Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat Anfang 2025 ein viel beachtetes Urteil gefällt: Ein Münchner Polizeibeamter durfte trotz jahrelanger antisemitischer und rassistischer Äußerungen in privaten WhatsApp-Chats im Dienst bleiben. Die Gerichte sahen den Mann nicht als echten Verfassungsfeind an – er wurde lediglich im Rang herabgestuft. Dieser Fall verdeutlicht das Spannungsfeld zwischen dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit und der besonderen Pflicht von Beamten zur Verfassungstreue. Wie weit reicht die private Meinungsäußerung, und wo ist die Grenze erreicht, an der der Staat durchgreifen muss?
Der Fall: Private Chat-Entgleisungen eines Polizeibeamten
In den Jahren 2014 bis 2020 verschickte der Polizeibeamte Michael R. in privaten WhatsApp-Chats mit Freunden und Kollegen zahlreiche menschenverachtende Nachrichten. Darin wimmelte es von nationalsozialistischer Rhetorik (etwa Codes wie „SH“ für Sieg Heil und „HH“ für Heil Hitler) und rassistischen Ausdrücken (z.B. „Nur Kanacken im Zug“). Besonders schockierend: Als Personenschützer der Holocaust-Überlebenden Charlotte Knobloch fantasierte er darüber, ihr „schön braun vor die Tür“ zu machen und wünschte sogar, sie würde „vergast“ bzw. in ein Konzentrationslager gebracht. Solche enthemmten Witze – u.a. bekundete er anlässlich des Jahrestags der Reichspogromnacht, „auf die Straße gehen“ zu wollen – dienten ihm nach eigener Aussage als Ventil für Frust im Job. Er fühlte sich von der betagten Schutzperson schlecht behandelt (etwa weil er ihren kranken Hund ausführen musste) und ließ in vertraulichen Chats seinem Unmut freien Lauf.
Rechtliche Grundlage: Verfassungstreuepflicht vs. Meinungsfreiheit
Beamte haben eine besondere Treuepflicht gegenüber der Verfassung. Nach § 33 Abs. 1 S. 3 BeamtStG müssen sie sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen und für deren Erhaltung eintreten – und zwar auch außerdienstlich. Gleichzeitig verpflichtet § 34 S. 3 BeamtStG sie, sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten. Diese Pflicht zum Wohlverhalten soll das Vertrauen der Allgemeinheit in eine unparteiische, dem Grundgesetz verpflichtete Amtsführung sichern.
Doch auch Beamte sind Grundrechtsträger. Insbesondere stehen ihnen das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) zu, was die Privatsphäre und vertrauliche Kommunikation einschließt. Jeder Mensch – auch ein Beamter – braucht einen geschützten Rückzugsraum, um sich unbeobachtet aussprechen zu können. Gerade im Austausch mit Familienangehörigen oder engsten Freunden werden häufig ungefiltert Emotionen herausgelassen, heimliche Wünsche oder Frust geteilt und „rückhaltlos“ persönliche Ansichten geäußert, ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen.
Private Kommunikation genießt daher einen hohen verfassungsrechtlichen Schutz. Wenn anstößige Äußerungen eines Beamten ausschließlich im engsten Vertrauenskreis fallen und ohne jeden Willen, sie nach außen kundzutun, dürfen sie grundsätzlich nicht gegen ihn verwendet werden. Die Rechtsprechung – gestützt auf das Bundesverfassungsgericht – zählt zum Kreis solcher Vertrauenspersonen nicht nur Ehegatten oder Familienmitglieder, sondern auch vergleichbar enge Freunde. Vertrauliche Chats sind rechtlich ähnlich geschützt wie ein Gespräch unter vier Augen.
Kommt dennoch heraus, was ein Beamter im privaten Kreis gesagt hat, entsteht ein Spannungsverhältnis: Einerseits darf der Beamte darauf vertrauen, dass Privates privat bleibt, andererseits darf ein bekannt gewordener Vorfall nicht völlig folgenlos bleiben, wenn er das Ansehen des öffentlichen Dienstes beschädigt. Die Gerichte lösen diesen Konflikt durch Abwägung: Einer staatlichen Disziplinierung stehen die Grundrechte des Beamten gegenüber. In der Regel überwiegen die Rechte des Beamten, solange es sich “nur” um einen Verstoß gegen die allgemeine Wohlverhaltenspflicht (§ 34 BeamtStG) handelt. Denn bei wirklich vertraulicher Kommunikation besteht von vornherein keine Gefahr, dass die Äußerungen in die Öffentlichkeit dringen.
