Transfrau als „Mann“ bezeichnet – LG Frankfurt gewährt 6.000 Euro Schmerzensgeld

Ein respektloser Umgang mit der geschlechtlichen Identität lässt die Justiz nicht durchgehen: Das Landgericht Frankfurt am Main entschied, dass die öffentliche Bezeichnung einer Transfrau als „Mann“ ihr Persönlichkeitsrecht verletzt. Das Portal NiuS wurde deshalb zu Unterlassung und 6.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt.

Hintergrund des Falls

Im Mittelpunkt steht der Fall einer transidenten Frau, die seit Jahren als Frau lebt und dies auch amtlich bestätigt hat. Sie hatte bereits 2021 ihren Personenstand und Vornamen von männlich zu weiblich ändern lassen. Ende Mai 2024 geriet sie in die Medien, weil ein Frauen-Fitnessstudio ihren Mitgliedsantrag abgelehnt hatte. Dieser Vorfall erregte Aufsehen – sogar die Antidiskriminierungsstelle des Bundes schaltete sich ein und regte eine Entschädigung von 1.000 Euro durch das Studio an.

Das Online-Portal NiuS, gegründet vom ehemaligen BILD-Chefredakteur Julian Reichelt, griff die Geschichte in mehreren Artikeln ausführlich auf. Dabei verwendete NiuS konsequent die männliche Bezeichnung für die betroffene Transfrau: In den Berichten war stets von einem „Herrn“ die Rede, „der behauptet, Frau zu sein“. Das Portal sprach von einer wörtlich zu nehmenden „Mit-Glied-Schaft“ im Fitnessstudio – ein Wortspiel mit eindeutig herabwürdigender Anspielung – und titulierte die Frau unter anderem als „Herr Transfrau“ sowie als „Herr in Damenkleidung“. Zudem veröffentlichte NiuS den vollen Namen und mehrfach Fotos der Frau. Zwar waren die Bilder leicht verpixelt, dennoch waren sie für ihr persönliches Umfeld problemlos erkennbar.

Die Betroffene sah darin eine Verletzung ihrer Rechte und zog vor Gericht. Bereits im Juli 2024 hatte sie im Eilverfahren einen Erfolg erzielt: Das LG Frankfurt untersagte NiuS vorläufig, sie weiter als Mann zu bezeichnen oder ihren Namen und Bilder ohne Zustimmung zu veröffentlichen. Das Gericht wertete die Bezeichnung der Frau als Mann damals als „Angriff auf ihre Menschenwürde“, insbesondere in Verbindung mit Formulierungen wie „Herr Transfrau“ oder „dieses Herrn in Damenkleidung. Dieser drastische Schritt im einstweiligen Rechtsschutz wurde jedoch später aus formalen Gründen wieder aufgehoben, ohne dass das Gericht seine inhaltliche Bewertung änderte.

Entscheidung des Landgerichts Frankfurt

In der Hauptsache kam es am 10.07.2025 zur Urteilsverkündung (Az. 2-03 O 129/25). Das Landgericht Frankfurt am Main bestätigte die Rechtsverletzung und stellte klar, dass NiuS die Transfrau künftig nicht mehr öffentlich als Mann bezeichnen darf. Ebenso wurde untersagt, ihren vollen Namen oder Bilder von ihr ohne ihre Einwilligung zu veröffentlichen. Zur Wiedergutmachung des immateriellen Schadens sprach das Gericht der Klägerin 6.000 Euro Schmerzensgeld (Geldentschädigung) zu. Dies ist bemerkenswert, da Gerichte eine Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen nur bei schwerwiegenden Eingriffen zusprechen.

Das Urteil stützt sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), konkret auf den Schutz ihrer geschlechtlichen Identität. Daneben wurden zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen aus Delikts- und Unterlassungsrecht herangezogen (§ 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 1004 BGB analog). Die Pressekammer des LG Frankfurt, die für solche Fälle zuständig ist, machte unmissverständlich deutlich, dass die Beklagte durch ihre Berichterstattung das Persönlichkeitsrecht der Transfrau verletzt hat und dafür einzustehen hat.

Rechtliche Würdigung: Allgemeines Persönlichkeitsrecht und geschlechtliche Identität

Die Entscheidung unterstreicht juristisch fundiert, dass die geschlechtliche Identität einer Person vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasst ist. Jeder Mensch hat das Recht, in seiner selbst empfundenen Geschlechtszugehörigkeit respektiert zu werden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits klargestellt, dass sich das Geschlecht einer Person nicht allein nach den bei der Geburt sichtbaren Merkmalen bestimmt, sondern maßgeblich von der psychischen Selbstempfindung abhängt – und dass die Achtung dieser Identität durch die Menschenwürde geboten ist. Dieses hohe Gut fließt in die Abwägung mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) ein.

