Aufrechnung mit gesellschaftsrechtlichem Anspruch im Arbeitsgerichtsprozess – Zuständigkeitsverweisung an das Zivilgericht

06. September 2025 -

In einem aktuellen Fall vor dem Arbeitsgericht Köln (Az. 9 Ca 658/25) verlangte ein ehemaliger Arbeitnehmer von seinem früheren Arbeitgeber die Auszahlung offener Urlaubsabgeltung sowie die Erteilung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses. Der Kläger wurde von Fachanwalt Dr. jur. Jens Usebach LL.M. vertreten. Die Arbeitgeberseite stellte sich auf den Standpunkt, sie könne den Anspruch auf Urlaubsabgeltung durch Aufrechnung mit einer eigenen Forderung aus Gesellschaftsrecht zum Erlöschen bringen. Konkret machte der Arbeitgeber Aufwendungsersatzansprüche aus einer gescheiterten gemeinsamen Steuerberatergesellschaft geltend und verrechnete diese mit der Urlaubsabgeltungsforderung.

Solche gesellschaftsrechtlichen Gegenforderungen gehören jedoch grundsätzlich nicht vor die Arbeitsgerichte, sondern vor die ordentlichen Zivilgerichte. Es handelt sich um „rechtswegfremde“ Forderungen, da ihr Ursprung nicht im Arbeitsrecht liegt. Das Arbeitsgericht Köln hatte daher zu klären, ob und wie die Aufrechnung mit einer fachfremden Forderung im laufenden Arbeitsrechtsstreit berücksichtigt werden kann, ohne die eigenen Zuständigkeitsgrenzen zu überschreiten.

Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln

Das Arbeitsgericht Köln stellte klar, dass es nicht befugt ist, über die materielle Berechtigung der gesellschaftsrechtlichen Gegenforderung zu entscheiden, da diese nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fällt. Dennoch blieb das Gericht für den Rechtsstreit insgesamt zuständig, um über den arbeitsrechtlichen Teil der Forderung zu befinden. In seinem Urteil vom 28.05.2025 (ein sogenanntes End- und Vorbehaltsurteil) hat das Gericht dem Kläger die Urlaubsabgeltung vorläufig zugesprochen – „vorbehaltlich“ der Entscheidung über die gegen die Forderung erklärte Aufrechnung. Mit anderen Worten: Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung wurde zwar bestätigt, aber unter dem Vorbehalt, dass die geltend gemachte Gegenforderung in einem nachfolgenden Verfahren noch geprüft wird.

Nach Eintritt der Rechtskraft dieses Vorbehaltsurteils (keine der Parteien legte Berufung ein) erklärte sich das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 30.07.2025 schließlich für unzuständig hinsichtlich des Nachverfahrens und verwies den Rechtsstreit an das zuständige Amtsgericht Brühl. Dort soll nun im sogenannten Nachverfahren gemäß § 302 Abs. 4 ZPO geklärt werden, ob das Vorbehaltsurteil aufrechterhalten oder aufgehoben wird und was mit der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung geschieht. Die Verweisung an das Amtsgericht erfolgte dabei nach § 48 ArbGG i.V.m. § 17a GVG (Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten) durch die Kammer des Arbeitsgerichts Köln.

Keine arbeitsgerichtliche Zuständigkeit für die Gegenforderung

Die zentrale juristische Frage war, warum das Arbeitsgericht über die gesellschaftsrechtliche Gegenforderung nicht selbst entscheiden durfte. Entscheidend ist hier § 2 ArbGG, der den Zuständigkeitsbereich der Gerichte für Arbeitssachen abgrenzt. Danach können nicht unter das Arbeitsgerichtsgesetz fallende Streitigkeiten (also rechtswegfremde Ansprüche) nur dann ausnahmsweise vor dem Arbeitsgericht verhandelt werden, wenn entweder kein anderes Gericht ausschließlich zuständig ist und zugleich ein rechtlicher oder unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang mit einer anhängigen Arbeitsrechtssache besteht (§ 2 Abs. 3 ArbGG).

