Hintergrund: Mehrarbeit und Bandbreiten-Regelung im Beamtenrecht NRW
Beamte – insbesondere Lehrer – kennen das Problem: Oft fällt mehr Arbeit an als im Dienstplan vorgesehen. Mehrarbeit im beamtenrechtlichen Sinne liegt jedoch nur vor, wenn die Dienstbehörde sie ausdrücklich angeordnet oder genehmigt hat. In Nordrhein-Westfalen regelt § 61 Abs. 1 S. 2 LBG NRW, dass Beamte ab mehr als fünf Stunden angeordneter Mehrarbeit pro Monat innerhalb eines Jahres entsprechenden Freizeitausgleich erhalten müssen; ist dieser aus dienstlichen Gründen unmöglich, gibt es ersatzweise eine Vergütung (bis max. 480 Stunden/Jahr). Ohne eine solche Anordnung besteht kein Anspruch auf Ausgleich – auch wenn tatsächlich mehr gearbeitet wurde.
Für Lehrer gibt es zusätzlich die sogenannte Pflichtstunden-Bandbreite („Bandbreitenmodell“). Nach § 3 der VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW kann die Schule die Unterrichtsverpflichtung einzelner Lehrer umverteilen, um besondere Belastungen auszugleichen. Das Kollegium entscheidet Grundsätze dafür, und die Schulleitung verteilt dann z. B. Entlastungsstunden an Lehrer mit hoher Korrekturbelastung, während andere entsprechend mehr unterrichten. Wichtig: Dieses Modell verändert nicht die Gesamtarbeitszeit der Schule und verursacht keine Mehrkosten – es verteilt nur die Arbeit anders. Mehrarbeit im Rechtssinne entsteht dadurch in der Regel nicht, solange die individuelle Pflichtstundenzahl im erlaubten Rahmen bleibt (in NRW max. ±3 Stunden von der Norm).
Der Fall: Lehrerin fordert Ausgleich für Korrekturstunden
Eine Oberstudienrätin (verbeamtete Lehrerin) fühlte sich in den Schuljahren 2016/2017 und 2017/2018 überlastet. Sie unterrichtete Informatik – ein Fach mit erheblichem Korrekturaufwand – und bekam dafür nach dem schulinternen Entlastungsschlüssel zwar einige Entlastungsstunden, aber ihrer Meinung nach nicht genug. Konkret musste sie über die zwei Jahre hinweg insgesamt 80 Unterrichtsstunden mehr halten, weil man ihr nicht ausreichend Stunden erlassen hatte. Diese 80 Stunden verlangte sie vom Dienstherrn ausgeglichen: entweder durch nachträglichen Freizeitausgleich (entsprechende Freistellung) oder hilfsweise durch Bezahlung.
Die Lehrerin argumentierte, dies sei Mehrarbeit gewesen. Die Schulleitung habe im Rahmen des Bandbreitenmodells ihren Pflichtstundenumfang zu hoch festgesetzt, indem sie das Fach Informatik falsch einsortiert habe. Anstatt Informatik wie Deutsch (hoher Korrekturaufwand) zu behandeln, sei es dem Bereich Mathematik/Naturwissenschaften zugeordnet worden – wodurch ihr weniger Entlastungsstunden gewährt wurden, als nötig gewesen wären. Dies stelle eine unzulässige Mehrbelastung dar, die abzugelten sei.
Entscheidung des OVG NRW (Beschluss vom 29.10.2025 – Az. 6 A 2516/22)
Das Oberverwaltungsgericht NRW hat den Anspruch der Lehrerin abgelehnt – die Berufung gegen die erstinstanzliche Klageabweisung wurde gar nicht erst zugelassen. Aus Sicht des Gerichts bestand weder ein Anspruch auf Freizeitausgleich noch auf Vergütung der streitigen 80 Stunden. Hier die wichtigsten Gründe:
- Keine angeordnete Mehrarbeit: Die 80 zusätzlichen Stunden waren nicht ausdrücklich als Mehrarbeit angeordnet oder genehmigt. Im Gegenteil – die Schulleitung ging davon aus, dass die Lehrerin innerhalb ihrer regulären Pflichtstundenzahl unterrichtete und eben keinen Überschuss leistete. Ohne dienstliche Anordnung liegt rechtlich keine Mehrarbeit i.S.d. § 61 LBG NRW vor. Die Verteilung der Unterrichtsstunden im Rahmen der Bandbreiten-Regelung ist kein Mehrarbeitsauftrag, sondern gehört zur Organisation der regulären Arbeitszeit. Daher scheiden Ansprüche nach § 61 LBG NRW aus.
