Wenn das Gericht beA-Nachrichten nicht abruft ist nicht der Rechtsanwalt schuld

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 25.08.2020 zum Aktenzeichen VI ZB 79/19  entschieden, dass ein Kläger bzw. der für diesen handelnde Prozessbevollmächtigte alles richtig gemacht hat, wenn er innerhalb der Frist einen Schriftsatz per beA( besonderen persönlichen Anwaltspostfach) an das Gericht sendet; wenn das Gericht diesen im EGVP empfangenen Schriftsatz nicht abruft, ist das nicht ein Verschulden der Partei oder des Rechtsanwalts.

Im konkreten Fall hat ein Rechtsanwalt gegen ein Urteil über das besondere elektronische Anwaltspostfach fristgerecht Berufung eingelegt und diese begründet. Die im Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Oberlandesgerichts fristgerecht eingegangene und auf dem für den Empfang bestimmten Server aufgezeichnete Berufungsbegründung ist nicht ausgedruckt worden. Nachdem die Vorsitzende des Berufungssenats mit Verfügung darauf hingewiesen hatte, dass die Frist zur Berufungsbegründung abgelaufen sei, ohne dass eine Begründung eingegangen sei, hat das Oberlandesgericht die Berufung durch Beschluss als unzulässig verworfen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat dann unter Vorlage eines Screenshots der vom EGVP automatisch erstellten Eingangsbestätigung darauf hingewiesen, dass sie die Berufungsbegründung fristgerecht über das besondere elektronische Anwaltspostfach eingereicht habe. Der Berufungsbegründungsschriftsatz wurde daraufhin auf dem Server aufgefunden und manuell ausgedruckt.

Die BGH-Richter stellten fest, dass der angefochtene Beschluss den Kläger jedenfalls in seinen verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren und Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verletzt.

Beide Rechte werden den Parteien eines Zivilrechtsstreits durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG garantiert. Die Gerichte dürfen danach aus eigenen oder ihnen zurechenbaren Fehlern, Unklarheiten oder Versäumnissen für die Beteiligten keine Verfahrensnachteile ableiten. Allgemein sind sie zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet. Außerdem dürfen sie den Zugang zu den den Rechtsuchenden eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. BVerfGE 110, 339, juris Rn. 10 f.; BVerfG, NJW-RR 2008, 446, juris Rn. 9).

Mit diesen Anforderungen ist die angefochtene Entscheidung nicht vereinbar.

Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers mangels Begründung als unzulässig verworfen, obwohl die Berufungsbegründung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist bei Gericht eingegangen war. Der Kläger hatte den Begründungschriftsatz als elektronisches Dokument über das besondere elektronische Anwaltspostfach an das EGVP des Berufungsgerichts übermittelt; das Dokument war auf dem für den Empfang bestimmten Server des Gerichts gespeichert worden. Dies genügte zur Fristwahrung (§ 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 – X ZR 119/18, z.V.b; Bacher NJW 2015, 2753, 2756). Der Umstand, dass das elektronische Dokument weder von einem Client-Rechner des Berufungsgerichts abgeholt noch ausgedruckt worden war, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Hierbei handelt es sich um gerichtsinterne Vorgänge, die für den Zeitpunkt des Eingangs des Dokuments nicht von Bedeutung sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2020 – X ZR 119/18, Rn. 12; vom 28. Mai 2020 – I ZR 214/19, Rn. 7; Bacher, aaO). Aus dem gerichtsinternen Versäumnis, die Berufungsbegründung beim Eingangsserver abzuholen, durften für den Kläger keine Verfahrensnachteile resultieren.