1.000 € für zu langes BAföG-Verwaltungsgerichtsverfahren

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 06.02.2024 zum Aktenzeichen 13 D 8/20.EK in einem von Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. von der Kölner Rechtsanwaltskanzlei JURA.CC vertretenen Fall entschieden, wann ein BAföG-Verfahren zu lang dauert mit der Folge, dass das Land eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer zu zahlen hat.

Der Kläger begehrt Entschädigung wegen überlanger Dauer des Gerichtsverfahrens. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war eine bei dem Verwaltungsgericht Köln anhängige Klage des Klägers auf Vorabbewilligung von Ausbildungsförderung dem Grunde nach gemäß § 46 Abs. 5 BAföG gegen das Studierendenwerk Köln.

Unter dem 14. August 2017 stellte er beim Kölner Studierendenwerk AöR einen Antrag auf Vorabbescheidung nach § 46 Abs. 5 BAföG für das beabsichtigte Studium der Humanmedizin an der Universität Köln ab dem Sommersemester 2018 (1. April 2018). Diesen Antrag lehnte das Studierendenwerk mit Bescheid vom 15. September 2017 ab. Den dagegen gerichteten Widerspruch wies es mit Bescheid vom 25. September 2017 als unbegründet zurück. Dagegen erhob der Kläger am 28. September 2017 Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln und erklärte zugleich sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Die mit Eingangsverfügung vom 29. September 2017 erbetene Klageerwiderung erfolgte durch das beklagte Studierendenwerk mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2017. Unter dem 11. Dezember 2017 und dem 7. Februar 2018 verfügte das Verwaltungsgericht jeweils eine Wiedervorlage von zwei Monaten. Mit Schriftsatz vom 13. Februar 2018 ergänzte der Kläger die Klagebegründung und teilte mit, dass er sich seit mehr als 14 Jahren in einer Lebensgemeinschaft befinde und am 6. Januar 2018 die Ehe geschlossen habe. Außerdem übereichte er den Bescheid der Stiftung für Hochschulzulassung vom 9. Februar 2018 über seine Zulassung zum Studium der Medizin an der Universität zu Köln zum Sommersemester 2018. Unter dem 14. Februar 2018 überreichte er die entsprechende Immatrikulationsbescheinigung. Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2018 nahm der Beklagte weiter Stellung, woraufhin der Kläger mit Schriftsatz vom 26. Februar 2018 replizierte und (erneut) sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärte. Der Schriftsatz wurde dem Beklagten mit der Bitte um Gegenäußerung zugeleitet. Am 3. April 2018 erkundigte sich der Kläger, ob der Beklagte bereits einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt habe, und bat mit Blick darauf, dass er seit dem 1. April 2018 Vollzeitstudierender sei, um baldige Entscheidung. Das Verwaltungsgericht teilte unter dem 12. April 2018 mit, dass der Beklagte bislang einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht zugestimmt habe und unabhängig davon eine zeitnahe Entscheidung wegen etlicher älterer und damit vorrangiger Verfahren nicht zugesagt werden könne. Mit Schriftsatz vom 23. April 2018 erklärte auch der Beklagte sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Unter dem 1. Mai 2018 fragte der Kläger nach dem Stand der Sache an und verwies auf die seiner Ansicht nach einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hamburg und des Oberverwaltungsgerichts Hamburg. Mit Verfügung vom 3. Mai 2018 bat das Verwaltungsgericht um Übersendung der in