Wenn der Betriebsrat einer Kündigung nicht zustimmt, ist die Kündigung unwirksam – stimmt das?

26. Oktober 2025 -

Kurzfassung: Nein, eine Kündigung wird nicht automatisch unwirksam, nur weil der Betriebsrat ihr nicht zustimmt. Ja, eine Kündigung ist unwirksam, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat gar nicht oder nicht ordnungsgemäß anhört. Die Rechtslage nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ist differenziert und soll im Folgenden erläutert werden.

Anhörung des Betriebsrats: Gesetzliche Pflicht vor jeder Kündigung

Bevor ein Arbeitgeber eine Kündigung ausspricht, muss er den Betriebsrat anhören (§ 102 Abs. 1 BetrVG). Diese Anhörungspflicht gilt vor jeder Kündigung, egal ob ordentliche (fristgerechte) oder außerordentliche (fristlose) Kündigung. Unterlässt der Arbeitgeber die Anhörung oder informiert er den Betriebsrat nicht korrekt, ist die Kündigung rechtlich unwirksam. Dies ist ein strikter Grundsatz des Kündigungsschutzes: Ohne Anhörung kein wirksamer Kündigungsabschluss.

Beispiel: Kündigt ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer, ohne dem vorhandenen Betriebsrat zuvor die Kündigungsgründe mitzuteilen und dessen Stellungnahme abzuwarten, so ist die Kündigung “unheilbar unwirksam”. Dies gilt sogar während der Probezeit (Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG), obwohl in dieser Zeit kein Kündigungsgrund nach Kündigungsschutzgesetz erforderlich wäre. Ein fehlende oder fehlerhafte Betriebsratsanhörung führt also unabhängig von der Kündigungsfrist oder Kündigungsgrundlage zur Unwirksamkeit der Kündigung.

Pflichten des Arbeitgebers bei der Anhörung: Um der Anhörungspflicht gerecht zu werden, muss der Arbeitgeber insbesondere:

  • Vollständige Information: Dem Betriebsrat alle relevanten Gründe für die geplante Kündigung mitteilen („subjektive Determinierung“). Er hat darzulegen, welche Gründe aus seiner Sicht dem Kündigungsentschluss zugrunde liegen. Selbst in der Probezeit ohne gesetzlichen Kündigungsschutz genügt es, wenn der Arbeitgeber seinen Entschluss nachvollziehbar erläutert (z. B. „KSchG findet keine Anwendung, eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses liegt nicht im Interesse des Arbeitgebers“). Wichtig ist, dass der Betriebsrat den Sachverhalt und die Kündigungsmotive so erfährt, dass er die Kündigung auf Stichhaltigkeit prüfen kann. Bekannte, arbeitnehmerfreundliche Umstände dürfen nicht verschwiegen werden. Unbewusste Irrtümer sind zwar unschädlich, aber bewusst falsche oder unvollständige Informationen machen die Kündigung unwirksam.
  • Form und Adressat: Die Anhörung kann formlos – mündlich, telefonisch oder schriftlich – erfolgen. In der Praxis ist Schriftform oder Textform (z. B. per E-Mail) üblich und empfehlenswert, schon aus Beweisgründen. Adressat ist der Betriebsratsvorsitzende (bzw. sein Stellvertreter); diese sind berechtigt und verpflichtet, Anhörungsmitteilungen entgegenzunehmen. Eine Anhörung per E-Mail durch eine zuständige Personalleitung ist wirksam – der Betriebsrat kann die Anhörung nicht wegen fehlender Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurückweisen. Nach aktueller Rechtsprechung (LAG Köln 2025) ist es für die ordnungsgemäße Anhörung nicht erforderlich, dass die Mitteilung zwingend von einem ausdrücklich bevollmächtigten Vertreter erfolgt. Es reicht, wenn die Anhörung einer Person zuzurechnen ist, die erkennbar im Auftrag des Arbeitgebers handelt (etwa ein/e Personalleiter/in). Entscheidend ist, dass der Betriebsrat inhaltlich richtig und vollständig informiert wird; auf interne Vertretungsvollmachten kommt es nicht an.
  • Wartefrist und Fristen: Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Für eine ordentliche Kündigung hat der Betriebsrat eine Woche Zeit, etwaige Bedenken oder einen Widerspruch schriftlich zu äußern; bei einer außerordentlichen (fristlosen) Kündigung beträgt die Frist drei Tage. Diese Fristen beginnen mit Zugang der Anhörungsinformation beim Betriebsrat. Äußert sich der Betriebsrat nicht innerhalb der Frist, gilt dies bei ordentlichen Kündigungen als Zustimmung zur Kündigung (gesetzliche Zustimmungsfiktion, § 102 Abs. 2 S.2 BetrVG). Der Arbeitgeber darf eine ordentliche Kündigung grundsätzlich erst nach Ablauf der Woche (bzw. unmittelbar nach Vorliegen der Betriebsratsäußerung) aussprechen. Eine vorzeitige Kündigung vor Fristablauf ist nur zulässig, wenn der Betriebsrat vorher ausdrücklich mitgeteilt hat, dass er keine weitere Stellungnahme mehr abgeben wird und der Kündigung vorbehaltlos zustimmt. Andernfalls muss der Arbeitgeber die Woche abwarten.
  • Dokumentation: Der Arbeitgeber sollte den gesamten Anhörungsprozess dokumentieren (Zeitpunkt der Unterrichtung, Inhalt des Anhörungsschreibens, Reaktion des Betriebsrats), um im Streitfall nachweisen zu können, dass die Anhörung ordnungsgemäß erfolgt ist. Fehler im Verfahren gehen nämlich zu Lasten des Arbeitgebers: Verursacht der Arbeitgeber z. B. durch unzureichende Informationen oder falsche Adressierung einen Anhörungsfehler, ist die Kündigung unwirksam. Verfahrensfehler auf Seiten des Betriebsrats (etwa interne Beschlussmängel) führen hingegen nicht zur Unwirksamkeit – der Arbeitgeber hat auf die inneren Abläufe des Betriebsrats keinen Einfluss.

