Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat mit Beschluss vom 30. April 2025 zum Aktenzeichen 1 WB 54.23 entschieden, dass die Feststellung eines Sicherheitsrisikos wegen Zweifeln an der Verfassungstreue eines Soldaten nur dann gerechtfertigt ist, wenn aktuell noch ausreichend konkrete Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Haltung oder Tätigkeit dieser Person bestehen. Anders ausgedrückt: Jugendliche Verfehlungen oder längst aufgegebene extremistische Kontakte allein reichen nicht aus, um einem Soldaten dauerhaft die Sicherheitsfreigabe zu entziehen, sofern es keine gegenwärtigen Hinweise auf fehlende Verfassungstreue gibt. Diese Entscheidung stärkt die Rechte von Soldaten, die ihre Vergangenheit hinter sich gelassen haben, und gibt klare Leitlinien für Sicherheitsüberprüfungen in der Bundeswehr vor.
Hintergrund: Wehrbeschwerde gegen Sicherheitsrisiko-Einstufung
Dem Verfahren lag die Wehrbeschwerde eines Hauptfeldwebels zugrunde. Ihm wurde im Jahr 2022 vom Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt mitgeteilt, dass aufgrund bestimmter Erkenntnisse ein Sicherheitsrisiko festgestellt worden sei. Diese Feststellung hatte zur Folge, dass der Soldat keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit mehr ausüben durfte.
Der betroffene Soldat hatte in seiner Jugendzeit Kontakte in die rechtsextreme Szene. So berichtete er bei Sicherheitsüberprüfungs-Gesprächen mit dem Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), dass er mit 14 Jahren in der Schule erstmals mit rechtsextremen Jugendlichen in Berührung kam, entsprechende Kleidung (Springerstiefel, Bomberjacke) trug und Rechtsrock-Musik (u.a. Landser, Stahlgewitter) hörte. Er gab an, sich mit 16 Jahren bereits innerlich von der Szene gelöst zu haben, während er an anderer Stelle erklärte, dass dieser Ablösungsprozess erst mit 18 Jahren (nach einem Umzug in ein neues Umfeld) endgültig abgeschlossen gewesen sei. Formell war er nie Mitglied einer extremistischen Organisation oder Partei. Zwischen seinem 16. und 19. Lebensjahr bewegte er sich zudem im Umfeld eines bekannten Outlaw-Motorradclubs (hier als „…“ anonymisiert) und fungierte zeitweise als sogenannter Supporter (Unterstützer). Auch diese Kontakte brach er jedoch mit 19 Jahren ab und kehrte der Rocker-Szene den Rücken.
Wesentliche Bedenken der Sicherheitsbehörden ergaben sich aus gewissen Widersprüchen in den Angaben des Soldaten während der Sicherheitsüberprüfung. Beispielsweise hatte er zunächst bestritten, auf seiner Motorrad-„Kutte“ Aufnäher getragen zu haben, räumte aber später ein, doch Szenesymbole (z.B. ein „Support Gremium 7“-Patch) darauf getragen zu haben. Ebenso variierte seine Schilderung, ob er die rechtsextreme Szene mit 16 oder erst 18 Jahren verlassen habe. Zudem hatte er nach eigenen Angaben noch lange Zeit Devotionalien aus der rechtsextremen Phase in seinem Besitz – wie Springerstiefel, eine Bomberjacke und Musikdateien – und pflegte zumindest bis 2018 sporadisch Kontakt zu einem alten Bekannten, der inzwischen Funktionär einer vom Verfassungsschutz beobachteten Partei war. Diese Umstände weckten bei den Sicherheitsprüfern Zweifel an seiner Zuverlässigkeit (§ 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SÜG) und an seinem vollen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (§ 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SÜG).
