Ein Be- und Entlader (angestellt seit 2019) nutzte verbotenerweise sein privates Smartphone während der Arbeitszeit. Als ein Gruppenleiter ihn am 22.10.2024 darauf ansprach, reagierte der Arbeitnehmer äußerst respektlos und aggressiv: Er rief „Hau ab hier!“, stieß den Vorgesetzten mit der Hand weg und trat mit dem Fuß nach ihm. Das alles wurde von einer Videokamera aufgezeichnet – und zeigte auch, dass der Mitarbeiter direkt im Anschluss unbeeindruckt weiter mit dem Handy hantierte.
Die Arbeitgeberin schaltete umgehend den Betriebsrat ein, der noch am 25.10.2024 der beabsichtigten Kündigung zustimmte. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis am 29.10.2024 außerordentlich fristlos (hilfsweise ordentlich zum 31.01.2025). Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage, um sich gegen die fristlose Kündigung zu wehren.
Erste Instanz: Arbeitsgericht verlangt Mäßigung
Vor dem Arbeitsgericht Hannover hatte der Kläger zunächst Erfolg: Die erste Instanz hielt die fristlose Kündigung für unwirksam, da der Vorfall – so das Arbeitsgericht – nicht schwerwiegend genug gewesen sei, um ohne vorherige Abmahnung zu kündigen. Mit anderen Worten: Das Arbeitsgericht meinte, der Arbeitgeber hätte den Vorfall zunächst abmahnen müssen. Auch für eine hilfsweise ordentliche Kündigung sah das Gericht ohne Abmahnung keine ausreichende Grundlage. Gegen dieses Urteil legte die Arbeitgeberin Berufung ein.
Berufungsurteil LAG Niedersachsen: Fristlose Kündigung wirksam
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat mit Urteil vom 25.08.2025 (Az. 15 SLa 315/25) die Entscheidung der Vorinstanz korrigiert. Die Kündigungsschutzklage blieb in zweiter Instanz erfolglos – die fristlose Kündigung wurde als gerechtfertigt bestätigt.
Nach Auffassung des LAG lag ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB vor, der die außerordentliche Kündigung rechtfertigt. Der tätliche Angriff auf einen Kollegen oder Vorgesetzten ist grundsätzlich eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten, die eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen kann Dies gilt auch dann, wenn keine gravierende Verletzungshandlung vorliegt – also selbst bei vergleichsweise leichter körperlicher Einwirkung. Entscheidend ist, dass überhaupt eine vorsätzliche Tätlichkeit erfolgt ist.
Im vorliegenden Fall stellte das Gericht klar, dass der Arbeitnehmer seinen Vorgesetzten unprovoziert körperlich attackiert hatte. Auf den Videoaufnahmen war weder ein Fehlverhalten noch eine übermäßige Annäherung des Gruppenleiters zu erkennen, die den Stoß und Tritt hätten rechtfertigen können. Auch frühere Zwischenfälle oder eventuelle Unsympathien spielten keine Rolle – in der konkreten Situation handelte der Vorgesetzte korrekt, indem er das Handyverbot durchsetzen wollte.
Zwar erlitt der Vorgesetzte keine Verletzungen; der Stoß und der Tritt waren objektiv leichte Berührungen. Dennoch wertete das LAG das Verhalten als erheblichen Pflichtenverstoß. Gerade der respektlose Ausruf „Hau ab!“ in Kombination mit körperlichem Wegdrängen und Nachtreten gegenüber einer vorgesetzten Person stellt eine gravierende Missachtung der betrieblichen Ordnung dar. Ein solches Verhalten untergräbt das notwendige Vertrauensverhältnis und die Autorität von Vorgesetzten massiv.
Bei der abschließenden Interessenabwägung gab das LAG dem Schutzinteresse des Arbeitgebers klar den Vorzug vor den persönlichen Interessen des Klägers. Zwar war der Mitarbeiter seit über fünf Jahren im Betrieb und noch relativ jung (30 Jahre alt) – doch diese Umstände traten angesichts des groben Fehlverhaltens vollständig in den Hintergrund. Insbesondere hatte der Kläger keinerlei Einsicht oder Reue gezeigt: Er entschuldigte sich nicht, sondern setzte nach dem Vorfall seelenruhig seine verbotene Handynutzung fort. Ein milderes Mittel als die Kündigung war aus Sicht des Gerichts nicht erkennbar – eine Abmahnung hätte den erheblichen Vertrauensbruch nicht heilen können, und eine Versetzung des Klägers auf einen anderen Arbeitsplatz erschien ebenfalls keine sinnvolle Option. Dem Arbeitgeber war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der normalen Kündigungsfrist nicht zumutbar.
Ergebnis: Die fristlose Kündigung wurde als wirksam bestätigt; der Mitarbeiter verlor seinen Arbeitsplatz mit sofortiger Wirkung. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.
Hinweise für Arbeitnehmer
- Respekt vor Vorgesetzten: Beleidigungen oder respektlose Äußerungen wie „Hau ab“ kombiniert mit körperlichem Schubsen oder Treten gegenüber Vorgesetzten sind absolut inakzeptabel. Selbst vermeintlich leichte tätliche Attacken (ohne Verletzungsabsicht) können den sofortigen Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge haben – ohne vorherige Abmahnung.
