Illegales Eindringen und heimliche Filmaufnahmen
Zwei Tierschutz-Aktivisten sind im Frühjahr 2024 unerlaubt in einen Schlachthof im niedersächsischen Lohne (Landkreis Vechta) eingedrungen, um dort heimlich Videoaufnahmen zu machen. Die Tierrechtler brachten versteckte Kameras an der CO₂-Betäubungsanlage an und filmten, wie Schweine in eine Gondel getrieben und in einen Schacht hinabgefahren werden, um sie mit hochkonzentriertem Kohlendioxid zu betäuben. Diese CO₂-Betäubungsmethode ist in Deutschland eine gängige, gesetzlich zulässige Schlachtpraxis, auch wenn sie als belastend für die Tiere gilt – auf den Aufnahmen werden die Schweine unruhig und schreien. Die Aktivisten übergaben das heimlich erstellte Videomaterial anschließend der Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch (Ariwa), welche die Aufnahmen veröffentlichte, unter anderem in Beiträgen der ARD.
Klage des Schlachthofbetreibers: Unterlassung und Schadensersatz
Der Schlachthofbetreiber – die Firma Brand Qualitätsfleisch GmbH – sah in dem Eindringen und der Veröffentlichung der Aufnahmen eine rechtswidrige Verletzung seiner Rechte und seines Rufes. In einem Rechtsstaat könne es nicht sein, dass Aktivisten und Vereine eigenmächtig Gesetze brechen und in fremdes Eigentum eindringen, „um sich Marketingmaterial für politische oder weltanschauliche Kampagnen zu beschaffen“, rechtfertigte ein Sprecher des Landvolks (Bauernverband) die Klage des Unternehmens. Entsprechend reichte der Betreiber beim Landgericht Oldenburg eine Zivilklage gegen die beiden Aktivisten ein. Gefordert wurden zum einen Unterlassung, nämlich dass die Videoaufnahmen nicht weiter verbreitet werden dürfen. Zum anderen verlangte der Betreiber Schadensersatz in Höhe von rund 98.000 €. Dieser Betrag sollte insbesondere Aufwendungen abdecken, die dem Unternehmen infolge der Rufschädigung durch die Veröffentlichung entstanden sein sollen – genannt wurden u.a. Kosten für zusätzliche Sicherheitsdienste, Krisenkommunikation und Social-Media-Maßnahmen.
Im Zuge des Prozesses kam es zunächst zu einer Güteverhandlung (vergleichsweisen Einigungsversuch). Dabei bot der Schlachthofbetreiber an, auf den Schadensersatz in Höhe von 98.000 € zu verzichten, wenn die Beklagten garantieren, dass das Video-Material zurückgezogen und nicht weiter verbreitet wird. Die Aktivisten lehnten diesen Vergleich jedoch ab. Ihrer Ansicht nach habe die Öffentlichkeit ein Recht, über die Betäubungsmethode und das Leid der Tiere informiert zu werden. Wörtlich erklärte einer der Beteiligten, CO₂ sei ein aggressives Gas, die Schweine hätten beim Eintauchen das Gefühl zu ersticken – „wenn die Worte versagen, dann braucht es eben Bilder“. Obwohl die gezeigte Praxis brutal erscheine, entspreche sie der aktuellen Rechtslage – und genau das müsse geändert werden, so das Argument der Tierschützer. Mit anderen Worten: Die Aktivisten beriefen sich auf ein übergeordnetes öffentliches Interesse und einen ethischen Notstand, um ihr rechtswidriges Vorgehen zu rechtfertigen. Rechtlich ist allerdings wichtig festzuhalten, dass weder das Strafrecht noch das Zivilrecht in einem solchen Fall eine allgemeine Whistleblower– oder Notstandsregelung anerkennt, die ein Hausfriedensbruch oder eine Besitzstörung rechtfertigen würde, solange keine akute konkrete Rechtsgutgefahr vorliegt. Da hier eine erlaubte Betäubungsmethode dokumentiert wurde, lag kein unmittelbarer Rechtsverstoß des Schlachthofs vor – somit griffen die moralischen Rechtfertigungsgründe der Aktivisten juristisch nicht durch.