Der Soldat beteuerte hingegen, dass er sich seit Jahren von Extremismus distanziert habe. Nach dem ersten konfrontativen Gespräch mit dem BAMAD im Jahr 2018 habe er einen „Rundumschlag“ gemacht und sämtliche Erinnerungsstücke aus der rechtsextremen Zeit entsorgt (Kleidung, Musik und sogar alte Fotos). Er trat außerdem einer demokratischen Partei (CDU) bei und legte Leumundsschreiben von Vorgesetzten, Kollegen und Familienangehörigen vor, die ihm eine loyale Gesinnung bescheinigten. Den ehemaligen Schulfreund aus der rechten Szene habe er seit 2019 nicht mehr getroffen und jeden Kontakt abgebrochen. Trotz dieser Entgegnungen blieb der Geheimschutzbeauftragte bei seiner Einschätzung und stellte im Dezember 2022 formell das Sicherheitsrisiko fest, wodurch dem Soldaten die Sicherheitsfreigabe entzogen wurde. Dagegen richtete sich die Beschwerde des Soldaten im Wehrbeschwerdeverfahren.
Entscheidung des BVerwG: Aktuelle Anhaltspunkte als Voraussetzung
Der 1. Wehrdienstsenat des BVerwG gab dem Soldaten überwiegend Recht. Mit seinem Beschluss vom 30.04.2025 hob er den Bescheid des Geheimschutzbeauftragten auf. Maßgeblich stützte das Gericht seine Entscheidung auf den Grundsatz, dass eine negative Sicherheitsprognose wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen nur bei fortbestehenden aktuellen Zweifeln an der Verfassungstreue zulässig ist. Fehlen solche aktuellen Anhaltspunkte, darf kein Sicherheitsrisiko nach § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SÜG festgestellt werden.
Im konkreten Fall stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass es keinerlei Hinweise auf eine gegenwärtig verfassungsfeindliche Haltung oder Tätigkeit des Soldaten gibt. Seit seinem Diensteintritt 2016 ist der Antragsteller **nie durch extremistisches Verhalten oder Äußerungen im Dienst aufgefallen】. Auch außerhalb des Dienstes lagen laut BAMAD keine Erkenntnisse über aktuelle Aktivitäten in rechtsextremen Kreisen vor. Im Gegenteil bescheinigten die vorgelegten Empfehlungen und Charakterzeugnisse dem Soldaten eine gefestigte loyale Einstellung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Zwar hatte der Soldat 2018 noch Kontakt zu einer Person aus der rechten Szene (dem genannten Bekannten „A“), doch konnte er glaubhaft machen, dass dieser Kontakt schon damals im Abklingen war und inzwischen vollständig beendet ist. Konkrete aktuelle Anhaltspunkte für eine fortdauernde Nähe zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen fehlten demnach – ein entscheidender Punkt, der die Feststellung eines Sicherheitsrisikos wegen Zweifeln an der Verfassungstreue unrechtmäßig machte.
Darüber hinaus setzte sich das Gericht mit den Zuverlässigkeitszweifeln (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SÜG) auseinander, die durch die widersprüchlichen Angaben des Soldaten entstanden waren. Hierzu stellte das BVerwG klar, dass die Wahrheitspflicht von Soldaten in sicherheitsrelevanten Überprüfungen von besonderer Bedeutung ist. Unrichtige oder beschönigende Angaben im Sicherheitsverfahren können tatsächliche Anhaltspunkte für mangelnde Zuverlässigkeit liefern. In diesem Fall erkannte das Gericht zwar, dass einige Widersprüche in den Aussagen des Soldaten objektiv vorlagen (z.B. unterschiedliche Zeitangaben zum Ausstieg aus der Szene, wechselnde Angaben über das Vorhandensein von szenetypischen Aufnähern und Zeitpunkte der Entsorgung von einschlägigen Gegenständen). Allerdings bewertete der Senat diese Unstimmigkeiten differenziert: Nicht jede Abweichung wurde als erhebliche Lüge ausgelegt. So war es beispielsweise nachvollziehbar, dass der Soldat nach einem ersten Hinweis 2018 keine weiteren Treffen mit dem bekannten Rechtsextremisten mehr arrangiert hat – dies erklärt, warum er 2018 von gelegentlichem Kontakt sprach, aber 2019 angab, die letzte Begegnung liege schon ein halbes Jahr zurück. Ebenfalls ließ sich sein einmaliges zufälliges Treffen 2022 mit einem früheren Rocker-Kollegen (inklusive abgelehnter Einladung zu einem Club-Treffen) so deuten, dass daraus keine neuen Beziehungen zur Rocker-Szene entstanden.
