Sorgerechtsentzug bei Betäubungsmittelproblematik des Vaters

Das Amtsgericht Hannover hat mit Beschluss vom 03.06.2020 zum Aktenzeichen 609 F 5007/19 SO und 609 F 2783/19 UG einem Vater aufgrund dessen Betäubungsmittelproblematik das Sorgerecht für seine zehnjährige Tochter und den fünfjährigen Sohn entzogen sowie den unbegleiteten Umgang für zwei Jahre ausgesetzt.

Aus der Pressemitteilung des AG Hannover vom 24.06.2020 ergibt sich:

Die Kinder entstammen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Die Familie ist dem Jugendamt aufgrund von Drogenkonsum sowie Gewalttätigkeit in der Partnerschaft seit 2012 bekannt. Seit der Trennung der Kindeseltern im Jahr 2017 leben die Kinder im Haushalt der Kindesmutter. Beide Kindeseltern übten das Sorgerecht gemeinsam aus. Der Kindesvater übte sein Umgangsrecht in der Vergangenheit regelmäßig aus und nahm die Kinder auch spontan zu sich, wenn die Kindesmutter beispielsweise keine Zeit hatte, diese aus dem Kindergarten abzuholen. Der Kindesvater war den Kindern ein liebevoller und engagierter Vater und es bestand eine intensive Bindung der Kinder an ihren Vater. Dabei fanden die Umgänge häufig auch in seiner Ein-Zimmer-Wohnung statt.
Bei einer Wohnungsdurchsuchung in der Wohnung des Kindesvaters im Juni 2018 wurden nicht geringe Mengen an Cannabis, Amphetaminen und Ecstasy sowie mehrere Einhandmesser, ein Schlagring und eine Machete aufgefunden. Die Drogen befanden sich zum Zeitpunkt der Durchsuchung teilweise offen zugänglich in der Wohnung verteilt. Die Kinder waren gelegentlich dabei, wenn der Kindesvater Betäubungsmittel veräußert hat. Es waren immer viele unterschiedliche Leute in der Wohnung. Darüber hinaus erfolgte im Mai 2019 eine erneute Wohnungsdurchsuchung in der Wohnung des Kindesvaters, bei der eine geringe Menge Marihuana und Amphetamin aufgefunden wurde. In der Wohnung befand sich zu diesem Zeitpunkt auch die fünfjährige Tochter der neuen Lebensgefährtin des Kindesvaters. Mit Beschluss vom 24.07.2019 wurde auf Antrag der Verfahrensbeiständin die Zustimmung des Kindesvaters zur Durchführung einer Haarprobe bei den Kindern durch das Familiengericht ersetzt.
Aufgrund der Ergebnisse der bei den Kindern vorgenommenen Haaranalysen wurde sodann das Sorgerechtsverfahren eingeleitet. Die ersten Haarproben wurden den Kindern jeweils im August 2019 entnommen. Gemäß den Gutachten der MHH aus Oktober 2019 wurden bei dem Sohn das Cannabinoid THC in geringer Konzentration und Amphetamine in höherer Konzentration nachgewiesen. Im Februar wurden den Kindern zweite Haarproben entnommen. Gemäß den Gutachten der MHH vom März 2020 wurden bei der Tochter das Cannabinoid THC in geringer Konzentration und bei dem Sohn zusätzlich Kokain und Amphetamin in höherer Konzentration festgestellt.
Im April 2020 wurde die neue Wohnung des Kindesvaters durchsucht und es wurden erneut nicht geringe Mengen an Marihuana und Amphetamin aufgefunden. Diese befanden sich laut Durchsuchungsbericht der Polizei frei zugänglich im Zimmer des Kindesvaters sowie in der Küche. Aufgrund des erneuten Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz befindet sich der Kindesvater seit April 2020 in Untersuchungshaft.

Das AG Hannover hat das Sorgerecht für beide Kinder entzogen sowie den unbegleiteten Umgang für zwei Jahre ausgesetzt. Neben Telefonaten dürfen die Umgänge nur noch begleitet bzw. in den Räumen der Justizvollzugsanstalt, in der er einsitzt, stattfinden.

Das Amtsgericht hat die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung gemäß § 40 Abs. 3 Satz 2 FamFG angeordnet, da das Familiengericht eine eventuelle Aufhebung der Untersuchungshaft des Kindesvaters nicht absehen könne und in dem Falle eines dann erfolgenden Umgangs der Kinder mit ihm Gefahr im Verzuge eintreten würde.

