Aktuelles Urteil: Das Amtsgericht Hagen hat entschieden, dass das Überfahren einer bereits verstorbenen Person nicht als Unfall im Sinne des Strafgesetzes gewertet werden kann. Daher machte sich eine Autofahrerin, die im April 2025 am helllichten Tag in Iserlohn mit ihrem PKW über den auf der Straße liegenden Leichnam einer Frau fuhr und anschließend weiterfuhr, nicht wegen Unfallflucht strafbar.
Unfallflucht: Wann liegt ein Unfall vor?
Grundsätzlich macht sich strafbar, wer sich nach einem Verkehrsunfall unerlaubt vom Unfallort entfernt – umgangssprachlich spricht man von Unfallflucht (§ 142 StGB). In so einer Situation muss man also anhalten und z.B. dem Geschädigten oder der Polizei die Feststellung der Personalien und des Unfallhergangs ermöglichen. Diese Strafvorschrift greift allerdings nur, wenn tatsächlich ein Unfall im Straßenverkehr vorliegt.
Doch was gilt als Unfall im straßenverkehrsrechtlichen Sinn? Juristisch versteht man darunter jedes plötzliche Ereignis im Straßenverkehr, das im Zusammenhang mit den typischen Verkehrsgefahren steht und einen nicht ganz unerheblichen Schaden bei jemand anderem (einer Person oder einer fremden Sache) verursacht. Kleine Bagatellen – etwa minimale Lackkratzer ohne nennenswerten Fremdschaden – fallen nicht hierunter. Erst wenn ein Dritter einen bedeutenden Schaden erleidet, spricht man von einem Unfall und das unerlaubte Weiterfahren wird zur Straftat.
Kein Unfall ohne Schaden – warum das Überfahren der Leiche straflos blieb
Im Hagener Fall fehlte es nach Ansicht des Gerichts genau an so einem erforderlichen Schaden. Das „Opfer“ war bereits tot, sodass kein neuer Personenschaden mehr entstehen konnte. Und als Sache hat eine Leiche keinen materiellen Wert, dessen Beschädigung einen ersatzfähigen Schaden darstellen würde. Mit anderen Worten: Ein Toter kann nicht weiter „zu Schaden kommen“ – so makaber das klingt.
Das Gericht führte dazu weiter aus: Weder könne durch das Überrollen des Leichnams ein zivilrechtlich relevanter Schaden entstehen, noch gebe es irgendeinen Anspruchsteller, der wegen dieses Vorfalls Ersatz verlangen könnte. Im Detail begründete das AG Hagen dies so:
- Leichnam kein Sachwert: Rein rechtlich mag eine Leiche zwar als „Sache“ gelten, aber sie besitzt keinen wirtschaftlichen Wert. Ihre Beschädigung kann deshalb keine Schadensersatzansprüche auslösen. Es fehlt an einem Fremdschaden, der für einen Unfall nötig wäre.
- Totenfürsorgerecht der Angehörigen: Die Hinterbliebenen haben zwar das Recht, sich um den Leichnam zu kümmern, doch dieses Totenfürsorgerecht gehört nicht zum Vermögen der Erben und wird durch das Überfahren nicht beeinträchtigt. Auch daraus ergibt sich also kein ersatzfähiger Schaden.
- Verletzte Pietät: Die seelische Erschütterung oder ein verletztes Pietätsempfinden der Angehörigen (also das Gefühl, dass die Würde des Verstorbenen verletzt wurde) zählt rechtlich nicht als Schaden im Sinne des Unfallbegriffs. So tragisch oder empörend ein solcher Vorfall für die Familie sein mag – juristisch begründet er keinen Unfallschaden.
Weil somit kein „nicht belangloser“ Schaden eines Dritten festzustellen war, verneinte das Gericht das Vorliegen eines Unfalls. Ohne Unfall aber keine Unfallflucht – entsprechend bestand kein dringender Tatverdacht für eine Straftat (§ 142 StGB). Die Fahrerin durfte daher straffrei weiterfahren, ohne sich wegen des Überfahrens der Leiche verantworten zu müssen.
Keine Führerscheinentziehung mangels bedeutenden Schadens
Die Staatsanwaltschaft hatte in diesem Fall sogar beantragt, der Beschuldigten vorläufig die Fahrerlaubnis zu entziehen. Auch daraus wurde nichts: Selbst wenn man nämlich hypothetisch von einer Unfallflucht ausgehen würde, fehlte es an den gesetzlichen Voraussetzungen für einen Führerscheinentzug. Laut § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB darf ein Gericht die Fahrerlaubnis nach einer Unfallflucht vorläufig entziehen, wenn die Fahrerin/der Fahrer wusste oder wissen konnte, dass bei dem Unfall ein bedeutender Schaden entstanden ist. Als „bedeutend“ gilt dabei üblicherweise ein Sachschaden in Höhe von mindestens etwa 1.500 Euro.
Im Hagener Leichen-Fall war jedoch gar kein objektiv messbarer Schaden erkennbar – erst recht keiner in dieser Größenordnung. Das Gericht konnte nicht feststellen, dass überhaupt ein bezifferbarer Schaden eingetreten ist. Selbst wenn man unterstellen würde, es habe irgendeinen Schaden gegeben, wäre dieser nicht quantifizierbar und somit nicht als bedeutend nachweisbar. Folglich fehlte es auch an diesem Kriterium. Das AG Hagen lehnte den Antrag der Staatsanwaltschaft auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis daher konsequenterweise ab.
Dieser ungewöhnliche Fall zeigt, dass nicht jeder Vorfall im Verkehr automatisch als „Unfall“ im strafrechtlichen Sinne gilt. Ohne lebenden Geschädigten oder beschädigtes fremdes Eigentum liegt kein Unfall vor, und wer weiterfährt, macht sich dann auch nicht wegen Unfallflucht strafbar. Im entschiedenen Fall konnte an einem bereits Verstorbenen kein neuer Schaden verursacht werden – tot ist tot, juristisch gesehen.
Trotzdem sollte man daraus keine falschen Schlüsse ziehen. Sobald Sie in einen Verkehrsunfall verwickelt sind oder etwas bzw. jemanden überfahren – und sei es aus Versehen – gilt: Anhalten und Polizei rufen! Nur weil in diesem speziellen Szenario keine Strafbarkeit vorlag, heißt das nicht, dass man bei Unklarheiten einfach weiterfahren darf. In der Regel ist große Vorsicht geboten, denn bei jedem echten Unfall mit Sach- oder Personenschaden drohen empfindliche Konsequenzen. Unfallflucht ist kein Kavaliersdelikt – es können Geldstrafen, Punkte in Flensburg, der Entzug des Führerscheins und sogar Freiheitsstrafen folgen. Daher unser Rechtstipp: Im Zweifel lieber einmal mehr anhalten und Hilfe holen, statt sich unerlaubt vom Unfallort zu entfernen.