Der Motorsägen- und Gartengerätehersteller Stihl streicht 100 Stellen an seinem Stammsitz in Waiblingen-Neustadt. Betroffen ist das Entwicklungszentrum, insbesondere das Geschäftsfeld der Mähroboter, deren Entwicklung und Produktion künftig nach China verlagert werden soll. Als Grund nennt das Unternehmen einen rasanten Wandel des Marktes: Innovative Mähroboter ohne Begrenzungsdraht gewinnen stark an Bedeutung, während Stihl bislang solche drahtlosen Modelle nicht im Portfolio hat. China gilt für Stihl als Schlüsselmarkt und Technologiestandort – dort verfügt der Konzern über zahlreiche spezialisierte Zulieferer und Know-how, um im Robotik-Segment aufzuholen.
Dieser Abbau in Waiblingen kommt zusätzlich zu bereits früher angekündigten Sparmaßnahmen. Bereits im April 2025 hatte Stihl weltweit den Abbau von 500 Stellen – vor allem in der Verwaltung – bekannt gegeben. Zudem mussten im Dezember 2024 schon rund 100 Beschäftigte am Hauptstandort Waiblingen gehen. Damals setzte Stihl auf ein freiwilliges Abfindungsprogramm, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Der aktuelle Einschnitt trifft nun auch die Entwicklungsabteilung. Die etwa 100 betroffenen Mitarbeiter wurden laut Berichten bereits informiert; Gespräche mit dem Betriebsrat laufen.
Regionaler Hintergrund: Stihl beschäftigt weltweit knapp 20.000 Menschen, davon über 6.000 in Deutschland (rund 5.000 in der Region Waiblingen). Entsprechend ist der Stammsitz Waiblingen für die Region von großer Bedeutung. Der Rems-Murr-Kreis und Baden-Württemberg insgesamt sind derzeit von mehreren Umbrüchen betroffen: „Der Kahlschlag bei den Wirtschaftsunternehmen der Region setzt sich damit fort.“ Bereits zuvor hatten z.B. Bosch und der Autozulieferer Bertrandt große Stellenstreichungen angekündigt. Für die betroffenen Stihl-Mitarbeiter in Waiblingen stellen sich nun vor allem arbeitsrechtliche Fragen – von Kündigungsschutz über Abfindungen bis hin zu ihren weiteren Optionen.
Arbeitsrechtliche Tipps für betroffene Arbeitnehmer
Die Situation bringt für Mitarbeiter Veränderungen und Unsicherheit. Wichtig ist jetzt, die eigenen Rechte zu kennen und überlegt zu handeln. Folgende Punkte sollten betroffene Arbeitnehmer beachten:
- Betriebsrat und Formalien: Bei einem Stellenabbau dieser Größenordnung muss Stihl den Betriebsrat frühzeitig einbinden und gesetzliche Verfahren einhalten. Größere Entlassungen lösen eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) aus. In einem Betrieb der Größenordnung Waiblingen (über 500 Mitarbeiter) ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit eine Anzeige zu erstatten, wenn innerhalb von 30 Tagen mehr als 30 Kündigungen geplant sind. Diese Anzeige soll die Arbeitsagentur in die Lage versetzen, Unterstützungsmaßnahmen einzuleiten. Wichtig zu wissen: Unterlässt der Arbeitgeber die Anzeige oder begeht Fehler dabei, sind die ausgesprochenen Kündigungen unwirksam. Als Arbeitnehmer sollten Sie darauf achten, dass der Betriebsrat beteiligt wurde und alle Formalien eingehalten sind – das kann im Zweifel über die Wirksamkeit einer Kündigung entscheiden.
- Weiterbeschäftigung statt Kündigung: Kündigungsschutz bedeutet in Deutschland, dass eine betriebsbedingte Kündigung nur zulässig ist, wenn sie sozial gerechtfertigt ist – also dringende betriebliche Gründe vorliegen und keine milderen Mittel zur Verfügung stehen. Der Arbeitgeber muss vor einer Kündigung alle zumutbaren Möglichkeiten prüfen, Sie an anderer Stelle im Unternehmen weiterzubeschäftigen (Ultima-Ratio-Prinzip). Fragen Sie aktiv nach internen Versetzungs- oder Umschulungsmöglichkeiten. Stihl darf Kündigungen eigentlich nur als letztes Mittel aussprechen, wenn es wirklich keine Alternative gibt. Auch müssen betriebsbedingte Kündigungen nach Sozialauswahl erfolgen: Das heißt, der Arbeitgeber hat unter vergleichbaren Mitarbeitern diejenigen zu bestimmen, die sozial am wenigsten schutzwürdig sind. Kriterien sind insbesondere Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung. Wer etwa lange im Betrieb ist, älter oder unterhaltspflichtige Kinder hat, genießt stärkeren Schutz; solche Mitarbeiter dürfen nicht ohne weiteres gekündigt werden, solange Kollegen mit kürzerer Betriebszugehörigkeit oder weniger Verpflichtungen verfügbar sind. Kennt der Arbeitgeber solche Daten nicht, sollten Sie sie unbedingt gegenüber Arbeitgeber oder Betriebsrat geltend machen. Fazit: Seien Sie flexibel und signalisieren Sie Gesprächsbereitschaft – jede vermiedene Kündigung ist ein Erfolg.