  • Keine ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts: Im vorliegenden Fall fiel die Gegenforderung zwar in die Zuständigkeit der Zivilgerichte, unterlag aber keiner anderweitigen ausschließlichen Zuständigkeit (wie sie etwa bei Mietstreitigkeiten, Erfindervergütungen, Urheberrechtsstreitigkeiten oder Patent- und UWG-Streitigkeiten besteht). Es stand also keinem Spezialgericht exklusiv zu, über den gesellschaftsrechtlichen Anspruch zu entscheiden – es handelte sich um eine gewöhnliche bürgerlich-rechtliche Forderung.
  • Kein gesetzlicher Zusammenhang nach § 2 Abs. 3 ArbGG: Außerdem fehlte es an dem erforderlichen rechtlichen oder unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen dem arbeitsrechtlichen Hauptanspruch (Urlaubsabgeltung) und der aufgerechneten Gegenforderung (Aufwendungsersatz aus Gesellschaftsrecht). Weder standen die Ansprüche in einem rechtlichen Abhängigkeits- oder Bedingungsverhältnis, noch entsprangen sie demselben Lebenssachverhalt.

Rechtlicher Zusammenhang nach § 2 Abs. 3 ArbGG?

Ein rechtlicher Zusammenhang im Sinne von § 2 Abs. 3 ArbGG liegt typischerweise in den Fällen des § 33 ZPO vor. Beispielsweise ist dies anerkannt, wenn:

  • Anspruch und Gegenanspruch aus demselben Tatbestand hergeleitet werden (z. B. gegenseitige Schadensersatzansprüche aus demselben Verkehrsunfall), oder
  • Anspruch und Gegenanspruch in einem Bedingungsverhältnis zueinander stehen (z. B. Klageanspruch basiert auf der Wirksamkeit eines Vertrags, Gegenanspruch auf dessen Unwirksamkeit).

Im vorliegenden Fall ist keiner dieser Fälle gegeben. Die Urlaubsabgeltung gründet auf dem beendeten Arbeitsverhältnis und dem Bundesurlaubsgesetz, während die Gegenansprüche der Beklagten aus einem völlig separaten gesellschaftsrechtlichen Vorgang (der geplanten Kanzleigründung) stammen. Beide Ansprüche haben somit unterschiedliche rechtliche Wurzeln und bedingen sich nicht gegenseitig. Der arbeitsrechtliche Zahlungsanspruch ist rechtlich in keiner Weise verknüpft mit dem geltend gemachten Aufwendungsersatzanspruch aus dem Gesellschaftsrecht.

Unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang?

Auch ein unmittelbar wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Ansprüchen bestand nicht. Ein solcher Zusammenhang ist nur anzunehmen, wenn beide Forderungen aus dem gleichen wirtschaftlichen Austauschverhältnis stammen und „innerlich eng zusammengehören“, also auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt beruhen. Rechtsprechung und Literatur nehmen dies beispielsweise an in Konstellationen, in denen:

  • die Parteien als Gesamtschuldner für eine Verbindlichkeit haften,
  • ein Arbeitnehmer und ein Bürge gemeinsam vom Arbeitgeber in Anspruch genommen werden (Arbeitsentgelt und Bürgschaft für Arbeitgeberdarlehen),
  • gemeinsam an einer unerlaubten Handlung Beteiligte zugleich verklagt werden, wobei einer der Beteiligten in einem Arbeitsverhältnis zum Geschädigten steht,
  • oder ein verliehener Arbeitnehmer Schadenersatz sowohl vom Verleiher (Arbeitgeber) als auch vom Entleiher fordert.

Keine dieser Fallgruppen traf hier zu. Die wirtschaftliche Grundlage der geltend gemachten Aufwendungsersatzforderung war völlig unabhängig von dem früheren Arbeitsverhältnis der Parteien. Insbesondere entsprang der Aufwand für die Gründung der Steuerberatergesellschaft nicht dem Austausch von Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt – die Verbindung zur Beschäftigung war allenfalls zufällig (die Personen waren Arbeitgeber und Arbeitnehmer, als sie die Gesellschaftspläne schmiedeten, mehr aber nicht). Somit fehlte es an einem inneren wirtschaftlichen Zusammenhang der beiden Streitgegenstände.