Letztlich führte das BVerwG aus, dass die Sicherheitsbehörde bei ihrer Prognose zu Unrecht beide Aspekte – Zuverlässigkeit und Verfassungstreue – vermengt hat. Die pauschale negative Prognose stützte sich auch auf die unterstellte fortdauernde Verfassungsuntreue, für die es aber gar keine belastbaren aktuellen Hinweise gab. Dieser Fehler wirkte sich auf die Gesamtabwägung aus. Hätte man korrekterweise nur die Zuverlässigkeitsbedenken berücksichtigt, ohne eine nicht mehr aktuelle rechtsextreme Gesinnung anzunehmen, wäre möglicherweise auch eine mildere Maßnahme in Betracht gekommen – etwa eine kürzere Frist, nach der eine neue Sicherheitsüberprüfung hätte erfolgen können. So aber war die strikte Aberkennung der Sicherheitszuverlässigkeit auf unbestimmte Zeit unverhältnismäßig. Das BVerwG hob deshalb den Bescheid auf. (Lediglich einen formalen Antrag des Soldaten, sofort eine neue Sicherheitsprüfung durchzuführen, wies das Gericht ab – denn eine Wiederholung der Überprüfung erfolgt von Amts wegen erst, wenn der Soldat tatsächlich wieder in eine sicherheitsempfindliche Verwendung kommen soll.)
Die Entscheidung ist ein wichtiger Erfolg für Soldaten, die aufgrund längst vergangener Verfehlungen im Visier der Sicherheitsüberprüfung stehen. Sie stellt klar, dass echte Reue und Distanzierung von früheren extremistischen Neigungen eine Chance bekommen müssen. Vergangenes allein rechtfertigt keine Stigmatisierung, solange der Soldat heute fest auf dem Boden des Grundgesetzes steht und sich nichts Gegenteiliges nachweisen lässt.
Handlungsempfehlungen für betroffene Soldaten
Angesichts dieses Urteils sollten Soldaten, die sich einer Sicherheitsüberprüfung (nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz, SÜG) unterziehen müssen, folgende Punkte beachten:
- Offenheit über die Vergangenheit: Seien Sie bei der Sicherheitsüberprüfung absolut ehrlich. Alle früheren Mitgliedschaften oder Kontakte zu extremistischen Gruppen, auch Jugendsünden, sollten wahrheitsgemäß angegeben werden. Verschweigen oder verharmlosen Sie nichts – Unwahrheiten im Sicherheitsverfahren können als Zuverlässigkeitsmangel gewertet werden. Bedenken Sie, dass der Militärische Abschirmdienst viele Informationen prüfen kann und Widersprüche auffallen.
- Frühzeitige Distanzierung: Sollten Sie in der Vergangenheit in fragwürdige Szenen oder Organisationen verstrickt gewesen sein, distanzieren Sie sich frühzeitig und nachweisbar. Brechen Sie bestehende Kontakte zu extremistischen Personen konsequent ab. Es reicht nicht, heikle Themen im Gespräch auszuklammern – schon der fortbestehende Umgang mit solchen Personen kann Misstrauen erregen. Legen Sie klar dar, ab wann und warum Sie diesen Kontakt beendet haben.
- Szenetypische Gegenstände entsorgen: Entfernen Sie symbolträchtige Kleidung, Abzeichen, Musik oder andere Andenken aus früheren extremistischen oder sonst sicherheitsrelevanten Zusammenhängen aus Ihrem Besitz, sobald Sie mit der Vergangenheit abschließen. Im geschilderten Fall wurde dem Soldaten negativ ausgelegt, dass er Jahre später noch Springerstiefel, Bomberjacke und Rechtsrock-Musik besaß. Solche Relikte können als Zeichen fehlender konsequenter Abkehr verstanden werden.