Anders sieht es aus, wenn die Äußerungen auf eine Verletzung der Verfassungstreuepflicht hindeuten. Die Pflicht zum Eintreten für die demokratische Grundordnung hat höchsten Stellenwert – der Staat darf keine Verfassungsfeinde in seinen Reihen dulden. Art. 33 Abs. 4 GG (ständiger öffentlicher Dienst als Berufsbeamter) wird so verstanden, dass Feinde der freiheitlichen Ordnung nicht mit der Ausübung hoheitlicher Aufgaben betraut werden dürfen. Kurzum: Reflektieren die Äußerungen eine ernsthaft extremistische Gesinnung gegen die Grundprinzipien des Grundgesetzes, geht das öffentliche Interesse an der Entfernung des Beamten vor – trotz Vertraulichkeit der Kommunikation. In einem solchen Fall könnte selbst ein privater Chat als Dienstvergehen gewertet und die Entlassung gerechtfertigt sein.
Die Entscheidung des VGH: keine innere Abkehr vom Grundgesetz
Im vorliegenden Fall prüfte der VGH differenziert, welche Chats verwertet werden durften und ob diese eine echte verfassungsfeindliche Haltung erkennen ließen. Letztlich kamen die Richter zu dem Ergebnis, dass kein Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht (§ 33 BeamtStG) vorlag – lediglich ein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht (§ 34 BeamtStG). Diese Unterscheidung war entscheidend: Hätte man dem Beamten einen Bruch der Verfassungstreue angelastet, wäre er mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Dienst entfernt worden. So aber blieb es bei einer milderen Disziplinarmaßnahme.
Viele der krassesten Chatäußerungen blieben disziplinarisch unberücksichtigt, weil sie im engsten Vertrauenskreis des Beamten getätigt wurden. Die schlimmsten Ausfälle – etwa die mit Nazi-Codes gespickten Tiraden gegenüber seinem einzigen Freund D. (inklusive der geschmacklosen Aussagen über Frau Knobloch) – erfolgten in einem bilateralen Chat unter langjährigen Freunden. Auch ein Chat mit einer Bekannten, die er über eine Dating-App kennengelernt hatte (in dem er sich mit ausländerfeindlichen Sprüchen profilieren wollte), sowie Nachrichten in einer kleinen geschlossenen Gruppe von Polizeikollegen (von denen fünf enge Freunde waren) stufte der VGH als privaten Vertraulichkeitsbereich ein. Diese Äußerungen durften wegen des oben genannten Schutzes der Privatsphäre gar nicht erst als Dienstvergehen gewertet werden.
Zugleich untersuchte das Gericht, ob die Inhalte der privaten Chats auf eine innere extremistische Gesinnung schließen lassen. Dabei kam es zu dem Schluss, dass dem Beamten zwar objektiv polemisch-verfassungsfeindliche Wörter und Bilder über die Lippen bzw. Tastatur kamen – ernst gemeint waren sie aber offenbar nicht. Im Chat mit seinem Freund D. entstand vielmehr ein „Überbietungswettbewerb“ an Geschmacklosigkeiten: Beide schaukelten sich mit provokanten, menschenverachtenden „Witzen“ gegenseitig hoch, um kurzfristig für Lacher zu sorgen. Die „Unterhaltungskomponente“ habe hier im Vordergrund gestanden, so der VGH, ebenso das Bedürfnis des Beamten nach Anerkennung durch seinen Kumpel. Michael R. war in dieser Zeit sozial isoliert – D. war sein einziger echter Kontakt – und fürchtete, auch noch diese Freundschaft zu verlieren. Vor diesem Hintergrund sei es zumindest nachvollziehbar, dass er sich ausgerechnet mit tabuisierten Naziparolen abreagierte, um Frust abzubauen. Er habe damit versucht, den belastenden Personenschützer-Job (insbesondere die für ihn demütigende Betreuung von Frau Knobloch) irgendwie zu ertragen und ein Gefühl von Kontrolle zurückzugewinnen. Das Gericht betonte ausdrücklich, dass diese Erklärung das Verhalten keineswegs entschuldigt – aber sie macht deutlich, dass kein tiefergehendes ideologisches Gedankengut dahintersteckte. Die Chats zeigten keine ernsthafte Auseinandersetzung mit der NS-Zeit oder eine gefestigte neonazistische Ideologie, sondern bestanden größtenteils aus spontanem, gedankenlosem Herabwürdigen.
