Verfassungsbeschwerde in Altanschließerfall in Brandenburg erfolglos

Das Bundesverfassungsgericht hat am 01.07.2020 zum Aktenzeichen 1 BvR 2838/19 eine Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung eines staats- und amtshaftungsrechtlichen Anspruchs in einem Altanschließerfall in Brandenburg nicht zur Entscheidung angenommen.

Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 71/2020 vom 11.08.2020 ergibt sich:

Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen die Versagung eines staats- und amtshaftungsrechtlichen Anspruchs, der auf die Rückzahlung eines in der Vergangenheit gezahlten Beitrages für die Herstellung und Anschaffung einer öffentlichen Wasserversorgungsanlage gerichtet war. Das OLG Brandenburg hatte die Beitragsforderung als rechtmäßig erachtet. Zu diesem Ergebnis kam das Gericht, nachdem der BGH im Revisionsverfahren das Landesrecht abweichend von der Rechtsprechung des OVG Brandenburg ausgelegt hatte und sich nicht durch einen Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2015 an der eigenständigen und abweichenden Auslegung gehindert sah. Das Oberlandesgericht schloss sich dieser Sichtweise an.

Konkret sind die Beschwerdeführer Eigentümer eines in Brandenburg gelegenen Grundstücks, das vor dem 01.01.2000 an das kommunale Trinkwassernetz angeschlossen wurde. Unter Bezugnahme auf seine Beitragssatzung in Verbindung mit dem zu diesem Zeitpunkt gültigen § 8 Abs. Abs. 7 Satz 2 Kommunalabgabengesetz Brandenburg (KAG Bbg n.F.) setzte der Zweckverband im Jahr 2011 einen Anschlussbeitrag fest. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos. Von einer Klageerhebung sahen die Beschwerdeführer ab und bezahlten die festgesetzte Summe. Die Beschwerdeführer erachteten ein Klageverfahren als nicht erfolgversprechend, nachdem die zwischenzeitlich in anderen Verfahren erfolgte Rechtsprechung davon ausgegangen war, dass § 8 Abs. 7 KAG Bbg n.F. verfassungsgemäß sei und insbesondere nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstoße. Das BVerfG kam jedoch in einem Kammerbeschluss aus dem Jahre 2015 zur Anwendung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n.F. in Fällen, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bgb a.F. nicht mehr erhoben werden könnten, zum entgegengesetzten Ergebnis. Demnach verstieß eine rückwirkende Änderung der Rechtslage durch den Gesetzgeber gegen das Rückwirkungsverbot und war verfassungswidrig.
Daraufhin beantragten die Beschwerdeführer, ebenso wie eine Vielzahl weiterer Betroffener, erfolglos das Wiederaufgreifen des Verfahrens und die Rückzahlung des Betrages. Mit der anschließend erhobenen Klage vor den Zivilgerichten verlangten sie Ersatz des entrichteten Anschlussbeitrags auf der Grundlage eines staats- und amtshaftungsrechtlichen Anspruchs. Das OLG Brandenburg hatte die Klage im ersten Berufungsverfahren abgewiesen. Der BGH hob dieses Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück, das die Klage daraufhin erneut abwies.
Nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n.F. entsteht eine Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Satzung. In § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. fehlte das Wort „rechtswirksamen“. Das OVG Brandenburg legte diese Fassung des Gesetzes dahin aus, dass für das Entstehen der Beitragspflicht der Zeitpunkt des Erlasses der ersten Satzung mit formellem Geltungsanspruch maßgeblich war, unabhängig von ihrer materiellen Wirksamkeit. War diese Satzung materiell unwirksam, musste nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts eine spätere (wirksame) Satzung auf den Zeitpunkt des Erlasses der ersten unwirksamen Satzung zurückwirken. Dies hatte zur Folge, dass die Beitragspflicht wegen rückwirkender Festsetzungsverjährung gleich wieder erlosch. Dadurch war es in vielen Fällen von vornherein nicht möglich, Beiträge zu erheben. Dem wollte der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg mit Wirkung zum 01.02.2004 entgegenwirken, die seither eine rechtswirksame Satzung als Voraussetzung für das Entstehen der Beitragspflicht ausdrücklich vorsieht.

Das BVerfG entschied mit Beschluss vom 12.11.2015 (1 BvR 2961/14 u.a.) jedoch, dass die Anwendung der Neufassung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg auf Fallgestaltungen, in denen unter Zugrundelegung der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur früheren Fassung der Norm Verjährung bereits eingetreten war, zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung führe.
Der BGH entschied demgegenüber, dass der an die Beschwerdeführer gerichtete Beitragsbescheid nicht deswegen rechtswidrig sei, weil die Beitragsforderung infolge von Verjährung nicht mehr hätte geltend gemacht werden dürfen. Entgegen der Rechtsprechung des OVG Brandenburg setze auch schon die alte Fassung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg für das Entstehen der Beitragspflicht und damit für den Beginn der Festsetzungsverjährung das Inkrafttreten einer rechtswirksamen Satzung voraus.