Der Entzug des Sorgerechts beruhe auf § 1666 Abs. 1 BGB. Die Beschränkung des Umgangsrechts beruhe auf § 1684 Abs. 4 BGB. Beide Maßnahmen seien zur Abwendung einer Gefährdung des gesundheitlichen Wohls der Kinder unerlässlich. Nachdem dem Kindesvater im Rahmen der vorangegangenen Verfahren mehrfach durch das Jugendamt sowie das Gericht verdeutlicht wurde, dass er seine Kinder vor dem Kontakt mit Betäubungsmitteln unbedingt zu schützen habe und dass dies für deren gesunde körperliche sowie geistige Entwicklung unerlässlich sei, habe er durch die erneute Versäumung dieser Pflicht gezeigt, dass er nicht verantwortungsbewusst genug sei, um seine Kinder angemessen zu schützen.

Die Wirkung von Betäubungsmitteln im Körper von Kindern sei noch nicht abschließend erforscht. Es stehe jedoch fest, dass THC bei Kindern zu Entwicklungsstörungen führen könne. Darüber hinaus sei die aufputschende Wirkung von Amphetamin und Kokain auf den erwachsenen Körper bekannt. Es sei daher davon auszugehen, dass eine solche Wirkung auch (und aufgrund der geringeren Körpergröße noch viel schneller) auf den kindlichen Körper bestehe. Im schlimmsten Fall könne dies Konzentrationsschwierigkeiten und/oder Schlafstörungen zur Folge haben.

Auch wenn im vorliegenden Fall noch keine solche Symptome an den Kindern aufgefallen seien, stelle die Aufnahme dieser Substanzen in den Körper der Kinder eine Gefahr für ihre gesunde Entwicklung dar. Da der Kindesvater laut eigener Angabe seit Ende 2017 mit Betäubungsmitteln gehandelt habe und die Kinder immer intensiven Kontakt mit ihm gehabt haben, sei zu vermuten, dass die Kinder seit nunmehr drei Jahren immer wieder mit Spuren der Betäubungsmittel in Kontakt gekommen seien und diese in ihren Körper aufgenommen haben. Ob das Verhalten und der Gesundheitszustand der Kinder anders wäre, wenn dieser permanente Kontakt zu Betäubungsmitteln nicht vorhanden gewesen wäre, könne daher aktuell überhaupt nicht festgestellt werden. Es bleibe lediglich zu beobachten, ob die Kinder sich in ihrem Verhalten oder ihrer Entwicklung verändern, wenn der schädliche Einfluss der Betäubungsmittel nunmehr beendet werde.

Das Gericht sei auch davon überzeugt, dass die Spuren der Betäubungsmittel in den Haaren der Kinder vom Kindesvater herrühren. Aus dem Haushalt der Kindesmutter ist zumindest seit der Trennung vom Kindesvater kein Drogenkonsum bekannt.

Neben der latenten Gesundheitsgefährdung durch die Spuren der Betäubungsmittel im Körper der Kinder sei darüber hinaus auch davon auszugehen, dass der Kindesvater eine latente Gefährdung der Kinder durch deren Anwesenheit bei Drogengeschäften in Kauf genommen habe.

Das Gericht gehe davon aus, dass der Kindesvater aufgrund der Anklage der Staatsanwaltschaft eine mehrjährige Haftstrafe zu verbüßen haben werde. Begleitete Umgänge innerhalb der Besuchsräume einer Justizvollzugsanstalt habe das Gericht daher vom Umgangsausschluss ausgenommen, da bei diesen eine Gefährdung der Kinder durch den Kontakt mit Betäubungsmitteln unwahrscheinlich sei und da dem Gericht die Aufrechterhaltung der intensiven Bindung der Kinder an ihren Vater schützenswert scheine. Jeglicher andere Umgang – auch begleiteter Umgang außerhalb einer Justizvollzugsanstalt – z.B. für den Fall, dass der Kindesvater eine Bewährungsstrafe erhalten oder vorzeitig entlassen werden sollte, müsse jedoch ausgeschlossen sein, da unklar sei, ob außerhalb einer Justizvollzugsanstalt ausreichend zuverlässige Begleitpersonen zur Verfügung stehen. Falls eine Bewährungsstrafe oder vorzeitige Entlassung eintrete, müsse die Möglichkeit der Umgangsbegleitung anhand der dann bestehenden Umstände konkret geprüft werden.

Der Beschluss ist nicht rechtskräftig. Seitens des Vaters wurde Beschwerde eingelegt.