Rechtsanwalt in Vermögensverfall   Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft droht

12. Februar 2023 -

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 20.12.2022 zum Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 22/22 entschieden, dass einem Rechtsanwalt in Vermögensverfall der Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft droht.

Der Kläger ist seit dem 6. August 2003 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 7. März 2018 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO).

Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls ist nach der Rechtsprechung des Senats allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder  wenn das [nach neuem Recht] grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist  auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten.

Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

Ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) eingetragen ist (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 2 BRAO). Ein Rechtsanwalt, der in diesem Verzeichnis eingetragen ist, muss zur Widerlegung der Vermutung des Vermögensverfalls ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen und konkret darlegen sowie belegen, dass seine Vermögens und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt, der in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) eingetragen ist, zur Widerlegung der daraus folgenden Vermutung des Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 2 BRAO) ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen und  bezogen auf den Zeitpunkt des Widerrufs beziehungsweise Widerspruchsbescheids  konkret darlegen sowie belegen, dass seine Vermögens und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind.

Will der Rechtsanwalt die durch die Eintragung in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) begründete Vermutung des Vermögensverfalls, d.h. die Vermutung, dass er in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, widerlegen, kann dies nur durch die nachvollziehbare, widerspruchsfreie und vollständige Darlegung geordneter finanzieller Verhältnisse geschehen. Hierzu hat er ein Verzeichnis der gegen ihn bestehenden Forderungen vorzulegen. Dazu genügt es nicht, wenn er im Verlauf des Anfechtungsprozesses betreffend den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtanwaltschaft zu den gegen ihn zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids bestehenden Forderungen einzeln vorträgt. Es ist nicht die Aufgabe der Gerichte, aus dem entsprechenden Sachvortrag des Klägers ein vollständiges und widerspruchsfreies Forderungsverzeichnis zu erstellen. Legt der Kläger ein solches Verzeichnis nicht vor oder gelingt es ihm jedenfalls nicht, ein Verzeichnis vollständig und widerspruchsfrei zu erstellen, bestätigt dies die von ihm zu widerlegende Vermutung ungeordneter finanzieller Verhältnisse.

Die Frage, wie die durch Eintragungen im Schuldnerverzeichnis ausgelöste Vermutung eines Vermögensverfalls widerlegt werden kann, ist in der Senatsrechtsprechung geklärt (s.o. zu 1 b cc). Mit der danach erforderlichen Erstellung eines Vermögensverzeichnisses wird von den Betroffenen entgegen der Auffassung des Klägers nichts „Unmögliches“ verlangt.

In der Senatsrechtsprechung ist des Weiteren geklärt, wann bei Vorliegen eines Vermögensverfalls von einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden auszugehen ist. Danach ist keineswegs „praktisch in jedem Fall“ von einer solchen Gefährdung auszugehen. Allerdings ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts bereits nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO („es sei denn“) zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Die Annahme ist regelmäßig schon im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern gerechtfertigt. Auch wenn die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, nach der der Vermögensverfall die Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden indiziert, nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen des Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen, in der Rechtsprechung des Senats näher beschriebenen Ausnahmefällen verneint werden.

Der pauschale Einwand des Klägers, dass Beweise für eine verstärkte Kriminalität von Rechtsanwälten mit Vermögensverfall nicht erbracht werden könnten, ist ungeeignet, diese gesetzgeberische Wertung ernsthaft in Frage zu stellen. Im Übrigen rückt die Rechtsprechung des Senats keineswegs jeden Rechtsanwalt, der aus welchen Gründen auch immer in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist, in die Nähe eines potenziellen Straftäters. Denn eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden kann auch völlig unabhängig von einem kriminellen Verhalten des Betroffenen eintreten, etwa dadurch, dass bei einem in Vermögensverfall befindlichen Rechtsanwalt das Risiko eines Zugriffs von Gläubigern auf Fremdgelder erheblich größer ist als im Fall eines Rechtsanwalts mit geordneten Einkommens- und Vermögensverhältnissen.

Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache schließlich auch nicht im Hinblick auf die Möglichkeit des Rechtsanwalts zu, noch während des laufenden Rechtsmittelverfahrens betreffend den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft die Wiederzulassung zu beantragen.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Beurteilung von Entwicklungen, die nach dem Abschluss des Widerrufsverfahrens eingetreten sind, einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten. Die beruflichen Nachteile, die einem Rechtsanwalt durch den Verweis auf ein erneutes Zulassungsverfahren entstehen, sind vergleichsweise gering, denn der Rechtsanwalt hat bei nachträglichem Wegfall des Widerrufsgrundes einen Anspruch auf sofortige Wiederzulassung und kann jederzeit einen entsprechenden Antrag stellen. Dieser setzt nicht voraus, dass der Anfechtungsprozess abgeschlossen ist. Sind die Voraussetzungen für die Wiederzulassung erfüllt, ist die Rechtsanwaltskammer vielmehr unabhängig davon zur Wiederzulassung verpflichtet und kann gegebenenfalls der Rechtsanwalt gegen einen ablehnenden Bescheid gerichtlich vorgehen und dieses Verfahren mit dem Anfechtungsprozess verbunden werden. Auf diese Weise kann bei zweifelsfreiem Wegfall des Widerrufsgrundes eine lückenlose Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sichergestellt werden

Der Kläger weist zutreffend darauf hin, dass die Möglichkeit, eine negative (Wieder)Zulassungsentscheidung zusammen mit der Widerrufsentscheidung in demselben (verbundenen) gerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen, voraussetzt, dass bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerrufsverfahrens über den Antrag auf Wiederzulassung entschieden worden ist. Indes ist nicht erkennbar, weshalb dies im Regelfall nicht erfolgen sollte. Denn die Rechtsanwaltskammer ist gem. § 32 Abs. 2 Satz 1 BRAO i.V.m. § 42a Abs. 2 VwVfG verpflichtet, über den Antrag bei einmaliger Verlängerungsmöglichkeit innerhalb von drei Monaten zu entscheiden.

Es trifft nicht zu, dass einer positiven Bescheidung eines Antrages seinerseits auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft bis zur Rechtskraft der Widerrufsentscheidung das Bestehen der bisherigen Zulassung entgegensteht. Anders als das vom Kläger bei der Beklagten beantragte Wiederaufgreifen des Verfahrens betreffend den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 51 Abs. 1 VwVfG setzt die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft nach der Rechtsprechung des Senats nicht voraus, dass ein zuvor erfolgter Widerruf der Zulassung unanfechtbar geworden und der betreffende Anfechtungsprozess abgeschlossen ist .