- Sozialplan und Abfindung: Wird in Waiblingen – wovon auszugehen ist – ein Interessenausgleich und Sozialplan zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat vereinbart, sollten Sie sich über dessen Inhalte informieren. Ein Sozialplan enthält typischerweise finanzielle Ausgleichsleistungen (Abfindungen) und Unterstützungsangebote für Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Abfindungshöhe richtet sich meist nach einer Formel, oft einem Bruchteil des Monatsgehalts pro Beschäftigungsjahr (z.B. 0,5 bis 1,0 Monatsgehälter pro Jahr) – manchmal mit Zuschlägen je nach Alter, Betriebszugehörigkeit oder Unterhaltspflichten. Erkundigen Sie sich, welche Abfindung Ihnen nach dem Sozialplan zusteht und welche weiteren Hilfen vereinbart wurden. Zusätzlich zur Abfindungssumme können Sozialpläne z.B. Maßnahmen wie Outplacement-Beratung, Weiterbildungszuschüsse oder die Einrichtung einer Transfergesellschaft vorsehen. In einer Transfergesellschaft können ausscheidende Mitarbeiter für z.B. 12 Monate fachlich begleitet und fortgebildet werden, während sie einen Großteil ihres Gehalts weiter erhalten. Nutzen Sie solche Angebote, falls vorhanden. Wichtig: Einen gesetzlichen Anspruch auf Abfindung gibt es bei betriebsbedingter Kündigung nicht, nur was im Sozialplan oder individuell vereinbart ist. Sollte kein Sozialplan bestehen, können Abfindungen auch im Rahmen von Aufhebungsverträgen oder Kündigungsschutzprozessen erzielt werden (siehe unten).
- Freiwillige Aufhebungsverträge prüfen: Stihl hat bereits angekündigt, möglichst betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden und auf freiwillige Lösungen zu setzen. Es kann daher sein, dass Ihnen ein Aufhebungsvertrag mit Abfindungsangebot angeboten wird – z.B. im Rahmen eines Freiwilligenprogramms. Unterschreiben Sie einen solchen Vertrag nicht übereilt, sondern prüfen Sie das Angebot sorgfältig und lassen Sie sich beraten. Ein Aufhebungsvertrag bedeutet, dass Sie freiwillig aus dem Unternehmen ausscheiden – damit verzichten Sie auf Kündigungsschutz und können keine Kündigungsschutzklage mehr erheben. Zudem droht bei eigeninitiiertem Ausscheiden eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld. Die Agentur für Arbeit verhängt in der Regel bis zu 12 Wochen Sperre auf ALG I, wenn Sie durch Aufhebungsvertrag oder Eigenkündigung freiwillig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Diese Sperrzeit entfällt nur, wenn der Aufhebungsvertrag zur Vermeidung einer ansonsten unvermeidbaren Kündigung abgeschlossen wurde und bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind – das sollte dann explizit im Vertrag stehen. Lassen Sie sich im Zweifel vom Betriebsrat oder einem Anwalt bestätigen, dass die Vereinbarung sperrzeitneutral gestaltet ist. Grundsätzlich gilt: Verhandeln ist möglich – die Abfindungshöhe bei Aufhebungsverträgen ist frei vereinbar, es gibt weder einen Mindest- noch Höchstsatz. Versuchen Sie, eine für Sie optimale Lösung herauszuholen, und klären Sie vorher, welche Konsequenzen der Vertrag hat (Abfindung, Arbeitslosengeld, Zeugnis etc.). Unterschreiben Sie nie unter Zeitdruck – meist hat man einige Wochen Bedenkzeit.