Keine Zustimmungspflicht des Betriebsrats – kein absolutes Vetorecht

Entgegen einem verbreiteten Irrtum benötigt der Arbeitgeber nicht die ausdrückliche Zustimmung des Betriebsrats, um eine Kündigung wirksam auszusprechen. § 102 BetrVG gibt dem Betriebsrat ein Anhörungsrecht, aber kein allgemeines Vetorecht. Der Betriebsrat kann im Anhörungsverfahren Bedenken äußern oder der Kündigung widersprechen, doch diese Stellungnahme ist für den Arbeitgeber nicht bindend. Mit anderen Worten: Die Entscheidung über die Kündigung liegt letztlich beim Arbeitgeber. Er kann – nach ordnungsgemäßer Anhörung – die Kündigung auch dann aussprechen, wenn der Betriebsrat nicht zustimmt oder sogar ausdrücklich Widerspruch einlegt.

Eine fehlende Zustimmung des Betriebsrats macht die Kündigung daher nicht automatisch unwirksam. Wichtig ist nur, dass die Anhörung ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Solange der Arbeitgeber seiner Anhörungspflicht nachkommt, kann er die Kündigung auch ohne „grünes Licht“ des Betriebsrats wirksam erklären. Nur in besonderen Fällen, die das Gesetz ausdrücklich vorsieht, hat der Betriebsrat ein echtes Vetorecht. Ein Beispiel ist die Zustimmungsverweigerung bei der außerordentlichen fristlosen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds (§ 103 BetrVG) – dieses Szenario betrifft jedoch Sonderkündigungsschutz und nicht das hier besprochene Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG.

Sonderfall freiwillige Vereinbarung: Arbeitgeber und Betriebsrat können durch Betriebsvereinbarung vereinbaren, dass Kündigungen nur mit Zustimmung des Betriebsrats ausgesprochen werden dürfen (§ 102 Abs. 6 BetrVG). In der Praxis kommt eine solche Vereinbarung selten vor, da sie die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers stark einschränkt. Einzelvertraglich (zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer) kann das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nicht erweitert werden – eine Klausel im Arbeitsvertrag, die eine Kündigung nur bei Betriebsratszustimmung erlaubt, wäre unwirksam.