Urteil des Landgerichts Oldenburg
Am 16. Juli 2025 verkündete das Landgericht Oldenburg sein Urteil in dieser Sache. Das Gericht gab dem Schlachtunternehmen in wesentlichen Punkten Recht. Beide Aktivisten wurden dem Grunde nach zum Schadensersatz verurteilt. Das bedeutet, sie müssen für alle Schäden aufkommen, die durch das unbefugte Betreten des umzäunten Betriebsgeländes und die heimlichen Filmaufnahmen verursacht wurden. Konkret stellte das Gericht fest, dass hier ein Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) bzw. eine Besitz- bzw. Eigentumsstörung vorlag, die zivilrechtliche Schadensersatzansprüche nach sich zieht. Darüber hinaus wurde die beteiligte Aktivistin – namentlich eine 27-jährige Tierrechtlerin – zusätzlich verurteilt, auch für Schäden durch die Veröffentlichung der Videos einzustehen. Nach Überzeugung des Gerichts war sie dafür verantwortlich, dass das Material an Animal Rights Watch gelangte und von dieser Organisation online gestellt wurde. Ihrem 36-jährigen Mitstreiter hingegen konnte eine Beteiligung an der Verbreitung der Aufnahmen nicht nachgewiesen werden. Er haftet deshalb „nur“ für die unmittelbaren Schäden des Eindringens und Filmens, nicht aber für die weitergehenden Reputationsschäden durch die Öffentlichmachung der Videos.
Auch hinsichtlich der Unterlassungsansprüche hatte der Schlachthof Erfolg: Das Gericht untersagte der Organisation Animal Rights Watch per Urteil, das Video-Material weiter zu veröffentlichen oder zu verbreiten. Bereits publizierte Aufnahmen (etwa in sozialen Medien oder auf Webseiten) müssen entfernt und dürfen nicht erneut hochgeladen werden. Zudem wurde den beiden verurteilten Aktivisten verboten, das Gelände des Schlachthofs künftig erneut ohne Erlaubnis zu betreten – ein lebenslanges Hausverbot. Diese Unterlassungsverfügungen dienen dem Schutz des Unternehmens vor weiteren ähnlichen Rechtsverletzungen in der Zukunft.
Schließlich wurden beide Aktivisten zur Tragung der Verfahrenskosten verpflichtet. Im deutschen Zivilprozessrecht gilt der Grundsatz, dass die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits (Gerichts- und Anwaltskosten) zu tragen hat. Die Kostenlast bestätigt, dass die Tierschützer den Prozess in erster Instanz verloren haben.
Wie viel müssen die Aktivisten zahlen? – Schadensersatzhöhe noch offen
Eine zentrale Frage ist nun, in welcher Höhe die Aktivisten tatsächlich Schadensersatz leisten müssen. Das Landgericht Oldenburg hat in seinem Urteil zunächst offengelassen, wie hoch der zu ersetzende Schaden genau ist. Zivilgerichte verurteilen in Fällen wie diesem häufig zunächst nur dem Grunde nach (§ 304 ZPO), also zur Haftung an sich, wenn die genaue Schadenssumme noch unklar oder streitig ist. Die konkrete Schadenshöhe wird dann in einem separaten Verfahren (sogenanntes Betragsverfahren) ermittelt oder im Rahmen der Zwangsvollstreckung festgesetzt.
