OLG Nürnberg: Influencer müssen bei Kontosperrungen am Plattform-Sitz klagen

Influencerinnen und Influencer aufgepasst: Wenn euer Social-Media-Konto gesperrt wird, müsst ihr den Rechtsstreit in der Regel dort führen, wo der Plattformbetreiber seinen Sitz hat. Der Deliktsgerichtsstand (also der Gerichtsstand am Ort des Schadenseintritts) greift nach Auffassung des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg nicht, weil es in solchen Fällen um vertragsrechtliche Ansprüche geht – maßgeblich ist der vereinbarte Gerichtsstand aus den Nutzungsbedingungen (hier: Irland). Das zeigt ein aktueller Beschluss des OLG Nürnberg vom 19.08.2025 (Az. 3 W 1224/25 Kart), den wir im Folgenden ausführlich beleuchten.

Hintergrund: Gesperrter Account ohne Vorwarnung

Eine deutsche Influencerin mit rund 167.000 Followern auf ihrem Lifestyle-Kanal erlebte eines Tages einen Schock: Ihr Account war plötzlich deaktiviert – ohne vorherige Ankündigung. Die Plattform (betrieben von einem Unternehmen mit Sitz in Irland) teilte ihr lediglich mit, ihr Konto habe gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen, Stichwort „Verbot menschlicher Ausbeutung“. Konkrete Vorwürfe oder eine Möglichkeit zur Stellungnahme erhielt sie nicht. Für die Influencerin, die ihre Reichweite als geschäftliche Grundlage nutzt, bedeutete die Sperre einen massiven Einschnitt in ihre berufliche Existenz.

Erste Instanz: Eilrechtsschutz vor dem LG Nürnberg-Fürth

Die Content-Creatorin wollte die Sperrung nicht hinnehmen. Sie stellte beim Landgericht Nürnberg-Fürth einen Antrag auf einstweilige Verfügung, um ihren Account schnellstmöglich wieder freizuschalten und künftige Sperrungen ohne Anhörung zu verhindern. Juristisch stützte sie sich dabei auf Wettbewerbs- und Kartellrecht – konkret auf den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB sowie einen Unterlassungsanspruch nach § 33 Abs. 1 GWB. Kurz gesagt: Sie warf der Plattform vor, durch die unbegründete Sperrung ihre marktbeherrschende Macht zu missbrauchen, und verlangte daher Wiederaktivierung und Unterlassung weiterer Sperren.

Das Landgericht lehnte den Eilantrag jedoch als unzulässig ab, weil aus seiner Sicht keine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bestand. Mit anderen Worten: Das deutsche Gericht hielt sich gar nicht erst für befugt, über den Fall zu entscheiden, da möglicherweise irische Gerichte zuständig seien. Die Influencerin legte dagegen sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht Nürnberg ein – jedoch ohne Erfolg.

Entscheidung des OLG Nürnberg: Kein Gerichtsstand in Deutschland

Das OLG Nürnberg bestätigte die Einschätzung der ersten Instanz und verneinte die Zuständigkeit deutscher Gerichte. Die Begründung des Gerichts lässt sich in drei zentralen Punkten zusammenfassen:

Vertragsstreit statt unerlaubte Handlung

Nach Ansicht des OLG handelt es sich bei dem Konflikt um eine vertragliche Streitigkeit, nicht um eine deliktische (unerlaubte Handlung). Zwar wollte die Antragstellerin den sogenannten Deliktsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-Verordnung (EuGVVO) nutzen – dieser erlaubt bei grenzüberschreitenden Fällen eine Klage am Ort, an dem ein schädigendes Ereignis eintritt. Doch das OLG stellt klar, dass hier kein „Unfall“ oder ähnliches vorliegt, sondern ein Streit über Pflichten aus dem Nutzungsvertrag. Die Influencerin rügt letztlich, dass die Plattform vertragswidrig ihr Konto gesperrt hat. Damit greift Art. 7 Nr. 2 EuGVVO (Delikt) nicht, weil kein eigenständiger Deliktanspruch vorliegt, sondern alles auf vermeintlichem Vertragsbruch beruht.