Zusammengefasst: Die Zustimmung des Betriebsrats ist rechtlich nicht erforderlich, solange das Anhörungsverfahren eingehalten wird. Eine Kündigung ist nur unwirksam, wenn das Anhörungsverfahren verletzt wurde, nicht aber allein deshalb, weil der Betriebsrat “nein” sagt.

Widerspruch des Betriebsrats: Gründe und Verfahren nach § 102 BetrVG

Der Betriebsrat hat die Möglichkeit, einer ordentlichen Kündigung formell zu widersprechen (§ 102 Abs. 3 BetrVG). Ein solcher Widerspruch muss innerhalb der einwöchigen Äußerungsfrist schriftlich und mit Begründung erfolgen. Dabei ist Textform (z. B. Fax oder E-Mail) ausreichend. Wichtig: Der Widerspruch sollte sich auf konkrete Gründe stützen – eine bloße pauschale Ablehnung ohne nachvollziehbare Begründung genügt nicht.

Das Gesetz zählt in § 102 Abs. 3 BetrVG abschließend fünf zulässige Widerspruchsgründe auf. Nur wenn der Betriebsrat aus einem dieser Gründe Widerspruch einlegt, hat dies die besonderen Rechtsfolgen (dazu unten). Die Widerspruchsgründe sind insbesondere:

  1. Fehlerhafte soziale Auswahl: Der Arbeitgeber hat bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers die sozialen Gesichtspunkte (Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung) nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. (Beispiel: Es wird einem älteren, langjährigen Unterhaltspflichtigen gekündigt, während ein jüngerer, lediger Kollege mit kürzerer Betriebszugehörigkeit im Betrieb verbleibt.)
  2. Verstoß gegen Auswahlrichtlinien: Die Kündigung verstößt gegen eine betriebliche Richtlinie nach § 95 BetrVG. (Beispiel: Es existiert eine Richtlinie oder Sozialplan zur Personalauswahl, die der Arbeitgeber missachtet.)
  3. Weiterbeschäftigung auf anderem Arbeitsplatz möglich: Der Arbeitnehmer könnte an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder Unternehmen weiterbeschäftigt werden. (Beispiel: Für den gekündigten Mitarbeiter wäre eine freie Stelle in einer anderen Abteilung verfügbar.)
  4. Weiterbeschäftigung nach Umschulung zumutbar: Eine Weiterbeschäftigung nach zumutbarer Umschulung oder Fortbildung ist möglich. (Beispiel: Der Mitarbeiter könnte nach kurzer Fortbildung eine andere Tätigkeit im Betrieb übernehmen, statt gekündigt zu werden.)
  5. Weiterbeschäftigung zu geänderten Bedingungen mit Einverständnis des Arbeitnehmers: Der Arbeitnehmer könnte auch unter geänderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt werden und hat sich mit solchen Änderungen einverstanden erklärt. (Beispiel: Der Arbeitnehmer würde einer Versetzung an einen anderen Standort oder einer Teilzeitbeschäftigung zustimmen, wodurch die Kündigung vermeidbar wäre.)

Der Betriebsrat muss in seinem Widerspruch darlegen, welcher der obigen Gründe vorliegt und warum dieser auf den Fall zutrifft. Er darf auch mehrere Gründe kombinieren, sofern sie gegeben sind. Hinweis für Betriebsräte: Die Begründung sollte so konkret wie möglich sein – z. B. bei Sozialauswahl konkret benennen, welcher vergleichbare Arbeitnehmer statt des Gekündigten sozial weniger schutzwürdig wäre. Ein unklarer oder nur formelhaft wiederholter Gesetzeswortlaut schwächt die Wirksamkeit des Widerspruchs.

Folgen eines Widerspruchs: Keine automatische Unwirksamkeit, aber besondere Rechte

Widerspricht der Betriebsrat einer Kündigung, hat dies nicht zur Folge, dass die Kündigung automatisch unwirksam oder gestoppt wäre. Eine aufschiebende Wirkung hat der Widerspruch nicht – der Arbeitgeber kann die Kündigung trotzdem aussprechen und das Arbeitsverhältnis würde zum vorgesehenen Kündigungstermin enden, sofern der Arbeitnehmer nichts unternimmt. Der Widerspruch blockiert die Kündigung also nicht unmittelbar.

Allerdings löst ein ordnungsgemäßer Widerspruch nach § 102 Abs. 3 BetrVG zwei wichtige Rechtsfolgen aus:

  • 1. Weiterbeschäftigung bis zur Gerichtsentscheidung: Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung form- und fristgerecht mit einem der genannten Gründe und erhebt der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage, kann der Arbeitnehmer verlangen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses weiterbeschäftigt zu werden (§ 102 Abs. 5 BetrVG). Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, den Arbeitnehmer nach Ablauf der regulären Kündigungsfrist zu den bisherigen Bedingungen weiter zu beschäftigen, bis das Gericht endgültig über die Kündigung entschieden hat. Dieser Weiterbeschäftigungsanspruch gibt dem Arbeitnehmer finanziell und beruflich mehr Sicherheit während des oft monate- oder jahrelangen Kündigungsschutzverfahrens.
  • Beispiel: Der Betriebsrat widerspricht der Kündigung eines Mitarbeiters mit der Begründung, es gebe im Unternehmen einen alternativen Arbeitsplatz. Der Mitarbeiter erhebt innerhalb von 3 Wochen Kündigungsschutzklage. In diesem Fall muss der Arbeitgeber den Mitarbeiter auf Wunsch nach Ablauf der Kündigungsfrist weiterbeschäftigen (oder zumindest die Vergütung fortzahlen), bis das Gericht über die Kündigung entschieden hat.
  • Ausnahmen: Der Arbeitgeber kann beim Arbeitsgericht beantragen, von dieser Weiterbeschäftigungspflicht befreit zu werden (einstweilige Verfügung), wenn einer der folgenden Ausnahmegründe vorliegt: (a) die Klage des Arbeitnehmers ist offensichtlich aussichtslos oder mutwillig, (b) die Weiterbeschäftigung wäre für den Arbeitgeber unzumutbar belastend, oder (c) der Widerspruch des Betriebsrats war offensichtlich unbegründet. Diese Ausnahmen stellen sicher, dass der Arbeitgeber im Einzelfall nicht gezwungen ist, einen Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen, wenn absehbar ist, dass die Kündigung vor Gericht Bestand haben wird oder andere überwiegende Interessen entgegenstehen.
  • 2. Bessere Position im Kündigungsschutzprozess: Ein inhaltlich begründeter Widerspruch kann vom Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess als Unterstützung und Beweismittel herangezogen werden. Nach § 1 KSchG gilt eine Kündigung nämlich unter anderem dann als sozial ungerechtfertigt, wenn der Betriebsrat aus genau den oben genannten Gründen widersprochen hat. Die Gerichte prüfen also im Kündigungsschutzverfahren ausdrücklich, ob ein Betriebsratswiderspruch vorliegt und ob dessen Gründe zutreffen. Ist z. B. tatsächlich ein anderer Arbeitsplatz im Unternehmen frei oder die Sozialauswahl grob fehlerhaft, so wird die Kündigung ohne Weiteres als unwirksam erkannt (sofern KSchG anwendbar). Fazit: Der Widerspruch des Betriebsrats verstärkt die Erfolgsaussichten der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers. Umgekehrt bedeutet Schweigen oder Zustimmung des Betriebsrats nicht, dass die Kündigung automatisch rechtmäßig wäre – das Gericht entscheidet unabhängig, aber ein fehlender Widerspruch nimmt dem Arbeitnehmer eine mögliche Argumentationshilfe.
  • 3. Aushändigung der Betriebsratsbegründung: Zusätzlich verpflichtet § 102 Abs. 4 BetrVG den Arbeitgeber, die schriftliche Stellungnahme des Betriebsrats dem Arbeitnehmer mit der Kündigung zuzuleiten, falls er trotz Widerspruch kündig. Der gekündigte Arbeitnehmer erhält also Einsicht in die Gründe, die der Betriebsrat gegen die Kündigung vorgebracht hat. Dies ermöglicht dem Arbeitnehmer, bereits frühzeitig (z. B. bei der Klageerhebung) die Einwände des Betriebsrats zu kennen und zu nutzen. Versäumt der Arbeitgeber, die Widerspruchsbegründung beizufügen, stellt dies zwar für sich genommen nicht die Wirksamkeit der Kündigung in Frage, kann aber ein Indiz für Versäumnisse sein und ggf. einen Nachteilsausgleichsanspruch begründen. In jedem Fall sollte der Arbeitnehmer bei Erhalt einer Kündigung prüfen, ob eine Betriebsratsstellungnahme beigefügt ist, und falls nein, nachfragen, ob der Betriebsrat widersprochen hat.

Zusammengefasst: Ein Widerspruch des Betriebsrats stoppt die Kündigung nicht automatisch, aber er verbessert die Rechtsposition des Arbeitnehmers erheblich. Insbesondere kann der Arbeitnehmer bei rechtzeitig eingereichter Kündigungsschutzklage weiterarbeiten (oder Lohn beziehen), bis das Gericht entscheidet. Für den Arbeitgeber bedeutet ein Widerspruch, dass er – trotz Durchführbarkeit der Kündigung – mit zusätzlichem Aufwand rechnen muss: Er muss ggf. längere Zeit Lohn zahlen und sich im Prozess mit den vom Betriebsrat vorgebrachten Argumenten auseinandersetzen.

Rechte und Handlungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers bei Betriebsratswiderspruch

Für Arbeitnehmer, deren Kündigung vom Betriebsrat beanstandet wurde, ergeben sich folgende Handlungsmöglichkeiten und Rechte:

  • Kündigungsschutzklage erheben: Unabhängig vom Betriebsratsvotum muss der Arbeitnehmer selbst aktiv werden, wenn er sich gegen die Kündigung wehren will. Das heißt, binnen 3 Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen (§ 4 KSchG). Ein Widerspruch des Betriebsrats ersetzt nicht die Klage – er ist nur wirksam, wenn auch geklagt wird. In der Klageschrift kann sich der Arbeitnehmer dann ausdrücklich auf den Betriebsratswiderspruch berufen und die dort genannten Gründe ins Feld führen.
  • Weiterbeschäftigung verlangen: Hat der Betriebsrat ordnungsgemäß widersprochen, sollte der Arbeitnehmer im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses ausdrücklich die Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 BetrVG verlangen. Oft wird dies bereits im Klageschriftsatz mit beantragt. Wird die Weiterbeschäftigungspflicht vom Arbeitgeber ignoriert, kann der Arbeitnehmer eine einstweilige Verfügung auf Beschäftigung oder zumindest Vergütungszahlung beantragen. Praktisch einigen sich Arbeitgeber in solchen Fällen nicht selten darauf, den Arbeitnehmer bis zur Entscheidung unter Anrechnung auf die potenzielle Abfindung freizustellen (weiterzubezahlen ohne Arbeitsleistung). Tipp: Arbeitnehmer sollten mit ihrem Anwalt besprechen, wie sie ihr Weiterbeschäftigungsrecht am besten durchsetzen – gegebenenfalls muss schnell reagiert werden, sobald die Kündigungsfrist abläuft.
  • Informationsrecht nutzen: Der Arbeitnehmer hat das Recht zu erfahren, wie der Betriebsrat zur Kündigung steht. Durch § 102 Abs. 4 BetrVG muss die Stellungnahme des Betriebsrats mitgeteilt werden. Falls der Arbeitnehmer keine Kopie erhalten hat, kann er den Arbeitgeber oder Betriebsrat danach fragen. Dies schafft Transparenz und hilft dem Arbeitnehmer bei der Entscheidung, ob er klagt. Ein Betriebsratswiderspruch ist ein starkes Signal, dass die Kündigung angreifbar sein könnte.
  • Keine Eigenkündigung oder Aufhebungsvertrag übereilt unterschreiben: Erhält der Arbeitnehmer die Kündigung und erfährt, dass der Betriebsrat widersprochen hat, bedeutet dies, dass selbst der Betriebsrat die Kündigung für sozial problematisch hält. Der Arbeitnehmer sollte in einer solchen Situation nichts überstürzen. Insbesondere sollte er nicht vorschnell einen Aufhebungsvertrag unterschreiben oder selbst kündigen, sondern zunächst Rechtsrat einholen. Die Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage sind bei Betriebsratswiderspruch oft gut – und selbst wenn man nicht weiterbeschäftigt werden will, kann eine Klage zu einer höheren Abfindung führen.
  • Sozialversicherung und Arbeitsagentur informieren: Obwohl ein Widerspruch die Kündigung rechtlich nicht stoppt, kann er für die Agentur für Arbeit ein Indiz sein, dass eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld nicht verhängt werden sollte, falls der Arbeitnehmer nicht selbst verschuldet gekündigt wurde. Es lohnt sich, der Arbeitsagentur mitzuteilen, dass der Betriebsrat widersprochen hat, da dies die Position des Arbeitnehmers als „ungewollt gekündigt“ untermauert.

Für Arbeitnehmer gilt zusammenfassend: Nicht passiv bleiben! Ein Betriebsratswiderspruch schafft gute Ausgangsbedingungen, aber nur wer rechtzeitig Klage erhebt, kann daraus Nutzen ziehen. Während des Prozesses steht dem Arbeitnehmer dann der erwähnte Weiterbeschäftigungsanspruch zu – ein Druckmittel, das oft zu frühen Vergleichen oder Weiterbeschäftigungsangeboten seitens des Arbeitgebers führt.

Aktuelle Rechtsprechung und Entwicklungen (Stand 2025)

Die Grundprinzipien des § 102 BetrVG haben seit vielen Jahren Bestand. Dennoch gibt es immer wieder gerichtliche Entscheidungen, die Einzelheiten klären und für die Praxis von Bedeutung sind – sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer:

  • LAG Hamm, Urteil vom 08.09.2023 (13 Sa 20/23)Betriebsratsanhörung in der Probezeit: In diesem Fall hatte der Arbeitgeber während der Probezeit gekündigt und den Betriebsrat nur knapp angehört mit dem Hinweis, das Kündigungsschutzgesetz finde noch keine Anwendung und man wolle das Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen. Der Betriebsrat äußerte Bedenken (fehlende Personaldecke), widersprach aber nicht aus einem der katalogisierten Gründe. Der gekündigte Arbeitnehmer meinte, die Anhörung sei unwirksam, weil kein konkreter Kündigungsgrund genannt wurde. Das LAG Hamm wies die Kündigungsschutzklage ab: Auch in der Probezeit ist die Betriebsratsanhörung wirksam, wenn der Arbeitgeber die subjektiven Kündigungsgründe mitteilt. Es genüge, dass der Arbeitgeber klarstelle, dass er das Arbeitsverhältnis nicht fortführen will (hier: „Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses liegt nicht im Interesse des Arbeitgebers“). Mehr sei nicht erforderlich, da in der Wartezeit keine soziale Rechtfertigung nach KSchG nötig ist. Praxis-Tipp: Arbeitgeber sollten auch bei frühen Kündigungen immer den Betriebsrat anhören und zumindest kurz begründen, warum die Weiterbeschäftigung nicht erfolgen soll. Arbeitnehmer in Probezeit sollten umgekehrt prüfen, ob der Betriebsrat überhaupt informiert wurde – fehlt die Anhörung, ist die Kündigung selbst in der Probezeit unwirksam.
  • LAG Köln, Urteil vom 02.04.2025 (5 Sa 536/24)Formelle Anforderungen an die Anhörung: Hier ging es um die Frage, ob eine Betriebsratsanhörung unwirksam ist, weil sie von einer Person durchgeführt wurde, die keine ausdrückliche Bevollmächtigung des Arbeitgebers nachweisen konnte (die Personalleiterin hatte per E-Mail angehört). Das LAG Köln verneinte dies. Eine Anhörung nach § 102 BetrVG kann formfrei und auch durch Beauftragte erfolgen, ohne dass eine Vollmachtsurkunde vorgelegt werden muss. Der Betriebsrat kann die Anhörung nicht nach § 174 BGB zurückweisen, und es kommt im Prozess nicht darauf an, ob die anhörende Person intern wirksam bevollmächtigt war. Entscheidend sei, dass der Betriebsrat die Informationen erhält und davon ausgehen darf, die Person sei im Auftrag des Arbeitgebers tätig (bei einer Personalleiterin ist dies der Fall. Folge: Arbeitgeber sollten zwar sorgfältig bleiben, aber sie müssen keine übertriebenen Formerfordernisse fürchten. Aus Beweisgründen ist schriftliche oder elektronische Anhörung empfehlenswert, doch eine fehlende schriftliche Vollmacht macht die Anhörung nicht unwirksam. Diese Entscheidung bringt Rechtssicherheit für Arbeitgeber, die Anhörungen delegieren. (Hinweis: Das Verfahren ist beim BAG anhängig – eine höchstrichterliche Bestätigung steht noch aus.)
  • Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.04.2009 (6 AZR 263/08)Keine Ausweitung des Beteiligungsrechts per Einzelvertrag: In diesem älteren Grundsatzurteil entschied das BAG, dass man die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Kündigungen nicht durch Abmachungen im individuellen Arbeitsvertrag erweitern kann. Eine Klausel, die die Zustimmung des Betriebsrats als Wirksamkeitsvoraussetzung einer Kündigung fordert, ist unwirksam. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sind gesetzlich geregelt und können nicht durch individuelle Verträge modifiziert werden. Relevant ist dies nach wie vor: Arbeitgeber können die Betriebsratsanhörung nicht vertraglich „abwählen“, aber auch nicht freiwillig zum zwingenden Vetorecht erklären – es gilt ausschließlich die Regelung des § 102 BetrVG.
  • Aktuelle Tendenzen: Generell bestätigen aktuelle Urteile die hohe Bedeutung der korrekten Anhörung. Viele Kündigungsschutzprozesse werden vom Arbeitnehmer gewonnen, weil Formfehler in der Anhörung gemacht wurden (z. B. unvollständige Information, falscher Adressat, Nichteinhaltung der Frist). Für Arbeitgeber bleibt dies eine Risikozone, weshalb regelmäßige Überprüfung interner Prozesse ratsam ist. Auf Seiten der Arbeitnehmer ist zu beobachten, dass Betriebsräte ihre Widerspruchsrechte bewusster nutzen, um Kündigungen zu begegnen. Ein Widerspruch wird zwar nicht leichtfertig ausgesprochen – der Betriebsrat muss die Belegschaftsinteressen und die rechtlichen Gründe abwägen – aber wenn er erfolgt, ist er oft gut begründet. Arbeitnehmer sollten daher bei Kündigungen immer beim Betriebsrat nachfragen, ob und mit welcher Begründung dieser widersprochen hat.

Für Arbeitgeber bedeutet die Beteiligung des Betriebsrats: Ohne Anhörung keine gültige Kündigung. Die Zustimmung des Betriebsrats ist jedoch nicht erforderlich – das letzte Wort liegt beim Arbeitgeber, solange er das Verfahren einhält. Ein Betriebsratswiderspruch hält den Arbeitgeber nicht automatisch auf, kann aber zu Verzögerungen und Weiterbeschäftigungsansprüchen führen. Arbeitgeber sollten daher sorgfältig vorgehen: den Betriebsrat umfassend und wahrheitsgemäß informieren, Fristen abwarten und bei Unklarheiten (z. B. in komplizierten Fällen oder Massenentlassungen) rechtlichen Rat einholen. Eine ordnungsgemäße Anhörung ist kein bloßer Formalismus, sondern entscheidende Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung.

Für Arbeitnehmer bietet die Betriebsratsanhörung einen wichtigen Schutzmechanismus. Ist ein Betriebsrat vorhanden, sollten gekündigte Arbeitnehmer stets prüfen, ob die Anhörung erfolgt ist. Bei Versäumnissen steht ein starker Unwirksamkeitsgrund zur Seite. Hat der Betriebsrat widersprochen, ist dies kein automatischer Job-Erhalt, aber ein deutliches Signal, die Kündigung gerichtlich zu überprüfen. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer bis zum Prozessende Weiterbeschäftigung verlangen und hat bessere Chancen, die Kündigung als sozial ungerechtfertigt abwehren zu können.

Abschließend lässt sich die Ausgangsfrage klar beantworten: Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, ist die Kündigung nicht per se unwirksam. Maßgeblich ist die ordnungsgemäße Anhörung; ein Widerspruch des Betriebsrats führt nicht automatisch zur Unwirksamkeit, sondern entfaltet „nur“ die beschriebenen sekundären Rechtsfolgen. Unwirksam ist eine Kündigung hingegen, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat überhaupt nicht oder fehlerhaft angehört – Arbeitgeber sollten dies dringend vermeiden, und Arbeitnehmer können in solchen Fällen erfolgreich gegen die Kündigung vorgehen.