Der die Beschwerdeführer belastende Beitragsbescheid halte sich auch innerhalb der durch § 19 Abs. 1 Satz 1 KAG Bbg vorgegebenen zeitlichen Obergrenze für den Vorteilsausgleich. Danach dürften Anschlussbeiträge ungeachtet der Satzungslage nach Vollendung des 15. Kalenderjahres, das auf den Eintritt der tatsächlichen Vorteilslage folgt, nicht mehr erhoben werden, wobei der Lauf der Frist bis zum 3. Oktober 2000 gehemmt sei und Beiträge damit erst ab dem 0310.2015 nicht mehr festgesetzt werden dürften.

Die Beschwerdeführer machen im Verfassungsbeschwerdeverfahren insbesondere geltend, das OLG Brandenburg und der BGH setzten sich in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise über die Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG, Beschl. v. 12.11.2015 – 1 BvR 2961/14 u.a.) und des OVG Brandenburg hinweg. Die angegriffenen Entscheidungen verstießen daher gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Nach Auffassung des BVerfG besteht in einem zivilgerichtlichen Rechtsstreit eine Verpflichtung der Gerichte, sich der hierzu ergangenen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit anzuschließen, weder einfach- noch verfassungsrechtlich. Auch haben die Zivilgerichte in den angegriffenen Entscheidungen die Bindungswirkung einer Entscheidung der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG aus dem Jahr 2015, welche gleichfalls die hier entscheidungserheblichen landesrechtlichen Vorschriften zum Gegenstand hatte, nicht in verfassungswidriger Weise missachtet.

Wesentliche Erwägungen des BVerfG

Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sich die Beschwerdeführer gegen das Urteil des BGH wenden. Es mangelt an der erforderlichen Beschwerdebefugnis. Die Beschwerdeführer werden durch diese Entscheidung nicht unmittelbar in ihren im Verfassungsbeschwerdeverfahren rügefähigen Rechten betroffen. In deren Rechtsstellung wird angesichts des Erfolgs ihrer Revision und der damit verbundenen Rückverweisung erst durch das erneut klageabweisende Urteil des Oberlandesgerichts eingegriffen.

Soweit die Beschwerdeführer das Urteil des Oberlandesgerichts angreifen, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.

Die Beschwerdeführer werden nicht in ihrem Grundrecht auf Rechtssicherheit und Vertrauensschutz nach Art. 2 Abs. 1 GG i.Vm. Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.

Das Oberlandesgericht hat die sich aus § 31 Abs. 1 BVerfGG ergebende Bindungswirkung des Beschlusses des BVerfG vom 12.11.2015 (1 BvR 2961/14 u.a.) nicht in verfassungswidriger Weise missachtet.

Zwar ging das BVerfG in seinem Beschluss von einer konstitutiven Änderung der Rechtslage durch § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n.F. aus. Zu diesem Ergebnis ist das Gericht jedoch nur vor dem Hintergrund gelangt, dass § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. von den Verwaltungsgerichten vertretbar in einem Sinn ausgelegt wurde, der mit der Neuregelung ausgeschlossen werden sollte. Insofern war es dem Oberlandesgericht (und auch dem BGH) nicht verwehrt, eine andere methodisch vertretbare Auslegung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. vorzunehmen.
Das Oberlandesgericht hat sich in der Sache den Ausführungen des BGH angeschlossen und eine eigenständige, von den Verwaltungsgerichten abweichende Auslegung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. vorgenommen. Verfassungsrechtlich ist diese Auslegung nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht war auch nicht verpflichtet, sich der Rechtsprechung des OVG Brandenburg anzuschließen. Zudem hätten es die Beschwerdeführer unterlassen, den Rechtsschutz der Verwaltungsgerichte anzurufen.

Die zugleich angegriffene Regelung in § 19 Abs. 1 Satz 3 KAG Bbg verstößt nicht gegen das Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes.

Das Rechtsstaatsprinzip schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende und abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Der Gesetzgeber ist bei der Erhebung von Beiträgen verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass Beiträge nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu.

Sowohl die in § 19 Abs. 1 Satz 3 KAG Bbg geregelte Hemmung der Frist infolge der Deutschen Einheit als auch die aus § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG Bbg resultierende Maximalfrist von 25 Jahren halten sich in Anbetracht der Sondersituation der neuen Länder und angesichts des in die Zukunft fortwirkenden Vorteils eines Anschlusses an Trinkwasserversorgungs- und Abwasserbeseitigungsanlagen noch im Rahmen gesetzgeberischer Einschätzung.

Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verstößt auch nicht gegen das sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebende Willkürverbot.

Die Auslegung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. durch die Zivilgerichte erscheint zwar nicht zwingend. Die Grenze zur Willkür ist jedoch nicht überschritten. Auch der Umstand, dass das Oberlandesgericht der Rechtsprechung des OVG Brandenburg nicht gefolgt ist, begründet nicht den Vorwurf eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG.