Sachverständige kritisieren Gesetzentwurf zum Rechtsdienstleistungsmarkt

In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 05.05.2021 haben Sachverständige den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt deutlich kritisiert.

Aus hib – heute im bundestag Nr. 614 vom 06.05.2021 ergibt sich:

Während die Vertreter der Anwaltsverbände und der Legal-Tech-Branche, um die es in dem Entwurf in erster Linie geht, diametrale Positionen vertraten, setzten sich die Rechtswissenschaftler mit den Argumenten beider Seiten auseinander.

Klar gegen den Entwurf sprach sich der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Ulrich Wessels, in seiner Stellungnahme aus. Die BRAK nehme die Vorlage zum Anlass, erneut auf die äußerst kritischen und massiven Auswirkungen dieses Gesetzes auf die Rolle der Anwaltschaft und damit auf den Rechtsstaat insgesamt hinzuweisen. Der Ansatz, einen sich unterhalb der Anwaltschaft etablierenden Rechtsdienstleistungsmarkt weiter zu fördern, werde vehement abgelehnt. Unter der Fahne „Verbraucherschutz“ werde letztlich nichts anderes vorgeschlagen als ein „Legal-Tech-Gesetz“. Verbraucherschutz werde damit nicht erreicht, vielmehr gehe es inhaltlich um Geschäftsinteressen.

Edith Kindermann, die Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins, erklärte, das Anliegen der Bundesregierung sei berechtigt. Der Entwurf greife aber zu kurz. Es gehe nicht um eine Neuverteilung des Rechtsdienstleistungsmarktes, sondern darum, verstärkt in den Blick zu nehmen, auf welche Weise Beteiligte Konflikte lösen oder Konflikte vermeiden und welche Formen ihnen zur Verfügung stehen. Deswegen seien auch die verstärkten Möglichkeiten der Verbraucherschlichtung mit in den Blick zu nehmen und die Möglichkeit der kollektiven Durchsetzung von Verbraucherinteressen mit einzubinden. Über die Möglichkeiten der Beratungshilfe gebe es in Deutschland einen flächendeckenden qualifizierten Zugang zum Recht. Es könne nicht sein, dass Verbraucher ihre Rechte nur durchsetzen können, wenn sie etwas beisteuern.

Der Vorstandsvorsitzende des Legal Tech Verband Deutschland, Philipp Plog, erläuterte die Entwicklungsgeschichte der Unternehmen der Branche, die der Wunsch nach einer fairen und vernünftigen Öffnung des Rechtsmarktes verbinde. Der Verband bringe Akteure des Rechtsmarktes unabhängig von ihrer Berufssparte zusammen, um das enorme Potenzial von Technologie für die Weiterentwicklung von Rechtsberatung einzusetzen. Gerade die Mitglieder des Legal Tech Verbands hätten in einigen Rechtsgebieten den Zugang zum Recht maßgeblich verbessert.

Aus der Sicht von Plog will die Bundesregierung mit ihrem Reformvorhaben im Rechtsdienstleistungsgesetz, der Bundesrechtsanwaltsordnung und dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz die Leitplanken für ein faires Spielfeld zwischen den unterschiedlichen Anbietern von Rechtsdienstleistungen etablieren. Dies werde unterstützt. Die Reform bringe eine dringende Verbesserung der Rechtssicherheit für Legal-Tech-Angebote, die als Inkassodienstleister operieren. Der Gesetzentwurf stelle endlich klar, dass Ansprüche von Geschädigten gebündelt und finanziert werden dürfen, und dass diese Geschäftsmodelle nicht auf die außergerichtliche Durchsetzung von Forderungen beschränkt werden dürfen.

Der Hannoveraner Rechtsanwalt Volker Römermann, Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin, betonte in seiner schriftlichen Stellungnahme, dass der Entwurf das gesamte Geschehen von Rechtsdienstleistungen in den Blick nehme, sei überfällig. Rechtsdienstleister sollten Rechtssicherheit über die Zulässigkeit ihres Geschäftsmodells erhalten können. Versuche, dies zu verhindern, seien zum Scheitern verurteilt.

Der Berliner Rechtsanwalt und Mediator Markus Hartung erklärte, nichtanwaltliche Rechtsdienstleister böten mit Hilfe innovativer Software einen sehr einfachen und für den Kunden risikolosen Service an. Insgesamt erweise sich der Gesetzesentwurf als ein guter Weg, um den aus der Balance geratenen Rechtsdienstleistungsmarkt wieder ins Lot zu bringen. Dass dies mit Änderungen im anwaltlichen Berufsrecht verbunden sei, die, obwohl innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens, für traditionelle Standesvertreter nicht leicht zu verdauen seien, müsse hingenommen werden.

Martin Henssler von der Universität zu Köln verwies darauf, dass seit der Erweiterung der Rechtsdienstleistungsbefugnisse von Inkassounternehmen durch den BGH mit der aufsehenerregenden Entscheidung in der Sache „wenigermiete.de“ eine erhebliche Rechtsunsicherheit bestehe. Im Kern geht es bei der anstehenden Reform darum, einerseits einen rechtssicheren Regelungsrahmen für die neuartigen Formen von Inkassodienstleistungen zu schaffen und andererseits Wettbewerbsnachteile der Rechtsanwaltschaft gegenüber anderen Rechtsdienstleistern, die keinen vergleichbaren berufsrechtlichen Restriktionen unterliegen, zu beseitigen. Im Grundsatz seien diese beiden Kernanliegen des Regierungsentwurfs uneingeschränkt zu begrüßen. Es gebe es allerdings auch Kritikpunkte. Insbesondere seien die Befugnisse der Inkassounternehmen zu weit gezogen.

Matthias Kilian, ebenfalls von der Kölner Universität, betonte, eine gesetzgeberische Reaktion auf die BGH-Entscheidung sei im Interesse der Rechtsuchenden unverzichtbar. Sie dürfe sich aber nicht nur auf punktuelle Neuregelungen aus der Perspektive einer Angleichung des Wettbewerbsverhältnisses zwischen Rechtsanwaltschaft und Inkassodienstleistern beschränken, sondern müsse stärker den Mandanten- beziehungsweise Verbraucherschutz in den Blick nehmen, als dies in der Entwurfsfassung des Gesetzes der Fall ist.

Christian Wolf von der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover wies in seiner Stellungnahme unter anderem darauf hin, dass eine qualifizierte Rechtsdienstleistung nur möglich sei, wenn der Rechtsdienstleister vom Staat unabhängig ist. Inkassounternehmen seien dies nicht, sie unterstünden der staatlichen Wirtschaftsaufsicht. Zudem setze qualifizierte Rechtsberatung Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen voraus, was auf Inkassodienstleister nicht zutreffe. Gleiches gelte für die als Inkassodienstleister zugelassenen Legal-Tech-Unternehmen.

Weitere Informationen
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt (BT-Drs. 19/27673 – PDF, 1 MB)