Vorlage an EuGH wegen Schienenpersonennahverkehrsentgelten

06. November 2024 -

Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 06.11.2024 zum Aktenzeichen 18 L 678/24 dem Europäischen Gerichtshof eine Frage zur Auslegung der Richtlinie 2012/34/EU und der darin verankerten Unabhängigkeit der Geschäftsführung der Infrastrukturbetreiber vorgelegt.

Aus der Pressemitteilung des VG Köln vom 06.11.2024 ergibt sich:

Die DB InfraGO AG und DB RegioNetz Infrastruktur GmbH (Antragstellerinnen) hatten bei dem Gericht einen Eilantrag betreffend das Trassenpreissystem 2025 gestellt. Sie betreiben beide den größten Teil der Schienennetze auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Für die Nutzung ihrer Schienennetze verlangen sie von Zugangsberechtigten Nutzungsentgelte, die von der Bundesnetzagentur als oberste deutsche Regulierungsbehörde zu genehmigen sind. Mit Beschluss vom 22. März 2024 genehmigte die Bundesnetzagentur Entgelte für die Netzfahrplanperiode 2024/2025 jeweils im Vergleich zum Hauptbegehren des Entgeltgenehmigungsantrags in geänderter Höhe. Die Entgelte im Schienenpersonennahverkehr wurden reduziert; zugleich führte dies zu höheren Entgelten im Schienenpersonenfernverkehr und Schienengüterverkehr. Hiergegen wenden sich die Antragstellerinnen mit dem Ziel, die vorläufige Zahlung der ursprünglich beantragten Entgelte zu erreichen.

Das Verwaltungsgericht Köln möchte vom Europäischen Gerichtshof im Wege des sog. Vorabentscheidungsverfahrens wissen, ob die Art. 4 Abs. 2 und Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34/EU dahingehend auszulegen sind, dass ihnen nationale Regelungen – wie die des deutschen Eisenbahnregulierungsgesetzes – entgegenstehen, die dem Infrastrukturbetreiber im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs vorgeben, die Berechnung der genehmigungsbedürftigen Entgelte durch eine Multiplikation von durchschnittlichen Entgelten der betroffenen Verkehre eines gesetzlich bestimmten Basisjahres mit einer ebenfalls gesetzlich vorgegebenen jährlichen Dynamisierungsrate vorzunehmen.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Köln beeinträchtigt die Entgeltberechnung für den Schienenpersonennahverkehr gemäß § 37 Abs. 2 ERegG den Spielraum der Antragstellerinnen als Infrastrukturbetreiber und verletzt deren Geschäftsführung in ihrer in der Richtlinie zugestandenen Unabhängigkeit. Das Gericht führt hierzu aus:

Der Europäische Gerichtshof hat in seiner bisher ergangenen Rechtsprechung entschieden, dass der Infrastrukturbetreiber im Rahmen der Entgelterhöhung über einen „gewissen Spielraum“ bei der Berechnung der Höhe der Entgelte verfügen können muss, um hiervon als Geschäftsführungsinstrument Gebrauch machen zu können. Die dem Infrastrukturbetreiber zur Verfügung stehende gewisse Flexibilität muss es ihm erlauben, zumindest Entscheidungen über die Auswahl und die Beurteilung der Faktoren oder Parameter zu treffen, auf deren Grundlage die Berechnung durchgeführt wird.

Dies ist aufgrund der nationalen Vorgaben jedoch nicht der Fall. Die Entgeltberechnung folgt faktisch dem im Gesetz vorgegebenem Rechenweg: Genehmigungsfähiges Entgelt = durchschnittliches Entgelt des Basisjahres multipliziert mit der / den jährlichen Steigerungsrate(n) bis zum maßgeblichen Netzfahrplanjahr.

Dabei liegen weder die maßgeblichen Parameter „durchschnittliches Entgelt des Basisjahres“ noch die „jährliche(n) Steigerungsrate(n)“ des Rechenweges in der Entscheidungshoheit des Infrastrukturbetreibers. Insbesondere nimmt das gesetzliche Konstrukt der Geschäftsführung des Infrastrukturbetreibers nicht nur die Möglichkeit, über die vorgegebenen Kostensteigerungen hinausgehende und aus einer höheren Kostenentwicklung folgende Kosten den Entgelten des Schienenpersonennahverkehrs zu Grunde zu legen oder gar Kostensenkungen im gewünschten Umfang durchzureichen. Es zwingt die Antragstellerinnen aufgrund der nationalen Verpflichtung zur Vollkostendeckung umgekehrt sogar dazu, drohende Unterdeckungen durch Entgeltsteigerungen im Schienenpersonenfernverkehr und Schienengüterverkehr auszugleichen, obwohl dies potentiell dem unternehmerischen Interesse widersprechen kann. Dies zeigt sich exemplarisch an den aktuell streitigen Entgeltsteigerungen für die Verkehrsdienste Schienengüterverkehr (16,2 %) und Schienenpersonenfernverkehr (17,7 %) gegenüber dem moderaten, da gesetzlich begrenzten Anstieg im Schienenpersonennahverkehr von „nur“ 0,6 %.

Mit Blick hierauf hat das Verwaltungsgericht dem Europäischen Gerichtshof vorgeschlagen, die nationalen Regelungen als der Richtlinie entgegenstehend zu bewerten. Folgt dem der Gerichtshof, unterläge der Eilantrag beim Verwaltungsgericht mangels anwendbarer nationaler Rechtsgrundlage der Ablehnung.

Der Beschluss über die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ist unanfechtbar. Das Gericht beabsichtigt, das Eilverfahren auszusetzen und hört die Verfahrensbeteiligten dazu mit Schreiben vom heutigen Tage an.