Schlussanträge des Generalanwalt: Lettisch als verpflichtende Unterrichtssprache an lettischen Hochschulen

Generalanwalt Nicholas Emiliou hat vor dem Europäischen Gerichtshof seine Schlussanträge in der Rechtssache C-391/20, Boriss Cilevičs u.a., zu der Frage vorgelegt, ob eine nationale Regelung, die Hochschulen von einigen Ausnahmen abgesehen verpflichtet, Lehrveranstaltungen ausschließlich in der nationalen Amtssprache anzubieten, mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 08.03.2022 ergibt sich:

Die nachfolgende − unverbindliche − Kurzzusammenfassung dieser Schlussanträge soll allein Ihrer persönlichen Information dienen. Für eine Berichterstattung über die Schlussanträge, insbesondere für Zitate, stützen Sie sich bitte ausschließlich auf die im Anhang beigefügten Schlussanträge selbst.

Das lettische Verfassungsgericht ist mit einer Klage von 20 Abgeordneten des lettischen Parlaments befasst. Diese Abgeordneten bestreiten die Vereinbarkeit einiger Bestimmungen des lettischen Hochschulgesetzes in seiner 2018 geänderten Fassung mit dem Unionsrecht, und zwar im Wesentlichen derjenigen, wonach Hochschulen verpflichtet werden, Lehrveranstaltungen ausschließlich in der nationalen Amtssprache anzubieten.

Das lettische Verfassungsgericht hat den Gerichtshof vor diesem Hintergrund um Auslegung des Unionsrechts ersucht.

In seinen Schlussanträgen von heute schlägt Generalanwalt Emiliou dem Gerichtshof vor, dem lettischen Verfassungsgericht wie folgt zu antworten:

Eine nationale Regelung, die zur Entwicklung und Förderung der staatlichen Amtssprache Hochschuleinrichtungen, die im Wesentlichen aus privaten Mitteln finanziert werden, von einigen Ausnahmen abgesehen verpflichtet, Lehrveranstaltungen ausschließlich in dieser Sprache anzubieten, ist mit dem Unionsrecht vereinbar, sofern sie zur Erreichung des erklärten Ziels geeignet und erforderlich ist und die betroffenen Interessen in einen gerechten Ausgleich bringt.

Nach Ansicht des Generalanwalts führen die streitigen Bestimmungen dadurch, dass sie in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Hochschulen die Ausübung der Niederlassungsfreiheit erschweren und weniger attraktiv machen, zu einer Beschränkung dieser Freiheit.

Es könne zwar kaum ein Zweifel daran bestehen, dass die streitigen Bestimmungen in der Tat dem Schutz und der Förderung des Gebrauchs der staatlichen Amtssprache, nämlich der lettischen Sprache – die zu nationalen Identität gehören könne -, dienen. Dies sei berechtigtes Interesse, das geeignet sei, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu rechtfertigen.

Die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der streitigen Bestimmungen liege jedoch keineswegs auf der Hand. Dies sei daher eine Aufgabe, die am besten der Beurteilung des lettischen Verfassungsgerichts zu überlassen sei, dem insoweit sachdienliche Hinweise gegeben werden könnten.

Der Generalanwalt weist insoweit u.a. darauf hin, dass den Akten keine hinreichenden Angaben dazu zu entnehmen seien, warum zwei privaten Hochschulen, nämlich der Hochschule für Wirtschaftswissenschaften Riga und der Hochschule für Rechtswissenschaft Riga eine Sonderregelung gewährt werde, während dies anderen privaten Einrichtungen (einschließlich der im Ausland ansässigen) verweigert werde.

Außerdem teilt der Generalanwalt nicht die Ansicht, die der streitigen Maßnahme offenbar zugrunde liege, dass zur Förderung des Gebrauchs der staatlichen Amtssprache der Gebrauch anderer Sprachen in der Hochschulbildung zwangsläufig „geopfert“ (oder zumindest erheblich eingeschränkt) werden müsse.

Auch sieht er bei der Abwägung der Vorteile der streitigen Bestimmungen zur Förderung und zum Schutz der staatlichen Amtssprache gegen die Nachteile, die sich für die verschiedenen Gruppen von durch sie beschwerten Personen und Unternehmen ergeben, nicht als sicher an, dass die Ersteren überwiegen.

Schließlich komme dem Schutz von Minderheitensprachen in der vorliegenden Rechtssache zentrale Bedeutung zu, und zwar wegen der großen russischsprachigen Minderheit, die es in Lettland gebe. (RN 113) Die im lettischen Hochschulgesetz vorgesehenen Ausnahmen gälten nämlich nicht für Russisch, da es nicht zu den Amtssprachen der Union gehört.