Sachverständigenkosten über 30.000 € im Strafverfahren bei Strafbefehl über Geldauflage von 23.400 € sind zu viel

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 28. Dezember 2020 zum Aktenzeichen 2 BvR 211/19 entschieden, dass die Kostentragungspflicht eines verurteilten Straftäters mit Sachverständigenkosten über 30.000,00 € gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) verstoßen.

Zwar bestehen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht von vornherein Bedenken gegen die strafprozessrechtlichen Kostenregelungen einschließlich des darin verankerten Veranlassungsprinzips. Eine außergewöhnlich hohe Kostenbelastung kann jedoch im Rahmen der Strafzumessung als Tatfolge im Sinne von § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigt werden.

Wenn im Einzelfall die Höhe der Kosten und Auslagen außer Verhältnis zur verhängten Strafe steht, sodass sich die Auferlegung der Kosten mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten als übermäßige Belastung erweist, bieten bei Geldstrafen § 459d Abs. 2 StPO, im Jugendstrafverfahren § 74, § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG sowie allgemein § 10 der Kostenverfügung (KostVfG), die landesrechtlichen Vorschriften über die Beitreibung (vorliegend § 123 Abs. 3 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen) und § 59 Abs. 1 Nr. 3 der Landeshaushaltsordnung Nordrhein-Westfalen hinreichend Möglichkeit, von der Kostenauferlegung oder -beitreibung abzusehen.

Hiernach erweist es sich als unverhältnismäßig (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG), dass der Beschwerdeführer zur Tragung von Verfahrenskosten in Höhe von 30.781 Euro herangezogen wird, ohne in erkennbarer Weise zu berücksichtigen, dass die Kostenbelastung die vom Beschwerdeführer bereits erfüllte Geldauflage in Höhe von 23.400 Euro erheblich übersteigt.

Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 13. Mai 2015 hat das Amtsgericht gegen den Beschwerdeführer eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten festgesetzt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gleichzeitig hat es dem Beschwerdeführer auferlegt, einen Geldbetrag von 23.400 Euro in 36 Monatsraten zu je 650 Euro zugunsten der Staatskasse zu zahlen (§ 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StGB). Die Geldauflage dient der Genugtuung für das begangene Unrecht (§ 56b Abs. 1 Satz 1 StGB) und stellt eine strafähnliche Sanktion dar. Wie die Höhe der Geldauflage von 23.400 Euro und die Zahlungserleichterung zustande kamen, ist in der beigezogenen Strafakte nicht dokumentiert.

Die Verfahrenskosten in Höhe von 30.711 Euro übersteigen die Geldauflage in Höhe von 23.400 Euro erheblich und gehen in ihrer Belastungswirkung weit darüber hinaus. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass dem Beschwerdeführer nachgelassen worden war, die Geldauflage in 36 Monatsraten zu je 650 Euro zu erbringen. Mit derselben – offenbar seinen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechenden – Ratenhöhe müsste der Beschwerdeführer die Verfahrenskosten in weiteren 48 Monatsraten abzahlen, sodass sich seine Zahlungsverpflichtungen auf insgesamt sieben Jahre – und damit weit länger als die Bewährungszeit von drei Jahren – erstrecken würden.

Bereits das Amtsgericht hätte daher bei der Bemessung der Geldauflage in den Blick nehmen und gegebenenfalls dokumentieren können, ob die Geldauflage auch in Ansehung der diese erheblich übersteigenden Verfahrenskosten eine zumutbare Anforderung an den Beschwerdeführer stellt (§ 56b Abs. 1 Satz 2 StGB). Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die außergewöhnlich hohe Kostenbelastung im Strafbefehlsverfahren in Erwägung gezogen, geschweige denn berücksichtigt worden wäre. Weder aus dem Strafbefehl vom 13. Mai 2015 selbst, noch aus dem Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft oder sonst aus der beigezogenen Akte ist ansatzweise ersichtlich, dass das Gericht oder die Verfahrensbeteiligten davon ausgegangen wären oder zumindest die Möglichkeit bedacht hätten, dass die von der Staatsanwaltschaft bezahlte Rechnung der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 11. Dezember 2013 über 30.711 Euro als Sachverständigenvergütung Teil der vom Beschwerdeführer zu tragenden Verfahrenskosten werden würde.

Da nicht erkennbar ist, dass das Amtsgericht bei der Bemessung der Geldauflage die spätere erheblich höhere Kostenbelastung berücksichtigt hätte, hätten sich die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Kostenansatzes, spätestens aber die Gerichte auf die Erinnerung und die Beschwerde des Beschwerdeführers mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob von dem Ansatz oder der Einziehung der Kosten – zumindest teilweise – abzusehen ist, um eine in Betracht kommende unverhältnismäßige Belastung des Beschwerdeführers abzuwenden. Sie haben sich jedoch darauf beschränkt, die einfachrechtlichen Vorschriften über die Kostenberechnung schematisch anzuwenden, ohne sich mit der – vom Beschwerdeführer ausdrücklich aufgeworfenen – Frage der Verhältnismäßigkeit der Kostenbelastung unter Berücksichtigung der bereits bezahlten Geldauflage auseinanderzusetzen.