Mit dem Auto schnelles Geld bekommen und es trotzdem weiterfahren – dieses Geschäftsmodell, bekannt als “Sale and Rent Back”, klingt verlockend, sorgt aber für Kontroversen. In einem aktuellen Fall hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe entschieden, dass ein solcher Vertrag wegen Wucherähnlichkeit sittenwidrig und nichtig ist. Für den betroffenen Verbraucher (den Autobesitzer) bedeutet das ein voller Erfolg: Er behält sein Fahrzeug, darf den erhaltenen Kaufpreis behalten und bekommt alle gezahlten Mietraten zurück. Der anbietende Unternehmer hingegen bleibt auf einem dicken Minus sitzen – er erhält seinen gezahlten Kaufpreis nicht zurück.
Was steckt hinter Sale-and-Rent-Back beim Auto?
Beim Sale-and-Rent-Back-Modell verkauft ein Autobesitzer sein Fahrzeug an einen spezialisierten Ankäufer und mietet es unmittelbar danach vom Käufer zurück. Ziel aus Verbrauchersicht ist es, schnell Bargeld zu erhalten, ohne auf das eigene Auto verzichten zu müssen. Häufig werben Anbieter mit Slogans wie „Bargeld sofort & Auto weiterfahren“, was insbesondere Personen in Liquiditätsnöten anspricht. Anders als bei einem klassischen Pfandkredit wird dem Verkäufer kein vertragliches Rückkaufsrecht eingeräumt – am Ende der Mietzeit wird das Auto vom Unternehmen verwertet oder versteigert. Der ursprüngliche Besitzer darf zwar oft mitbieten, hat aber keinen Anspruch, das Fahrzeug zum ursprünglichen Preis zurückzubekommen. Dieses Konstrukt umgeht die strengen Regeln des Pfandleihrechts und birgt für Verbraucher erhebliche Risiken, insbesondere wenn Leistung und Gegenleistung (Kaufpreis vs. Fahrzeugwert) nicht im angemessenen Verhältnis stehen.
OLG Karlsruhe: Wucherähnliches Geschäft wegen krasser Wertdiskrepanz
Im entschiedenen Fall verkaufte eine Autobesitzerin (Klägerin) ihren Wagen im Jahr 2022 für 50.000 € an den Anbieter und mietete ihn sogleich zurück. Später stellte sich heraus, dass das Fahrzeug tatsächlich rund 112.000 € wert war. Das OLG Karlsruhe wertete dies als auffällig grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung – der Wagen war mehr als doppelt so viel wert wie der Kaufpreis. Ein derart krasses Ungleichgewicht begründet den Vorwurf der verwerflichen Gesinnung des Begünstigten (hier des Ankäufers) und erfüllt die Voraussetzungen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nach § 138 Abs. 1 BGB. Das heißt: Der Vertrag ist sittenwidrig und damit nichtig.
Dabei spielte es keine Rolle, dass die Verkäuferseite in diesem Fall aus erfahrenen Geschäftsleuten bestand (das Ehepaar waren Geschäftsführer eigener Firmen). Entscheidend war ihre Rolle als Privatpersonen beim Autoverkauf – sie galten nicht als Kaufleute im rechtlichen Sinne, sodass der Verkäufer als schutzwürdig angesehen wurde. Zudem bestand die übliche Situation eines drängenden Liquiditätsbedarfs: Der Verkäufer brauchte dringend Geld, was der Anbieter bewusst ausgenutzt hat. Die Gerichte unterstellen in solchen Fällen, dass ohne die finanzielle Notlage kein vernünftiger Mensch sein Auto für weniger als die Hälfte des Werts verkaufen würde, und der Begünstigte weiß das auch.
Einheitliches Geschäft: Kauf und Miete beide unwirksam
Interessant ist, dass das OLG Karlsruhe Kaufvertrag und Mietvertrag als rechtliche Einheit betrachtet hat. Normalerweise unterscheidet man zwischen dem Verpflichtungsgeschäft (hier: der Kaufvertrag) und dem Verfügungsgeschäft (hier: die Eigentumsübertragung des Autos) sowie zwischen verschiedenen Verträgen (Kauf und Miete). Doch im Sale-and-Rent-Back-Modell sollten diese Geschäfte offensichtlich „miteinander stehen und fallen“. Bereits im Kaufvertrag war festgehalten, dass der Verkäufer das Fahrzeug über einen Mietvertrag zurücknutzen werde. Das Gericht stellte fest, dass ohne den Verkauf kein Mietvertrag geschlossen worden wäre und umgekehrt – der Einheitlichkeitswille der Parteien war klar erkennbar.
Die Folge gemäß § 139 BGB: Ist ein Teil des Geschäfts nichtig, so ist der gesamte Vertrag nichtig, sofern nicht anzunehmen ist, dass die Parteien den Rest auch alleine gewollt hätten. Hier bedeutet das: Sowohl der Kaufvertrag als auch der Mietvertrag sind nichtig, da ersterer wegen Sittenwidrigkeit unwirksam ist. Somit war auch die Eigentumsübertragung des Fahrzeugs unwirksam, weil die Sittenwidrigkeit sich gerade im Vollzug des Geschäfts (Übereignung und anschließende Vermietung) manifestiert hat. Der Verbraucher hat also zivilrechtlich nie wirksam Eigentum an seinem Auto verloren und durfte folglich die Herausgabe des Fahrzeugs (bzw. der Kfz-Papiere und Schlüssel) verlangen.
Rückabwicklung: Vorteile für den Verbraucher
Die Nichtigkeit des Vertrags führt zu einer Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht. Im Klartext bedeutet das: Jede Seite muss das zurückgeben, was sie durch den (unwirksamen) Vertrag erhalten hat – jedoch mit wichtigen Einschränkungen zu Lasten des sittenwidrig handelnden Anbieters.
- Auto bleibt beim Verkäufer: Da die Übereignung unwirksam war, bleibt das Fahrzeug im Eigentum des ursprünglichen Besitzers. Er kann sein Auto behalten und muss es nicht herausgeben.
- Gezahlte Mieten zurück an den Verbraucher: Alle bereits geleisteten Mietraten muss der Anbieter zurückerstatten, weil es dafür keinen Rechtsgrund gab (Vertrag nichtig). Im entschiedenen Fall waren das inklusive Gebühren rund 099 €, die an den Kläger zurückfließen.
- Kein Rückzahlungsanspruch für den Käufer: Der Clou: Der Käufer/Vermieter (also das Unternehmen) bleibt auf dem gezahlten Kaufpreis sitzen. 817 S. 2 BGB schließt einen Rückforderungsanspruch aus, wenn auch der Leistende (hier der Käufer) gegen die guten Sitten verstoßen hat. Das OLG Karlsruhe sah genau das gegeben – der Vertrag begünstigte den Käufer einseitig in sittenwidriger Weise, sodass er sein Geld nicht zurückverlangen kann. Der Verkäufer darf folglich den erhaltenen Kaufpreis endgültig behalten.
Diese Rechtsfolge mag überraschend klingen, denn normalerweise müssen bei einem unwirksamen Vertrag beide Seiten empfangene Leistungen zurückgewähren. Im Fall von sittenwidrigen Geschäften jedoch schützt das Gesetz den Benachteiligten stärker: Der Wucherer soll keinen Vorteil aus seinem sittenwidrigen Handeln ziehen können. Nach Ansicht des OLG Karlsruhe wäre es nicht unbillig, dem Anbieter die Rückforderung zu verwehren – im Gegenteil, es habe eine Warnfunktion, damit solche Geschäftsmodelle nicht risikolos fortgeführt werden können.
Unterschiedliche Gerichtsmeinungen – BGH muss endgültig entscheiden
Die Frage, ob der unseriöse Käufer den gezahlten Kaufpreis zurückfordern kann, ist in der Rechtsprechung umstritten. Während das OLG München in einem ähnlichen Fall Anfang 2025 die Rückforderung zugelassen hat, vertritt das OLG Karlsruhe (wie auch etwa das OLG Stuttgart und OLG Düsseldorf) die strenge Linie, dass § 817 Abs. 2 BGB die Rückzahlung sperrt. Bislang existiert dazu noch kein höchstrichterliches Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) in genau diesem Punkt. Es ist jedoch absehbar, dass der BGH sich dieser Frage annehmen wird, zumal im Karlsruher Urteil die Revision (beschränkt auf die Rückzahlungsfrage) zugelassen wurde.
Für Verbraucher bedeutet das zunächst, dass in vielen OLG-Bezirken die Chancen gut stehen, bei überteuerten Sale-and-Rent-Back-Deals sowohl Auto als auch Geld zurückzuerhalten. Sollte der BGH die Karlsruher Linie bestätigen, wäre das ein deutlicher Präzedenzfall zugunsten der Verbraucher. Falls er allerdings der Münchener Ansicht folgt, könnte es sein, dass man den Kaufpreis doch zurückzahlen muss – das Auto bekäme man aber in jedem Fall zurück, da die Sittenwidrigkeit des Vertrages als solche außer Frage steht. In jedem Fall ist die Position der Kunden deutlich verbessert: Das riskante Modell wird für die Anbieter juristisch immer unattraktiver.
Rechtstipp: Vorsicht bei Angeboten „Bargeld & Auto weiterfahren„
Verbraucher, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken, sollten sich von Sale-and-Rent-Back-Offerten nicht vorschnell blenden lassen. Oftmals erkauft man sich die kurzfristige Liquidität mit einem extrem hohen Preis – Wertverlust des Fahrzeugs, hohe Mietraten und das Risiko, am Ende weder Auto noch angemessenen Erlös zu haben. Die aktuelle Rechtsprechung – vom BGH bis zu mehreren Oberlandesgerichten – zeigt, dass diese Geschäftsmodelle häufig sittenwidrige Auswüchse haben und erfolgreich angefochten werden können.
Unser Tipp für Betroffene: Lassen Sie solche Verträge anwaltlich prüfen, insbesondere wenn der gezahlte Kaufpreis offensichtlich weit unter dem Marktwert Ihres Autos lag. Anzeichen von Wucher sind zum Beispiel: ein Kaufpreis, der weniger als halb so hoch ist wie der Fahrzeugwert, in Kombination mit der Ausnutzung Ihrer finanziellen Notlage. Wenn ein Gericht den Vertrag für nichtig erklärt, stehen Ihre Chancen gut, Fahrzeug und bereits gezahltes Geld zurückzubekommen, ohne den erhaltenen Betrag zurückzahlen zu müssen. Dieses Ergebnis mag im Einzelfall überraschend sein, entspricht aber dem Gesetzeszweck, schamlose Ausnutzer in die Schranken zu weisen.
Abschließend gilt: Im Zweifel Finger weg von “Bargeld für Auto und weiterfahren”. Nutzen Sie lieber reguläre Pfandleihangebote oder Kredite, bei denen Sie rechtlich besser abgesichert sind. Sollte es bereits zu spät sein, zögern Sie nicht, Ihre Rechte geltend zu machen – die Gerichte stellen sich zunehmend auf die Seite der Verbraucher, um dieser Wuchermasche einen Riegel vorzuschieben.