Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 6. Mai 2025 (Az. VI B 41/24) klargestellt, dass der gesetzlich normierte Vertretungszwang in Verfahren vor dem höchsten deutschen Steuergericht auch für aktive Richter gilt. Selbst Richter, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, dürfen sich nicht selbst vor dem BFH vertreten, sondern müssen eine zugelassene rechtsberatende Person beauftragen. Der Beschluss hat grundsätzliche Bedeutung für die Auslegung des Vertretungsrechts und betont zugleich die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit dieser Einschränkung.
Der Fall: Selbstvertretung eines Richters im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Ein Richter der Sozialgerichtsbarkeit hatte persönlich eine Nichtzulassungsbeschwerde zum BFH eingelegt – ohne rechtsanwaltliche oder steuerberatende Vertretung. Der BFH wies die Beschwerde jedoch als unzulässig zurück. Die Begründung: Der Kläger habe den in § 62 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 FGO normierten Vertretungszwang nicht beachtet. Dass es sich beim Kläger um einen berufserfahrenen Juristen handelt, ändere daran nichts.
Gesetzliche Grundlage: Der Vertretungszwang in der Finanzgerichtsordnung
Nach § 62 Abs. 4 FGO gilt für Verfahren vor dem BFH ein Vertretungszwang. Danach müssen natürliche Personen grundsätzlich durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer vertreten werden. Auch Gesellschaften, die zur geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen befugt sind (§ 3 StBerG), können als Vertreter auftreten – allerdings nur durch entsprechend qualifiziertes Personal.
Entscheidend ist, dass dieser Vertretungszwang nicht durch die fachliche Qualifikation oder das Amt des Beteiligten aufgehoben wird. Auch ein Richter mit zweitem Staatsexamen und jahrelanger Berufserfahrung unterliegt dem Vertretungsgebot.
Keine Gleichheitswidrigkeit – Differenzierung sachlich gerechtfertigt
Der Kläger rügte eine vermeintlich gleichheitswidrige Ungleichbehandlung zwischen (aktiven oder pensionierten) Richtern einerseits und Rechtsanwälten sowie Steuerberatern andererseits. Der BFH wies diese Argumentation entschieden zurück:
- Bereits die Vorgängervorschrift aus dem BFHEntlG von 1975 war vom Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 07.08.1978 – 2 BvR 26/77) gebilligt worden. Die damalige Beschränkung auf bestimmte Berufe diene sachlichen Zielen wie Verfahrensbeschleunigung, Prozessqualität und Mandantenschutz.
- Der Gesetzgeber verfüge über einen weiten Gestaltungsspielraum, insbesondere hinsichtlich der Auswahl der vertretungsberechtigten Berufe. Die Entscheidung, nur bestimmte, berufsspezifisch qualifizierte Akteure zuzulassen, sei von legitimen Gemeinwohlinteressen getragen.
- Eine Wettbewerbsverzerrung würde entstehen, wenn Richter sich selbst vertreten dürften, da sie – anders als die zugelassenen Berufe – keine Kammerbeiträge zahlen oder Berufshaftpflichtversicherungen unterhalten müssen. Das wäre mit dem Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
Kein Verstoß gegen höherrangiges Verfassungsrecht
Der BFH befasste sich zudem mit weiteren grundrechtlichen Einwänden des Klägers:
Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG)
Die Verpflichtung zur Vertretung durch einen Bevollmächtigten mache den Zugang zum Gericht nicht unzumutbar. Der Kläger habe selbst eingeräumt, dass Steuerberater bereit gewesen wären, ihn zu vertreten – gegen Honorar. Das Gericht betonte, dass wirtschaftliche Erwägungen die Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht aushebeln könnten.
Rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)
Die Vertretungsvorschriften verletzten auch nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits in früheren Entscheidungen (z.B. 2 BvR 1000/92) klargestellt, dass eine gesetzlich geregelte Vertretungspflicht verfassungsrechtlich unbedenklich sei, wenn sie verhältnismäßig sei – was hier der Fall sei.
Fazit: Klare Grenzen der Selbstvertretung im BFH-Verfahren
Der Beschluss des BFH stellt unmissverständlich klar: Auch fachkundige Juristen wie Richter müssen sich im Verfahren vor dem Bundesfinanzhof vertreten lassen. Die gesetzliche Regelung dient der Qualität und Effizienz der höchstrichterlichen Steuerrechtsprechung und steht im Einklang mit den Grundrechten. Der Versuch, über die eigene juristische Qualifikation den Vertretungszwang zu umgehen, ist nicht nur unzulässig, sondern birgt auch Risiken für die Rechtswahrung – wie der Fall exemplarisch zeigt.
FAQ zur Entscheidung VI B 41/24 des BFH
Gilt der Vertretungszwang auch für Juristen mit Prädikatsexamen?
Ja, selbst hochqualifizierte Juristen wie Richter oder Verwaltungsjuristen dürfen sich nicht selbst vor dem BFH vertreten.
Kann das Gericht Ausnahmen vom Vertretungszwang zulassen?
Nein, der Vertretungszwang nach § 62 Abs. 4 FGO ist zwingend und lässt keine Ausnahmen für Einzelpersonen zu.
Ist die Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar?
Ja, laut BFH und Bundesverfassungsgericht verstößt die Regelung weder gegen Art. 3 GG noch gegen Art. 19 Abs. 4 GG oder Art. 103 Abs. 1 GG.
Warum ist eine Selbstvertretung problematisch?
Der Gesetzgeber möchte sicherstellen, dass nur besonders qualifizierte Berufsgruppen komplexe Verfahren vor dem BFH führen – zum Schutz des Gerichts und der Rechtsuchenden.