- Konsistente Aussagen sicherstellen: Bereiten Sie sich gut auf Befragungen vor, insbesondere wenn lange zurückliegende Ereignisse erörtert werden. Bemühen Sie sich um Konsistenz in Ihren Aussagen. Sollten Ihnen im Nachhinein Ungenauigkeiten oder Widersprüche auffallen, stellen Sie diese proaktiv klar. Im Zweifel erklären Sie, wenn Sie sich an Details nicht exakt erinnern können, anstatt zu raten. Inkonsistente Angaben – etwa unterschiedliche Jahreszahlen oder widersprüchliche Beschreibungen – untergraben Ihr Vertrauen und können als vorsätzliche Täuschung gewertet werden.
- Positive Leumundszeugen und Engagement: Untermauern Sie Ihre jetzige Verfassungstreue durch Ihr Verhalten. Engagement in verfassungstreuen Organisationen (z.B. demokratischen Parteien, gemeinnützigen Vereinen) oder tadelloses dienstliches Auftreten können hilfreich sein. Zeugnisse von Vorgesetzten, Kollegen oder dem sozialen Umfeld, die Ihre loyale und demokratische Haltung bestätigen, können im Ernstfall entscheidende Pluspunkte sein. Diese sollten Sie sammeln und im Bedarfsfall vorlegen.
- Rechtzeitig Rechtsrat einholen: Wenn Ihnen – wie im vorliegenden Fall – ein negatives Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung angekündigt wird (etwa durch Anhörungsschreiben oder Bescheid), zögern Sie nicht, rechtlichen Rat einzuholen. Sie haben das Recht, gegen eine Sicherheitsrisiko-Feststellung Beschwerde nach der Wehrbeschwerdeordnung (WBO) einzulegen. Dieses zweistufige Verfahren (Beschwerde zum Bundesministerium der Verteidigung, dann ggf. weiterer Antrag ans BVerwG) ist oft komplex. Ein im Soldatenrecht erfahrener Rechtsbeistand (z.B. Fachanwalt Dr. Usebach) kann Sie dabei unterstützen, Ihre Argumente – etwa über Ihren Gesinnungswandel und Ihre Zuverlässigkeit – überzeugend darzulegen.
- Geduld und Fristen wahren: Beachten Sie, dass die Überprüfung und ein eventuelles Beschwerdeverfahren einige Zeit in Anspruch nehmen können. Bleiben Sie geduldig und halten Sie die vorgeschriebenen Fristen ein (eine Beschwerde ist in der Regel binnen eines Monats einzulegen, und falls die Beschwerdeinstanz nicht entscheidet, kann nach weiterer Frist der gerichtliche Antrag gestellt werden). Überschreiten Sie keine Fristen, um Ihre Rechte zu wahren.
Zusammenfassend zeigt der Beschluss vom 30.04.2025, dass Ehrlichkeit und eine klare Abkehr von früheren extremistischen Neigungen der Schlüssel sind, um eine Sicherheitsüberprüfung erfolgreich zu bestehen oder gegen ungerechtfertigte Maßnahmen vorzugehen. Soldaten, die ihre Vergangenheit transparent machen und aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen, brauchen nicht zu befürchten, unbegrenzt für frühere Fehler bestraft zu werden. Im Zweifel lohnt es sich, für die eigenen Rechte zu kämpfen – notfalls auch vor Gericht –, denn Pauschalurteile nach dem Motto „Einmal Extremist, immer Sicherheitsrisiko“ hat das Bundesverwaltungsgericht eine klare Absage erteilt.
Rechtsanwalt Dr. jur. Jens Usebach LL.M. vertritt Sie im Soldatenrecht gern bei Fragen zur Sicherheitsüberprüfung und anderen bundeswehrrechtlichen Angelegenheiten.