Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat mit Beschluss vom 7. April 2025 (Az. 3 Bs 20/25) entschieden, dass Pressevertreter grundsätzlich einen Auskunftsanspruch auf Nennung des Strafverteidigers in einem laufenden, nichtöffentlichen Ermittlungsverfahren haben können, sofern eine Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Verteidigers ergibt, dass das Informationsinteresse überwiegt. Anders als im öffentlichen Hauptverfahren, in dem das Persönlichkeitsrecht des Verteidigers gemindert ist, besteht im Ermittlungsverfahren kein genereller Geheimhaltungsanspruch; maßgeblich ist vielmehr eine fallbezogene Abwägung zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechten. Das OVG wies sowohl die Beschwerde der Staatsanwaltschaft als auch die der Presse zurück und stellte klar, dass die Offenlegung von Name und Kanzleisitz allein die Sozialsphäre des Verteidigers berührt und daher in der Regel hinzunehmen ist, wenn keine Stigmatisierungsgefahr droht. Ein Anspruch auf Auskunft über allgemeine Kontaktwege zu Untersuchungshäftlingen wurde hingegen mangels besonderer Eilbedürftigkeit im einstweiligen Rechtsschutz verneint.
Hintergrund und Verfahrensweg
Die Presseanfrage
Ende Januar 2025 erkundigte sich eine Boulevardzeitung bei der Pressestelle der Staatsanwaltschaft Hamburg telefonisch sowie per E‑Mail nach dem Namen und der Kanzleianschrift des Strafverteidigers eines in Untersuchungshaft sitzenden Beschuldigten. Zugleich fragte die Redaktion an, ob und wie sie direkt Telefon‑ oder Besuchstermine mit Untersuchungshäftlingen vereinbaren könne; darauf blieb die Behörde ohne nähere Antwort.
VG Hamburg verpflichtet zur Auskunft
Mit Beschluss vom 14. Februar 2025 verpflichtete das Verwaltungsgericht Hamburg die Staatsanwaltschaft im einstweiligen Rechtsschutz, den Namen und die Kanzleianschrift des Verteidigers preiszugeben. Zur Begründung führte das VG an, im Ermittlungsverfahren sei kein schutzwürdiges Persönlichkeitsinteresse des Verteidigers erkennbar, das dem Auskunftsbegehren nach § 4 Abs. 1 HmbPresseG entgegenstehe. Gleichwohl lehnte das VG die generelle Auskunft zu Kontaktmodalitäten ab, da hierfür kein spezifisches öffentliches Interesse dargelegt worden sei.
OVG Hamburg bestätigt im Beschwerdeverfahren
Beide Parteien legten Beschwerde ein. Am 7. April 2025 bestätigte das OVG Hamburg die Entscheidung des VG: Die Staatsanwaltschaft muss Auskunft über den Verteidiger erteilen, nicht aber über generelle Besuchs‑ oder Telefontermine. Die Kosten tragen beide Parteien je zur Hälfte; der Streitwert wurde auf 10.000 € festgesetzt.
Juristische Würdigung
Persönlichkeitsschutz vs. Pressefreiheit
Das Gericht bekräftigt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht—Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG—auch den Strafverteidiger im Ermittlungsverfahren schützt und nicht automatisch geschmälert ist, wie es im öffentlichen Hauptverfahren gemäß § 169 GVG durch das Öffentlichkeitsprinzip der Fall ist. Anders als in BVerwG-Entscheidungen zu öffentlichen Gerichtsverfahren (z. B. BVerwG, Urt. v. 1. Okt. 2014 – 6 C 35/13), in denen die Persönlichkeitsrechte von Verfahrensbeteiligten regelmäßig hinter die Pressefreiheit zurücktreten, gilt diese Minderung in der nichtöffentlichen Ermittlungsphase nicht.
Stattdessen ist eine Einzelfallabwägung erforderlich: Das Gericht muss prüfen, ob das Presseinteresse—als Ausprägung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG—dem Schutzinteresse des Verteidigers überwiegt. Dabei ist die Sozialsphäre des Betroffenen nur eingeschränkt geschützt, sofern keine unzulässige Stigmatisierung oder Gefährdung zu befürchten ist.
Presserechtlicher Auskunftsanspruch
Nach § 4 Abs. 1 HmbPresseG haben Pressevertreter Anspruch auf Auskünfte, die sie für die Ausübung ihrer öffentlichen Aufgabe benötigen. Ein Ausschlussgrund gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 HmbPresseG liegt nur vor, wenn ein überwiegendes öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse verletzt wird. Hier erkannte das OVG keine solche Sperrwirkung, da der Name des Verteidigers allein seine berufliche Sozialsphäre betrifft und keine konkrete Besorgnis schädlicher Folgewirkungen besteht.
Eilverfahren und Vorwegnahme der Hauptsache
Das OVG hob hervor, dass einstweiliger Rechtsschutz nach § 123 VwGO grundsätzlich nicht die Hauptsache vorwegnehmen darf; nur wenn effektiver Rechtsschutz andernfalls nicht gewährleistet wäre, können auch in Presserechtsstreitigkeiten Auskünfte im Eilverfahren erzwungen werden. Das Namensbegehren war hinreichend konkret mit starkem Gegenwartsbezug begründet, das allgemeine Kontakt‑Begehren hingegen nicht.
Bedeutung und Ausblick
- Für Journalisten eröffnet der Beschluss klare Spielregeln: Die Nennung des Verteidigers im Ermittlungsstadium kann eingeklagt werden, wenn konkrete Berichterstattungsvorhaben und Aktualitätsbezug dargelegt sind.
- Für Behörden besteht künftig keine pauschale Geheimhaltungsbefugnis in Ermittlungsverfahren; jede Presseanfrage zur Identität von Verteidigern erfordert eine sorgfältige schriftliche Abwägung.
- Für Verteidiger bedeutet das, dass ihr Name im Rahmen der beruflichen Tätigkeit der Pressefreiheit unterliegt, solange keine substantielle Gefahr oder Stigmatisierung droht.
Der Beschluss setzt einen wichtigen Akzent für das Spannungsverhältnis zwischen dem Rechtsschutz der Verteidigung im Strafverfahren und dem verfassungsrechtlichen Auftrag einer informierten Öffentlichkeit.