Im vorliegenden Fall musste das Gericht die Meinungsäußerungsfreiheit des Portals gegen das Persönlichkeitsrecht der Klägerin abwägen. NiuS berief sich darauf, lediglich seine Meinung kundzutun, z.B. dass nur „biologische Frauen“ Zugang zu einem Frauenstudio haben sollten. Tatsächlich stellte das Gericht fest, dass die fraglichen Aussagen – etwa die Bezeichnung als „Mann“ – Meinungsäußerungen und keine reinen Tatsachenbehauptungen waren. Allerdings endet auch die Meinungsfreiheit dort, wo die Würde und Persönlichkeitssphäre eines Menschen unverhältnismäßig verletzt werden. Eine bloß polemische oder zugespitzte Ausdrucksweise mag in der öffentlichen Debatte zulässig sein; hier ging NiuS jedoch einen Schritt zu weit, indem in jedem Artikel der Klägerin ihre rechtlich anerkannte Geschlechtsidentität abgesprochen wurde.

Das Landgericht stellte ausdrücklich keine „Schmähkritik“ im technischen Sinne fest – denn die Berichte bezogen sich auf einen tatsächlichen Anlass (den Fitnessstudio-Vorfall) und waren Teil einer sachbezogenen Auseinandersetzung. Dennoch waren die Grenzen des Zulässigen überschritten. Entscheidend war für die Kammer, dass die beanstandeten Passagen auf Herabwürdigung und Kränkung abzielten, anstatt nur nüchtern biologische Fakten zu nennen. Die konsequente männliche Zuschreibung („durchgehend dem männlichen Geschlecht zugeordnet“) verletzte die Persönlichkeitsrechte der Klägerin schwerwiegend, da ihr ihre Identität öffentlich abgesprochen wurde.

Auch der Schutz der Privatsphäre spielte hier eine Rolle. Die Klägerin ist eine privat lebende Person, weder Prominente, Aktivistin noch Politikerin. Gleichwohl wurde sie von NiuS mit vollem Namen genannt und mit Fotos gezeigt, was ihre Identifizierbarkeit stark erhöhte. Das Gericht erkannte darin eine bewusste Strategie, die Frau „aus der Anonymität zu heben“ und „zum Zwecke der persönlichen Anprangerung auszuschlachten“, ohne dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an ihrer Person bestand. Im Internet sind diese Informationen weltweit abrufbar – ein Umstand, der die Stigmatisierung und Belastung der Betroffenen noch verstärkt.

Neben Grundrechtsfragen flossen auch spezielle Gesetze ein. So verstoße die Veröffentlichung der Bilder ohne Einwilligung gegen das Kunsturhebergesetz (§§ 22, 23 KUG), da die leichte Verpixelung nicht genügte und die Frau keine Person der Zeitgeschichte sei. Folglich durfte NiuS weder ihren Namen noch ihr Bild ohne Zustimmung verbreiten – ein Aspekt, der parallel zum Persönlichkeitsrecht eigenständig geschützt ist.

Bedeutung der Entscheidung für Medien und Öffentlichkeit

Das Urteil des LG Frankfurt setzt ein deutliches Zeichen für Medien und die öffentliche Kommunikation. Es bestätigt, dass gezieltes Misgendering – also das absichtliche Benennen einer Person mit dem falschen Geschlecht – nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, wenn es die Rechte der betroffenen Person verletzt. Insbesondere Medienportale mit großer Reichweite müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein: Die Breitenwirkung online veröffentlichter Inhalte kann die Persönlichkeitsverletzung noch vertiefen.

Für die Medienlandschaft bedeutet dies konkret: Transfeindliche oder herabwürdigende Ausdrucksweisen gegenüber Einzelpersonen können juristische Konsequenzen haben. Das Frankfurter Gericht stärkt damit den Respekt vor der geschlechtlichen Selbstbestimmung. Es stellt klar, dass die Presse zwar kontroverse Debatten führen darf – etwa über Zugang von Transpersonen zu bestimmten Einrichtungen –, aber ohne einzelne Betroffene in ihrer Würde anzugreifen.

Die Entscheidung mahnt auch an, sorgsam mit persönlichen Daten umzugehen. Die Veröffentlichung von Namen und Bildern einer nicht prominenten Person ist nur zulässig, wenn das Informationsinteresse der Öffentlichkeit das individuelle Datenschutz- und Persönlichkeitsschutzinteresse überwiegt. Hier war das eindeutig nicht der Fall. Für Journalisten heißt das: Nur weil jemand Gegenstand einer Geschichte wird, darf man ihn oder sie nicht automatisch „an den Pranger“ stellen. Die Grenzen zwischen legitimer Berichterstattung und Prangerjournalismus wurden in diesem Urteil deutlich gezogen.