Ergebnis: Mangels besonderer Zuständigkeit des Arbeitsgerichts für den gesellschaftsrechtlichen Anspruch durfte dieser nicht im selben Verfahren mitentschieden werden. Das Arbeitsgericht konnte sich folglich nur mit dem arbeitsrechtlichen Teil (Urlaubsabgeltung und Zeugnis) befassen. Für den Teil der Aufrechnung mit der gesellschaftsrechtlichen Gegenforderung musste der Rechtsstreit aus dem Arbeitsgerichtsweg herausgelöst werden.

Prozessuales Vorgehen: Vorbehaltsurteil und Nachverfahren

Trotz der fehlenden Zuständigkeit für die Gegenforderung konnte das Arbeitsgericht den Rechtsstreit prozessökonomisch sinnvoll gestalten, ohne den Kläger auf einen neuen Prozess zu verweisen. Das Instrument des Vorbehaltsurteils (§ 302 ZPO) erlaubte es dem Gericht, zunächst über die unstreitige Klageforderung (Urlaubsabgeltung) zu entscheiden, ohne die Gegenforderung abschließend beurteilen zu müssen.

  • Keine Aussetzung erforderlich: Anders als in manchen Fällen, in denen bereits ein Verfahren über die Gegenforderung anhängig ist (dann Aussetzung nach § 148 ZPO), musste das Arbeitsgericht hier das Verfahren nicht warten lassen. Da die gesellschaftsrechtliche Forderung noch nicht separat rechtshängig war, konnte das Gericht direkt ein Vorbehaltsurteil erlassen und die Entscheidung über die Gegenforderung ausklammern.
  • Vorbehaltsurteil über den Hauptanspruch: Im End- und Vorbehaltsurteil vom 28.05.2025 hat die Kammer dem Kläger die Zahlung der Urlaubsabgeltung zugesprochen – allerdings „unter Vorbehalt“ hinsichtlich der Gegenforderung. Dieses Urteil gilt für Rechtsmittel und Vollstreckung wie ein Endurteil. Der Beklagte konnte also regulär Berufung einlegen (hat es aber unterlassen), und der Kläger kann aus dem Vorbehaltsurteil die Zwangsvollstreckung betreiben. Bei Beträgen über 1.250 € müsste dafür in der Regel Sicherheit geleistet werden.
  • Verweisung des Nachverfahrens: Nachdem das Vorbehaltsurteil rechtskräftig wurde, hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 30.07.2025 den Rechtsstreit bezüglich der Gegenforderung an das zuständige Amtsgericht Brühl verwiesen. Örtlich zuständig ist hier das Amtsgericht am Wohnsitz des Klägers (Hürth), da kein besonderer Gerichtsstand vorgetragen wurde. Die Verweisung erfolgte gemäß § 17a GVG wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten. Gegen einen solchen Verweisungsbeschluss steht den Parteien die sofortige Beschwerde zu, die binnen zwei Wochen beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden kann (§ 17a Abs. 4 S.3 GVG). Im vorliegenden Fall haben die Parteien diese Frist allerdings verstreichen lassen, sodass die Verweisung rechtskräftig wurde.
  • Nachverfahren vor dem Amtsgericht: Das Amtsgericht Brühl übernimmt nun die Rolle, im Nachverfahren gemäß § 302 Abs. 4 ZPO über die Gegenforderung zu entscheiden und damit über das Schicksal des Vorbehaltsurteils. Es prüft also, ob die Aufrechnung begründet ist und ob das Vorbehaltsurteil aufrechterhalten oder aufzuheben ist. Wichtig: In diesem Nachverfahren verhandelt das Amtsgericht nicht über eine „arbeitsrechtfremde“ Forderung, sondern über einen einheitlichen Streit (Schicksal der Urlaubsabgeltung unter Berücksichtigung der Gegenforderung). Damit ist der Anspruch der Aufrechnung quasi „verfahrenstechnisch eingegliedert“ worden – er wird nun vom zuständigen Zivilgericht als Teil des Gesamtsachverhalts beurteilt, ohne die Zuständigkeitsordnung zu verletzen.
  • Kein doppeltes Verfahren: Durch dieses Vorgehen bleibt die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit erhalten, Klage- und Gegenforderung in einem einzigen Rechtsstreit zu erledigen. Hätte das Arbeitsgericht anders entschieden, wäre entweder der Kläger auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden (und müsste dort seine Urlaubsabgeltung erneut einklagen) oder die Gegenforderung des Arbeitgebers bliebe unberücksichtigt. Das Vorbehaltsurteil stellt sicher, dass der Kläger seinen unbestrittenen Anspruch vorab zugesprochen bekommt, ohne dass der Arbeitgeber erst einen langwierigen Zivilprozess über die Gegenforderung erfolgreich abschließen muss. Der Arbeitnehmer muss also nicht auf sein Geld warten, nur weil noch ein anderer Anspruch im Raum steht.
  • Risiko bei erfolgreicher Aufrechnung: Sollte sich im Nachverfahren herausstellen, dass die Gegenforderung des Arbeitgebers ganz oder teilweise besteht und die Aufrechnung zulässig war, kann das Vorbehaltsurteil entsprechend aufgehoben werden. In diesem Fall würde der Kläger den bereits vollstreckten Betrag (bzw. den aufgerechneten Teil) nicht behalten dürfen. Gegebenenfalls müsste er dem Beklagten sogar den Schaden ersetzen, der diesem durch die Vollstreckung des Vorbehaltsurteils entstanden ist (vgl. § 302 Abs. 4 ZPO). Dieses Risiko ist dem Kläger bewusst zu machen, doch erst bei erfolgreichem Nachverfahren relevant.

