BayVGH stoppt Fischotter-Entnahme: Allgemeinverfügung rechtswidrig

04. Juli 2025 -

Sachverhalt: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat mit Beschluss vom 30.06.2025 (Az.: 14 CS 25.1065) im Eilverfahren eine Allgemeinverfügung der Regierung von Oberfranken außer Vollzug gesetzt. Diese Allgemeinverfügung erlaubte es, in bestimmten Gebieten Oberfrankens bis zu zehn streng geschützte Fischotter (Lutra lutra) pro Jahr zu entnehmen (bis hin zur Tötung), um Fischereischäden zu begrenzen. Die Entscheidung des BayVGH fiel zugunsten einer anerkannten Umweltvereinigung (Deutsche Umwelthilfe e.V.), die gegen die Allgemeinverfügung geklagt und einstweiligen Rechtsschutz beantragt hatte. Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ein Fischotter (Lutra lutra) in freier Wildbahn. Aufgrund ihrer Ernährungsweise können Fischotter in Teichwirtschaften erhebliche Schäden anrichten. Gleichzeitig stehen sie unter strengem Artenschutz nach EU-Recht und Bundesnaturschutzgesetz.

Hintergrund: Konflikt zwischen Artenschutz und Teichwirtschaft

Fischotter sind in Deutschland streng geschützt. Nach § 44 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) ist es verboten, Fischotter zu töten. Allerdings lassen § 45 Abs. 7 BNatSchG und Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie (Flora-Fauna-Habitat-RL) unter engen Voraussetzungen Ausnahmen vom Tötungsverbot zu, z.B. wenn geschützte Tiere ernsthafte fischereiwirtschaftliche Schäden verursachen. In Bayern klagen Teichwirte seit Jahren über Verluste durch Fischotter. Allein 2023 sollen die Otter in Oberfranken Schäden von rund 2,4 Millionen Euro verursacht haben. Einige Teichwirte haben ihre Teichwirtschaft deshalb aufgegeben.

Um diesem Konflikt zu begegnen, hat der bayerische Verordnungsgeber im August 2024 die Artenschutzrechtliche Ausnahmeverordnung (AAV) erlassen. § 3 AAV eröffnet die Möglichkeit, Fischotter zur Abwendung erheblicher Schäden in bestimmten Umfang zu entnehmen. Gemäß § 3 Abs. 3 S. 1 AAV soll die höhere Naturschutzbehörde – auf Grundlage von Populationsdaten und Schadensdaten – Gebiete und Höchstzahlen festlegen, in denen Otter entnommen werden dürfen. Von dieser Ermächtigung machte die Regierung von Oberfranken im Februar 2025 Gebrauch: In einer Allgemeinverfügung bestimmte sie Teile der Landkreise Bayreuth, Hof und Wunsiedel (sowie der Stadt Hof) als Abschussgebiete und legte eine Höchstentnahmemenge von insgesamt zehn Ottern pro Jahr fest. Daraufhin konnten Teichwirte in diesen Gebieten ab 14. Februar 2025 entsprechende Ausnahmegenehmigungen für den Abschuss beantragen.

Rechtsschutz gegen die Allgemeinverfügung („Tatbestandswirkung“)

Eine anerkannte Umweltvereinigung (hier die DUH) erhob Anfechtungsklage gegen die Allgemeinverfügung und beantragte zugleich, die aufschiebende Wirkung dieser Klage im Eilverfahren wiederherzustellen. Problematisch war zunächst, ob ein solcher Rechtsbehelf gegen die Allgemeinverfügung überhaupt zulässig ist. Das Verwaltungsgericht (VG) Bayreuth lehnte den Eilantrag nämlich als unzulässig ab: Nach Auffassung des VG entfaltete die Allgemeinverfügung keine unmittelbare Rechtswirkung nach außen – sie begründe lediglich eine Zuständigkeit der unteren Naturschutzbehörden und schaffe einen Rahmen, habe aber keine bindende Wirkung für künftige Einzelentscheidungen. Mögliche Rechtsverstöße könnten daher erst in Verfahren gegen die späteren Ausnahmegenehmigungen geltend gemacht werden.

Der BayVGH hat dieser Einschätzung entschieden widersprochen. Er betont die Tatbestandswirkung der Allgemeinverfügung: Dadurch, dass die Regierung mit der Allgemeinverfügung Gebiete und Entnahmequoten festlegt, werden wesentliche Vorentscheidungen für nachfolgende Ausnahmen getroffen. Konkret bewirkt die Allgemeinverfügung zweierlei:

  • Zuständigkeitsverlagerung: Die Zuständigkeit zur Erteilung der Ausnahmegenehmigungen geht von der höheren auf die unteren Naturschutzbehörden über. Ohne die Allgemeinverfügung dürften die Unteren Naturschutzbehörden gar nicht tätig werden.
  • Gebiets- und Mengenbindung: Innerhalb der ausgewiesenen Gebiete und bis zur festgelegten Höchstzahl sind Entnahmen grundsätzlich vorgesehen (intendiertes Ermessen – es sollen Maßnahmen ergriffen werden). Die Entscheidung über Ausnahmen ist damit nicht mehr völlig offen, sondern durch die Allgemeinverfügung vorgeprägt.

Diese Regelungswirkungen binden nicht nur die Behörden, sondern aufgrund der Tatbestandswirkung eines Verwaltungsakts auch Gerichte in späteren Verfahren. Mit anderen Worten: Nachfolgende Einzelgenehmigungen würden auf der Allgemeinverfügung aufbauen, ohne dass deren Grundlagen dann noch voll überprüft werden könnten. Effektiver Rechtsschutz ist daher nur gewährleistet, wenn bereits die Allgemeinverfügung selbst gerichtlich überprüft werden kann. Der BayVGH stellte klar, dass Umweltvereinigungen nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) in solchen Fällen klagebefugt sind, ohne eigene Rechte geltend machen zu müssen. Er hat deshalb die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt und die Allgemeinverfügung vorläufig gestoppt.

Voraussichtliche Rechtswidrigkeit der Abschuss-Regelung

Inhaltlich hält der BayVGH die Allgemeinverfügung nach summarischer Prüfung für rechtswidrig. Die wichtigsten Gründe dafür lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Schäden nicht belegt: Es ist unsicher, ob die Fischotter tatsächlich die erhebliche Höhe der geltend gemachten Fischereischäden in den ausgewiesenen Gebieten verursacht haben. Die Datenlage war unzureichend, um einen konkreten örtlichen Schaden eindeutig den Ottern zuzuordnen.
  • Ungünstiger Erhaltungszustand: Die Fischotterpopulation in Oberfranken ist zahlenmäßig relativ klein (geschätzt rund 176 Tiere) und wird vom Landesamt für Umwelt als ungünstig eingestuft. Ein günstiger Erhaltungszustand gemäß FFH-Richtlinie liegt also nicht vor.
  • Ungewisse Auswirkungen der Entnahmen: Selbst bei ungünstigem Erhaltungszustand wären Ausnahmen vom Tötungsverbot ausnahmsweise möglich – aber nur, wenn sichergestellt ist, dass die Entnahmen weder den Bestand weiter verschlechtern noch die Wiederherstellung eines günstigen Zustands behindern. Genau hieran hat der BayVGH erhebliche Zweifel: Die Allgemeinverfügung sah bis zu 10 Otterabschüsse pro Jahr vor, stützte sich aber auf eine Prognose eines jährlichen Populationszuwachses von 12,7 %, die wissenschaftlich nicht nachvollziehbar war. Es blieb unklar, ob diese Entnahmerate nicht doch die Erholung der Population gefährdet. Mit anderen Worten: Es bestanden Ungewissheiten, ob die geplanten Abschüsse mit den Zielen des Artenschutzes vereinbar sind.

Der BayVGH verweist insoweit auf das europäische Vorsorgeprinzip. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 10.10.2019 – Rs. C-674/17 „Tapiola“) muss von Ausnahmen im Artenschutz abgesehen werden, wenn Ungewissheit darüber besteht, ob bei einer ungünstigen Bestandssituation die Maßnahme die Bestands-Erholung beeinträchtigt. Genau das ist hier der Fall: Solange nicht zweifelsfrei feststeht, dass die Entnahme der zehn Otter keinen negativen Einfluss auf die Erholung der oberfränkischen Otterpopulation hat, dürfen solche Ausnahmen nicht genehmigt werden. Folglich darf die Allgemeinverfügung keine Grundlage für Fischotter-Abschüsse bilden.

Bedeutung für die Praxis

Der Beschluss des BayVGH stärkt den strengen Artenschutz und betont die Bedeutung des effektiven Rechtsschutzes im Umweltrecht. Allgemeinverfügungen, die – wie hier – den Rahmen für später folgende Einzelgenehmigungen setzen, entfalten Tatbestandswirkung und sind deshalb unmittelbar gerichtlich angreifbar. Anerkannte Umweltverbände können auf Grundlage des UmwRG gegen solche Maßnahmen vorgehen, ohne eigene Betroffenheit nachweisen zu müssen. Behörden wiederum sind gehalten, vor Ausnahmen vom Artenschutz sehr sorgfältig zu prüfen und die beste verfügbare wissenschaftliche Datenbasis heranzuziehen. Insbesondere bei ohnehin bedrohten Arten gilt: Im Zweifel für den Artenschutz – bleiben Unklarheiten über die Auswirkungen einer Ausnahme, ist von ihrer Anwendung abzusehen.

Der konkrete Fall bedeutet, dass in Oberfranken vorerst keine Fischotter getötet werden dürfen. Die Teichwirte müssen sich bis zur Entscheidung in der Hauptsache anderweitig behelfen (etwa durch Präventionsmaßnahmen). Gleichzeitig setzt die Entscheidung ein deutliches Signal, dass ökonomische Interessen die Vorgaben des Natur- und EU-Artenschutzrechts nicht ohne Weiteres aushebeln können. Der Schutz gefährdeter Arten – selbst wenn sie Schäden verursachen – darf nur in eng begrenzten Ausnahmefällen gelockert werden, und diese Ausnahmen bedürfen einer soliden rechtlichen und fachlichen Grundlage.