. hatte es wegen mehrfacher Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit ihren Revisionen hatten die drei Angeklagten die Verletzung sachlichen Rechts gerügt; die Angeklagten Z. und W. hatten darüber hinaus das erstinstanzliche Verfahren beanstandet.

Sachverhalt:

Nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen teilte die Angeklagte Z. mit den mittlerweile verstorbenen Böhnhardt und Mundlos eine rassistische, antisemitische und staatsfeindliche Ideologie. Anfang 1998 beschlossen die drei durch ein enges persönliches Verhältnis Verbundenen, sich gegen sie gerichteten Maßnahmen der Ermittlungsbehörden durch Flucht zu entziehen. Sie brachen den Kontakt zu ihrem jeweiligen persönlichen Umfeld nahezu ab; ausgenommen waren einige wenige gleichgesinnte Vertraute, darunter die Angeklagten W. und G.

  1. Die Angeklagte Z. kam mit Böhnhardt und Mundlos nach dem Abtauchen auf der Basis der gemeinsamen politisch-ideologischen Einstellung überein, künftig eine Vielzahl willkürlich ausgewählter Menschen wegen deren südländischer – vornehmlich türkischer Herkunft oder als Repräsentanten des Staates zu töten. Durch die destabilisierende Wirkung dieser Mordanschläge erstrebten sie eine ihren nationalsozialistisch-rassistischen Vorstellungen entsprechende Änderung der Staats- und Gesellschaftsform Deutschlands. Um diese Wirkung deutlich zu vergrößern, planten sie, die Öffentlichkeit zunächst nur den Seriencharakter der Taten erkennen zu lassen und erst später ein noch gemeinschaftlich zu erstellendes Bekennungsdokument zu veröffentlichen, mit dem sich der – von ihnen gebildete – Personenverband „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) nachträglich verantwortlich erklärt. Des Weiteren vereinbarten sie, zur Sicherung ihres Lebensunterhalts Raubüberfälle auf Sparkassenniederlassungen, Postfilialen und Supermärkte zu begehen; hierdurch sollten die zeitlich aufwendige Vorbereitung und Ausführung der Mordanschläge finanziell ermöglicht werden.

Die Angeklagte Z., Böhnhardt und Mundlos entschlossen sich, zu diesen Zwecken auf längere Zeit unter falscher Identität unerkannt zusammenzuleben, indem sie, im besonderen Umfang die Angeklagte, eine bürgerliche, unverdächtig erscheinende Legende aufbauen und nach außen kommunizieren. Während vorgesehen war, dass Böhnhardt und Mundlos die Straftaten ausführen, übernahm es die Angeklagte vor allem, den Personenzusammenschluss abzutarnen (z.B. durch Beschaffung von falschen Identitätspapieren), die finanziellen Angelegenheiten zu regeln und erforderlichenfalls dafür zu sorgen, dass sich der „NSU“, dessen drei Mitglieder anonym bleiben sollten, in der geplanten Weise zu den Taten bekennt.

In Umsetzung dieses Vereinigungskonzepts begingen Böhnhardt und Mundlos von September 2000 bis April 2007 zwölf ideologisch motivierte Mordanschläge. In Nürnberg, Hamburg, München, Rostock, Dortmund und Kassel töteten sie unter Verwendung derselben mit einem Schalldämpfer ausgestatteten Pistole des Herstellers Ceska heimtückisch neun türkisch- bzw. griechischstämmige Männer, die als Kleinunternehmer oder dessen Aushilfskraft an der jeweiligen Verkaufsstätte tätig waren. In Heilbronn schossen sie mit zwei anderen Pistolen hinterrücks auf eine aus zwei Polizeibeamten bestehende Streifenwagenbesatzung; eine Polizistin verstarb, während ihr Kollege schwer verletzt wurde. In Köln verübten sie in den Räumlichkeiten eines Lebensmittelgeschäfts und auf offener Straße zwei Bombenattentate, die sich gegen Menschen mit iranischen bzw. vorwiegend türkischen Wurzeln richteten. Hierdurch wurde zwar niemand getötet; jedoch trugen zahlreiche Opfer, teils schwere, Gesundheitsschäden davon. Von Dezember 1998 bis November 2011 begingen Böhnhardt und Mundlos in Chemnitz, Zwickau, Stralsund, Arnstadt und Eisenach 15 Überfälle mit Schusswaffen auf Sparkassenniederlassungen und Postfilialen sowie einen Supermarkt. In zwei Fällen machten sie tatplangemäß mit Tötungsvorsatz von einer Handfeuerwaffe Gebrauch.

Die Angeklagte Z. war insbesondere an der Planung jedes einzelnen Mordanschlags und Raubüberfalls beteiligt. Zusammen mit Böhnhardt und Mundlos wertete sie die zuvor bei Ausspähmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse aus. Alle drei fassten jeweils den gemeinsamen Entschluss zur Tatbegehung. Sie einigten sich insbesondere auf Tatort, Tatzeit und Tatopfer. Während der Ausführung der jeweiligen Tat hielt sich die Angeklagte gemäß der zuvor getroffenen Übereinkunft in oder in der Nähe der als Zentrale genutzten gemeinsamen Wohnung auf, um die tatbedingte Abwesenheit ihrer Komplizen zu legendieren. Dort sollte sie bei Nachfragen Dritter hierfür unverfängliche Erklärungen geben und auf Vorkommnisse, die den Eindruck des bürgerlichen Lebens der drei in Frage stellen könnten, schnell und umsichtig reagieren. Nach Fertigstellung des ersten Bekennervideos im März 2001 sollte die Angeklagte Z. darüber hinaus, falls Böhnhardt und Mundlos die Flucht nicht gelänge und sie zu Tode kämen, den Film in der aktuellen Version verbreiten und die in der Wohnung befindlichen Beweismittel vernichten. Die von ihr zugesagten Handlungen dienten dazu, den Tatausführenden eine sichere Rückzugsmöglichkeit zu schaffen und den Erfolg des Vereinigungskonzepts sicherzustellen.

Als nach dem letzten Raubüberfall Böhnhardt und Mundlos auf der Flucht von der Polizei entdeckt wurden und die Festnahme drohte, entzogen sie sich dieser durch Suizid. Nachdem die Angeklagte Z. aus dem Rundfunk vom Tod der beiden erfahren hatte, setzte sie tatplangemäß unter Verwendung von Benzin die zu dieser Zeit genutzte Wohnung in Brand, um die Beweismittel zu vernichten, die Rückschlüsse auf den Personenverband und seine Unterstützer zuließen. Anschließend flüchtete sie und versandte zahlreiche Exemplare des dritten Bekennervideos, die für den nunmehr eingetretenen, bereits bei den Planungen bedachten Fall bereitlagen. Drei Menschen, deren Tod die Angeklagte bei der Inbrandsetzung in Kauf nahm, blieben unverletzt.

  1. Der Angeklagte W. verschaffte im Frühjahr 2000 – gemeinsam mit dem nichtrevidierenden Mitangeklagten Carsten S. – Böhnhardt und Mundlos auf deren Verlangen die Pistole des Herstellers Ceska, mit der diese die neun türkisch- bzw. griechischstämmigen Männer erschossen. Der Angeklagte W. rechnete mit von Böhnhardt und Mundlos verübten Morden aus von ihm geteilten rassistischen oder ausländerfeindlichen Motiven.
  2. Der Angeklagte G. verschaffte der Vereinigung „NSU“ im Zeitraum von Februar 2004 bis zur ersten Jahreshälfte 2011 wiederholt Dokumente, die der Verschleierung der Identität ihrer Mitglieder dienten: einen Ersatzführerschein und einen Reisepass, die auf den Namen des Angeklagten G. ausgestellt und wegen der Ähnlichkeit von ihm und Böhnhardt zur Nutzung durch diesen bestimmt waren, sowie eine auf eine dritte Person ausgestellte Krankenkassenkarte, die von der Angeklagten Z. verwendet werden sollte. Böhnhardt legte die Identitätspapiere vielfach bei der Anmietung von Kraftfahrzeugen vor, mit denen sich Mundlos und er in zahlreichen Fällen zum Tatort des Mordanschlags oder Raubüberfalls begaben. Die Angeklagte Z. nutzte die Krankenkassenkarte für die Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen unter falschen Personalien. Der Angeklagte G. erkannte, dass die Vereinigung entsprechend den nationalsozialistisch-rassistischen Vorstellungen ihrer Mitglieder Tötungsdelikte begehen könnte, und fand sich damit ab.

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs:

  1. Der nach der Geschäftsverteilung des Bundesgerichtsgerichtshofs bundesweit für alle Staatsschutzstrafsachen zuständige 3. Strafsenat hat durch Beschluss auf die Sachrüge der Angeklagten Z. den sie betreffenden Schuldspruch geringfügig geändert, während ihre Verfahrensbeanstandungen insgesamt erfolglos geblieben sind. Zwar hat die Schuldspruchänderung zum Wegfall einer Einzelstrafe geführt; die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe und die festgestellte besondere Schuldschwere sind hiervon jedoch unberührt geblieben. Im Übrigen hat das angefochtene Urteil sachlichrechtlicher Nachprüfung standgehalten. Der die weitergehende Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO verwerfende Beschluss befasst sich insoweit vor allem mit der im angefochtenen Urteil dargelegten Beweiswürdigung namentlich zur Beteiligung der Angeklagten Z. an der Planung der von Böhnhardt und Mundlos ausgeführten Taten und mit der rechtlichen Würdigung, die Tatbeteiligung der Angeklagten sei als Mittäterschaft zu beurteilen. Der 3. Strafsenat hat diese Rechtsfragen wie folgt bewertet:
  2. a) Die Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf. Auch soweit das Oberlandesgericht festgestellt hat, die Angeklagte Z. habe an der Planung jeder einzelnen Tat mitgewirkt, findet die tatrichterliche Überzeugungsbildung in den Ergebnissen der Beweisaufnahme eine tragfähige Tatsachengrundlage und beruht auf möglichen Schlussfolgerungen, die rational nachvollziehbar und in hohem Maße plausibel sind.
  3. b) Die auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung aller vom Oberlandesgericht festgestellten Umstände führt zu dem Ergebnis, dass die Angeklagte Z. die Mordanschläge und Raubüberfälle im Sinne des § 25 Abs. 2 StPO gemeinschaftlich mit Böhnhardt und Mundlos beging. Die Angeklagte hatte in hierfür ausreichendem Maße sowohl Tatherrschaft als auch Tatinteresse.
  4. aa) Unter dem Gesichtspunkt der Tatherrschaft ist in den Blick zu nehmen, dass die Angeklagte Z. zwar keinen tatherrschaftsbegründenden Beitrag im Ausführungsstadium der Taten leistete. Sie nahm jedoch maßgeblichen Einfluss bereits auf die Planung der Taten sowie auf den gemeinsamen Tatentschluss und den weiteren Willen ihrer beiden Komplizen zur Tatbegehung. Darüber hinaus beeinflusste sie durch die Zusage der von ihr vorzunehmenden Handlungen (Legendierungstätigkeit, Beweismittelvernichtung, Tatbekennung) wesentlich die Deliktsverwirklichung und erbrachte auch insoweit – zusätzlich über die Beteiligung an der Tatplanung hinaus – einen hierfür bedeutenden objektiven Tatbeitrag. Ohne das von ihr versprochene Verhalten hätten die nach dem Vereinigungskonzept verfolgten Ziele der Taten nicht erreicht werden können.
  5. bb) Bezüglich des Tatinteresses fällt wesentlich ins Gewicht, dass dasjenige der Angeklagten Z. nicht hinter demjenigen von Böhnhardt und Mundlos zurückstand. Dieses starke Interesse an der Durchführung und dem Gelingen der Taten hat nicht deshalb eine geringere Bedeutung für die Beurteilung der Tatbeteiligung als Mittäterschaft, weil es sich mit den übergeordneten gemeinsamen Zielen aller dem „NSU“ zugehörigen Personen deckte. Zwar führt die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung für sich gesehen nicht zur Zurechnung der Tat an das einzelne Mitglied. Jedoch kann etwa ein weltanschaulich-ideologisches, religiöses oder politisches Ziel der Tatbegehung sowohl den Charakter eines hierauf gerichteten Personenzusammenschlusses bestimmen als auch erhebliche Bedeutung für die Qualifizierung der Tatbeteiligung als Täterschaft anstelle Teilnahme haben.
  6. Durch weiteren Beschluss hat der 3. Strafsenat die Revisionen der Angeklagten W. und G. verworfen. Mit Blick auf die zutreffenden Darlegungen in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts, zu denen die zwei Beschwerdeführer keine Gegenerklärung abgegeben haben (§ 349 Abs. 3 StPO), hat der Senat dem in solchen Fällen üblichen Procedere folgend davon abgesehen, diese Entscheidung mit Gründen zu versehen.