Übernahme von Refinitiv durch Londoner Börse unter Auflagen genehmigt

13. Januar 2021 -

Die EU-Kommission hat die Übernahme des Finanzdatenanbieters Refinitiv durch die Londoner Börse („LSE Group, LSEG“) unter Auflagen genehmigt.

Aus EU-Aktuell vom 13.01.2021 ergibt sich:

Dem Beschluss vom 13.01.2021 ging eine eingehende Prüfung der geplanten Übernahme voraus, bei der die Tätigkeiten von LSEG und Refinitiv zusammengelegt werden sollen. Die Londoner Börse (LSEG) ist ein globales Finanzmarktinfrastrukturunternehmen, das auch mit Finanzdaten handelt. Refinitiv ist Anbieter von Finanzdatenprodukten. Das Unternehmen kontrolliert auch Tradeweb, das elektronische Handelsplätze betreibt.

Die Untersuchung der EU-Kommission konzentrierte sich auf Handelsdienstleistungen für europäische Staatsanleihen, in denen beide Parteien tätig sind, sowie auf die Bereitstellung von Finanzdatenprodukten und die Erbringung von Handels- und Clearingdienstleistungen für außerbörslich gehandelte Zinsderivate („OTC-IRDs“), bei denen eine Partei der anderen in der Wertschöpfungskette vorgelagert ist.

Im Rahmen ihrer eingehenden Untersuchung holte die EU-Kommission umfangreiche Informationen und Rückmeldungen von einer sehr großen Zahl von Wettbewerbern und Kunden von LSEG und Refinitiv ein, insbesondere von Handelsplätzen, Clearinghäusern, Datenverkäufern, Banken und anderen Anlegern. Die EU-Kommission hat auch mit Wettbewerbsbehörden auf der ganzen Welt sowie mit der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) zusammengearbeitet. Im Anschluss an ihre eingehende Untersuchung hatte die EU-Kommission Bedenken, dass das Vorhaben in der ursprünglich angemeldeten Form den Wettbewerb auf den folgenden Märkten erheblich beeinträchtigt hätte:

  1. a) Elektronischer Handel mit europäischen Staatsanleihen – Bedenken auf horizontaler Ebene

Die eingehende Untersuchung der EU-Kommission bestätigte die bei ihrer Einleitung geäußerten Bedenken, dass das Vorhaben zur Begründung oder Stärkung einer beherrschenden Stellung auf dem Markt für den elektronischen Handel mit Staatsanleihen und seinen möglichen Teilsegmenten geführt hätte.

  1. b) Handel mit außerbörslich gehandelten Zinsderivaten („OTC-IRDs“) zwischen Händlern und Endkunden – Bedenken auf vertikaler Ebene

Die Untersuchung der EU-Kommission hat bestätigt, dass das Vorhaben LSEG die Möglichkeit und den Anreiz gegeben hätte, die konkurrierenden Handelsplätze und Middleware-Anbieter von Tradeweb auszuschließen. Dies hätte die LSEG erreichen können, indem sie kein Clearing mehr durchführt, Gebühren anhebt, die Qualität mindert oder den Handel, der auf konkurrierenden Handelsplätzen von Tradeweb oder über Middleware-Anbieter ausgeführt wird, benachteiligt, oder auch die Zusammenarbeit mit den Konkurrenten von Tradeweb bei der Einführung neuer Produkte beeinträchtigt.

  1. c) Konsolidierte Echtzeit-Datenübermittlungen und Desktop-Lösungen – Bedenken auf vertikaler Ebene

Die Marktuntersuchung ergab, dass die von der Londoner Börse generierten Handelsdaten und die von FTSE Russell bereitgestellten britischen Finanzindizes wichtige Inputs für Datenübermittlungen und Desktop-Dienste darstellen und dass es keine tragfähige Alternative zu den Angeboten der LSEG gibt. Ohne die Verpflichtungszusagen hätte die geplante Übernahme LSEG die Möglichkeit und Anreize geboten, den Zugang der Wettbewerber von Refinitiv zu LSE-Finanzplatzdaten und Finanzindizes von FTSE Russell UK zu verweigern oder einzuschränken.

