Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung

Der Europäische Gerichtshof hat am 26.01.2021 zum Aktenzeichen C-16/19 entschieden, dass die Praxis eines Arbeitgebers, die darin besteht, einen Entgeltzuschlag nur an behinderte Arbeitnehmer zu zahlen, die eine Bescheinigung über die Anerkennung einer Behinderung nach einem Datum eingereicht haben, das der Arbeitgeber selbst festgesetzt hat, eine unmittelbare oder eine mittelbare Diskriminierung wegen einer Behinderung darstellen kann.

Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 9/2021 vom 26.01.2021 ergibt sich:

  1. war bei einem Krankenhaus in Krakau (Polen) von Oktober 2011 bis September 2016 beschäftigt. Im Dezember 2011 erhielt sie eine Bescheinigung über die Anerkennung einer Behinderung. Diese Bescheinigung übermittelte sie ihrem Arbeitgeber im selben Monat. Um die Summe der Beiträge des Krankenhauses an den Staatsfonds für die Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen zu verringern, entschied der Direktor dieses Krankenhauses nach einem Treffen mit dem Personal, das im zweiten Halbjahr 2013 stattfand, den Arbeitnehmern, die ihm nach diesem Treffen eine Bescheinigung über die Anerkennung ihrer Behinderung einreichten, einen Zuschlag zum monatlichen Arbeitsentgelt zu gewähren. Auf der Grundlage dieser Entscheidung wurde der Entgeltzuschlag 13 Arbeitnehmern gewährt, die ihre Bescheinigung nach diesem Treffen einreichten, während 16 andere Arbeitnehmer, darunter L., die ihre Bescheinigung schon vorher übermittelt hatten, nicht in den Genuss des Zuschlags kamen.
    Da die von L. gegen ihren Arbeitgeber erhobene Klage in der ersten Instanz abgewiesen wurde, legte sie Berufung beim vorlegenden Gericht, dem Sąd Okręgowy w Krakowie (Bezirksgericht Krakau, Polen), ein. Sie ist der Auffassung, dass die Praxis eines Arbeitgebers, die dazu führe, dass von der Gewährung eines Zuschlags zum Arbeitsentgelt für behinderte Arbeitnehmer bestimmte behinderte Arbeitnehmer ausgeschlossen würden, und die allein darauf abziele, die Beiträge des Krankenhauses zu verringern, indem für behinderte Arbeitnehmer, die noch keine Bescheinigung über eine Behinderung eingereicht hätten, ein Anreiz gesetzt werde, dies zu tun, gegen das in der RL 2000/78 (ABl. 2000, L 303, 16) aufgestellte Verbot jeder unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung wegen einer Behinderung verstoße.
    Vor diesem Hintergrund hat das vorlegende Gericht Zweifel hinsichtlich der Auslegung von Art. 2 der RL 2000/78 und insbesondere hinsichtlich der Frage, ob eine Diskriminierung im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, wenn ein Arbeitgeber eine Unterscheidung innerhalb ein und derselben Gruppe von Arbeitnehmern mit dem gleichen geschützten Merkmal trifft. Es hat daher beschlossen, eine Frage zur Vorabentscheidung an den Gerichtshof zu richten. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die Praxis eines Arbeitgebers, die darin besteht, ab einem von ihm gewählten Datum von der Gewährung eines Zuschlags zum Arbeitsentgelt, der aufgrund der Einreichung einer Bescheinigung über die Anerkennung einer Behinderung an behinderte Arbeitnehmer gezahlt wird, diejenigen Arbeitnehmer auszuschließen, die ihre Bescheinigung vor diesem Datum eingereicht haben, eine Diskriminierung im Sinne der genannten Bestimmung darstellen kann.

Der EuGH hat in einem ersten Schritt geprüft, ob eine Ungleichbehandlung, die innerhalb einer Gruppe von an einer Behinderung leidenden Personen vorliegt, unter den Begriff „Diskriminierung“ in Art. 2 der RL 2000/78 fallen kann.
Insoweit sei festzustellen, dass der Wortlaut dieses Artikels nicht den Schluss zulasse, dass mit Blick auf diesen geschützten Grund das von der Richtlinie vorgesehene Diskriminierungsverbot allein auf Ungleichbehandlungen beschränkt wäre, die zwischen Personen, die an einer Behinderung leiden, und Personen, die nicht an einer Behinderung leiden, bestehen. Der Kontext, in dem dieser Artikel stehe, enthalte gleichfalls keine solche Beschränkung. Was das von der Richtlinie verfolgte Ziel angehe, so spreche dieses für eine Auslegung, wonach die Richtlinie den Kreis von Personen, gegenüber denen ein Vergleich vorgenommen werden könne, um eine Diskriminierung wegen einer Behinderung festzustellen, nicht auf die Personen beschränke, die keine Behinderung haben.
Fälle einer Diskriminierung wegen einer Behinderung im Sinne der RL 2000/78 seien zwar im Allgemeinen die, in denen Personen mit einer Behinderung eine weniger günstige Behandlung oder eine besondere Benachteiligung gegenüber Personen ohne eine Behinderung erfahren, dass der durch die Richtlinie verliehene Schutz jedoch verkürzt wäre, wenn davon ausgegangen werden müsste, dass ein Fall, in dem eine solche Diskriminierung innerhalb einer Gruppe von Personen vorliege, die alle an einer Behinderung leiden, definitionsgemäß dem von ihr aufgestellten Diskriminierungsverbot nur deshalb entzogen wäre, weil die Ungleichbehandlung zwischen Personen mit Behinderungen bestehe. Somit soll der in der Richtlinie verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung einen Arbeitnehmer, der eine Behinderung im Sinne der Richtlinie aufweist, gegen jede Diskriminierung wegen dieser Behinderung nicht nur gegenüber Arbeitnehmern, die keine Behinderung aufweisen, sondern auch gegenüber Arbeitnehmern, die eine Behinderung aufweisen, schützen.

