Der Autozulieferer Eberspächer (Hauptsitz Esslingen) plant, die Produktion von Standheizungen in Herxheim einzustellen und in ein Werk in Bulgarien zu verlagern. Rund 160 der etwa 300 dortigen Produktionsarbeitsplätze sollen gestrichen werden. Der Betriebsrat hat in monatelangen Verhandlungen mit der Geschäftsführung versucht, Schaden von den Beschäftigten abzuwenden. Aktuell zeichnet sich ab, dass der Betriebsrat einer Kündigung von 160 Mitarbeitern „nur unter bestimmten Bedingungen“ zustimmen will. Die IG Metall kritisiert das Vorgehen des Unternehmens scharf – sie spricht gegenüber den Medien von „Erpressung“ durch die Geschäftsführung.
Im Umfeld dieser Ankündigung herrscht große Verunsicherung, denn bis Jahresende 2026 galt laut Betriebsratsangaben ein hausinterner Tarifvertrag, der betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. Die Unternehmensleitung hat diesen Tarifvertrag vorzeitig gekündigt – ein IG-Metall-Vertreter bezeichnete dies als „illegal“ und verunsichernd. Für die Mitarbeiter bedeutet das: Im Augenblick ist unklar, welche rechtlichen Rahmenbedingungen tatsächlich gelten. Es wird derzeit um einen Interessenausgleich und einen Sozialplan gerungen, um die Folgen für Betroffene abzumildern. Nach Verhandlungsstand sollen allen betroffenen Beschäftigten hohe Abfindungen und der Übergang in eine Transfergesellschaft angeboten werden.
Betriebsbedingte Kündigung: Voraussetzungen und Sozialauswahl
Generell sind betriebsbedingte Kündigungen in Deutschland nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Der Arbeitgeber muss einen dringenden betrieblichen Grund darlegen (z.B. endgültige Stilllegung eines Produktionsbereichs oder notwendige Verlagerung von Arbeitsplätzen) und dabei wirtschaftliche Erfordernisse nachweisen. Zudem ist eine Sozialauswahl durchzuführen: Alle vergleichbaren Arbeitnehmer werden in Gruppen eingeteilt, und aus jeder Gruppe werden vorrangig diejenigen gekündigt, die sozial weniger schutzbedürftig sind. Gesetzlich maßgebliche Auswahlkriterien sind:
- Betriebszugehörigkeit: Langjährig beschäftigte Arbeitnehmer genießen in der Regel höheren Schutz.
- Lebensalter: Ältere Arbeitnehmer gelten (bis zu einem gewissen Alter) oft als schutzbedürftiger.
- Unterhaltspflichten: Arbeitnehmer mit Unterhaltspflichten (Kinder, Ehepartner) werden bei der Auswahl bevorzugt berücksichtigt.
- Schwerbehinderung: Schwerbehinderte Mitarbeiter haben einen besonderen Kündigungsschutz und werden in der Regel nicht bevorzugt gekündigt.
Je stärker eines dieser Kriterien ausgeprägt ist, desto größer ist der individuelle Kündigungsschutz. Der Arbeitgeber muss die Sozialauswahl sorgfältig dokumentieren. Nur in Ausnahmefällen kann auf die Sozialauswahl verzichtet werden: Dies tritt ein, wenn der betreffende Betriebsbereich vollständig und endgültig geschlossen wird und alle betroffenen Arbeitsverhältnisse in einem Zug enden. In Herxheim verbleiben nach aktueller Planung jedoch nach Schließung der Produktion noch Teile der Verwaltung und Entwicklung – eine vollständige Betriebsschließung liegt nicht vor. Daher wäre formal eine Sozialauswahl unter den Produktionsmitarbeitern erforderlich.
Massenentlassung und Anzeige bei der Arbeitsagentur
Die geplante Kündigung von 160 Mitarbeitern erfüllt laut Gesetz die Kriterien einer Massenentlassung (§17 KSchG). In Betrieben mit normalerweise 60–499 Beschäftigten liegt die Grenze bei 10 % der Belegschaft oder mehr als 25 Kündigungen innerhalb von 30 Tagen. Für den Standort Herxheim (ca. 300 Beschäftigte) sind damit ab etwa 30 Kündigungen Anzeigenpflicht gegeben. Eberspächer muss daher die geplanten Kündigungen rechtzeitig – also mehrere Wochen vor Ausspruch – schriftlich der zuständigen Agentur für Arbeit anzeigen und zugleich den Betriebsrat informieren. In der Anzeige muss das Unternehmen unter anderem Gründe, Anzahl der Entlassungen und die Auswahlkriterien darlegen.
Für betroffene Mitarbeiter ist wichtig: Wird diese Massenentlassung nicht ordnungsgemäß angezeigt, sind die Kündigungen unwirksam. Die Arbeitgeber haben damit keinen besonderen Kündigungsschutz auf dem Papier, und jeder Betroffene könnte gegen seine Kündigung klagen. Zudem muss der Betriebsrat vorab ordnungsgemäß angehört werden. Gab es hier Fehler oder Versäumnisse, kann das ebenfalls ein Ansatzpunkt sein, Kündigungen anzufechten. Im Zweifel sollten Arbeitnehmer beim Betriebsrat nachfragen, ob die Anzeige eingereicht wurde, und sich bei Anzeichen von Formfehlern (fehlende Unterrichtung oder Anzeige) umgehend rechtlich beraten lassen.
Betriebsrat, Interessenausgleich und Sozialplan
Steht eine Betriebsänderung (§111 ff. BetrVG) – wie hier die teilweise Stilllegung des Werks – an, hat der Betriebsrat umfassende Mitbestimmungsrechte. Arbeitgeber und Betriebsrat müssen über einen Interessenausgleich verhandeln. Im Interessenausgleich regelt man das Ob, Wie und Wann der Umstrukturierung – etwa die genaue Zahl der Entlassungen oder mögliche Alternativen (z.B. Kurzarbeit, Versetzungen). Wird kein Einvernehmen erzielt, kann jede Seite die Bildung einer Einigungsstelle beantragen.
Zusätzlich wird über einen Sozialplan verhandelt. Ein Sozialplan hat das Ziel, die wirtschaftlichen Nachteile der betroffenen Arbeitnehmer abzufedern. Darin können Arbeitgeber und Betriebsrat etwa Abfindungen, Qualifizierungsmaßnahmen, Transfersummen oder andere Unterstützungen vereinbaren. Typischer Inhalt eines Sozialplans bei Kündigungswellen sind finanzielle Abfindungen oder Zahlungen in eine Transfer- bzw. Auffanggesellschaft. Wird der Interessenausgleich nicht unterzeichnet, ist ein Sozialplan im Gegensatz zum Interessenausgleich erzwingbar (über Einigungsstelle). Die konkreten Regelungen hängen vom Verhandlungsgeschick von Betriebsrat und Geschäftsführung ab. In den aktuellen Verhandlungen fordert der Betriebsrat für Herxheim beispielsweise hohe Abfindungszahlungen und die Einrichtung einer Transfergesellschaft.
Abfindung und Transfergesellschaft
Im Zuge des Stellenabbaus hat der Betriebsrat der IG Metall zufolge konkrete Forderungen gestellt: Abfindungen in Höhe von 0,8 Monatsgehältern pro Dienstjahr (was bei 20 Jahren Betriebszugehörigkeit etwa 16 Monatsgehältern entspräche). Solche Abfindungen würden üblicherweise im Sozialplan verankert. Gesetzlich besteht kein genereller Abfindungsanspruch – er entsteht nur durch Vereinbarung (Sozialplan, Tarifvertrag oder Aufhebungsvereinbarung). Fehlt ein Sozialplan, könnte man in Einzelfällen eine betriebsbedingte Kündigung gerichtlich anfechten oder versuchen, über außergerichtliche Verhandlungen eine Abfindung zu erreichen.
Parallel dazu ist von einer Transfer- bzw. Auffanggesellschaft die Rede: Allen betroffenen Mitarbeitern soll angeboten werden, im Rahmen eines Aufhebungsvertrags in eine solche Transfergesellschaft zu wechseln. In einer Transfergesellschaft bleiben die Mitarbeiter bis zu 12 Monate beschäftig – allerdings werden sie nicht wie gewohnt im Produktionsbetrieb eingesetzt. Stattdessen stehen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen im Vordergrund. Während dieser Zeit zahlt in der Regel die Bundesagentur für Arbeit das sogenannte Transferkurzarbeitergeld. Dieses beträgt üblicherweise 60 % des letzten Nettolohns (67 % bei mindestens einem Kind). Im aktuellen Fall ist vorgesehen, dass Eberspächer zusätzlich ca. 20 % zum Gehalt aufstockt, so dass die Beschäftigten insgesamt etwa 80 % ihres vorherigen Lohns erhalten.
