Rechtsschutz gegen das Anhalten eines an den inhaftierten Beschwerdeführer adressierten Briefes

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 18. August 2021 zum Aktenzeichen 2 BvR 2181/20 entschieden, dass das Anhalten eines an den inhaftierten Beschwerdeführer adressierten Briefes verfassungswidrig ist.

Mit Verfügung vom 23. Januar 2019 wurde dem Beschwerdeführer in der Justizvollzugsanstalt Bützow eine umfassende Postkontrolle gemäß § 34 Strafvollzugsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (StVollzG M-V) wegen der unrechtmäßigen Weitergabe von Daten Mitgefangener an Dritte ohne deren Einverständnis sowie unerlaubter Rechtsberatung auferlegt. Gegen diese wandte er sich in einem anderweitigen Verfahren, das zum Zeitpunkt des Anhaltens seines Briefs anhängig war. Mit staatsanwaltlicher Verfügung vom 4. Dezember 2019 wurde das gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Strafverfahren wegen Abfangens von Daten eingestellt. Der Landesbeauftragte für Datenschutz teilte unter dem 20. Januar 2020 mit, dass der Beschwerdeführer datenschutzrechtlich zur Weitergabe von Daten anderer Gefangener an eine Gefangenengewerkschaft aufgrund eines berechtigten Interesses befugt gewesen sei. Am 6. Oktober 2020 wurde der Beschwerdeführer in die Justizvollzugsanstalt Tegel verlegt.

Am 7. September 2019 schickte die Redaktionsgemeinschaft „der lichtblick“, die Redaktion einer Gefangenenzeitung, dem Beschwerdeführer per Post in einem Umschlag ein persönliches Schreiben sowie eine Mitteilung zu einer vom Beschwerdeführer erhobenen Verfassungsbeschwerde. Das persönliche Schreiben hatte folgenden Inhalt:

Hallo A., natürlich haben wir uns gefreut, dich erneut bei uns begrüßen zu dürfen. Bei der großen Anzahl von mitgebrachten Dokumenten kommen wir erst jetzt langsam dazu die Auswertung zu beginnen. Natürlich haben wir wieder alle Originale beim Anwalt zur Aufbewahrung hinterlegt und für unsere Zwecke Kopien gefertigt. Insofern anbei deine Mitteilung als Kopie (Original beim Anwalt) zu deiner Verwendung. In Zusammenhang mit den verfassungs- und datenschutzrechtlichen Verstößen sind unsere Anwälte, aufgrund des durch eure Beamten gelieferten originalen Dienstschriftverkehrs in Vorbereitung unserer Klagen. Zu unser aller Erstaunen ist auf keinem Schriftstück so etwas wie ein Aufdruck „nur für den Dienstgebrauch“, „vertraulich“ oder die Untersagung der Kenntnisnahme des Inhalts durch „Unbefugte“. Das wird spaßig. Unsere Recherchen in Bezug auf die Verleumdung durch Mitinhaftierte, die von Bediensteten dazu angestiftet wurden, waren sehr fruchtbar. Es liegen hier zwischenzeitlich zwei eidesstattliche Erklärungen und ein Schuldanerkenntnis vor. Eigentlich fehlt nur noch, dass du als Sittich geoutet wirst, dann wäre der Kohl fett. Lass von dir hören, sobald du wieder telefonieren kannst und halte uns auf dem Laufenden über deine weiteren Schritte wegen der Strafanzeige, Dienstaufsichtsbeschwerden und Zivilklagen. Bleib kritisch und streitbar. Die Redaktionsgemeinschaft der lichtblick .“

Am 10. September 2019 wurde der Brief durch die Justizvollzugsanstalt kontrolliert und das persönliche Schreiben angehalten. Dem Beschwerdeführer wurden nur der Umschlag sowie die Mitteilung zu seiner Verfassungsbeschwerde ausgehändigt. Am 20. September 2019 teilte die Justizvollzugsanstalt Bützow der Redaktionsgemeinschaft mit, dass der Brief in Teilen angehalten worden sei. Das Schreiben erfülle die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG M-V. Nach dieser Vorschrift können Schreiben angehalten werden, wenn „sie grob unrichtige oder erheblich entstellende Darstellungen von Anstaltsverhältnissen oder grobe Beleidigungen enthalten“. Gemäß § 35 Abs. 3 StVollzG M-V werde das angehaltene Schreiben dem Absender zurückgegeben.

Indem das Landgericht den Antrag des Beschwerdeführers entgegen dem erkennbar verfolgten Rechtsschutzziel dahingehend ausgelegt hat, dass sich der Antrag allein gegen die bereits in einem weiteren Rechtsschutzverfahren angegriffene Überwachungsanordnung gemäß § 34 Abs. 1 StVollzG M-V richte und dem Beschwerdeführer deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis fehle, hat das Gericht dessen Rechtsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Das Gericht war verpflichtet, die vom Beschwerdeführer ausdrücklich angefochtene Anhalteverfügung vom 10. September 2019 in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Das Landgericht hätte deshalb insbesondere prüfen müssen, ob das von der Redaktionsgemeinschaft an den Beschwerdeführer gesandte Schreiben die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG M-V erfüllt. So bleibt bei der von der Justizvollzugsanstalt nicht näher begründeten Mitteilung über das Anhalten des Schreibens bereits ungeklärt, welche konkreten Inhalte des Schreibens das jeweilige Tatbestandsmerkmal erfüllen sollen.

) Der Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 12. November 2020 verletzt den Beschwerdeführer ebenfalls in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.

Zwar hat das Oberlandesgericht ausgeführt, dass unter anderem ein Feststellungsinteresse anzunehmen sei, wenn bei der angefochtenen Maßnahme ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG substantiiert geltend gemacht werde. Es hat jedoch übersehen, dass eine entsprechende Konstellation hier ersichtlich vorliegt. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Zulässigkeit von Beschränkungen eingehender Schreiben, die an Strafgefangene gerichtet sind, ergeben sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Mit der ergänzenden Begründung, dass die tatsächliche Würdigung des Landgerichts in der angegriffenen Entscheidung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sei und der Senat die wiederholt vorgetragene Ansicht des Beschwerdeführers zur Überwachung und zum Anhalten seiner Briefe nicht teile, hat sich das Oberlandesgericht zudem die landgerichtliche Entscheidung in den zu beanstandenden Erwägungen zu eigen gemacht. Darin liegt eine eigenständige Verkennung der Bedeutung und Tragweite von Art. 19 Abs. 4 GG. Auch aus den folgenden allgemeinen Ausführungen des Senats zu rechtlichen Anforderungen an das Anhalten eingehender Schreiben im Strafvollzug lässt sich keine rechtliche Nachprüfung der angefochtenen Anhalteverfügung vom 10. September 2019 entnehmen.