In einem zweiten Schritt hat der EuGH geprüft, ob die streitige Praxis eine von der RL 2000/78 verbotene Diskriminierung wegen einer Behinderung darstellen kann. Hierzu sei erstens festzustellen, dass, wenn ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation weniger günstig behandele, als ein anderer seiner Arbeitnehmer behandelt werde, wurde oder werden würde, und wenn sich im Hinblick auf alle für den betreffenden Fall erheblichen Umstände erweise, dass diese ungünstige Behandlung wegen einer Behinderung des erstgenannten Arbeitnehmers erfolge, da sie auf einem untrennbar mit der Behinderung verbundenen Kriterium beruhe, diese Behandlung gegen das in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der RL 2000/78 aufgestellte Verbot einer unmittelbaren Diskriminierung verstoße. Da die streitige Praxis der Ursprung einer Ungleichbehandlung zwischen zwei Kategorien von behinderten Arbeitnehmern in einer vergleichbaren Situation sei, sei es somit Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob die vom Arbeitgeber für die Gewährung des in Rede stehenden Entgeltzuschlags aufgestellte zeitliche Bedingung, nämlich die Übermittlung der Bescheinigung über die Anerkennung einer Behinderung nach dem vom Arbeitgeber gewählten Datum, ein Kriterium darstelle, das untrennbar mit der Behinderung der Arbeitnehmer verbunden sei, denen dieser Zuschlag versagt wurde. Der EuGH weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Arbeitgeber den behinderten Arbeitnehmern, die ihre Bescheinigung bereits vor diesem Datum übermittelt hatten, offenbar nicht erlaubt habe, die Bescheinigung erneut einzureichen oder eine neue vorzulegen, so dass diese Praxis es einer klar zu identifizierenden Gruppe, die aus allen behinderten Arbeitnehmern bestehe, deren Zustand einer Behinderung dem Arbeitgeber bei Einführung dieser Praxis notwendigerweise bekannt war, endgültig unmöglich gemacht haben könnte, diese zeitliche Bedingung zu erfüllen. Diese Arbeitnehmer hatten nämlich diesen Zustand durch die Übermittlung einer Bescheinigung über die Anerkennung einer Behinderung vorher förmlich mitgeteilt. Daher könne eine solche Praxis eine unmittelbare Diskriminierung darstellen, wenn sie geeignet ist, einer klar zu identifizierenden Gruppe von Arbeitnehmern, die sich aus allen behinderten Arbeitnehmern zusammensetzt, deren Zustand einer Behinderung dem Arbeitgeber bei der Einführung dieser Praxis notwendigerweise bekannt war, die Erfüllung dieser zeitlichen Bedingung endgültig unmöglich zu machen.

Zweitens unterstreicht der EuGH, dass das vorlegende Gericht, wenn es umgekehrt zu dem Schluss gelangen sollte, dass die fragliche Ungleichbehandlung Folge einer dem Anschein nach neutralen Praxis sei, für die Feststellung, ob diese Praxis eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der RL 2000/78 darstelle, zu prüfen haben werde, ob diese Praxis dazu führe, dass Personen mit bestimmten Behinderungen gegenüber Personen mit anderen Behinderungen besonders benachteiligt werden, und insbesondere ob sie dazu führe, dass bestimmte behinderte Arbeitnehmer aufgrund der besonderen Art ihrer Behinderung, namentlich der Auffälligkeit der Behinderung oder des Umstandes, dass für die betreffende Behinderung angemessene Vorkehrungen erforderlich seien, besonders benachteiligt werden. Denn nach Auffassung des EuGH könnte angenommen werden, dass Arbeitnehmer, die eine solche Behinderung haben, verpflichtet waren, vor dem von dem betreffenden Krankenhaus gewählten Datum diesem ihren Gesundheitszustand durch die Übermittlung einer Bescheinigung über die Anerkennung einer Behinderung förmlich mitzuteilen, während andere Arbeitnehmer mit Behinderungen einer anderen Art – beispielsweise, weil diese Behinderungen weniger schwer seien oder nicht unmittelbar solche Vorkehrungen erforderlich machen – die Wahl hatten, ob sie eine entsprechende Mitteilung machen oder nicht. Mithin könne eine Praxis wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, auch wenn sie dem Anschein nach neutral sei, eine mittelbare Diskriminierung wegen einer Behinderung darstellen, wenn sie zu einer besonderen Benachteiligung behinderter Arbeitnehmer in Abhängigkeit von der Art ihrer Behinderung führe und diese Praxis weder durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sei, noch die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.