Auch die pauschal ausländerfeindlichen Nachrichten wertete der Senat im Kontext: Zwar seien einige Äußerungen eindeutig von Fremdenhass geprägt und objektiv geeignet, Migranten verächtlich zu machen. Allerdings konnten sie – im Lichte der damaligen Zeitumstände – ebenso als überspitzte Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung (Kanzlerin Merkel) verstanden werden. Der Beamte reagierte hier möglicherweise über und ließ seiner Empörung über bestimmte Vorfälle freien Lauf (z.B. Terroranschläge 2015 oder die Kölner Silvesternacht), ohne damit zwingend alle Menschen anderer Herkunft herabwürdigen zu wollen.
Entscheidend war ferner ein Blick auf das tatsächliche dienstliche Verhalten von Michael R. außerhalb der Chats. Hier fand das Gericht keinerlei Anzeichen, dass er seinen fremdenfeindlichen Unmut in die Tat umgesetzt hätte. Im Gegenteil: Dienstlich galt er als vorbildlich im Umgang mit Menschen jeglicher Herkunft. So hatte er etwa 2016 bei einem Einsatz sein eigenes Leben riskiert, um einem angeschossenen syrischen Flüchtling Erste Hilfe zu leisten – er zog den Verletzten sogar aus der Schusslinie, obwohl der Täter noch feuern konnte. Auch gab es keine Beschwerden von Kollegen mit Migrationshintergrund über ihn. Im Gegenteil: Noch bevor die Chats aufflogen, hatte R. seine Freunde und Kollegen aktiv aufgefordert, das Versenden derartiger Nazi-Memes einzustellen. All dies passe nicht in das Bild eines überzeugten Rassisten oder Antisemiten. Folgerichtig stellte der VGH fest, dass kein zwingender Rückschluss auf eine verfassungsfeindliche Gesinnung des Beamten möglich sei. Seine Grundhaltung zur freiheitlich-demokratischen Ordnung blieb trotz der abscheulichen Wortwahl im privaten Rahmen im Kern intakt.
Fazit des Gerichts: Die besonders geschützten vertraulichen Chats durften hier nicht zur Grundlage der Disziplinarmaßnahme gemacht werden. Der Beamte hatte zwar objektiv die Grenzen des Anstands weit überschritten, doch mangelte es an einem subjektiven Lossagen von den Verfassungswerten. Seine Entgleisungen blieben letztlich privates „Dampfablassen“ – inakzeptabel, aber nicht dienstvernichtend.
Disziplinarische Folgen: mildere Sanktion statt Entlassung
Ganz ohne Konsequenzen blieb das Verhalten allerdings nicht. Zwei Aspekte führten dazu, dass Michael R. dennoch bestraft wurde: Zum einen ein Chatverlauf, der nicht im engsten Vertrauenskreis stattfand, und zum anderen dienstliche Geheimnisverstöße.
In einem WhatsApp-Chat mit einem nur flüchtig bekannten Kollegen hatte dieser wiederholt gefordert, ein Konzentrationslager wie Dachau wieder zu eröffnen. Michael R. reagierte darauf mit der Nachricht: „vernünftig wäre es, wirklich“. Diese Äußerung ließ sich zwar zweideutig verstehen – sie hätte sich auch auf ein anderes Thema im Chat beziehen können –, doch im Kontext blieb zumindest unklar, ob er der KZ-Idee widersprach. Der VGH wertete dieses schweigende Dulden einer offen verfassungsfeindlichen Parole als Dienstvergehen. Beamte müssen extremistischer Hetze klar entgegentreten, selbst in privater Runde, um nicht den Anschein von Zustimmung zu erwecken. Schon eine solche scheinbare Sympathie für NS-Gedankengut erschüttert das Vertrauen in die Unparteilichkeit des Beamten und stellt eine bedeutsame Pflichtverletzung dar. Zwar sah das Gericht hierin noch keinen Verstoß gegen die Treuepflicht des § 33 BeamtStG – dazu hätte es eines nachweisbaren inneren Gesinnungswandels bedurft – aber die Achtungs- und Vertrauenspflicht (§ 34 BeamtStG) war verletzt. Einfach gesagt: Ein Polizist darf nicht einmal den bösen Schein erwecken, er könnte mit neonazistischem Gedankengut liebäugeln.
Hinzu kam, dass der Beamte mehrfach Dienstgeheimnisse weitergegeben hatte. Über WhatsApp informierte er z.B. Freunde und Verwandte unbefugt über polizeiliche Ermittlungsvorgänge – darunter Details zu einem Einsatz beim Fußballstar Jérôme Boateng und das Ergebnis einer Blutalkoholmessung seines Cousins. Solche Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht wiegen ebenfalls disziplinarisch schwer, da sie das Vertrauen in die Integrität der Polizei untergraben.
Unter Würdigung aller Umstände entschied der VGH auf eine Herabstufung um einen Dienstgrad als angemessene Disziplinarmaßnahme. Michael R. wurde vom Kriminalhauptmeister (Besoldungsgruppe A 9) zum Kriminalobermeister (A 8) zurückgestuft. Diese relativ milde Sanktion begründete das Gericht ausdrücklich mit seinem ansonsten vorbildlichen Persönlichkeitsbild und seiner Einsicht und Reue im Verfahren. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis – die der Dienstherr ursprünglich angestrebt hatte – wäre hingegen unverhältnismäßig gewesen, da kein endgültiger Vertrauensverlust im Sinne eines unverbesserlichen Verfassungsgegners festgestellt wurde.
Was bedeutet das für Beamte und Dienstherren?
- Privater Meinungsäußerungsraum: Auch Beamte haben einen grundrechtlich geschützten Kernbereich privater Lebensführung. Äußerungen – selbst wenn sie objektiv geschmacklos oder extremistischer Natur sind – die im kleinsten vertraulichen Kreis bleiben, genießen in aller Regel den Schutz von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht. Staatliche Disziplinarmaßnahmen greifen hier normalerweise nicht durch, solange die Chats lediglich gegen die allgemeine Wohlverhaltenspflicht verstoßen und nicht nach außen dringen.
- Kein Platz für Verfassungsfeinde: Anders sieht es aus, wenn doch erkennbar wird, dass ein Beamter innerlich mit den Fundamenten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bricht. Zeigen seine Äußerungen eindeutig eine ernsthafte verfassungsfeindliche Gesinnung, kann und muss der Dienstherr eingreifen – bis hin zur Entfernung aus dem Dienst. Extremisten dürfen nicht im Staatsdienst verbleiben. In solchen Fällen überwiegt das öffentliche Interesse an der Funktionsfähigkeit der Verwaltung klar die privaten Rechte des Beamten.
- Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit wahren: Selbst ohne echte „Gesinnungstäterschaft“ können Beamte gegen ihre Pflichten verstoßen, wenn sie den Schein der Parteilichkeit erwecken. Schon die stillschweigende Duldung verfassungsfeindlicher Aussagen – etwa das fehlende Widersprechen bei Nazi-Parolen im Chat – ist disziplinarwürdig. Beamte sind gehalten, sich auch privat von menschenverachtenden Positionen zu distanzieren, um das Vertrauen der Allgemeinheit in ihre Neutralität nicht zu beschädigen.
- Milde statt Härte (im konkreten Fall): Im besprochenen Fall erkannte das Gericht trotz der empörenden Chat-Inhalte auf eine vergleichsweise milde Disziplinarmaßnahme. Statt Entlassung gab es eine Zurückstufung um einen Rang. Ausschlaggebend war, dass keine dauerhafte extremistische Haltung nachweisbar war und der Beamte sich im Übrigen bewährt hatte. Zusätzlich wurden dienstliche Verfehlungen (Geheimnisweitergaben) geahndet, die in die Entscheidung einflossen. Seine Einsicht und beanstandungsfreie Diensthistorie wirkten strafmildernd.
- Lehren für die Praxis: Beamte sollten sich bewusst sein, dass Privates heute schnell publik werden kann – sei es durch Ermittlungen, technische Pannen oder Vertrauensbrüche. Hass, Hetze und extreme „Witze“ haben im dienstlichen wie im privaten Kontext nichts verloren; sie können im Ernstfall die Karriere kosten. Im Zweifel gilt: Lieber einen Schritt zurücktreten und sich deutlich distanzieren, wenn das Gegenüber menschenfeindliche Sprüche klopft. Dienstherren wiederum sind angehalten, die Grundrechte ihrer Bediensteten zu respektieren. Nicht jede geschmacklose Äußerung im privaten Chat rechtfertigt gleich ein Disziplinarverfahren. Es kommt stets auf den Kontext an: den Adressatenkreis, den Kundgabezweck und darauf, ob ein dienstliches Interesse beeinträchtigt wurde. Das VGH-Urteil zeigt eine wehrhafte, aber auch differenzierende Haltung: Demokratie bedeutet, klare Grenzen für echte Feinde der Verfassung zu ziehen, zugleich aber dem Einzelnen einen privaten Raum zu belassen, in dem nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird.