OLG Hamm: Vergütungsbegrenzung auf den Kostenvorschuss bei fehlendem Hinweis

15. August 2025 -

Hintergrund des Beschlusses (OLG Hamm, Beschl. v. 15.07.2025 – 25 W 110/25)

In einem Zivilverfahren vor dem LG Dortmund (sogenannter „Dieselfall“) wurde ein gerichtliches Sachverständigengutachten zum Abgasverhalten eines Wohnmobils eingeholt. Das Gericht hatte einen Auslagenvorschuss von insgesamt 6.000 € (je 3.000 € von Kläger und Beklagter) festgesetzt und den Sachverständigen (im Beschluss Beteiligter zu 1) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er bei einer absehbaren erheblichen Überschreitung dieses Vorschusses die voraussichtlichen Mehrkosten mitteilen und bis dahin mit der Begutachtung zunächst abzuwarten habe.

Der Sachverständige teilte daraufhin lediglich mit, der Vorschuss sei voraussichtlich nicht ausreichend, ohne jedoch eine konkrete Kostenschätzung abzugeben. Er kündigte an, die genaue Summe nach Erhalt eines Kostenvoranschlags des Prüfstandes nachzureichen – was später nicht erfolgte. Der Sachverständige führte die Begutachtung fort, ohne weitere Rückmeldung an das Gericht. Schließlich legte er ein Gutachten vor und stellte dafür rund 30.000 € in Rechnung.

Nach Abschluss des Verfahrens (das LG Dortmund hatte die Klage unter Verwertung des Gutachtens abgewiesen) beantragte eine der Parteien, die Vergütung des Sachverständigen auf 6.000 € (Höhe des Vorschusses) zu begrenzen. Das LG verneinte zunächst eine Kürzung mit der Begründung, dem Gutachter sei mangels Kostenvoranschlag eine Bezifferung der erwarteten Kosten nicht möglich gewesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte jedoch vor dem OLG Hamm Erfolg:

Das OLG Hamm setzte die Vergütung des Sachverständigen auf 6.000 € fest, da der Gutachter nicht rechtzeitig auf die erhebliche Überschreitung des Kostenvorschusses hingewiesen hatte. Er geht damit größtenteils leer aus, denn von der geforderten Vergütung (~30.000 €) erhält er lediglich den Vorschussbetrag.

Rechtliche Grundlagen: Hinweispflicht nach ZPO und Vergütungskappung nach JVEG

Die Entscheidung beruht auf den Vorschriften der Zivilprozessordnung und des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG), welche das Zusammenspiel von Sachverständigenhonorar und Kostenvorschuss regeln:

  • § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO verpflichtet den gerichtlich beauftragten Sachverständigen, das Gericht unverzüglich zu informieren, wenn absehbar ist, dass seine Vergütung den geleisteten Kostenvorschuss erheblich übersteigen wird. Ein solcher Hinweis muss rechtzeitig erfolgen, damit das Gericht und die Parteien reagieren können (z.B. durch Erhöhung des Vorschusses oder Überdenken des Beweisantrags).
  • § 8a Abs. 4 JVEG sieht für den Fall eines Verstoßes eine harte Konsequenz vor: Überschreitet die Vergütung den angeforderten Auslagenvorschuss erheblich und hat der Sachverständige nicht rechtzeitig nach § 407a Abs. 4 S. 2 ZPO darauf hingewiesen, erhält er grundsätzlich nur die Vergütung in Höhe des Vorschusses. Der darüber hinausgehende Betrag wird also komplett gekappt.
  • § 8a Abs. 5 JVEG enthält eine Einschränkung: Die Kappung entfällt, wenn der Sachverständige die Verletzung der Hinweispflicht nicht zu vertreten hat (d.h. ihn kein Verschulden trifft). Allerdings wird das Vertretenmüssen vermutet, sodass der Gutachter darlegen und notfalls beweisen muss, dass ihn kein Verschulden trifft. Hierbei genügt schon leichte Fahrlässigkeit für ein Vertretenmüssen – es braucht kein grobes Verschulden vorzuliegen. Praktisch bedeutet dies: Nur wenn der Sachverständige trotz aller Sorgfalt objektiv nicht in der Lage war, rechtzeitig zu warnen, kann er der Honorarkürzung entgehen.

Erheblichkeit der Überschreitung: Unbestimmt ist im Gesetz, ab wann eine Überschreitung „erheblich“ ist. Nach weit verbreiteter Auffassung in Rechtsprechung und Literatur liegt die Erheblichkeitsschwelle bei etwa 20–25 % über dem Vorschuss. Viele Gerichte nehmen spätestens ab 25 % Überschreitung eine erhebliche Überhöhung an, manche schon bei über 20 %. Im Zweifel sollten Sachverständige vorsichtigerweise die 20 %-Marke als Grenze ansehen. Im vorliegenden Fall betrug die Überschreitung etwa 400 % (30.000 € statt 6.000 €) – also weit jenseits jeder denkbaren Toleranzgrenze.

Gesetzesnovelle 2013: Die strikte Rechtsfolge der Kappung wurde erst 2013 ins Gesetz aufgenommen. Vorher gewährten einige Gerichte dem Sachverständigen trotz fehlenden Hinweises häufig den Vorschuss plus einen „Toleranzzuschlag“ von 20–25 %. Zudem wurde früher oft geprüft, ob der Sachverständige bei rechtzeitigem Hinweis überhaupt entpflichtet worden wäre oder ob die Beweisaufnahme ohnehin fortgeführt worden wäre. Seit 2013 stellt der Gesetzgeber jedoch klar, dass die Vergütung „ohne Wenn und Aber“ auf den Vorschussbetrag gekürzt wird, wenn kein rechtzeitiger Hinweis erfolgt. Die Gesetzesbegründung formuliert unmissverständlich, dass in solchen Fällen die Vergütung mit dem Vorschussbetrag gekappt werden soll. Zwar lässt das Wort „soll“ in Ausnahmefällen Raum (etwa bei fehlendem Verschulden, wie Abs. 5 JVEG regelt). Im Regelfall aber – und so auch im Beschluss des OLG Hamm – gibt es keine Nachsicht: selbst ein voll verwertetes Gutachten rechtfertigt keinen Cent über dem Vorschuss, wenn der Pflichtenverstoß feststeht.

Entscheidungsgründe des OLG Hamm: Pflichtverletzung und fehlender Hinweis

Das OLG Hamm hat die genannten Grundsätze konsequent angewendet und in seinem Beschluss folgende Punkte hervorgehoben:

  • Mitteilung „Vorschuss nicht ausreichend“ genügt nicht: Die bloße Aussage des Gutachters, der Vorschuss werde voraussichtlich nicht ausreichen, erfüllt die Hinweispflicht nicht. Erforderlich ist eine einzelfallbezogene Kostenschätzung mit einer konkreten Bezifferung der zu erwartenden Mehrkosten. Nur so können Gericht und Parteien das Kostenrisiko einschätzen und z.B. entscheiden, ob sie die kostenintensive Beweisaufnahme abbrechen, den Auftrag beschränken oder zusätzliche Vorschüsse anfordern. Im vorliegenden Fall hätte der Sachverständige also mitteilen müssen, dass er (beispielsweise) mit Gesamtkosten in der Größenordnung von ~30.000 € rechnet – statt lediglich pauschal zu warnen.
  • Unverzüglichkeit und Abwarten der Gerichtsreaktion: Selbst wenn der Gutachter anfänglich keine genaue Schätzung abgeben konnte, hätte er zumindest die Reaktion des Gerichts abwarten müssen, bevor er weiterarbeitet. Das OLG betont, dass die Hinweispflicht keine bloße Formalie ist, sondern dem Zweck dient, vor entstehenden hohen Kosten noch Kurskorrekturen zu ermöglichen. Hier hatte der Sachverständige sogar ausdrücklich angekündigt, eine Kostennachricht nachzureichen. Damit weckte er beim Gericht die Erwartung, dass vor einer Fortsetzung des Auftrags die Kostenfrage geklärt würde. Er hat diese Erwartung dann enttäuscht, indem er ohne weitere Rückmeldung bis zur Gutachtenfertigstellung weiterarbeitete. Aus Sicht des Gerichts hat der Gutachter somit die Kostenexplosion verschuldet mitverursacht, weil er das Verfahren in Unkenntnis der wahren Kosten weiterlaufen ließ.
  • Verschulden des Sachverständigen: Da der Sachverständige den Hinweis unterließ, wird sein Verschulden gesetzlich vermutet (vgl. § 8a Abs. 5 JVEG). Das OLG Hamm sah keine Entlastungsgründe, die den Gutachter von der Verantwortung freistellen könnten. Im Gegenteil: Er war schriftlich auf seine Pflichten hingewiesen worden (im Anschreiben des LG Dortmund war § 407a Abs. 4 S. 2 ZPO explizit zitiert und hervorgehoben). Er wusste also genau, was von ihm erwartet wurde. Seine eigene Korrespondenz zeigte, dass er sich der Problematik bewusst war (er hielt ja selbst eine Nachlieferung der Kostenschätzung für erforderlich). Angesichts dieser Umstände konnte er sich nicht erfolgreich darauf berufen, ihn treffe kein Verschulden.
  • Kein „Hypothesencheck“ erforderlich: Der Gutachter argumentierte, es solle berücksichtigt werden, dass die Parteien vermutlich auch bei Kenntnis der hohen Kosten an der Begutachtung festgehalten hätten (der Gutachter meinte wohl, dann sei sein verspäteter Hinweis letztlich folgenlos gewesen). Dies ließ das OLG nicht gelten. Unter der aktuellen Gesetzeslage kommt es nicht mehr darauf an, ob die Parteien oder das Gericht den Auftrag bei rechtzeitigem Hinweis tatsächlich abgebrochen hätten. Solche hypothetischen Kausalitätsbetrachtungen spielten vor 2013 eine Rolle, sind aber durch den klaren Wortlaut des § 8a Abs. 4 JVEG überholt. Fazit: Wenn keine rechtzeitige Warnung erfolgt, wird gekürzt – ungeachtet der Frage, ob das Gutachten trotzdem in Auftrag geblieben wäre. Einen „Toleranzzuschlag“ von 20–25 % oberhalb des Vorschusses lehnt der Senat ebenfalls ab, da hierfür im Gesetz kein Spielraum mehr gesehen wird.

Praktische Handlungsempfehlungen für Sachverständige

Für gerichtlich beauftragte Sachverständige lässt sich aus dem Beschluss des OLG Hamm und der aktuellen Rechtslage eine klare Checkliste ableiten, um Honorarverluste zu vermeiden:

1. Kostenvorschuss prüfen: Nach Erhalt des Beweisbeschlusses und der Akten prüfen Sie umgehend, ob der festgesetzte Kostenvorschuss für das Gutachten voraussichtlich ausreicht. Berücksichtigen Sie dabei alle absehbaren Aufwände (eigene Stunden, Labor- oder Prüfstandkosten, Reisen etc.).

2. Frühzeitige Kostenschätzung abgeben: Zeichnet sich ab, dass Ihre Vergütung den Vorschuss um mehr als ca. 20 % übersteigen wird – was als erhebliche Überschreitung gilt–, müssen Sie unverzüglich das Gericht informieren. Formulieren Sie diesen Hinweis so konkret wie möglich: nennen Sie einen geschätzten Gesamtbetrag oder eine Kostenrange. Ein vager Hinweis („Vorschuss reicht nicht“) genügt nicht. Tipp: Viele Gerichte erwarten eine Hausnummer – etwa „Der Vorschuss wird voraussichtlich um etwa X € überschritten.“. Diese Schätzung muss nicht auf den Euro genau sein, aber sie sollte realistisch und nachvollziehbar aus Ihrer fachlichen Perspektive begründet sein.

3. Arbeit notfalls unterbrechen: Haben Sie auf eine drohende Kostenüberschreitung hingewiesen, warten Sie die gerichtliche Reaktion ab. Das Gericht könnte entscheiden, den Vorschuss erhöhen zu lassen, den Auftrag einzuschränken oder die Beweisfrage zu überdenken. Setzen Sie die Gutachtenerstellung erst fort, wenn Sie vom Gericht grünes Licht bekommen – sei es durch Anforderung weiterer Vorschüsse oder ausdrückliche Weisung, dennoch fortzufahren. Arbeiten Sie nicht einfach „auf eigene Faust“ weiter, wenn unklar ist, wer am Ende die Mehrkosten trägt.

4. Bei Unsicherheiten Rücksprache halten: Falls bestimmte Kostenfaktoren (z.B. externe Laborgebühren) noch unsicher sind, kommunizieren Sie das offen. Teilen Sie dem Gericht mit, welcher Teil der Kostenabschätzung noch ungewiss ist und warum. Gegebenenfalls können Sie um eine Teilentscheidung bitten (z.B. erst Freigabe für einen kostspieligen Test abwarten). Holen Sie sich bei Bedarf Rückversicherungen schriftlich ein. So dokumentieren Sie, dass Sie Ihre Hinweispflicht ernst nehmen und das Gericht in den Entscheidungsprozess einbeziehen.

5. Dokumentation der Kommunikation: Halten Sie Ihre Kommunikation mit dem Gericht stets schriftlich fest (etwa per Schreiben oder E-Mail über die Geschäftsstelle). So können Sie im Zweifel nachweisen, dass und wann Sie auf Kostenerhöhungen hingewiesen haben. Ein kurzes Telefonat reicht nicht aus, wenn es nicht aktenkundig gemacht wird.

6. Keine falsche Scheu vor höheren Zahlen: Scheuen Sie sich nicht, eine deutlich höhere Summe anzukündigen, wenn das die Realität Ihrer Kalkulation ist. Auch wenn ein um ein Vielfaches höherer Betrag (wie im OLG-Hamm-Fall ~30.000 € statt 6.000 €) den Prozessbeteiligten unliebsam sein mag – nur durch Transparenz schützen Sie sowohl sich als auch die Parteien. Die Parteien haben dann die Möglichkeit, die Beweiserhebung zu stoppen, zu vergleichen oder andere Maßnahmen zu ergreifen, bevor hohe Kosten entstehen. Ihre Aufgabe ist es, das Gericht rechtzeitig zu warnen, nicht die Höhe der Kosten schönzurechnen.

7. Bewusstsein der Haftung für Honorar: Machen Sie sich stets bewusst: Ohne rechtzeitigen Hinweis riskieren Sie Ihr Honorar über dem Vorschuss. Die Rechtslage ist eindeutig zu Ihren Ungunsten, wenn Sie die Hinweispflicht versäumen. Selbst wenn Sie meinen, keine Chance zur vorherigen Warnung gehabt zu haben – die Gerichte setzen hier hohe Maßstäbe an die Sorgfalt. Im Zweifel wird vermutet, dass Sie den Verstoß verschuldet haben, es sei denn, Sie können überzeugend das Gegenteil darlegen. Solche Entlastungsgründe sind selten: Unvorhersehbarkeit oder plötzliche Änderungen im Gutachtenauftrag könnten Gründe sein, müssen aber plausibel belegt werden. Verlassen Sie sich nicht darauf, nachträglich entschuldigt zu werden.

8. Toleranzgrenze nicht ausreizen: Auch wenn vereinzelt Gerichte eine Überschreitung bis ~25 % ohne Kürzung durchgehen ließen, ist dies riskant und nicht einheitlich. OLG Hamm und viele andere Gerichte vertreten eine strikte Linie („ohne Wenn und Aber“) und kürzen auf den Cent genau auf den Vorschussbetrag. Daher: Spielen Sie nicht mit der Toleranzgrenze. Melden Sie sich lieber zu früh als zu spät. Eine frühzeitige Warnung schadet nie – eine unterlassene Warnung kann Sie jedoch viele Tausend Euro Honorar kosten.

Der Beschluss des OLG Hamm vom 15.07.2025 mahnt eindringlich zur Einhaltung der Hinweispflicht nach § 407a Abs. 4 S. 2 ZPO. Gerichtssachverständige sollten ihn als Warnung verstehen: Transparente und zeitnahe Kommunikation über drohende Mehrkosten ist unerlässlich, um Honorarkürzungen zu vermeiden. Die gesetzlichen Regelungen (§ 8a Abs. 4 JVEG) geben den Gerichten ein scharfes Schwert an die Hand, das im Zweifel rigoros eingesetzt wird – nämlich die Kappung der Vergütung auf den Vorschussbetrag.

Für die Praxis bedeutet das: Sicherheit geht vor Nachsicht. Ein Sachverständiger, der frühzeitig und konkret über den finanziellen Aufwand informiert, bringt alle Beteiligten auf Augenhöhe und schützt sich selbst. Wer hingegen zögert oder unklare Hinweise gibt, läuft Gefahr, am Ende nur einen Bruchteil seines Aufwandes vergütet zu bekommen. Der beste Weg, solchen Streitigkeiten vorzubeugen, ist proaktive Kommunikation und sorgfältige Kalkulation. Sachverständige tun gut daran, im Zweifel lieber einmal mehr das Gericht zu kontaktieren, als am Ende auf einem Großteil ihrer Kosten sitzenzubleiben.