Im vorliegenden Fall fordert der Schlachthofbetreiber etwa 98.000 € Schadensersatz. Diese Summe umfasst laut Unternehmensangaben insbesondere Aufwendungen, die durch die heimlichen Aufnahmen und deren Veröffentlichung notwendig wurden (z.B. Kosten für Sicherheitsmaßnahmen und Öffentlichkeitsarbeit zur Krisenbewältigung) sowie allgemeine Umsatzeinbußen durch die Rufschädigung. Ob die Aktivisten tatsächlich in dieser Größenordnung haften müssen, steht aber noch nicht fest. Zunächst haben beide Seiten – sowohl der Schlachthofbetreiber als auch die verurteilten Aktivisten – einen Monat Zeit, gegen das Urteil Berufung einzulegen. Legen sie keine Rechtsmittel ein, wird das Urteil rechtskräftig. In diesem Fall würde anschließend ein eigenes Verfahren die genaue Höhe des Schadensersatzes festlegen. Kommt es hingegen zur Berufung, müsste das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg den Fall prüfen – dort hätte der Schlachthofbetreiber allerdings einen ersten Etappenerfolg bereits erzielt, da das Landgericht in seinem Sinne entschied.
Zur Frage, wie viel Geld die Aktivisten zahlen müssen, lässt sich daher sagen: Aktuell steht nur fest, dass sie zahlen müssen, nicht jedoch die genaue Summe. Im Raum steht die Forderung von rund 98.000 €, doch ob dieser Betrag in voller Höhe zugesprochen wird, entscheidet sich erst in der nächsten Verfahrensstufe. Beide Aktivisten müssen aber auf jeden Fall jetzt schon die angefallenen Anwalts- und Gerichtskosten tragen. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, dürften auf sie zusätzlich erhebliche finanzielle Belastungen durch den Schadensersatz zukommen.
rechtlicher Hinweis
Dieser Fall zeigt exemplarisch, dass zivilgesellschaftliches Engagement durch rechtswidriges Eindringen und heimliches Filmen in fremden Einrichtungen erhebliche juristische Konsequenzen nach sich ziehen kann. Auch wenn die Aktivisten aus Tierschutzsicht handelten, bewegt sich ihr Vorgehen außerhalb des gesetzlichen Rahmens. Ein allgemeines „Whistleblower“-Privileg für Tierschützer gibt es im deutschen Recht nicht – insbesondere dann nicht, wenn lediglich gesetzlich erlaubte, wenn auch umstrittene Praktiken dokumentiert werden. Hausfriedensbruch und Eingriffe in fremdes Eigentum bleiben rechtswidrig und können strafrechtlich verfolgt und zivilrechtlich geahndet werden. Im Ergebnis müssen die beiden Aktivisten nicht nur mit möglichen strafrechtlichen Folgen rechnen, sondern werden vom Zivilgericht auch auf Schadensersatz in nicht unerheblicher Höhe in Anspruch genommen.
Tierhaltungsbetriebe und Schlachthöfe haben ein berechtigtes Interesse daran, sich gegen derartige Stalleinbrüche zu wehren. Der vorliegende Gerichtsentscheid könnte daher eine abschreckende Wirkung auf ähnlich motivierte Aktionen haben. Aus Sicht der Tierrechtsorganisationen ist das Urteil freilich ein Rückschlag: Animal Rights Watch kritisierte, dass hier das dokumentierte Leid der Tiere zwar festgestellt, aber nicht beanstandet wurde – während diejenigen, die Missstände aufdecken wollen, juristisch bestraft würden. Gleichwohl verdeutlicht der Fall, dass im Rechtsstaat Rechte Dritter nicht eigenmächtig verletzt werden dürfen, selbst im Dienste einer vermeintlich guten Sache. Aktivisten, die unerlaubt in Betriebe eindringen und dort filmen, müssen im Zweifel mit strafrechtlichen Verurteilungen und Schadensersatzforderungen rechnen. Es ist daher ratsam, andere legale Wege zu suchen, um auf Missstände aufmerksam zu machen – etwa durch politische Arbeit, Presseberichte oder das Anregen behördlicher Kontrollen – anstatt selbst gegen geltendes Recht zu verstoßen.