Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat in zwei aktuellen Urteilen vom 30. Juni und 3. Juli 2025 entschieden, dass Beherbergungsbetriebe (Gastgeber) nicht verpflichtet werden können, ihren Gästen eine elektronische Gästekarte auszuhändigen. Der Grund: Es fehlt eine gesetzliche Grundlage im Bayerischen Kommunalabgabengesetz (KAG) für eine solche Pflicht. Die Folge: Diese Regelung in den Kurbeitragssatzungen der Gemeinden – also den örtlichen Satzungen, die die Erhebung des Kurbeitrags (Kurtaxe) regeln – ist rechtswidrig und damit unwirksam. Wichtig: Die übrigen Bestimmungen der Satzungen bleiben jedoch gültig, insbesondere dürfen Kurbeiträge weiterhin erhoben werden. Mit anderen Worten: Urlaubsgäste müssen nach wie vor den Kurbeitrag zahlen, aber Gastgeber müssen die bisher oft gleichzeitig ausgegebene elektronische Kur- oder Gästekarte nicht mehr zwangsläufig selbst aushändigen.
Hintergrund: Kurbeitrag und elektronische Gästekarte
Viele bayerische Kur- und Ferienorte erheben von ihren Besuchern einen Kurbeitrag (Kurtaxe). Im Gegenzug erhalten die Gäste üblicherweise eine Gästekarte (Kurkarte), die ihnen Vergünstigungen bietet – etwa kostenlose oder ermäßigte Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Schwimmbädern, Museen oder anderen Freizeiteinrichtungen der Region. Elektronische Gästekarten sind moderne Varianten dieser Kurkarten, meist in Form von Chipkarten oder digitalen QR-Codes, welche eine Reihe von Preisvorteilen für Freizeitangebote in der Region gewähren. Beherbergungsbetriebe (Hotels, Pensionen, Ferienwohnungsvermieter usw.) wurden in einigen Gemeinden per Satzung verpflichtet, diese Gästekarten an ihre Gäste auszugeben und online freizuschalten. Für gewöhnlich ziehen die Gastgeber auch den Kurbeitrag beim Gast ein und führen ihn an die Gemeinde ab.
In den Allgäuer Kurorten Oberstaufen und Bad Hindelang ging eine Vermieterin von Ferienwohnungen gegen diese Ausgabepflicht für elektronische Gästekarten vor. Sie stellte beim BayVGH einen Normenkontrollantrag gegen die jeweiligen Kurbeitragssatzungen der Gemeinden. Ihr zentrales Argument: Es gebe keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Pflicht der Gastgeber, die elektronischen Gästekarten auszuhändigen. Diese Rechtslücke mache die entsprechende Vorschrift – und nach Ansicht der Antragstellerin sogar die gesamte Satzung – unwirksam. Die Vermieterin monierte zudem den erheblichen praktischen Aufwand, vor allem weil sie keine Betriebsstätte direkt vor Ort besitzt. Für kleinere oder auswärtige Betriebe sei es schwierig, jedem Gast persönlich die elektronische Karte zu übergeben oder deren Ausgabe zu organisieren.
Entscheidung des BayVGH: Keine Pflicht ohne gesetzliche Grundlage
Der BayVGH gab der Antragstellerin in wesentlichen Punkten Recht. Die Vorschriften zur Ausgabe der elektronischen Gästekarte sind unwirksam, weil sie gegen das Gesetzlichkeitsprinzip verstoßen. Nach Auffassung des Gerichts begründet die Satzung hier eine rechtliche Verpflichtung der Gastgeber, die nicht bloß freiwillig am Kartensystem teilnehmen. Ein solcher Eingriff in den Geschäftsbetrieb – insbesondere bei Gastgebern ohne lokale Repräsentanz – bedarf einer formellen gesetzlichen Grundlage, die im Kommunalabgabengesetz nicht vorhanden ist. Kurz gesagt: Der Freistaat Bayern hat den Gemeinden keine ausdrückliche Befugnis gegeben, Hotels und Vermieter zur Ausgabe einer solchen Vorteilskarte zu verpflichten.