Bezug genommenen Entscheidungen, woraufhin der Kläger am 8. Mai 2018 den seiner Ansicht nach maßgeblichen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Hamburg übersandte. Diesen leitete das Verwaltungsgericht unter dem 16. Mai 2018 an den Beklagten mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen weiter und verfügte am 28. Juni 2018 die Ablage ins „E-Fach“ unter Hinweis auf die angedachte Entscheidung ohne mündliche Verhandlung („omV“). Am 13. Juli 2018 informierte das Gericht die Beteiligten über den Übergang des Verfahrens in die 25. Kammer. Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2018 merkte der Kläger an, dass er bereits seit Wochen auf eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung warte und sich der nunmehr erfolgte Kammerwechsel nachteilig auf eine alsbaldige Entscheidung auswirken werde. Mit Verfügung vom 17. Juli 2018 teilte ihm ein Mitglied der nunmehr zuständigen Kammer mit, dass der Sachstand unverändert sei. Es seien weitaus ältere Verfahren anhängig, die zunächst bearbeitet werden müssten. Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2018 trug der Kläger weiter umfangreich zur Sach- und Rechtslage vor, woraufhin das Verwaltungsgericht unter dem 30. Juli 2018 den Beklagten um Stellungnahme binnen vier Wochen bat sowie eine Wiedervorlagefrist von sechs Wochen verfügte. Mit Schriftsatz vom 2. August 2018 erwiderte der Beklagte. Die Übersendung zur Kenntnisnahme an den Kläger verfügte das Verwaltungsgericht unter dem 3. August 2018. Am 9. August 2018 bat der Kläger telefonisch um Übersendung einer Kopie eines in den Verwaltungsvorgängen befindlichen früheren Antrags auf Bewilligung von Ausbildungsförderung. Unter dem 27. August 2018 replizierte er mit einem 23 Seiten langen Schriftsatz, dem zahlreiche Anlagen beifügt waren, auf das Vorbringen des Beklagten vom 2. August 2018. Die Doppelübersendung zur Stellungnahme erfolgte am 31. August 2018. Mit Schriftsatz vom 13. September 2018 nahm der Beklagte zu den Ausführungen des Klägers vom 27. August 2018 Stellung. Das Verwaltungsgericht verfügte unter dem 18. September 2018 die Übersendung an den Kläger zur Kenntnisnahme und bestimmte eine Wiedervorlagefrist von sechs Wochen. Der Kläger replizierte mit Schriftsatz vom 19. September 2018. Am 20. September 2018 verfügte das Verwaltungsgericht die Doppelübersendung sowie am 2. November 2018 die Ablage in das „E-Fach“ unter Hinweis auf eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung („omV“). Mit Schriftsatz vom 13. April 2019 erklärte der Kläger, dass er, bevor er das Studium aus finanziellen Gründen beenden müsse, ein Eilverfahren einleiten werde und zur Begründung der Eilbedürftigkeit eine Mitteilung des Verwaltungsgerichts benötige, dass dort nicht in angemessener und absehbarer Zeit über die Hauptsache entschieden werden könne. Mit weiterem Schriftsatz vom 11. Mai 2019 rügte der Kläger die Dauer des Verfahrens gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG. Unter dem 12. August 2019 teilte das Verwaltungsgericht den Beteiligten mit, dass das Verfahren nach einem erneuten Kammerwechsel nunmehr unter dem geänderten Aktenzeichen 13 K 13241/17 geführt werde und die Kammer um eine zeitnahe Entscheidung bemüht sei. Mit Beschluss vom 5. September 2019 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Das Verwaltungsgericht wies die Klage des Klägers schließlich mit Urteil vom 19. Dezember 2019 ab.

Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts beantragte der Kläger am 20. Dezember 2019 die Zulassung der Berufung, die er mit Schriftsatz vom 15. Januar 2020 begründete. Der Beklagte erwiderte unter dem 7. Februar 2020. Mit Beschluss vom 29. Juni 2021 ließ das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers wegen besonderer Schwierigkeiten der Rechtssache zu. Mit Schriftsätzen vom 30. Juni 2021 und 20. Juli 2021 begründete der Kläger die Berufung, der der Beklagte mit Schriftsatz vom 24. August 2021 entgegentrat. Nach weiterem Schriftwechsel fragte der Kläger an, wann mit einer Verhandlung über die Berufung gerechnet werden könne und erklärte sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Am 14. September 2021 teilte das Oberverwaltungsgericht dem Kläger mit, dass sich ein konkreter Zeithorizont für eine Entscheidung wegen des Anhangs älterer Verfahren derzeit noch nicht in Aussicht stellen lasse. Zugleich fragte es bei dem Beklagten an, ob ebenfalls auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werde. Nachdem der Beklagte am 14. September 2021 zu den weiteren Ausführungen des Klägers vom 27. August 2021 in der Sache Stellung genommen und der Kläger sein Vorbringen nochmals ergänzt hatte, erklärte der Beklagte unter dem 16. September 2021 ebenfalls sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Mit Schriftsatz vom 29. September 2022 fragte der Kläger an, wann mit einer Entscheidung gerechnet werden könne, und wies darauf hin, dass er sich bereits im klinischen Teil des Studiums befinde. Mit Verfügung vom 27. Januar 2023 bat das Oberverwaltungsgericht den Kläger um Einreichung weiterer Unterlagen. Nach deren Eingang und erneuter Stellungnahme des Beklagten änderte das Oberverwaltungsgericht mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 13. Februar 2023 das erstinstanzliche Urteil ab und verpflichtete den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 15. September 2017 und des Widerspruchsbescheids vom 25. September 2017, auf den Antrag des Klägers durch Vorabentscheidung nach § 46 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 BAföG festzustellen, dass die Förderungsvoraussetzungen für das von ihm ab dem Sommersemester 2018 aufgenommene Studium der Humanmedizin an der Universität zu Köln dem Grunde nach trotz Überschreitens der Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG vorliegen.

Bereits am 3. Februar 2020 hat der Kläger Klage auf Entschädigung wegen überlanger Dauer des Ausgangsverfahrens erhoben, die dem Beklagten am 6. März 2020 zugestellt worden ist. Zur Begründung seiner Entschädigungsklage hat er zunächst eine unangemessene Verzögerung im Umfang von 21 Monaten geltend gemacht. Zuletzt trägt er vor, eine maximale Entscheidungsdauer von zwölf Monaten erscheine angemessen, so dass bei einer Verfahrensdauer von insgesamt 26 Monaten eine Verzögerung von jedenfalls 14 Monaten festzustellen sei. Nach Abzug von zwei Monaten als Karenz seien dem Ausgangsgericht mithin zwölf Monate Verzögerung vorzuwerfen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das Klageverfahren für ihn eine hohe Bedeutung gehabt habe. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts habe er sich bereits im vierten Fachsemester befunden und sei finanziell bedürftig gewesen. Seinen Lebensunterhalt habe er nur durch Elterndarlehen sicherstellen können. Weder er noch sein Bevollmächtigter hätten zur Verzögerung des Verfahrens beigetragen. Vielmehr habe der Klägervertreter gesetzte Fristen jeweils weit vor ihrem Ablauf beantwortet und auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Der Anspruch auf Entschädigung folgt aus §§ 173 Satz 2 VwGO, 198 GVG. Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen. Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge), § 198 Abs. 3 GVG. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist, was insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts geschehen kann, dass die Verfahrensdauer unangemessen war.

Die Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs sind hier erfüllt. Die Dauer des von dem Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens war im Umfang von zehn Monaten unangemessen verzögert. Die dem Kläger entstandenen immateriellen Nachteile sind mit einem Betrag von insgesamt 1.000 Euro zu entschädigen; eine Wiedergutmachung durch die bloße Feststellung, dass das Verfahren unangemessen verzögert war, kommt vorliegend nicht in Betracht.

Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist danach das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft des Urteils des Berufungsgerichts.

Die von dem Kläger vorgenommene Begrenzung der Entschädigungsklage auf eine unangemessen lange Verfahrensdauer der ersten Instanz (VG Köln 13 K 13241/17) ist prozessualer Natur und nach der Dispositionsmaxime zulässig. Materiell-rechtliche Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch, auch wenn er prozessual auf eine Instanz beschränkt worden ist, bleibt aber die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer.

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Damit sind schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen. Bei der notwendigen Einzelfallbetrachtung ist die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere, aber nicht zwingend nur an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist.

Sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, hat das Gericht zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen. Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten – insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens – Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht – auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit – ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie – auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums – sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind.

Die Gestaltungsfreiheit des Gerichts wird in zeitlicher Hinsicht begrenzt durch den Zeitpunkt, ab dem ein (weiteres) Zuwarten auf eine verfahrensfördernde Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf die subjektive Rechtsposition des Betroffenen auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar ist, weil sich die (weitere) Verzögerung bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Es ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, bis zu dem von einer „optimalen Verfahrensführung“ des Gerichts auszugehen ist. Entschädigungsrechtlich relevant sind nur die nach Ablauf des Gestaltungszeitraums auf die Verfahrensführung des Gerichts zurückzuführenden Verzögerungen. Denn zur Begründung des Entschädigungsanspruchs reicht nicht jede Abweichung von der optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr setzt der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 GVG voraus, dass der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit beeinträchtigt worden ist, was eine gewisse Schwere der Belastung erfordert.

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe war die Verfahrensdauer des erstinstanzlichen Verfahrens im Umfang von zehn Monaten unangemessen, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls – insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens, seiner Bedeutung für den Kläger  sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten und der Verfahrensführung des Gerichts  – ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, insoweit verletzt worden ist.

Die Schwierigkeit eines Verfahrens hängt vom zugrunde liegenden Sachverhalt, der Rechtslage und den konkreten Umständen eines Verfahrens ab. Tatsächliche Schwierigkeiten können sich unter anderem aus dem Umfang des Falls sowie der Beteiligung mehrerer Verfahrensbeteiligter ergeben. Rechtliche Schwierigkeiten können beispielsweise darauf beruhen, dass die Entscheidung von bisher ungeklärten komplizierten Rechtsfragen abhängt.

Das Ausgangsverfahren, das die Durchsetzung eines Anspruchs auf Erlass einer Vorabbescheidung über die Bewilligung von Ausbildungsförderung dem Grunde nach betraf (§ 46 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 BAföG), wies in rechtlicher Hinsicht eine für verwaltungsgerichtliche Hauptsacheverfahren mindestens durchschnittliche Schwierigkeit auf. Zu klären war insbesondere die nicht ohne Weiteres zu beantwortende Frage, ob der Kläger sein Studium der Medizin an der Universität zu Köln zum Sommersemester 2018 angesichts der Umstände des Einzelfalls noch „unverzüglich“ im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG aufgenommen hatte.

Die Bedeutung der Sache ist in einer objektivierten Weise zu bestimmen. Sie ist zu bemessen aus der Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten. Bloße subjektive Einschätzungen von Betroffenen müssen daher außer Betracht bleiben.

Ausgehend davon war die Bedeutung des Ausgangsverfahrens für den Kläger als hoch einzustufen. Streitigkeiten, bei denen dem Grunde oder der Höhe nach um existenzsichernde Sozialleistungen gestritten wird, sind typischerweise eilbedürftig und wegen ihrer Bedeutung für die Betroffenen besonders zu fördern.

