Unzulässige Verfassungsbeschwerde zu einem Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamts (Eisenbahnstrecke Oldenburg – Wilhelmshaven)

Das Bundesverfassungsgericht hat am 20.01.2022 zum Aktenzeichen 1 BvR 1377/21 eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des BVerwG nicht zur Entscheidung angenommen.

Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 19/2022 vom 08.03.2022 ergibt sich:

In dem zugrundeliegenden Verfahren wandten sich die Beschwerdeführenden gegen einen Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamts zur Eisenbahnstrecke Oldenburg – Wilhelmshaven.

Sie beanstanden insbesondere einen unzureichenden Schutz gegen Schienenlärm. Nach der Verkehrslärmschutzverordnung wird die Lärmbelastung anhand eines „Beurteilungspegels“ bewertet, bei dem es sich um einen errechneten Mittelungspegel handelt. Spitzenpegel werden – auch für die Nacht – bei der Berechnung außer Betracht gelassen. Die Beschwerdeführenden sehen darin einen Verstoß gegen staatliche Schutzpflichten für das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen des Grundsatzes der Subsidiarität. Mit diesem soll erreicht werden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen treffen muss, sondern zunächst die primär zuständigen Fachgerichte die Sach- und Rechtslage aufgearbeitet haben. Die Beschwerdeführenden müssen das Erforderliche für eine inhaltliche Befassung der Fachgerichte mit der verfassungsrechtlichen Frage veranlasst haben. Vorliegend haben sie jedoch wesentliche Unterlagen und Erwägungen nicht schon im fachgerichtlichen Verfahren vorgebracht, sondern erst im Verfassungsbeschwerdeverfahren.

Sachverhalt:

Der von dem Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamts erfasste Schienenstreckenabschnitt führt teilweise durch allgemeine Wohngebiete. In diesen liegen die Grundstücke der Beschwerdeführenden zu 1) bis 5). Sie beanstanden im Kern einen aus ihrer Sicht unzureichenden Schutz gegen Schienenlärm. Unter anderem verstoße es gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dass bei der Ermittlung der Lärmbelastung auch für die Nacht ausschließlich auf Mittelungspegel abgestellt werde. Maximalpegel würden bei Bewertung der Belastung außer Acht gelassen werden.

In der Verkehrslärmschutzverordnung sind die Immissionsgrenzwerte festgelegt, die der nach den Vorgaben der Verordnung berechnete Beurteilungspegel nicht überschreiten darf. Die Berechnung des Beurteilungspegels erfolgt für Schienenwege getrennt für den Beurteilungszeitraum Tag (6 Uhr bis 22 Uhr) und den Beurteilungszeitraum Nacht (22 Uhr bis 6 Uhr). Das Berechnungsverfahren zur Ermittlung der Schallimmissionen von Schienenwegen ist in Anlage 2 zur 16. BImSchV (Schall 03) festgelegt. Die Beurteilungspegel für Schienenlärm werden demnach durch einen äquivalenten Dauerschalldruckpegel errechnet, also einen über einen bestimmten Zeitraum gemittelten Schallpegel (Mittelungspegel). In den Mittelungspegel fließen Häufigkeit, Dauer und Stärke der einzelnen Schienenlärmschallereignisse ein.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss ab. Der Planfeststellungsbeschluss leide an keinem zur Aufhebung des Beschlusses oder zur Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit führenden Rechtsfehler.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

  1. Die Beschwerdeführenden haben nicht das Erforderliche für eine inhaltliche Befassung des Bundesverwaltungsgerichts mit der gegenständlichen verfassungsrechtlichen Frage veranlasst. Sie vertreten die Ansicht, der Normgeber werde mit der fehlenden Berücksichtigung von Spitzenpegeln bei der Berechnung des nächtlichen Beurteilungspegels seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht gerecht. Ob eine Schutzpflichtverletzung vorliegt hängt jedoch davon ab, ob evident ist, dass dies zum Schutz der Gesundheit aufgrund neuer Erkenntnisse oder einer veränderten Situation untragbar geworden ist. Die Beschwerdeführenden wären gehalten gewesen, bereits das Bundesverwaltungsgericht in geeigneter Weise mit dieser Frage zu befassen. Sie haben zur Begründung, dass die geltende Rechtslage untragbar sei, im Verfassungsbeschwerdeverfahren eine Vielzahl von Studien vorgelegt und erläutert, inwiefern diese ihre Einschätzung belegten. Im fachgerichtlichen Verfahren haben sie nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts zum wissenschaftlichen Erkenntnisstand jedoch keine (neuen) Forschungsstudien mit konkreten wissenschaftlichen Erkenntnissen präsentiert. Mit dieser Einschätzung haben sich die Beschwerdeführenden nicht substantiiert auseinandergesetzt und damit nicht dargelegt, dass ihre Verfassungsbeschwerde den Anforderungen der Subsidiarität genügt.
  2. Allerdings reichte der Vortrag im fachgerichtlichen Verfahren ohnehin nicht aus, um dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zu genügen. Soweit ersichtlich haben sich die Beschwerdeführenden im fachgerichtlichen Verfahren lediglich pauschal auf ältere Studien berufen, die sie zudem nicht beigelegt hatten. Das war zur Erfüllung des Subsidiaritätserfordernisses nicht hinreichend, um das Bundesverwaltungsgericht mit der verfassungsrechtlichen Frage zu befassen. Der Subsidiaritätsmangel lässt sich durch die Vorlage und Erläuterung weiterer Untersuchungen im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr beheben, weil die vom Grundsatz der Subsidiarität bezweckte fachgerichtliche Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage nicht möglich war. Die Beurteilung, inwiefern die Nichtberücksichtigung von Spitzenpegeln bei der Berechnung des nächtlichen Beurteilungspegels für Schienenlärm nach aktueller Erkenntnislage zum Schutz der Gesundheit untragbar geworden ist, obliegt zunächst der insoweit sachnäheren Fachgerichtsbarkeit.