Unrechtmäßige Abmahnungen wegen scharfer Kritik an der FU Berlin

09. September 2025 -

Ende Januar 2024 veröffentlichte der Vorstand der ver.di-Betriebsgruppe an der Freien Universität Berlin (FU Berlin) einen Aufruf auf der Website der Betriebsgruppe, in dem die Universität scharf kritisiert wurde. Konkret warf die Gewerkschaftsgruppe der Hochschule vor, sie verhalte sich tarifwidrig, mitbestimmungsfeindlich und antidemokratisch und fördere damit einen politischen Rechtsruck sowie den Aufstieg der AfD. Als Beispiel wurde u.a. genannt, dass die Universität Reinigungsarbeiten an Fremdfirmen ausgliedere und so Tarifstandards unterlaufe. Ferner rief die Gruppe zur Teilnahme an einem Aktionstag gegen die AfD auf, um gegen diese Missstände zu protestieren.

Die Reaktion der Universität folgte prompt: Die FU Berlin wertete die öffentlichen Anschuldigungen als illoyal und sprach gegenüber mehreren beteiligten Beschäftigten Abmahnungen aus. Eine Abmahnung ist im Arbeitsrecht eine formelle Rüge des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer. Sie weist auf ein aus Arbeitgebersicht vertragswidriges Verhalten hin und warnt vor möglichen Konsequenzen (bis hin zur Kündigung) im Wiederholungsfall. Hier begründete die Hochschule die Abmahnungen damit, dass die Äußerungen ehrverletzend seien und die arbeitsvertragliche Treue- und Loyalitätspflicht verletzten.

Die betroffenen Mitarbeiter – teils aktive Gewerkschafter und sogar Personalratsmitglieder – akzeptierten die Abmahnungen nicht und zogen vor Gericht. Sie klagten darauf, dass die Abmahnungen aus ihren Personalakten entfernt werden, da sie die Kritik durch die Meinungsfreiheit gedeckt sahen.

Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin vom 10.07.2025

Mit Urteil vom 10. Juli 2025 (Az. 59 Ca 10500/24, ArbG Berlin) gab das Arbeitsgericht Berlin den klagenden Arbeitnehmern Recht: Die Abmahnungen waren unrechtmäßig und müssen aus den Personalakten entfernt werden. In zwei parallel gelagerten Fällen entschied das Gericht an diesem Tag ebenso zugunsten der Beschäftigten. Nach Auffassung der Kammer lag keine Pflichtverletzung der Arbeitnehmer vor, denn der Internet-Aufruf verletzte nicht die arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin.

Zur Begründung stellte das Gericht auf eine sorgfältige Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit der Arbeitnehmer und der Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem Arbeitgeber ab. Im Ergebnis überwog hier das Recht der Mitarbeiter, Missstände anzusprechen. Entscheidend war dabei, dass die inkriminierten Aussagen zum großen Teil auf wahren Tatsachen beruhten: So hatte die Universität tatsächlich Reinigungsarbeiten an externe Firmen vergeben, wobei diese unter schlechtere Tarifbedingungen fielen. Zudem hatte die FU Berlin tarifliche Zuschläge teilweise nicht oder nur verspätet gezahlt und in einem gerichtlichen Verfahren sogar Verstöße gegen Mitbestimmungsrechte des Personalrats eingeräumt. Diese tatsächlichen Kernpunkte belegten also, dass die Kritik nicht aus der Luft gegriffen war, sondern auf realen Missständen basierte.

Soweit der Aufruf darüber hinaus wertende Äußerungen enthielt (etwa die scharfe Bezeichnung des Verhaltens der Uni als „antidemokratisch“ oder den Vorwurf der Förderung eines Rechtsrucks), sah das Gericht auch darin keine unzulässige Schmähkritik. Zwar handelte es sich um polemisch zugespitzte Formulierungen, doch diese überschritten nach Auffassung der Kammer nicht die Grenze zur Schmähkritik. Die Kritik war nicht anlasslos persönlich beleidigend oder auf die bloße Herabwürdigung von Universitätsleitung oder Arbeitgeber gerichtet, sondern ergab sich aus konkretem sachlichem Anlass – nämlich wahrgenommenen tariflichen und mitbestimmungsrechtlichen Missständen. Damit dienten die Äußerungen noch der Auseinandersetzung in der Sache und genossen den Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz. Folglich lag kein arbeitsvertragswidriges Verhalten der Kläger vor.

Das Arbeitsgericht kam daher zum Schluss, dass die Voraussetzungen für eine Abmahnung nicht erfüllt waren. Die Abmahnungen mussten aus den Personalakten entfernt werden, weil sie zu Unrecht erteilt worden waren. Dabei stellte das Gericht klar, dass selbst die zwischenzeitliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses (ein Kläger war bei Urteilsverkündung schon nicht mehr bei der FU beschäftigt) den Entfernungsanspruch nicht entfallen lässt. Eine unberechtigte Abmahnung kann also auch nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb noch angefochten werden – gerade im öffentlichen Dienst, wo spätere Arbeitgeber mit Einwilligung Einblick in alte Personalakten nehmen könnten.

Meinungsfreiheit versus Loyalitätspflicht im Arbeitsverhältnis

Der Fall illustriert exemplarisch die Spannung zwischen der Meinungsfreiheit von Arbeitnehmern und ihren Loyalitätspflichten gegenüber dem Arbeitgeber. Art. 5 Abs. 1 GG gewährt jedem das Recht, seine Meinung frei zu äußern – auch Arbeitnehmer dürfen grundsätzlich Missstände im Betrieb oder Fehlverhalten des Arbeitgebers benennen. Andererseits treffen Arbeitnehmer aus dem Arbeitsvertrag Nebenpflichten (vgl. § 241 Abs. 2 BGB), insbesondere die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dazu zählt, das Ansehen des Unternehmens nicht durch leichtfertig falsche oder böswillig herabsetzende Behauptungen zu beschädigen.

In der Praxis bedeutet dies: Kritik am Arbeitgeber ist zulässig, solange sie in der Sache gerechtfertigt ist und in einer angemessenen Form erfolgt. Selbst überspitzte oder polemische Kritik kann vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt sein, solange noch ein sachlicher Kern erkennbar ist und die Äußerung der Auseinandersetzung in der Sache dient. Die Grenze der Meinungsfreiheit ist hingegen dort überschritten, „wo Äußerungen nicht mehr der Auseinandersetzung in der Sache dienen, sondern ausschließlich darauf abzielen, eine Person oder Institution herabzuwürdigen“. Rein beleidigende oder bewusst falsche Aussagen fallen also nicht unter den Schutz des Grundgesetzes.

Auch das spezielle Gewerkschaftsrecht (Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG) ändert an diesem Grundsatz nichts: Natürlich dürfen Gewerkschaften und ihre Mitglieder für Arbeitnehmerinteressen kämpfen und dabei auch deutliche Worte finden. Doch Art. 9 Abs. 3 GG schützt nicht schrankenlos – Schmähkritik bleibt ausgeschlossen, auch wenn sie im Gewand gewerkschaftlicher Kampfrhetorik auftritt. Mit anderen Worten: Weder die Meinungsfreiheit noch die Koalitionsfreiheit erlauben es Arbeitnehmern, ihren Arbeitgeber ohne sachlichen Anlass durch herabwürdigende Behauptungen anzugreifen.

Im vorliegenden Fall erkannte das Gericht an, dass die ver.di-Betriebsgruppe durchaus harte Vorwürfe erhoben hatte. Diese bewegten sich aber noch innerhalb des Zulässigen, weil sie zum Teil auf wahren Tatsachen beruhten und im Übrigen als Werturteile durch den konkreten Anlass gedeckt waren. Insbesondere handelte es sich nicht um bloße Schmähungen einzelner Personen, sondern um Kritik am Verhalten der Universitätsleitung in bestimmten Sachfragen. Die Äußerungen zielten darauf ab, auf Missstände aufmerksam zu machen (Nicht-Einhaltung von Tarifverträgen, Behinderung der Mitbestimmung etc.), nicht darauf, Personen persönlich zu diffamieren. Insofern ist die Entscheidung ein deutliches Signal, dass engagierte Beschäftigte Missstände benennen dürfen, ohne gleich arbeitsrechtliche Sanktionen befürchten zu müssen – jedenfalls solange gewisse Spielregeln der fairen Kritik eingehalten werden.

Keine Schmähkritik: Wo liegen die Grenzen zulässiger Kritik?

Der Begriff Schmähkritik spielte in diesem Verfahren eine zentrale Rolle. Schmähkritik liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn es dem Äußernden nicht mehr um die Sache, sondern nur noch um die Diffamierung einer Person oder Institution geht. Solche Äußerungen sind nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Im Arbeitsverhältnis kann Schmähkritik gravierende Folgen haben – bis hin zur fristlosen Kündigung in Extremfällen. Entscheidend ist die Intention und der Kontext der Aussage:

  • Zulässige Kritik: Auch scharfe Worte gelten als erlaubt, wenn sie einen sachlichen Bezug zum betrieblichen Missstand oder Verhalten des Arbeitgebers haben. Ein gewisses Maß an Polemik oder Überspitzung ist im Eifer der Auseinandersetzung hinnehmbar, solange die Grenze zur persönlichen Herabwürdigung nicht überschritten wird. Beispiel: Einen Arbeitgeber wegen tatsächlicher Tarifverstöße als “mitbestimmungsfeindlich” zu bezeichnen, kann von der Meinungsfreiheit gedeckt sein, wenn konkrete Umstände diese Bewertung stützen.
  • Unzulässige Schmähkritik: Wird jedoch eine Behauptung völlig ohne sachliche Grundlage ins Blaue gestellt oder in erster Linie dazu geäußert, den Arbeitgeber lächerlich zu machen oder dessen Ruf zu schädigen, spricht vieles für Schmähkritik. Persönliche Beleidigungen, Verunglimpfungen oder nachweislich unwahre Tatsachenbehauptungen über den Arbeitgeber überschreiten die Grenze deutlich. Im entschiedenen Fall argumentierte z.B. eine Gerichtsentscheidung aus 2024, die Äußerungen wie der Vorwurf, die Uni würde den Rechtsruck fördern, seien nicht durch Fakten belegt und zielten allein darauf ab, die Hochschule herabzusetzen – somit Schmähkritik. Diese Sichtweise wurde allerdings vom Landesarbeitsgericht später korrigiert, nachdem sich herausstellte, dass doch tatsächliche Anknüpfungspunkte für die Kritik bestanden.

Für die Praxis lässt sich festhalten: Arbeitnehmer sollten bei öffentlicher Kritik stets darauf achten, konkrete Missstände sachlich zu benennen und überspitzte Formulierungen nicht in bloße Beschimpfungen entgleiten zu lassen. Solange ihre Äußerungen noch einem berechtigten Anliegen dienen (z.B. auf Tarifverstöße oder Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen), genießen sie in aller Regel grundrechtlichen Schutz. Werden dagegen lediglich pauschale Schimpftiraden ohne jede sachliche Substanz verbreitet, endet die Nachsicht der Gerichte – dann können Abmahnungen oder andere Sanktionen zulässig sein.

Bedeutung des Urteils für Arbeitnehmer

Für Arbeitnehmer – insbesondere Gewerkschaftsmitglieder oder Betriebsratsangehörige – ist dieses Urteil ermutigend. Es zeigt, dass engagierte Kritik am Arbeitgeber möglich ist, ohne direkt arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen, sofern bestimmte Grenzen gewahrt bleiben. Konkret sollten Beschäftigte aus dem Fall folgende Lehren ziehen:

  • Meinungsfreiheit nutzen, aber Fakten prüfen: Wenn Sie Missstände im Betrieb öffentlich anprangern möchten, untermauern Sie Ihre Kritik mit Tatsachen. Stellen Sie sicher, dass Ihre Behauptungen wahr oder zumindest gut begründbar sind. Im vorliegenden Fall konnte der Wahrheitsgehalt (Auslagerung von Jobs, verspätete Zahlungen etc.) belegt werden, was maßgeblich zum Erfolg vor Gericht beitrug.
  • Werturteile als solche kennzeichnen und begründen: Wertende Zuspitzungen (wie etwa jemanden als „antidemokratisch“ zu bezeichnen) sollten erkennbar auf den sachlichen Kern zurückführbar sein. Erläutern Sie, warum Sie zu dieser harten Einschätzung kommen, damit deutlich wird, dass es nicht um bloße Schmähung geht. Polemik ist erlaubt, wenn ein berechtigtes Anliegen dahintersteht.
  • Keine persönlichen Beleidigungen: Vermeiden Sie Formulierungen, die allein auf die persönliche Kränkung von Vorgesetzten oder Kollegen abzielen. Direkte Beschimpfungen, Verleumdungen oder ehrverletzende Schläge unter die Gürtellinie fallen nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit und können Disziplinarmaßnahmen rechtfertigen. Bleiben Sie stets in der Sache – hart in der Sache zu argumentieren ist erlaubt, persönlich zu werden dagegen gefährlich.
  • Gewerkschaftlichen Rückhalt nutzen: Falls Sie im Rahmen gewerkschaftlicher Aktionen (Flugblätter, Aufrufe, Versammlungen) Kritik üben, stimmen Sie sich eng mit Ihrer Gewerkschaft ab. Diese kann beraten, welche Formulierungen zulässig sind. Gewerkschaftliche Kampagnen haben oft größeren Spielraum, dennoch sollten auch sie die oben genannten Grenzen respektieren.
  • Gegen unberechtigte Abmahnungen wehren: Erhalten Sie trotz allem eine Abmahnung für Ihr Verhalten, prüfen Sie die rechtliche Anfechtung. Wie der Fall zeigt, sind Gerichte bereit, Arbeitnehmer zu schützen, wenn die Abmahnung überzogen oder ungerechtfertigt ist. Ein Entfernen der Abmahnung aus der Personalakte kann notfalls eingeklagt werden. Dies lohnt sich selbst dann, wenn das Arbeitsverhältnis bereits beendet ist – unberechtigte Abmahnungen dürfen nicht in Ihrer Akte stehen bleiben, da sie Ihnen bei zukünftigen Bewerbungen schaden könnten.

Zusammengefasst: Arbeitnehmer dürfen auch öffentliche Kritik an ihrem Arbeitgeber üben, insbesondere wenn es um Arbeitsbedingungen, Tarifverstöße oder ähnliche Misstände geht. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit steht auf ihrer Seite, solange sie sachlich begründet auftreten und keine wissentlich falschen Tatsachen verbreiten. Wer diese Spielregeln beherzigt, braucht Abmahnungen oder Kündigungen nicht zu fürchten.

Hinweise für Arbeitgeber

Auch Arbeitgeber – in diesem Fall öffentliche Arbeitgeber wie Universitäten, aber letztlich alle Unternehmen – können aus dem Urteil wichtige Schlüsse ziehen. Die Entscheidung mahnt dazu, bei kritischen Äußerungen von Beschäftigten mit Augenmaß und rechtlicher Sorgfalt zu reagieren, anstatt vorschnell zu sanktionieren. Folgende Punkte sind für Arbeitgeber bedeutsam:

  • Kritik ernst nehmen und prüfen: Wenn Mitarbeiter öffentlich schwere Vorwürfe erheben (z.B. Tarifbruch, Antidemokratie-Vorwurf), sollten Arbeitgeber zunächst innehalten und den Wahrheitsgehalt prüfen. Stellt sich heraus, dass keine falschen Tatsachen behauptet wurden und an den Kritikpunkten etwas dran ist, besteht kein Grund für arbeitsrechtliche Schritte. In solchen Fällen ist Dialog oft sinnvoller als sofortige Bestrafung. Die FU Berlin musste lernen, dass tatsächliche Missstände (wie z.B. nicht gezahlte Zuschläge oder unzureichende Mitbestimmung) zuerst behoben werden sollten, statt die Überbringer der Botschaft zu sanktionieren.
  • Grenzen kennen: Was ist Schmähkritik? Nur wenn eine Äußerung völlig aus der Rolle fällt – etwa durch persönliche Beleidigungen oder eindeutige Rufschädigungsabsicht ohne Sachbezug – ist eine Abmahnung oder Kündigung rechtlich haltbar. Arbeitgeber sollten sich bewusst sein, dass polemische und sogar überspitzt formulierte Kritik grundsätzlich vom Recht gedeckt sein kann. Eine vorschnelle Einordnung als „Schmähkritik“ hält vor Gericht oft nicht stand, wenn ein berechtigter Kern der Kritik nachweisbar ist. In diesem Fall sah eine Gerichtsinstanz zunächst Schmähkritik gegeben, doch letztlich wurde diese Einschätzung vom LAG korrigiert. Faustregel: Solange Mitarbeiter Themen der betrieblichen Realität ansprechen (z.B. Nichteinhaltung von Tarifverträgen) und dabei keine reinen Beschimpfungen aussprechen, ist äußerste Vorsicht bei disziplinarischen Reaktionen geboten.
  • Verhältnismäßigkeit wahren: Selbst wenn eine Äußerung als grenzwertig empfunden wird, sollte der Arbeitgeber die Verhältnismäßigkeit einer Abmahnung bedenken. Eine Abmahnung ist kein geringes Mittel – sie kann die Karriere eines Mitarbeiters belasten. Überlegen Sie, ob nicht mildere Mittel oder ein klärendes Gespräch angemessener wären, bevor Sie zur Abmahnung greifen. Gerade im sensiblen Bereich der betriebsöffentlichen Meinungsäußerung (z.B. in sozialen Medien, auf Gewerkschaftsseiten) kann eine überzogene Reaktion des Arbeitgebers auch öffentlich negativ aufgefasst werden.
  • Dialog statt Konfrontation: Die Erfahrung zeigt, dass es produktiver sein kann, mit Kritikern das Gespräch zu suchen, anstatt sie zum Schweigen bringen zu wollen. Arbeitgeber, die auf berechtigte Anliegen eingehen, können Vertrauen zurückgewinnen. Hätten Vertreter der FU Berlin das Gespräch mit der ver.di-Betriebsgruppe gesucht und die Vorwürfe geprüft, wäre es vielleicht gar nicht zu diesem Rechtsstreit gekommen. Eine offene Fehlerkultur und ernst gemeinte Verbesserungsbereitschaft können Eskalationen verhindern.
  • Rechtsberatung einholen: Bevor eine Abmahnung wegen möglicher illoyaler Äußerungen ausgesprochen wird, ist es ratsam, fachkundigen Rat (z.B. von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht) einzuholen. Die rechtlichen Maßstäbe – insbesondere zur Abgrenzung von zulässiger Kritik und Schmähkritik – sind komplex und werden von Gerichten sorgfältig im Einzelfall geprüft. Fehlerhafte Abmahnungen führen nicht nur zu gerichtlicher Niederlage, sondern können auch die Belegschaft demotivieren und das Betriebsklima belasten.

Zusammengefasst fordert dieses Urteil Arbeitgeber auf, kritische Stimmen aus dem eigenen Haus nicht vorschnell zu sanktionieren. Konstruktive Kritik von Beschäftigten sollte als Chance zur Verbesserung gesehen werden, nicht als Angriff. Nur wenn Mitarbeiter wissentlich falsche Behauptungen verbreiten oder beleidigend werden, sind strenge arbeitsrechtliche Reaktionen gerechtfertigt. Andernfalls läuft der Arbeitgeber Gefahr, vor Gericht zu unterliegen und seinen Ruf als fairer Arbeitgeber zu beschädigen.

Unterschiedliche Gerichtsentscheidungen und aktuelle Entwicklung

Bemerkenswert an der Konstellation rund um die FU Berlin ist, dass verschiedene Gerichte zunächst unterschiedlich urteilten, bevor sich ein klareres Bild abzeichnete. So hatte Ende 2024 eine andere Kammer des Arbeitsgerichts Berlin die Klage eines Gewerkschafters abgewiesen und die Abmahnung als rechtmäßig erachtet – mit der Begründung, der Aufruf stelle Schmähkritik dar und verletze die Loyalitätspflichten des Arbeitnehmers. Dieses Urteil (ArbG Berlin vom 05.12.2024, Az. 58 Ca 4568/24) sorgte zunächst für Verunsicherung, da es Arbeitnehmern scheinbar enge Grenzen setzte.

Allerdings ist wichtig zu wissen, dass jene Entscheidung kein Endpunkt war. Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die umstrittene Abmahnung wieder aufgehoben. Das LAG stellte – wie oben erläutert – klar, dass der Aufruf keine unwahren Tatsachenbehauptungen enthielt und die Kritik nicht die Schwelle zur Schmähkritik überschritt. Damit musste letztlich auch in diesem Fall die Abmahnung aus der Personalakte entfernt werden.

Insgesamt stehen damit alle bisher ergangenen Entscheidungen in der Sache auf Seiten der Arbeitnehmer, sobald der vollständige Sachverhalt und die Hintergründe geprüft wurden. Die zunächst abweichende erstinstanzliche Ansicht wurde korrigiert, und die neueren Urteile des Arbeitsgerichts (vom Mai und Juli 2025) folgten von vornherein der Linie, die Meinungsfreiheit der Beschäftigten stärker zu gewichten. Die FU Berlin hat gegen die Entscheidungen vom Mai und Juli 2025 zwar jeweils Berufung eingelegt, so dass endgültige Klarheit möglicherweise erst durch höhere Instanzen (Landesarbeitsgericht bzw. ggf. Bundesarbeitsgericht) geschaffen wird. Ein Berufungsverfahren zu einer der Abmahnungen ist für Anfang 2026 terminiert. Doch angesichts der bisherigen Bewertungen – insbesondere der eindeutigen Worte des LAG – stehen die Chancen der Arbeitnehmer gut, dass auch in den nächsten Instanzen ihre Meinungsäußerungsfreiheit bestätigt wird.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 10.07.2025 sendet ein klares Signal: Arbeitnehmer dürfen Missstände beim Namen nennen, auch öffentlich und in scharfem Ton, solange sie dabei bei der Wahrheit bleiben und nicht bloß beleidigen. Die Meinungsfreiheit gilt auch im Arbeitsverhältnis – kritische Beiträge von Beschäftigten können ein wichtiger Impuls sein, um Probleme im Betrieb aufzudecken. Arbeitgeber wiederum tun gut daran, kritische Äußerungen differenziert zu würdigen und nicht reflexhaft mit Abmahnungen zu reagieren. Eine solide Fehlerkultur und die Bereitschaft, auf berechtigte Kritik einzugehen, stärken am Ende beide Seiten: Beschäftigte fühlen sich ernst genommen und trauen sich, konstruktiv mitzudenken, während Arbeitgeber von offenen Hinweisen profitieren und Rechtsstreitigkeiten vermeiden.

Insgesamt unterstreicht dieser Fall die Bedeutung eines fairen Interessenausgleichs: Weder dürfen Arbeitnehmer durch überzogene Sanktionen mundtot gemacht werden, noch dürfen Arbeitgeber durch unsachliche Anschuldigungen verunglimpft werden. Die Rechtsprechung zieht hier eine Linie zugunsten der sachlich fundierten Kritik – ein wichtiges Update für alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die mit dem Thema freie Meinungsäußerung im Betrieb konfrontiert sind. Frei nach dem Motto: Kritik ja – aber mit Fakten und Anstand. Damit sind alle Beteiligten auf der sicheren Seite.