Dies galt auch hier. Das Verfahren zielte auf eine Vorabentscheidung nach § 46 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 BAföG darüber ab, dass die Förderungsvoraussetzungen für das vom Kläger ab dem Sommersemester 2018 aufgenommene Studium der Humanmedizin an der Universität zu Köln dem Grunde nach trotz Überschreitens der Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG vorliegen. § 46 Abs. 5 BAföG räumt in den dort genannten Fällen, in denen einschränkende Voraussetzungen für die Leistungsgewährung gelten, dem Auszubildenden einen Anspruch auf Vorabentscheidung dem Grunde nach ein, wenn er dies besonders beantragt. Solche Vorabentscheidungen dem Grunde nach sind feststellende Verwaltungsakte, die grundlegende Fragen des Ausbildungsförderungsverhältnisses, die für einen Ausbildungsabschnitt nur einheitlich beantwortet werden können, vorab mit Bindungswirkung für in der Regel den gesamten Ausbildungsabschnitt entscheiden (vgl. § 46 Abs. 5 Satz 2 BAföG). Entscheidungen nach § 46 Abs. 5 BAföG dienen damit neben dem Interesse der Förderungsverwaltung, grundlegende Fragen des Förderungsverhältnisses nicht für jeden Bewilligungszeitraum erneut entscheiden und im Verwaltungsrechtsstreit vertreten zu müssen, auch dem berechtigten Interesse des Auszubildenden an der Planbarkeit seines Ausbildungsvorhabens.

Zu einer Verzögerung des Verfahrens hat der Kläger nicht entscheidungserheblich beigetragen. Die von dem Kläger getätigten Sachstandsanfragen überstiegen ihrem Umfang und ihrer Häufigkeit nach kein „durchschnittliches Maß“. Soweit der Kläger in dem Schriftsatz vom 13. April 2019 um Ausstellung einer „Bescheinigung“, dass nicht in angemessener und absehbarer Zeit über die Hauptsache entschieden werden könne, gebeten hatte, ist nicht erkennbar, dass es hierdurch zu einer Verzögerung des Verfahrens gekommen ist. Anträge, die eine intensive Befassung des Gerichts während des laufenden Klageverfahrens erfordert hätten, hat der Kläger nicht gestellt. Im Übrigen hat er auf gerichtliche Anfragen größtenteils äußerst zeitnah reagiert und angeforderte Unterlagen unverzüglich beigebracht.

Auch dem Beklagten des Ausgangsverfahrens kann keine Mitverursachung an der Verfahrensdauer angelastet werden. Dieser hat ebenfalls auf gerichtliche Anfragen zeitnah reagiert und gesetzte Fristen stets eingehalten.

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Gesichtspunkte ergibt sich bei der gebotenen Gesamtabwägung eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens im Umfang von insgesamt zehn Monaten für den Zeitraum von Mitte Januar 2019 bis zum Erlass des Einzelrichterbeschlusses vom 5. September 2019 und sodann ab dem 5. Oktober 2019 bis zum Ergehen des Urteils am 19. Dezember 2019.

Vom Eingang der Klage am 28. September 2017 bis zum 19. September 2018 ist es unter Berücksichtigung des dem Gericht zuzubilligenden Gestaltungsspielraums noch nicht zu einer entschädigungsrelevanten Verzögerung des Verfahrens gekommen.

Das Ausgangsverfahren war zwar zunächst mit Eingang der Klageerwiderung vom 23. Oktober 2017 ausgeschrieben, bis sodann beginnend mit der weiteren Klagebegründung vom 13. Februar 2018 ein erneuter Austausch zwischen den Beteiligten stattfand. Für den knapp viermonatigen Zeitraum vom 23. Oktober 2017 bis zum 13. Februar 2018 kann aber nicht von einer entschädigungsrechtlich relevanten „Verzögerung des Verfahrens“ gesprochen werden. Das Verwaltungsgericht musste schon wegen der erst am 28. September 2017 eingegangenen Klage noch keine auf den Abschluss des Verfahrens gerichteten Handlungen vornehmen. Die unter dem 9. Oktober 2017, dem 11. Dezember 2017 und (zuletzt) am 7. Februar 2018 ergangenen Wiedervorlageverfügungen von jeweils zwei Monaten waren von seinem Gestaltungsspielraum umfasst.

In dem sich anschließenden Verfahrenskomplex ab Mitte Februar 2018 – zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger dem Verwaltungsgericht mitgeteilt, dass er geheiratet hat und ihm zum 1. April 2018 ein Studienplatz in Köln zur Verfügung stand – hat das Verwaltungsgericht das Verfahren weiter gefördert, insbesondere auf die Vorlage von Unterlagen, den Eingang von Stellungnahmen der jeweiligen Gegenseite und die Erklärung des Verzichts auf mündliche Verhandlung auch von Seiten des Beklagten hingewirkt. Es hat nach Eingang der weiteren Stellungnahme des Klägervertreters vom 26. Februar 2018 noch am selben Tage den Beklagten um Stellungnahme dazu gebeten und nach Ablauf der – vertretbar –gesetzten Wiedervorlagefrist von sechs Wochen am 12. April 2018 an eine solche erinnert. Auf den Eingang der Zustimmungserklärung mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung des Beklagten vom 23. April 2018 folgte bereits am 1. Mai 2018 der Eingang des Schriftsatzes des Klägervertreters, in der dieser auf die relevante Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hamburg sowie des Oberverwaltungsgerichts Hamburg hingewiesen und um deren Übersendung das Verwaltungsgericht schon wenige Tage später am 3. Mai 2018 gebeten hatte. Den am 8. Mai 2018 folgenden umfangreichen Schriftsatz des Klägervertreters samt Anlagen übersandte das Verwaltungsgericht am 16. Mai 2018 an den Beklagten mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen. Nach Ablauf der zugleich gesetzten Wiedervorlagefrist von sechs Wochen hat das Verwaltungsgericht am 28. Juni 2018 die Ablage der Akte in das „E-Fach“ unter Hinweis auf eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung („omV“) verfügt und damit aus seiner Sicht eine Entscheidungsreife zu erkennen gegeben. Mit Blick auf den ihm eingeräumten Gestaltungsspielraum musste das Verwaltungsgericht aber auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf die Verfahrensbeendigung hinwirken. Dies bedingte weder die Anhängigkeitsdauer von neun Monaten noch die besondere Bedeutung des Verfahrens für den Kläger. Auch aus der dem Gericht mitgeteilten Eheschließung und der Aufnahme des Studiums ergab sich noch keine Dringlichkeit, die eine vorrangige Bearbeitung erfordert hätte.

Ab dem 27. Juli 2018 kam es erneut zu einem wechselseitigen Austausch der Beteiligten, der mit Eingang des (letzten) Vorbringens des Klägers vom 19. September 2018 endete. Ab dem 19. September 2018 bis zur Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter mit Beschluss vom 5. September 2019 und dem Ergehen des Urteils im schriftlichen Verfahren unter dem 19. Dezember 2019 kam es zu keinen weiteren auf die Beendigung des Verfahrens abzielenden Verfahrenshandlungen des Verwaltungsgerichts. Allerdings war dem Verwaltungsgericht auch hier unter Berücksichtigung von Alter, Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens noch ein Gestaltungsspielraum von vier Monaten, also bis Mitte Januar 2019, für die Entscheidung, wann und wie es das Verfahren im Hinblick auf eine Erledigung weiter fördert, zuzubilligen. Spätestens ab Mitte Januar 2019 hätte es jedoch weitere auf die Erledigung des Verfahrens abzielende Maßnahmen ergreifen müssen. Da dies erst am 5. September 2019 geschehen ist, folgt hieraus eine nicht gerechtfertigte Verzögerung des Verfahrens von etwa siebeneinhalb Monaten.

Nachdem die Kammer am 5. September 2019 den Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen hatte, stand dem Gericht angesichts der zu diesem Zeitpunkt schon deutlich erkennbaren Verzögerung allenfalls noch ein Monat für die Abfassung der zu diesem Zeitpunkt offensichtlich bereits in Aussicht gestellten Endentscheidung zu, zumal der Kläger schon im April 2019 sowohl auf seine finanzielle Lage und auf das zwischenzeitlich fortgeschrittene Studium hingewiesen hatte. Dies bedingt eine weitere nicht gerechtfertigte Verzögerung des Klageverfahrens von etwa zweieinhalb Monaten bis zum Erlass des Urteils am 19. Dezember 2019.

Diese im erstinstanzlichen Verfahren eingetretene Verzögerung wird auch nicht durch die Verfahrensführung in der Berufungsinstanz vor dem Oberverwaltungsgericht ausgeglichen.

Über den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung vom 20. Dezember 2019 hatte das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 29. Juni 2021, mithin erst nach Ablauf von eineinhalb Jahren entschieden. Bis zur endgültigen Entscheidung über die Berufung des Klägers mit Urteil vom 13. Februar 2023 vergingen nochmals mehr als eineinhalb Jahre. Dabei ist insbesondere für die Zeit bis zur Entscheidung über die Zulassung der Berufung zu konstatieren, dass das beklagte Studierendenwerk bereits mit Schriftsatz vom 7. Februar 2020 beantragt hatte, den Antrag auf Zulassung der Berufung zurückzuweisen, und sodann im Zeitraum bis zu der Entscheidung über deren Zulassung am 29. Juni 2021 keine verfahrensfördernden Handlungen des Gerichts vorgenommen worden sind. Über den Antrag auf Zulassung der Berufung hätte damit bereits nach Ablauf eines angemessenen Gestaltungsspielraum nach dem letzten Schriftsatz in der Sache vom 7. Februar 2020 entschieden werden können. Jedenfalls nach dem Auslaufen der Sechsmonatsfrist aus der Wiedervorlageverfügung vom 22. April 2020 wäre auch angesichts des konkreten Umfangs und der dargelegten Schwierigkeit der Sache spätestens im darauf folgenden Monat November 2020 über den Zulassungsantrag zu befinden gewesen.

Dem Kläger steht für die durch die unangemessene Verfahrensdauer im Umfang von zehn Monaten erlittenen immateriellen Nachteile eine angemessene Entschädigung zu (§ 198 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GVG).

Nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein immaterieller Schaden vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist hier nicht widerlegt, was etwa der Fall sein kann, wenn nach den konkreten Umständen eine durch die mit der langen Verfahrensdauer einhergehende Ungewissheit über den Verfahrensausgang verursachte (seelische) Belastung des Rechtsschutzsuchenden ausgeschlossen erscheint. Davon kann vorliegend schon mit Blick auf die erhebliche Bedeutung des Ausgangsverfahrens für den Kläger nicht ausgegangen werden.

Es kommt vorliegend keine Wiedergutmachung auf andere Weise in Betracht (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Diese ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls.

In diese Abwägung wird regelmäßig einzustellen sein, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt. Darüber hinaus kann zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war.

Nach dem Vorstehenden ist hier eine Wiedergutmachung auf andere Weise, insbesondere durch die bloße Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, bei Abwägung der Umstände des Einzelfalls nicht ausreichend. Weder war das Verfahren für den Kläger nur von geringer Bedeutung noch hat er zu der unangemessenen Verfahrensverzögerung beigetragen. Nach dem Obenstehenden war das Verfahren für den Kläger vielmehr von vergleichsweise hoher Bedeutung. Auch hatte der Kläger im Ausgangsverfahren neben der am 11. Mai 2019 erhobenen Verzögerungsrüge mehrfach auf die für ihn dringliche Angelegenheit ausdrücklich hingewiesen und um eine schnelle Entscheidung gebeten.

Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach sind diese in der Regel i. H. v. 1.200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Nur wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Hier sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, von dem Betrag der Regelentschädigung von 1.200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung nach oben oder unten abzuweichen, vgl. § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG. Danach steht dem Kläger für die zehnmonatige unangemessene Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens insgesamt eine Entschädigung in Höhe von 1.000 Euro zu.

Für eine (ohnehin nicht beantragte) Feststellung neben der Entschädigung (vgl. § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG) besteht kein Anlass, ein schwerwiegender Fall liegt nicht vor.