- Kein Folgenbeseitigungsanspruch: Ein Folgenbeseitigungsanspruch setzt einen anhaltenden rechtswidrigen Zustand voraus, der beseitigt werden muss. Hier war aber kein aktueller rechtswidriger Zustand mehr vorhanden – die betreffenden Schuljahre waren abgeschlossen. Zudem kann über diesen Anspruch kein rückwirkender Freizeitausgleich erreicht werden. Auch ein Geldanspruch lässt sich daraus nicht herleiten, da der Folgenbeseitigungsanspruch auf Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands zielt, nicht auf Entschädigung.
- Kein beamtenrechtlicher Ausgleichsanspruch mangels zeitnaher Geltendmachung: Im Beamtenrecht gibt es einen aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleiteten Ausgleichsanspruch, wenn ein Beamter rechtswidrig über die höchstzulässige Arbeitszeit hinaus beansprucht wurde. Dieser greift aber nur unter engen Bedingungen: Insbesondere muss der Beamte die Überlastung zeitnah rügen, damit ab dem Folgemonat nach der Rüge ein Ausgleich entstehen kann. Im vorliegenden Fall hatte die Lehrerin erst im Schuljahr 2018/2019 – also nach Abschluss der belastenden Jahre – ihre Ansprüche schriftlich geltend gemacht. Das OVG hielt dies für zu spät. Allgemeine mündliche Bedenken genügen nicht; erforderlich ist eine ausdrückliche schriftliche Geltendmachung gegenüber dem Dienstherrn. Aufgrund dieses verzögerten Vorgehens scheiterte der Ausgleichsanspruch bereits formell.
Hinweis: Die Rechtsprechung (u.a. Bundesverwaltungsgericht 2022) verlangt vom Beamten, anhaltende Überlastung laufend zu rügen, sonst verfällt ein Ausgleichsanspruch für in der Vergangenheit liegende “Zuvielarbeit”. Dies soll verhindern, dass Beamte jahrelang Überstunden ansammeln und erst später Ansprüche stellen.
- Zulässigkeit der Arbeitsverteilung: Unabhängig von der formalen Seite konnte die Lehrerin auch in der Sache nicht beweisen, dass sie rechtswidrig über die maximal zulässige Arbeitszeit hinaus beansprucht wurde. Das Gericht betonte, dass die Bandbreiten-Entscheidungen der Schule nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar sind. Solange die Schulleitung bei der Verteilung der Stunden einen vertretbaren Ermessensspielraum einhält und keine Willkür vorliegt, mischt sich das Gericht ungern ein. Im Ergebnis fand das OVG die Einstufung von Informatik in den Bereich Mathematik/Naturwissenschaften nicht zu beanstanden. Insbesondere hatte die Lehrerkonferenz der Schule selbst klarstellend beschlossen, dass Informatik zu diesem Bereich gehört (Beschluss vom 27.08.2018). Damit war die geringere Entlastung für Informatik-Lehrer schulintern legitimiert. Eine darüber hinausgehende Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung der Klägerin um weitere Stunden pro Woche war weder zwingend vorgesehen noch rechtlich einklagbar. Kurz gesagt: Die erteilte Unterrichtsverteilung lag im zulässigen Rahmen, sodass keine rechtswidrige Überlastung
Nachdem das OVG all diese Punkte durchging, stand fest: Die Lehrerin hatte weder aus Spezialnormen noch aus allgemeinen Grundsätzen einen Anspruch. Folglich wurde die Berufung nicht zugelassen – die erstinstanzliche Klageabweisung ist rechtskräftig.
Bedeutung für die Praxis: Tipps für betroffene Beamte
Diese Entscheidung ist nicht nur für Lehrer, sondern für alle Beamten relevant, die mit Überstunden oder Überlastung zu kämpfen haben. Was lässt sich daraus lernen? Hier einige konkrete Hinweise und Handlungsempfehlungen:
- Ohne Anordnung kein Anspruch: Stellen Sie sicher, dass eventuelle Überstunden offiziell angeordnet oder genehmigt werden. Freiwillig geleistete Extras zählen rechtlich meist nicht als Mehrarbeit und können später kaum eingefordert werden. Fragen Sie im Zweifel proaktiv nach einer schriftlichen Anordnung, wenn Sie deutlich über Ihre regelmäßige Arbeitszeit hinaus arbeiten sollen.