  1. d) Lizenzierung von Indizes – Bedenken auf vertikaler Ebene

Die Marktuntersuchung ergab, dass die WM/Reuters-FX-Benchmarks von Refinitiv zu den wichtigsten Faktoren für die Gestaltung und Berechnung von Aktienindexes gehören und dass die Referenzdaten von Refinitiv auf dem Markt weit verbreitet sind und es zu ihnen keine tragfähige Alternative gibt.

Die EU-Kommission stellte daher fest, dass nach dem geplanten Zusammenschluss Wettbewerbern bei der Vergabe von Indexlizenzen der Zugang zu den erforderlichen Eingabedaten von Refinitiv verweigert werden konnte.

Um die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der EU-Kommission auszuräumen, hat LSEG die folgenden Verpflichtungen angeboten:

Veräußerung seiner Beteiligung von 99,9% am Borsa-Italiana-Konzern, zu dem auch MTS (die Handelsplattform der LSEG für Staatsanleihen) gehört, an einen geeigneten Käufer. Am 09.10.2020 unterzeichneten LSEG und Euronext einen endgültigen und verbindlichen Kaufvertrag. Durch diese Verpflichtung werden die horizontalen Überschneidungen zwischen den Tätigkeiten der Unternehmen im elektronischen Handel mit Staatsanleihen vollständig beseitigt.

Beibehaltung des diskriminierungsfreien Zugangs zu den weltweiten Clearingdiensten von LCH Swapclear für außerbörslich gehandelte Zinsderivate und Verzicht auf Geschäftsstrategien, die eine Diskriminierung aufgrund der Herkunft des der LSEG für das Clearing übermittelten Derivategeschäfts implizieren würden. Hierbei verpflichtet sich die LSEG insbesondere,

  1. die Bestimmungen der EU-Verordnung über europäische Marktinfrastrukturen (EMIR-Verordnung) in Bezug auf das diskriminierungsfreie und transparente Clearing von außerbörslich gehandelten Zinsderivaten trotz des Brexit gegenüber Handelsplätzen und Anbietern von Middleware einzuhalten, und
  2. zwischen Tradeweb, Handelsplätzen Dritter und Middleware-Anbietern in Bezug auf
  3. a) Clearinggebühren,
  4. b) Leistungsniveau, technische Spezifikationen und Betriebsnormen und
  5. c) die Einführung neuer Produkte nicht zu diskriminieren.

Bereitstellung des Zugangs zu den Daten des Finanzhandelsplatzes Londoner Börse, den Finanzindizes von FTSE für das Vereinigte Königreich und zu den WM/Reuter FXBenchmarks für alle bestehenden und künftigen nachgelagerten Wettbewerber: Insbesondere verpflichtet sich die LSEG, Technologie, Qualität oder Service im Vergleich zu konzerninternen Wettbewerbern nicht zu verschlechtern. Die LSEG verpflichtet sich ferner, eine Informationsbarriere zwischen Mitarbeitern, die sensible Informationen der Kunden der LSEG verarbeiten, und den Sparten Echtzeit-Datenübermittlungen und Desktop-Lösungen von Refinitiv aufrechtzuerhalten, um sicherzustellen, dass kein Austausch solcher Informationen mit Refinitiv stattfindet, die sich negativ auf Drittanbieter von Daten auswirken könnten. Die Laufzeit der Verpflichtungen betreffend außerbörslich gehandelte Zinsderivate und Finanzdaten beträgt zehn Jahre.