Das Gericht betonte, dass die Gästekarte mehr ist als nur eine Quittung für die Bezahlung des Kurbeitrags. Sie dient nicht lediglich als Nachweis, dass ein Gast seinen Kurbeitrag entrichtet hat, sondern stellt eine eigenständige Leistung dar. Über die Karte erhalten Urlauber Zugang zu zahlreichen Vergünstigungen (z. B. kostenlose Eintritte oder Ermäßigungen), was über eine reine Verwaltungsquittung weit hinausgeht. Ohne klare gesetzliche Ermächtigung dürfen Gemeinden die Ausgabe einer derart zusätzlichen Leistung nicht auf private Gastgeber abwälzen.
Konsequenzen: Kurbeitrag bleibt, Ausgabe der Karte neu regeln
Trotz der Unwirksamkeit der Gästekarten-Pflicht bleibt der Rest der Kurbeitragssatzungen in Kraft. Insbesondere die Erhebung des Kurbeitrags an sich ist weiterhin rechtmäßig und darf von den Gemeinden verlangt werden. Der BayVGH verwarf damit die Auffassung, dass die ganze Satzung ungültig sei – es entfällt lediglich die Pflicht der Gastgeber zur Kartenausgabe, nicht aber der Kurbeitrag selbst. Für Urlauber heißt das: Sie müssen nach wie vor den Kurbeitrag bezahlen, haben aber weiterhin Anspruch auf die Gästekarte mit ihren Vorteilen.
Allerdings müssen die Gemeinden nun neue Wege finden, wie sie die elektronische Gästekarte an die Gäste verteilen. Der Erhalt der Karte liegt primär im Interesse der Kurgäste, so der VGH. Die Städte und Kurverwaltungen dürfen die Gästekarten auch künftig ausgeben, nur eben nicht mehr über den Zwangsumweg der Gastgeber. Praktisch könnten die Kommunen z. B. Tourist-Informationen, Kurverwaltungen oder digitale Systeme nutzen, über die Gäste ihre Kurkarte erhalten. Denkbar ist auch, dass Gastgeber freiwillig weiter bei der Ausgabe mitwirken – aber eben auf freiwilliger Basis, nicht als Pflicht.
Rechtlich betrachtet wirkt das Urteil über den Einzelfall hinaus. Zwar entschieden die Richter in zwei konkreten Normenkontrollverfahren für Oberstaufen und Bad Hindelang, doch ähnliche Regelungen in anderen bayerischen Kurorten dürften gleichermaßen unzulässig sein, sofern es keine gesetzliche Ermächtigung gibt. Bayernweit werden Gemeinden mit Kurbeitragssatzungen, die eine Pflicht zur Ausgabe von Gästekarten vorsehen, ihre Satzungen überprüfen und anpassen müssen. Bis dahin gilt: Eine Vorschrift, die Gastgeber zur Ausgabe einer elektronischen Gästekarte verpflichtet, ist laut BayVGH unwirksam und muss nicht befolgt werden.
(Hinweis: Gegen die Urteile kann binnen eines Monats eine Beschwerde eingereicht werden, um eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht zu ermöglichen. Ob die betroffenen Gemeinden diesen Weg gehen, bleibt abzuwarten. Die Entscheidung des BayVGH ist jedoch vorerst maßgeblich.)
Was bedeutet das für Gastgeber?
Für Betreiber von Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen und andere Gastgeber in Kurorten bedeutet die Entscheidung vor allem Entlastung von bürokratischem Aufwand. Sie sind nun nicht mehr verpflichtet, die elektronische Gästekarte selbst auszuhändigen oder zu aktivieren. Eine unmittelbare Sanktion brauchen sie nicht zu fürchten, falls sie die bisher vorgeschriebene Kartenausgabe einstellen – denn die entsprechende Satzungsregel ist ja rechtswidrig und nichtig. Wichtig ist jedoch: Die Pflicht, den Kurbeitrag einzuziehen oder an die Gemeinde abzuführen, bleibt bestehen. Gastgeber müssen also weiterhin darauf achten, dass ihre Gäste den Kurbeitrag zahlen (in der Regel wird dieser Betrag auf die Übernachtung aufgeschlagen und vom Vermieter eingesammelt). Lediglich die Verteilung der Gästekarte ist nun nicht mehr ihre gesetzliche Aufgabe.
Dennoch sollten Gastgeber bedenken, dass die Gästekarte vor allem ein Service für die Gäste ist. Viele Urlauber freuen sich über die enthaltenen Gratis-Angebote und Ermäßigungen. Fällt die Kartenausgabe plötzlich komplett weg, könnten Gäste verwirrt oder enttäuscht reagieren. In der Übergangszeit, bis die Gemeinde eine neue Lösung implementiert, empfiehlt es sich, proaktiv zu informieren: Teilen Sie Ihren Gästen mit, ob und wie sie ihre Gästekarte erhalten können. Eventuell richten Gemeinden Übergangsregelungen ein – etwa, dass Gäste die Karten bei der Tourist-Info abholen oder digital herunterladen können. Gastgeber können sich freiwillig weiterhin an der Ausgabe beteiligen, um den Service nahtlos zu halten – sollten dies aber als freiwillige Kulanzleistung und nicht als Pflicht verstehen.
Handlungsempfehlung für Gastgeber
- Satzung prüfen: Schauen Sie in die Kurbeitragssatzung Ihrer Gemeinde, ob dort eine Verpflichtung zur Ausgabe einer Gästekarte verankert ist. Nach dem BayVGH-Urteil ist eine solche Klausel unwirksam – Sie müssen sie also nicht mehr befolgen.
- Gemeinde kontaktieren: Falls Ihre Gemeinde noch keine Informationen herausgegeben hat, wie sie mit der Gästekarten-Frage umgeht, fragen Sie aktiv nach. Gemeinden sind sich des Urteils jetzt bewusst und sollten an einer Lösung arbeiten. Ihr Hinweis kann helfen, die Satzung zügig anzupassen oder Übergangslösungen zu schaffen.
- Kurbeitrag weiter abführen: Achten Sie darauf, weiterhin den Kurbeitrag ordnungsgemäß von Ihren Gästen einzusammeln und an die Kommune abzuführen, wie in der Satzung vorgesehen. Die Aufhebung der Kartenausgabe-Pflicht ändert nichts an der Beitragspflicht selbst.
- Gäste informieren: Kommunizieren Sie klar mit Ihren Gästen. Erklären Sie ggf., dass sich der Ausgabemodus der Gästekarte geändert hat. Weisen Sie darauf hin, wo der Gast seine elektronische Kurkarte jetzt erhält (z. B. bei der Kurverwaltung, per E-Mail vor Anreise, via App oder Barcode etc.), damit kein Gast auf die Vergünstigungen verzichten muss.
- Freiwillige Serviceleistung überlegen: Überlegen Sie, ob Sie übergangsweise freiwillig bei der Kartenausgabe mithelfen möchten, bis die Gemeinde eine Alternative bietet. Wenn Sie die technischen Möglichkeiten haben (z. B. bereits eingerichtete Kartensysteme), könnte es im Sinne der Kundenzufriedenheit sein, Gästen vorerst weiterhin die Karten auszuhändigen – allerdings rein als Service und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Dokumentieren Sie in diesem Fall die Ausgabe, um gegenüber der Gemeinde nachweisen zu können, wer eine Karte erhalten hat, falls dies für Abrechnungen relevant bleibt.
Das BayVGH-Urteil schafft Klarheit: Ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage kann kein Kurort seine Gastgeber zwingen, elektronische Gästekarten an Urlauber auszugeben. Für Gastgeber bedeutet dies weniger Zwang und Bürokratie. Dennoch sollten sie umsichtig vorgehen, den Dialog mit der Gemeinde suchen und ihre Gäste transparent informieren, damit der Urlauber weiterhin in den Genuss der wertvollen Vorteile der Gästekarte kommen kann – nun eben über andere Wege als den „Umweg“ über den Gastgeber. Bei Unsicherheiten oder Streitfragen lohnt es sich, rechtlichen Rat einzuholen – im Zweifel steht Rechtsanwalt Dr. Usebach gerne beratend zur Seite.