Praxishinweise

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln verdeutlicht, dass Arbeitgeber in einem Kündigungs- oder Lohnrechtsstreit nicht ohne Weiteres mit fachfremden Forderungen aufrechnen können. Fehlt es – wie hier – an einem engen rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang der Gegenforderung mit dem Arbeitsverhältnis, muss diese Forderung vor dem Zivilgericht geklärt werden. Das Arbeitsgericht schützt damit den Arbeitnehmer, indem es den unstreitigen arbeitsrechtlichen Anspruch nicht blockieren lässt: Der Arbeitnehmer erhält zunächst sein Geld zugesprochen, während der Arbeitgeber seinen vermeintlichen Gegenanspruch in einem separaten Verfahren durchfechten muss.

Für die Praxis bedeutet dies: Will ein Arbeitgeber gegen eine Klageforderung aus dem Arbeitsverhältnis mit einer Forderung außerhalb des Arbeitsrechts aufrechnen (sei es aus Gesellschaftsrecht, Mietrecht o. ä.), sollte er damit rechnen, dass das Arbeitsgericht zwar die Aufrechnung formell prüft (z. B. Aufrechnungslage, Zulässigkeit gegenüber Nettoforderungen etc.), die materielle Entscheidung darüber aber einem anderen Gericht überlässt. Aus Arbeitgebersicht kann es sinnvoll sein, einen solchen Anspruch gleich vor dem zuständigen Zivilgericht geltend zu machen, anstatt ihn als bloßes Verteidigungsmittel im Arbeitsgerichtsprozess einzubringen. Andernfalls besteht das Risiko, dass man trotz Aufrechnung zunächst zur Zahlung an den Arbeitnehmer verurteilt wird und den Gegenanspruch in einem getrennten Verfahren weiterverfolgen muss.

Arbeitnehmer und ihre Vertretungen können derartige Aufrechnungen gelassen entgegenblicken: Der arbeitsrechtliche Anspruch wird dadurch nicht vereitelt, sondern allenfalls vorläufig gestundet. Das Arbeitsgericht kann die berechtigte Klageforderung per Vorbehaltsurteil zusprechen. Die Klärung der Gegenforderung wird ausgelagert, ohne dass der Arbeitnehmer auf die Durchsetzung seines Anspruchs verzichten oder lange warten muss. Diese prozessuale Gestaltung – Vorbehaltsurteil und anschließendes Nachverfahren vor dem zuständigen Gericht – ist ein effizienter Weg, um sowohl den Interessen des Klägers als auch der Zuständigkeitsordnung der Gerichte gerecht zu werden.