Kein Recht auf Verweigerung: Bundesfinanzhof stärkt Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO gegenüber Finanzamt

14. Mai 2025 -

In einer wegweisenden Entscheidung (Az. IX R 25/22) hat der Bundesfinanzhof (BFH) klargestellt, dass Verantwortliche sich nicht mit dem Einwand eines unverhältnismäßigen Aufwands der Auskunftspflicht nach Artikel 15 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entziehen dürfen. Zudem stellte der BFH unmissverständlich fest, dass ein umfassendes Auskunftsbegehren nicht allein deshalb als „exzessiv“ abgewiesen werden kann, weil es ohne inhaltliche oder zeitliche Beschränkung erfolgt.


Hintergrund und Verfahrensgang

Der Ausgangsstreit begann im Mai 2020, als der Kläger, Vorstand einer Aktiengesellschaft (Z‑AG) und persönlich Beteiligter an einer atypisch stillen Gesellschaft, beim zuständigen Finanzamt umfassende Auskünfte über sämtliche bei der Finanzverwaltung gespeicherten personenbezogenen Daten verlangte. Nachdem das Finanzamt erste Übersichten zu Grunddaten und Bescheiddaten übermittelte, blieb die Forderung nach vollständiger Akteneinsicht bestehen. Die erste Instanz beim Thüringer Finanzgericht wies das Auskunftsgesuch mit der Begründung ab, die Erteilung der Auskunft sei mit einem „unverhältnismäßigen Aufwand“ verbunden und das Begehren insgesamt exzessiv.

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Revision zum BFH ein und berief sich insbesondere auf den unmittelbar geltenden Charakter der DSGVO sowie auf eine fehlende gesetzliche Grundlage, die Auskunftspflichten mit dem BGB-Grundsatz des Leistungsverweigerungsrechts wegen Unmöglichkeit (§ 275 BGB) zu koppeln.


Die Leitsätze der BFH‑Entscheidung

Mit seinem Urteil fasste der IX. Senat des BFH die Kernpunkte in drei Leitsätzen zusammen:

  • Unverhältnismäßiger Aufwand: Ein Verantwortlicher kann sich nicht darauf berufen, dass die materiell notwendige Erteilung der Auskunft einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordere.

  • Keine Exzessivität bei unbeschränkten Begehrnissen: Ein Auskunftsbegehren gilt nicht schon dann als exzessiv, wenn der Antragsteller keine inhaltlichen oder zeitlichen Einschränkungen vornimmt.

  • Erfüllung des Auskunftsanspruchs: Der Anspruch ist erfüllt, sobald die bereitgestellten Informationen nach dem erklärten Willen des Auskunftspflichtigen den geschuldeten Gesamtumfang abdecken.


Analyse der Entscheidungsgründe

1. Art. 15 DSGVO als vorrangiges Recht

Der BFH erinnerte daran, dass die DSGVO als unmittelbar wirksame EU-Verordnung nach Art. 288 AEUV ohne nationale Umsetzungsvorschrift gilt und den Betroffenen einen umfassenden Auskunftsanspruch einräumt. Dieser Anspruch umfasst Auskünfte über Verarbeitungszwecke, Datenkategorien, Empfängerkreise, Speicherdauer und Rechtsbehelfsrechte.

2. Abgrenzung zu BGB‑Unmöglichkeit

Das Finanzgericht hatte § 275 Abs. 2 BGB (Leistungsverweigerung bei unverhältnismäßigem Aufwand) analog auf Auskunftsansprüche angewandt. Der BFH wies dies zurück: Die DSGVO enthalte keine Ausnahme für unverhältnismäßigen Aufwand. Eine Übertragung des BGB‑Unmöglichkeitsrechts auf Datenschutzanträge widerspräche dem klaren Wortlaut und Schutzzweck der Verordnung.

3. Zulässigkeit umfassender Auskunftsbegehren

Nach Ansicht des BFH verlangt die DSGVO von Betroffenen keine „Beschränkungspflicht“: Ein umfassendes Begehren ohne zeitliche oder sachliche Begrenzung könne nicht pauschal abgelehnt werden. Lediglich in Ausnahmefällen – etwa bei eindeutig missbräuchlichem Verhalten – käme eine Exzessivität in Betracht, die hier jedoch nicht dargelegt war.

4. Spruchreife und Erfüllungskontrolle

Schließlich stellte der Senat fest, dass die Vorinstanz unzureichend geprüft hatte, ob das Finanzamt den Auskunftsanspruch bereits in vollem Umfang erfüllt hatte. Dabei komme es nicht auf die bloße Übersendung beliebiger Dokumentenlisten, sondern auf die tatsächliche Wirkung im Sinne des Antragstellers an. Fehle es an konkreten Feststellungen hierzu, sei eine Rückverweisung angezeigt.


Bedeutung für Verwaltung und Betroffene

Für Behörden

  • Keine Verweigerung mit Aufwandseinwand: Künftig müssen Behörden ihre Kapazitäten so planen, dass sie Auskunftsersuchen nach Art. 15 DSGVO ohne Verweis auf unverhältnismäßigen Aufwand bearbeiten können.

  • Dokumentationspflicht: Die Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit einer lückenlosen Dokumentation bereits erteilter Auskünfte, um im Streitfall die Erfüllung nachweisen zu können.

Für Betroffene

  • Stärkung der Rechtsprechung: Betroffene dürfen ihre Auskunftsansprüche in vollem Umfang geltend machen, ohne befürchten zu müssen, dass die Behörde sie mit Verweis auf personelle oder technische Engpässe abweist.

  • Rechtssicherheit: Die Klarstellung des BFH beseitigt bislang strittige Anwendungsfragen zur Ausnahmeregel des unverhältnismäßigen Aufwands und schafft verlässliche Maßstäbe.


Ausblick

Die Rückverweisung an das Thüringer Finanzgericht eröffnet die Chance, dass präzise Feststellungen zum Umfang bereits erteilter Auskünfte getroffen werden. Unabhängig vom weiteren Verfahrensgang sendet die Entscheidung jedoch ein deutliches Signal: Art. 15 DSGVO ist kein leeres Gesetz, sondern ein wirksames Durchsetzungsrecht der betroffenen Personen gegen staatliche Stellen. Behörden und Unternehmen sollten dies zum Anlass nehmen, ihre Datenschutzprozesse zu überarbeiten und Betroffenenrechte lückenlos umzusetzen.