Ein Wechsel in die Transfergesellschaft erfolgt meist über einen gemeinsamen Dreiseitenvertrag (zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Transfergesellschaft) oder nacheinander über Aufhebungs- und neuen Arbeitsvertrag. Wichtig für Betroffene: Eine solche Lösung ist freiwillig. Wer den Wechsel ablehnt, erhält im Regelfall eine normale Kündigung. Bei Eintritt in die Transfergesellschaft sollte man darauf achten, dass der Sozialplan-Abfindungsanspruch dadurch nicht komplett entfällt. Nach aktueller Rechtsprechung darf die Abfindung infolge des Wechsels zwar gekürzt werden (beispielsweise, weil man auf die Weiterbildung verzichtet), darf aber nicht vollständig gestrichen werden. Vor der Unterschrift sollte geprüft werden, ob die angebotene Abfindung tatsächlich angemessen ist oder ob ein Verbleib und Klage auf Kündigungsschutz (mit höherer Abfindung) vorteilhafter sein könnte.
Praktische Handlungsmöglichkeiten für Betroffene
- Schnell reagieren: Erhalten Sie eine Kündigung, läuft eine Frist von drei Wochen für die Kündigungsschutzklage (bei betriebsbedingter Kündigung) beim Arbeitsgericht. Versäumen Sie diese Frist, kann selbst eine unrechtmäßige Kündigung unwirksam werden. Setzen Sie also gegebenenfalls umgehend einen Fachanwalt für Arbeitsrecht oder die Gewerkschaft in Kenntnis.
- Prüfung der Formalien: Achten Sie darauf, ob die Massenentlassungsanzeige und Betriebsratsanhörung korrekt durchgeführt wurden. Bei der hohen Zahl von 160 Kündigungen hätte Eberspächer einen Antrag auf Massenentlassung stellen müssen. Wurden gesetzliche Mitbestimmungsrechte (z.B. Interessenausgleich, Sozialplan, Betriebsratsanhörung) verletzt, können Sie das in Ihrer Klage geltend machen.
- Gespräch mit Betriebsrat/Gewerkschaft: Der Betriebsrat und Ihre Gewerkschaft (IG Metall) verhandeln bereits über einen Interessenausgleich und Sozialplan. Tauschen Sie sich mit Ihren Vertretern aus und schließen Sie sich deren Aktionen (z.B. Petitionen oder Kundgebungen) an. Die Mitbestimmung kann Ihre Verhandlungsposition stärken.
- Aufhebungsvertrag genau prüfen: Wenn Ihnen ein Aufhebungsvertrag mit Abfindung und Übernahme in die Transfergesellschaft angeboten wird, lassen Sie sich beraten. Vergleichen Sie die Abfindungshöhe mit typischen Werten (mindestens 0,5–1 Monatsgehalt pro Jahr) und kalkulieren Sie, ob das Angebot fair ist. Bedenken Sie auch, dass Sie bei Einwilligung in den Aufhebungsvertrag eventuell auf einen Teil der Abfindung verzichten. Ihr Rechtsanwalt kann hier helfen, das Beste für Sie herauszuholen.
- Alternative: Kündigungsschutzklage: Lehnt man eine Transferlösung ab oder zweifelt man an der Rechtmäßigkeit der Kündigung (z.B. wegen fehlender Sozialauswahl oder Geltung des Tarifvertrags), kann man vor dem Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage erheben. Dort wird geprüft, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt war. Falls nicht, wird sie zurückgewiesen. Ein Anwalt kann in der Klage etwa auch auf das Kündigungs-Verbot im Tarifvertrag hinweisen (sofern dieser noch gilt).
- Arbeitsagentur informieren: Melden Sie sich frühzeitig arbeitssuchend (oder in Transfergesellschaft), um Sperrzeiten oder Leistungskürzungen zu vermeiden und Arbeitslosengeld zu sichern. Die Agentur kann zudem Qualifizierung und Weitervermittlung unterstützen.
Betriebsbedingte Kündigungen erfordern viele rechtliche Schritte und können oft nur über Verhandlungen (Sozialplan) oder Klagen abgewehrt bzw. begleitet werden. Wenn Sie zu den von Eberspächer betroffenen Mitarbeitern gehören, sollten Sie Ihre Rechte aktiv einfordern: Lassen Sie sich beim Betriebsrat oder einem Fachanwalt über die Möglichkeiten (Sozialplan, Abfindung, Transfergesellschaft, Klage) beraten. So können Sie sicherstellen, dass – falls es tatsächlich zu Kündigungen kommt – die Folgen für Sie so gut wie möglich abgefedert werden.