Zu diesen Verpflichtungen gehört auch ein beschleunigtes und verbindliches Streitbeilegungsverfahren für Dritte, die der Ansicht sind, dass die LSEG diesen Verpflichtungen nicht nachkommt. Ein Treuhänder überwacht die Einhaltung der Verpflichtungen und fungiert als Beschwerdestelle im Rahmen des beschleunigten Streitbeilegungsverfahrens.

Mit den von LSEG angebotenen Verpflichtungen werden die wettbewerbsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der geplanten Übernahme in vollem Umfang ausgeräumt. Aus diesen Gründen ist die EU-Kommission zu dem Ergebnis gelangt, dass die geplante Übernahme angesichts der angebotenen Verpflichtungen keinen Anlass mehr zu Wettbewerbsbedenken gibt. Der Beschluss ist an die Auflage geknüpft, dass die Verpflichtungen vollständig umgesetzt werden.

Die London Stock Exchange Group mit Sitz in London (Vereinigtes Königreich) ist ein bedeutendes Finanzinfrastrukturunternehmen in Europa und am besten bekannt als Betreiber der Londoner Börse. Darüber hinaus ist sie Eigentümern der italienischen Börse, Borsa Italiana, und betreibt eine Reihe weiterer Plattformen für den Handel mit Aktien, anderen eigenkapitalähnlichen börsengehandelten Produkten, Anleihen und Derivaten. LSEG ist auch im Nachhandelsbereich tätig, insbesondere im Clearing über London Clearing House („LCH“), einschließlich LCH SwapClear, und über die italienische Clearingstelle Cassa di Compensazione e Garanzia („CC & G“). Die LSEG bietet ferner Abwicklungs- und Verwahrdienste sowie Indizes, Daten und weitere Informationsprodukte an.

Refinitiv mit Sitz in New York City (USA) ist ein Anbieter von Finanzmarktdaten und -infrastruktur und bedient mehr als 40.000 Einrichtungen in 190 Ländern. Refinitiv bietet konsolidierte Echtzeit-Datenübermittlungen über sein Produkt Elektron, Desktop-Lösungen über sein Produkt Eikon (das in Refinitiv Workspace umbenannt wird) sowie Nichtechtzeit-Datenübermittlungen und spezifische Datensätze an. Das Unternehmen ist hauptsächlich im Bereich Devisen-Benchmarks tätig, in dem es seinen wichtigste Referenzindex WM/Reuters FX bereitstellt. Refinitiv kontrolliert auch mehrere elektronische Handelsplätze in verschiedenen Anlageklassen.

Das Vorhaben wurde am 13.05.2020 angemeldet, und die EU-Kommission leitete am 22.06.2020 ein eingehendes Prüfverfahren ein. Die EU-Kommission hat die Aufgabe, Fusionen und Übernahmen von Unternehmen zu prüfen, deren Umsatz bestimmte Schwellenwerte übersteigt (vgl. Art. 1 der Fusionskontrollverordnung), und Zusammenschlüsse zu untersagen, die den wirksamen Wettbewerb im gesamten oder in einem wesentlichen Teil des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) erheblich behindern würden. Der weitaus größte Teil der angemeldeten Zusammenschlüsse ist wettbewerbsrechtlich unbedenklich und wird nach einer Standardprüfung genehmigt. Nach der Anmeldung muss die EU-Kommission in der Regel innerhalb von 25 Arbeitstagen entscheiden, ob sie das Vorhaben im Vorprüfverfahren (Phase I) genehmigt oder ein eingehendes Prüfverfahren (Phase II) einleitet.

Derzeit laufen sechs eingehende Prüfverfahren: die geplante Übernahme von Chantiers de l’Atlantique durch Fincantieri, die geplante Übernahme von DSME durch HHiH, die geplante Übernahme von GrandVision durch EssilorLuxottica, die geplante Übernahme von Transat durch Air Canada, die geplante Übernahme von Eaton Hydraulics durch Danfoss und die geplante Übernahme von Willis Towers Watson durch Aon.