- Kündigungsschutzklage fristgerecht erheben: Sollten Sie – trotz aller Bemühungen – eine Kündigung erhalten, bewahren Sie Ruhe, aber handeln Sie zügig. Wichtig: Sie haben nur 3 Wochen Zeit ab Zugang der schriftlichen Kündigung, um Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einzureichen. Versäumen Sie diese Frist, gilt die Kündigung automatisch als rechtswirksam, selbst wenn sie eigentlich unwirksam oder sozial ungerechtfertigt war. Eine Klage kann sich in vielen Fällen lohnen. Oft geht es dabei nicht um die Rückkehr an den Arbeitsplatz, sondern um eine verbesserte Abfindung oder andere Austrittsbedingungen im Vergleich zum ursprünglichen Angebot. Vor Gericht kommt es häufig zu Vergleichslösungen, in denen Arbeitgeber sich zu höheren Abfindungszahlungen bereit erklären. Selbst wenn bereits ein Sozialplan-Abfindungsanspruch besteht, kann eine Klage sinnvoll sein: In einem Prozess lässt sich manchmal mehr erreichen (höhere Abfindung, Verlängerung der Beschäftigungszeit, bessere Zeugnisnote etc.), ohne dass man das im Sozialplan zugesagte Minimum riskiert. Denn verlieren Sie die Klage, bleibt Ihnen die Sozialplan-Abfindung trotzdem erhalten. Sie haben also nichts zu verlieren, solange ein Mindestabfindungsangebot steht. Zögern Sie daher nicht, im Zweifel gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn Sie mit der Kündigung nicht einverstanden sind.
- Besonderer Kündigungsschutz: Prüfen Sie, ob Sie oder Kollegen unter Sonderkündigungsschutz fallen. Bestimmte Personengruppen sind durch Spezialgesetze besonders geschützt – etwa Schwerbehinderte, Schwangere, Mitarbeiter in Elternzeit, Betriebsratsmitglieder oder Auszubildende. Gehören Sie dazu, darf Ihnen nur unter sehr engen Voraussetzungen gekündigt werden. In vielen Fällen ist vor einer Kündigung die Zustimmung einer Behörde erforderlich (z.B. des Integrationsamts bei Schwerbehinderten gemäß § 168 SGB IX). Sollte bei Stihl ein Sozialplan vereinbart werden, können geschützte Personen unter Umständen von betriebsbedingten Kündigungen ausgenommen werden. Informieren Sie Ihren Arbeitgeber und Betriebsrat über einen solchen Status, falls dieser noch nicht bekannt sein sollte. Beispielsweise stehen Kündigungen von Schwerbehinderten oder Schwangeren auf “wackligen Füßen” – in der Praxis sind deutlich höhere Abfindungen nötig, da der Kündigungsschutz besonders stark ist. Nutzen Sie diesen Schutz zu Ihren Gunsten.
- Arbeitssuchend-Meldung nicht vergessen: Unabhängig von Ihren Schritten müssen Sie sich rechtzeitig bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend melden, sobald klar ist, dass Ihr Arbeitsverhältnis enden wird. Melden Sie sich spätestens 3 Tage nach Erhalt einer Kündigung (bzw. sobald Ihnen ein Beendigungsdatum bekannt ist) persönlich oder online arbeitssuchend. Versäumen Sie diese Frist, droht ebenfalls eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld wegen verspäteter Meldung. Auch wenn Sie einen Aufhebungsvertrag schließen und das Ende des Arbeitsverhältnisses feststeht, gilt die 3-Tages-Frist. Eine frühzeitige Meldung schützt Ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld und ermöglicht der Arbeitsagentur, Ihnen schneller bei der Jobsuche zu helfen.
- Rechtsrat einholen: Scheuen Sie sich nicht, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Ihr Betriebsrat ist erster Ansprechpartner und kennt die betrieblichen Hintergründe. Zusätzlich kann eine individuelle Beratung durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht sehr wertvoll sein. Ein erfahrener Anwalt – wie Dr. jur. Jens Usebach LL.M. – kann Ihre Lage prüfen und helfen, das Beste herauszuholen. Er unterstützt Sie z.B. bei der Prüfung oder Verhandlung von Abfindungs- und Aufhebungsangeboten und vertritt Sie nötigenfalls in einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Ziel ist dabei, für Sie eine angemessene und möglichst hohe Abfindung, ein sehr gutes Arbeitszeugnis oder sogar eine Weiterbeschäftigung zu erreichen. Wichtig ist, frühzeitig Rat einzuholen, damit Sie keine Fristen versäumen und alle Ihre Rechte ausschöpfen können.
Der Stellenabbau bei Stihl in Waiblingen ist für viele Beschäftigte ein harter Einschnitt, doch das Arbeitsrecht bietet wichtige Schutzmechanismen. Informieren Sie sich gründlich, nutzen Sie die Unterstützung von Betriebsrat und Experten, und handeln Sie aktiv. So können Sie Ihre Interessen wahren – sei es durch Weiterbeschäftigung im Unternehmen oder durch eine faire Abfindung und einen gelungenen Neuanfang außerhalb. Der regionale Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg mag herausfordernd sein, aber mit Kenntnis Ihrer Rechte und guter Beratung sind Sie für die kommenden Veränderungen bestmöglich gewappnet. Bleiben Sie sachlich und bestimmt – Sie haben das Recht, fair behandelt zu werden.