Kein Verbraucherschutz-Gerichtsstand für gewerbliche Nutzer

Das OLG prüfte auch, ob die Influencerin sich auf den Verbraucher-Gerichtsstand berufen kann. Nach Art. 17 und 18 EuGVVO können Verbraucher Verträge grundsätzlich am eigenen Wohnsitz gerichtlich durchsetzen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Hier scheidet das jedoch aus: Die Antragstellerin nutzte den Account zu gewerblichen Zwecken (für kommerzielle Influencer-Tätigkeit) und ist somit keine Verbraucherin im Sinne der EuGVVO. Daher genießt sie nicht den besonderen Gerichtsstandsschutz, den private Endnutzer haben. Wichtig: Selbst wenn Plattform-AGB Verbraucherklagen im Heimatland zulassen, gilt das nicht für gewerbliche Nutzer. So enthalten z.B. die Nutzungsbedingungen von Meta (Facebook/Instagram) Klauseln, wonach Verbraucher in ihrem EU-Heimatland klagen dürfen, geschäftliche Nutzer hingegen alle Ansprüche vor irischen Gerichten geltend machen müssen. Im vorliegenden Fall galt die Influencerin als Unternehmerin – folglich greift die Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten Irlands.

Kartellrecht kein „Trick“ für deutschen Gerichtsstand

Der möglicherweise spannendste Teil der Entscheidung betrifft den Einsatz von Kartellrecht. Die Influencerin hatte argumentiert, die Sperrung sei ein Marktmachtmissbrauch der Plattform (die ja eine dominante Stellung hat), um so einen kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch zu begründen. Ihr Ziel dabei war offensichtlich, über diesen kartellrechtlichen Deliktanspruch doch noch einen Gerichtsstand in Deutschland zu eröffnen (denn Kartellverstöße können als unerlaubte Handlung gem. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO verfolgt werden).

Doch auch hier erteilt das OLG Nürnberg eine Absage: „Das Kartellrecht ist kein Instrument, um auf Vertragsverletzungen des anderen zu reagieren und hierzu auch noch gesonderte Gerichtsstände zu gewähren,“ so das Gericht deutlich. Mit anderen Worten: Man kann nicht einfach einen Vertragsstreit als Kartellverstoß „etikettieren“, nur um in Deutschland klagen zu können.

Zudem sah der Senat inhaltlich keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Die Sperre eines einzelnen Accounts betraf keine marktbezogene Tätigkeit im Sinne des Kartellrechts, sondern erfolgte im Rahmen der vertraglichen Nutzungsbedingungen der Plattform. Die Entscheidung, ein Konto zu sperren, sei eben Ausfluss der vertraglich vereinbarten Regeln (Community Standards etc.) und keine Wettbewerbsbeschränkung auf einem Markt. Damit liege kein kartellrechtlicher Verstoß vor, der einen deliktischen Anspruch begründen könnte.

Gerichtsstandsvereinbarung schlägt Kartellrecht: Selbst falls man einen kartellrechtlichen Anspruch annehmen würde, hält das OLG Nürnberg die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien für vorrangig. Die Plattform-AGB verwiesen ausdrücklich auf die irischen Gerichte, und diese Vereinbarung erfasse sämtliche Ansprüche aus der Vertragsbeziehung, auch etwaige kartellrechtliche Streitigkeiten. Mit anderen Worten: Die Klausel, in der sich die Nutzer (außer Verbraucher) verpflichten, in Irland zu klagen, gilt nach Auffassung des OLG auch für Kartellrechtsverstöße, da diese eng mit dem Vertragsverhältnis verknüpft sind.

Diese Sichtweise des OLG Nürnberg steht allerdings nicht ganz unumstritten da. Beispielsweise hat das OLG Düsseldorf im April 2025 in einem ähnlichen Fall (Facebook-Seiten-Sperre) genau gegenteilig entschieden: Dort wurde eine kartellrechtliche Klage zugelassen und deutsche Gerichte für zuständig erklärt, ungeachtet der Irland-Klausel. Das OLG Düsseldorf hielt die Forumsklausel in den AGB für unwirksam, soweit kartellrechtliche Ansprüche betroffen sind, da diese als Deliktsansprüche eigenständig neben dem Vertrag zu beurteilen seien. Die Gerichte gehen hier also (noch) unterschiedlich vor – eine höchstrichterliche Klärung durch den Bundesgerichtshof oder EuGH dürfte künftig zu erwarten sein. Bis dahin gilt aber: Man sollte nicht darauf wetten, mit Kartellrecht die Gerichtsstandklausel umgehen zu können, zumal das OLG Nürnberg nun einen restriktiven Kurs bestätigt hat.