- Kein Anspruch auf Abmahnung: Arbeitnehmer dürfen nicht darauf vertrauen, bei körperlichen Übergriffen zunächst nur ermahnt zu werden. Tätlichkeiten am Arbeitsplatz gelten als derart gravierender Pflichtverstoß, dass eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung gerechtfertigt ist. Jeder Arbeitnehmer weiß oder sollte wissen, dass Gewalt am Arbeitsplatz tabu ist – eine Abmahnung ist in solchen Fällen entbehrlich.
- Konflikte richtig bewältigen: Fühlen Sie sich von einem Vorgesetzten unfair behandelt oder überrascht, bleiben Sie ruhig. Lassen Sie sich nicht zu aggressiven Affekthandlungen hinreißen. Suchen Sie stattdessen das sachliche Gespräch oder schalten Sie – falls nötig – höhergestellte Stellen ein. Wer aus Wut körperlich reagiert, riskiert nicht nur eine Strafanzeige, sondern auch fristlos den Job zu verlieren.
- Betriebliche Regeln ernst nehmen: Nutzen Sie private Smartphones oder andere verbotene Gegenstände nur in erlaubten Pausen oder Bereichen. Verstöße gegen klare Anweisungen (wie ein Handyverbot) werden noch schwerwiegender, wenn man beim Erwischtwerden uneinsichtig oder aggressiv reagiert. Hier hat der verbotene Handygebrauch in Kombination mit der Tätlichkeit dem Arbeitnehmer gleich doppelt geschadet.
Hinweise für Arbeitgeber
- Fristlose Kündigung bei Tätlichkeit: Arbeitgeber können bei körperlicher Gewalt durch einen Mitarbeiter konsequent und zügig handeln. Bereits ein einzelner tätlicher Vorfall – selbst ohne ernsthafte Verletzungsfolgen – kann als wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung ausreichen. Die Gerichte erkennen an, dass ein solcher Vertrauensbruch Ihnen die Weiterbeschäftigung unzumutbar machen kann. Wichtig: Stellen Sie sicher, dass der Sachverhalt klar belegbar ist, um im Streitfall auf der sicheren Seite zu stehen.
- Vorfall dokumentieren & Verfahren einhalten: Sichern Sie Beweise für den Vorfall (z.B. Videoaufnahmen, Zeugen) und halten Sie alle Formalitäten ein. In diesem Fall stützte sich das LAG auf Videoaufzeichnungen und die Konsultation des Betriebsrats am selben Tag. Holen Sie die Zustimmung oder Anhörung des Betriebsrats ordnungsgemäß ein und kündigen Sie innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB, sobald Ihnen die wesentlichen Tatsachen bekannt sind. Eine gründliche Dokumentation erleichtert die Durchsetzung der Kündigung vor Gericht.
- Keine Abmahnung erforderlich: Bei besonders schweren Verfehlungen – insbesondere Gewalthandlungen gegenüber Kollegen oder Vorgesetzten – ist eine vorherige Abmahnung nicht nötig. Der Zweck der Abmahnung, den Mitarbeiter vor Konsequenzen zu warnen, entfällt hier, weil jedem klar sein muss, dass körperliche Übergriffe nicht toleriert werden. Das LAG stellte ausdrücklich fest, dass der Arbeitnehmer in diesem Fall nicht mit einer bloßen Rüge rechnen durfte.
- Kein milderes Mittel zumutbar: Sie müssen in solchen Fällen keinen alternativen Arbeitsplatz für den Täter suchen. Eine Versetzung des Mitarbeiters ist nicht erforderlich, wenn das Vertrauensverhältnis durch den Übergriff zerstört ist und ähnliche Vorfälle auch anderswo im Betrieb zu befürchten wären. Ebenso tritt eine längere Betriebszugehörigkeit oder ein bisher tadelloser Leumund des Täters gegenüber dem Interesse am Schutz der übrigen Belegschaft in den Hintergrund. Der Betriebsfrieden und die Autorität der Vorgesetzten haben Vorrang vor der persönlichen Weiterbeschäftigung des fehlbaren Mitarbeiters.
Für beide Seiten hält dieses Urteil eine klare Botschaft bereit. Arbeitnehmer sollten sich bewusst sein, dass jegliche Form von körperlicher Aggression oder grober Respektlosigkeit am Arbeitsplatz ein No-Go ist – selbst einmalige Ausrutscher können die fristlose Kündigung nach sich ziehen. Arbeitgeber wiederum können darauf vertrauen, dass sie bei derart gravierenden Vorfällen nicht an eine vorherige Abmahnung gebunden sind und zum Schutz des Betriebsfriedens konsequent durchgreifen dürfen. Am besten lässt man es gar nicht so weit kommen: Ein ruhiger, respektvoller Umgang miteinander und die Einhaltung betrieblicher Regeln sind der Schlüssel, um Eskalationen und drastische Maßnahmen gar nicht erst notwendig zu machen.