Analyse zum Beschluss des OLG München vom 29.04.2025 – 1 AR 392/24
Pflichtverteidiger sehen sich in langwierigen Strafverfahren häufig mit einer finanziellen Schieflage konfrontiert: Die gesetzlich vorgesehenen Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) reichen in aufwendigen Verfahren oftmals nicht aus, um den erheblichen Arbeitsaufwand wirtschaftlich abzudecken. Für solche Ausnahmefälle sieht § 51 RVG die Möglichkeit einer Pauschalvergütung vor. Doch der Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) München vom 29. April 2025 bringt eine neue Facette in die Diskussion: Wenn ein Verteidiger durch mediale oder kommerzielle „Zweitverwertung“ des Verfahrens zusätzliche Einnahmen erzielt, kann dies gegen die Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren sprechen – und den Antrag auf eine Pauschalgebühr scheitern lassen.
Der Fall: Verteidigung im „Starnberger Dreifachmord“
Im zugrundeliegenden Fall hatte ein Pflichtverteidiger im aufsehenerregenden Verfahren um den sogenannten „Starnberger Dreifachmord“ über 80 Hauptverhandlungstage hinweg seinen Mandanten vertreten. Angesichts des Umfangs des Verfahrens beantragte der Verteidiger eine Pauschalvergütung in Höhe von rund 72.000 Euro gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG. Zur Begründung verwies er auf die außergewöhnliche Länge des Verfahrens und den damit verbundenen Aufwand, der die gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren deutlich übersteige.
Doch der Antrag scheiterte – aus einem eher ungewöhnlichen Grund: Der Verteidiger hatte sich über seine Tätigkeit in einem True-Crime-Podcast sowie durch Live-Veranstaltungen zu dem Verfahren ein zusätzliches Einkommen verschafft. Für das OLG München ein klares Ausschlusskriterium für die Gewährung einer Pauschalgebühr.
Rechtlicher Maßstab: § 51 RVG und die Zumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren
Gemäß § 51 RVG kann einem Pflichtverteidiger in besonders umfangreichen oder schwierigen Verfahren eine über die gesetzlichen Gebühren hinausgehende Pauschvergütung bewilligt werden. Voraussetzung ist, dass ihm das Festhalten an den gesetzlichen Gebühren unzumutbar ist. Diese Unzumutbarkeit wird im Lichte eines „Sonderopfers“ beurteilt, das dem Pflichtverteidiger aufgrund des Verfahrens auferlegt wird.
Dabei ist nicht allein der Umfang der Tätigkeit maßgeblich. Vielmehr berücksichtigt die Rechtsprechung auch, ob der Verteidiger aus anderen Quellen zusätzliche Vorteile oder Einkünfte aus dem Verfahren generiert hat – sei es in Form von Vorschüssen des Mandanten oder – wie im vorliegenden Fall – durch mediale Zweitverwertung.
Entscheidung des OLG München
Das OLG München lehnte den Antrag mit deutlichen Worten ab. Zwar sei das Verfahren mit 80 Hauptverhandlungstagen objektiv besonders umfangreich gewesen, doch fehle es an der erforderlichen Unzumutbarkeit im Einzelfall. Die gesetzlichen Gebühren seien dem Verteidiger zumutbar gewesen, da er das Verfahren kommerziell zweitverwertet habe.
Podcast, Live-Auftritte und Vorschüsse als „wirtschaftlicher Ausgleich“
Nach Ansicht des Gerichts habe der Verteidiger seine Tätigkeit zur Erlangung wirtschaftlicher Vorteile genutzt. Insbesondere hob der Senat hervor:
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die Mitwirkung des Verteidigers an einem True-Crime-Podcast, in dem er ausführlich über das Verfahren berichtete,
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seine Teilnahme an Live-Veranstaltungen, in denen er ebenfalls über das Verfahren sprach,
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sowie die Tatsache, dass der Verteidiger bereits im Ermittlungsverfahren einen fünfstelligen Vorschuss vom Mandanten erhalten habe.
Diese zusätzlichen Einnahmequellen seien als Ausgleich zur geringen gesetzlichen Vergütung anzusehen. Eine besondere Härte oder ein Sonderopfer könne unter diesen Umständen nicht festgestellt werden.
Keine Pauschgebühr trotz objektiv schwierigen Verfahrens
Das Gericht stellte klar, dass selbst ein objektiv besonders umfangreiches Verfahren nicht automatisch eine Pauschalvergütung nach sich ziehe. Vielmehr sei stets auf die wirtschaftliche Gesamtsituation des Verteidigers im Zusammenhang mit dem konkreten Verfahren abzustellen. Wer – sei es durch Vorträge, Medienauftritte oder andere Formen der Zweitverwertung – wirtschaftlich von dem Verfahren profitiere, könne sich nicht zugleich auf eine unzumutbare gesetzliche Gebührenlage berufen.
Bewertung und Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung des OLG München setzt ein klares Signal an die Anwaltschaft – insbesondere an solche Verteidiger, die öffentlichkeitswirksame Fälle betreuen und über mediale Formate zusätzliche Einnahmen generieren. Zwar ist es nicht per se unzulässig, über eigene Verfahren zu sprechen oder diese medienwirksam aufzubereiten. Doch solche Aktivitäten können im Rahmen von Vergütungsfragen als einkommensrelevante Faktoren berücksichtigt werden – und damit einem Antrag auf Pauschalvergütung entgegenstehen.
Verteidiger müssen sich entscheiden: Öffentlichkeit oder Sondervergütung
Die Entscheidung stellt Pflichtverteidiger künftig vor ein taktisches Dilemma: Wer öffentlich über seinen Fall spricht, erhöht seine Sichtbarkeit und wirtschaftliche Verwertbarkeit – riskiert jedoch zugleich, dass dies als „Gegenleistung“ zur niedrigen gesetzlichen Vergütung interpretiert wird.
Diese Argumentationslinie des OLG könnte auch auf andere Formen der Einnahmeerzielung – etwa Buchveröffentlichungen, Interviews oder Vorträge – ausstrahlen. Für Pflichtverteidiger bedeutet das: Derartige Tätigkeiten sollten in zukünftigen Vergütungsanträgen zumindest offengelegt und transparent bewertet werden.
Der Beschluss des OLG München zeigt, dass § 51 RVG keine Freikarte für zusätzliche Vergütungen in jedem langwierigen Strafverfahren darstellt. Pflichtverteidiger, die Verfahren medial oder kommerziell zweitverwerten, können sich nicht ohne Weiteres auf die Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren berufen. Die Entscheidung mahnt zur sorgfältigen Abwägung zwischen öffentlicher Darstellung und der Beanspruchung pauschaler Sonderhonorare.