- Überlastung sofort anzeigen: Wenn Sie den Eindruck haben, dauerhaft über die höchst zulässige Arbeitszeit hinaus in Anspruch genommen zu werden, reagieren Sie zeitnah. Melden Sie die Überlastung schriftlich Ihrem Dienstvorgesetzten – etwa in Form einer Überlastungsanzeige oder dienstlichen Beschwerde. Nur so wahren Sie sich die Möglichkeit, einen beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch für die Zukunft zu begründen. Ein formloser Hinweis im Gespräch reicht nicht; es sollte klar hervorgehen, dass Sie einen Ausgleich oder Abhilfe verlangen.
- Dokumentation ist entscheidend: Führen Sie möglichst genau Buch über Ihre Arbeitszeiten und zusätzliche Aufgaben. Notieren Sie, wann und wodurch Sie Ihre regelmäßige Arbeitszeit überschreiten. Diese Unterlagen können im Konfliktfall belegen, in welchem Umfang Sie Zuvielarbeit geleistet haben. Ohne Nachweise ist es schwierig, Ansprüche durchzusetzen.
- Interne Ausgleichsmechanismen nutzen: Gerade im Schulbereich sollten Lehrer die internen Ausgleichsregeln (Bandbreitenmodell) aktiv nutzen. Beantragen Sie frühzeitig Entlastungsstunden, wenn Sie wissen, dass z. B. durch Korrekturen eine höhere Belastung entsteht. Nehmen Sie an Lehrerkonferenzen teil und setzen Sie sich für gerechte Verteilungsgrundsätze ein. Die Lehrerkonferenz entscheidet über die Grundsätze der Stundenverteilung – hier lohnt es sich, Ihre Position einzubringen. Wenn ein schulinterner Beschluss unklar ist, drängen Sie auf Klärung im Kollegium, statt eigenmächtig von einer für Sie günstigeren Auslegung auszugehen.
- Rechtslage kennen und realistisch einschätzen: Machen Sie sich mit den einschlägigen Vorschriften vertraut (z. B. Landesbeamtengesetz, Arbeitszeitverordnung, Schulgesetze). Nicht jede Mehrarbeit ist rechtswidrig – es gibt Gestaltungsspielräume des Dienstherrn. Eine Erhöhung der Arbeitszeit innerhalb zulässiger Grenzen oder ein unvollkommenes internes Belastungsausgleichssystem begründet allein noch keinen einklagbaren Anspruch. Überlegen Sie daher genau, ob eine Klage Aussicht auf Erfolg hat oder ob interne Lösungen zielführender sind. Ggf. ziehen Sie einen Fachanwalt für Beamtenrecht hinzu, um Ihre Chancen zu bewerten.
- Zeitfaktor beachten: Ansprüche nicht aufschieben! Sollte eine rechtliche Auseinandersetzung doch notwendig sein, müssen wesentliche Punkte zeitnah geltend gemacht werden. Beispielsweise verfallen Mehrarbeitsvergütungsansprüche oft, wenn sie nicht binnen einer bestimmten Frist (häufig 12 Monate) beantragt werden. Auch der hier besprochene Ausgleichsanspruch wegen Zuvielarbeit greift nur für die Zukunft ab Rüge. Wer erst Jahre später klagt, steht – wie die Lehrerin im entschiedenen Fall – in der Regel mit leeren Händen da.
Die Entscheidung des OVG NRW zeigt, wie wichtig es für Beamte ist, ihre Rechte und Pflichten rund um Mehrarbeit zu kennen. Gerade Lehrer sollten verstehen, dass schulinterne Ausgleichsmodelle zwar für mehr Gerechtigkeit sorgen sollen, aber kein Freibrief für Vergütungsansprüche sind. Für alle gilt: Wer glaubt, mehr zu leisten als er müsste, sollte frühzeitig den Dialog mit dem Dienstherrn suchen, notfalls seine Ansprüche schriftlich anmelden und sich beraten lassen. So lassen sich unnötige