Praxistipps für Influencer

Dieses Urteil des OLG Nürnberg ist ein Weckruf für alle Social-Media-Unternehmer: Wer Einkünfte und Geschäftsmodell auf Plattformen wie Instagram, Facebook, YouTube, TikTok & Co. aufbaut, muss im Ernstfall bereit sein, seine Rechte im Ausland geltend zu machen. Die Gerichtsstandsvereinbarungen in den Nutzungsbedingungen der großen Plattformen sehen häufig vor, dass nicht-private Nutzer bei Streitigkeiten im Heimatland der Plattform klagen müssen (häufig Irland bei vielen großen Anbietern). Nach aktueller Rechtslage sind deutsche Gerichte in solchen Fällen oft außen vor.

Worauf sollte man achten? Einige wichtige Punkte auf einen Blick:

  • Gerichtsstand laut AGB prüfen: Lesen Sie die Nutzungsbedingungen Ihrer Plattform genau. Meist ist dort festgelegt, vor welchen Gerichten und nach welchem Recht Streitigkeiten aus dem Vertrag ausgetragen werden. Im geschilderten Fall verwies die Klausel auf irische Gerichte, was vom OLG als bindend angesehen wurde. Ist man mit solchen Klauseln nicht einverstanden, sollte man sich der Risiken bewusst sein – eine individuelle Verhandlung des Gerichtsstands ist bei großen Anbietern praktisch ausgeschlossen.
  • Kein „Heimspiel“ bei Vertragsverletzungen: Bei Konflikten über Kontosperrungen handelt es sich rechtlich um Vertragssachen, keine unerlaubten Handlungen. Der Versuch, einen deutschen Gerichtsstand über Deliktsrecht zu begründen (z.B. weil der Schaden in Deutschland eintritt), wird regelmäßig scheitern, sofern der Kern der Vorwürfe auf Verletzung von Vertragspflichten basiert.
  • Gewerbliche Nutzer ≠ Verbraucher: Influencer, Streamer und andere kommerzielle Content Creator gelten in der Regel nicht als Verbraucher, wenn sie ihre Accounts zu beruflichen Zwecken nutzen. Damit entfallen die Schutzmechanismen des Verbrauchergerichtsstands am Wohnsitz. Wer Einnahmen erzielt oder Produkte/Dienstleistungen über seinen Account vermarktet, kann sich im Streitfall nicht darauf berufen, daheim in Deutschland klagen zu dürfen – er wird an den vertraglich vereinbarten Gerichtsstand gebunden sein.
  • Kartellrecht nur bei echter Marktmachtfrage relevant: Ein kartellrechtlicher Ansatz (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) mag in krassen Fällen weiterhin denkbar sein – etwa wenn ein Plattformgigant ohne Grund und Verfahren Accounts sperrt. Allerdings zeigt das OLG Nürnberg, dass Gerichte sehr genau hinschauen, ob wirklich ein wettbewerbsrechtlicher Verstoß vorliegt oder nur ein vertragsrechtlicher Konflikt. Nur wenn ersteres substantiiert dargelegt wird (z.B. völlig unbillige AGB-Bedingungen oder strategisches Ausnutzen von Marktmacht), könnte man über Art. 7 Nr. 2 EuGVVO einen deutschen Gerichtsstand erreichen. Im Normalfall wird dies schwierig – und die Gerichtsstandsvereinbarung dürfte selbst dann oft weiterhin greifen.
  • Praktische Vorsorge und Reaktion: Angesichts der Hürden sollte man als Influencer präventiv handeln: Sorgen Sie für Reichweiten-Diversifikation (nicht alles auf einen Account bei einer Plattform setzen) und Backups Ihrer Inhalte und Follower-Kontakte. Im Konfliktfall nutzen Sie zunächst interne Einspruchsverfahren der Plattform (wie das im obigen Facebook-Beispiel vorgesehene Überprüfungsverfahren) – dokumentieren Sie alles. Sollte dennoch eine Klage unumgänglich sein, lassen Sie sich frühzeitig von spezialisierten Anwälten beraten, idealerweise mit Netzwerk zum betreffenden Land (z.B. Irland), um die Erfolgsaussichten und Kosten abzuschätzen.

Die Entscheidung OLG Nürnberg vom 19.08.2025 führt eindrücklich vor Augen, dass Influencer bei Streitigkeiten über Account-Sperren an die vertraglichen Spielregeln gebunden sind. Der vermeintlich „leichtere Weg“ über deutsche Gerichte ist in der Regel versperrt, wenn die Plattform ihren Sitz im Ausland hat und dies in den AGB so vereinbart ist. Influencer und andere Content Creator sollten sich dieser Rechtslage bewusst sein und ihre Geschäftsstrategien entsprechend absichern. Im Zweifel heißt es also: Ab nach Irland zum Klagen – oder besser noch, alles dafür tun, dass es gar nicht erst zum Gerichtsstreit kommt.