Auch im Kontext der aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen – Stichwort Selbstbestimmungsgesetz – hat das Urteil Signalwirkung. Es zeigt, dass die Rechtsprechung die Belange von transgeschlechtlichen Menschen ernst nimmt und sie vor Diskriminierung in der Berichterstattung schützt. Damit dürfte die Entscheidung dazu beitragen, die Kommunikation im öffentlichen Raum respektvoller zu gestalten und Medienanstalten zu sensibilisieren.

Praktische Empfehlungen für Medien und Unternehmen

Medienvertreter sollten aus diesem Fall konkrete Lehren ziehen:

  • Respekt vor Pronomen und Namen: Verwenden Sie die von der Person gewünschte Anrede, Pronomen und den aktuellen Namen. Die bewusste falsche Geschlechtsbezeichnung kann nicht nur als unhöflich, sondern als rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung gewertet werden.
  • Sachliche Diskussion statt persönlicher Angriffe: Kritische Debatten über Trans-Themen sind zulässig. Achten Sie aber darauf, die Sachebene nicht zu verlassen. Persönliche Verunglimpfungen oder spöttische Wortspiele („Mit-Glied-Schaft“ o.Ä.) sind unbedingt zu vermeiden, da sie die Grenze zur Unzulässigkeit überschreiten können.
  • Privatsphäre wahren: Überlegen Sie genau, ob Name oder Bild einer betroffenen Person wirklich veröffentlicht werden müssen. Bei Privatpersonen sollte im Zweifel anonymisiert berichtet werden, sofern kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Identität besteht. Die Frankfurter Pressekammer betonte, dass Neugier und Sensationslust der Leser kein legitimes Interesse an der Preisgabe der Identität begründen.
  • Einwilligung einholen: Wenn die Identität oder Bilder einer trans Person in einem Bericht auftauchen sollen, ist es ratsam, vorher die Einwilligung der Person einzuholen. Ungenehmigte Fotos zu veröffentlichen, die die Person erkennbar machen, verstößt gegen das Recht am eigenen Bild und kann gerichtliche Schritte nach sich ziehen.
  • Schulung und Sensibilisierung: Redaktionen und Mitarbeiter sollten hinsichtlich Gender-Themen geschult sein. Ein bewusster oder unbewusster Fehlgriff in der Wortwahl kann nicht nur Imageschaden bringen, sondern auch juristisch teuer werden.

Auch Unternehmen im allgemeinen Umgang mit trans Personen sind angesprochen: Der Ausgangsfall drehte sich zwar um Medienberichterstattung, doch er begann mit der Ablehnung einer Transfrau in einem Frauenfitnessstudio. Unternehmen sollten daher Diskriminierungsrisiken meiden*. Insbesondere im Geltungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gilt, dass niemand wegen seines Geschlechts oder seiner geschlechtlichen Identität benachteiligt werden darf. Praktische Tipps für Unternehmen sind:

  • Interne Richtlinien für den Umgang mit trans und intergeschlechtlichen Kunden und Mitarbeitern erarbeiten, die Diskriminierung klar untersagen.
  • Mitarbeiter sensibilisieren, z.B. durch Diversity-Trainings, um Fehlverhalten (bewusstes Misgendern, abfällige Bemerkungen) vorzubeugen.
  • Einzelfälle konstruktiv lösen: Sollte es etwa in geschlechtsspezifischen Angeboten (z.B. Frauenfitness, -schwimmen etc.) Bedenken geben, suchen Sie den Dialog mit der Person, um Lösungen zu finden, statt vorschnell auszuschließen. Einvernehmliche Lösungen sind nicht nur menschlich geboten, sondern reduzieren auch das rechtliche Risiko.

Abschließend zeigt der Fall: Transmenschen haben einen starken rechtlichen Schutz ihrer Persönlichkeit. Medien und Unternehmen tun gut daran, dies in der Praxis zu beherzigen. Das Frankfurter Urteil vom 10.07.2025 ist ein deutliches Signal, dass Respekt vor der geschlechtlichen Identität nicht nur eine Frage der Höflichkeit, sondern auch eine rechtliche Pflicht ist. Die Würde jedes Menschen – und dazu gehört die selbstdefinierte Geschlechtsidentität – ist unantastbar. Dieses Grundprinzip sollte Leitlinie im täglichen Umgang und in der öffentlichen Kommunikation sein.